Assault - Sidney Hayers (1971)
Verfasst: Mi 20. Jun 2012, 23:26
DVD von Network (Großbritannien)
Assault (Großbritannien 1971, Originaltitel: Assault)
Auf den Unterricht folgt die Notzucht
Irgendwo in England, eine Schule am Waldrand, wieder ein Schultag überstanden. Die hübsche Tessa Hurst (Lesley-Anne Down) zieht es zu einer Verabredung, sie nimmt die Abkürzung durch den Wald. Ein schrecklicher Fehler, Tessa wird angefallen und brutal vergewaltigt. Detective Chief Superintendent Velyan (Frank Finlay) leitet die Ermittlungen, er hofft auf den Rat des Psychologen Greg Lomax (James Laurenson), der Mediziner behandelt das Opfer des Verbrechens. Tessa ist nicht in der Lage eine Aussage zu tätigen, schwer traumatisiert spricht sie nicht mehr, zeigt kaum Reaktionen auf ihre Umwelt. Als der Täter erneut ein Mädchen (Anabel Littledale) im Wald anfällt, tötet er die Jugendliche nach der Schändung. Kunstlehrerin Julie West (Suzy Kendall) ist mit einigen ihrer Schülerinnen in den Forst gefahren, das Verschwinden des zweiten Opfers, Susan Miller, war ihr sofort aufgefallen. Nachdem Julies Fahrzeug auf einem Waldweg im Schlamm stecken geblieben ist, fällt ein Blick durch die Rückscheibe des PKW erschreckend aus! Die Lehrerin sieht den mutmaßlichen Täter, findet nach dem Aussteigen die Leiche des gesuchten Teenagers! Trotzdem lässt eine Identifizierung des Killers auf sich warten. Julie kann keine nachvollziehbare Beschreibung liefern, sah den Täter in seltsames Licht gehüllt, während einer öffentlichen Vernehmung wird sie vom Vorsitzenden lächerlich gemacht. Mut und Verzweiflung sind die Triebfeder für einen gewagten Plan, von Julie erdacht und umsetzbar. Sie will dem Mörder eine Falle stellen, benötigt dazu das Geschmiere eines schäbigen Reporters (Freddie Jones). Detective Velyan zeigt sich skeptisch, kann gewisse Erfolgsaussichten jedoch nicht leugnen...
"Assault" stellt zunächst die Morde in den Mittelpunkt, Jagdszenen im englischen Wald. Nach dem flotten Auftakt marschiert der Film in eine andere Richtung, konzentriert sich auf die zentralen Figuren und streut diverse Verdachtsmomente. Eventuell mag die erste Viertelstunde zu einer "ungünstigen" Erwaltungshaltung führen! "Assault" ist keine britische Variante des italienischen Giallo, gleichwohl eine gewisse Verwandtschaft frelich nicht zu leugnen ist. Inszeniert von Sidney Hayers (der Episoden zu vielen bekannten TV-Serien beisteuerte: "Die Profis", "Magnum" und "Airwolf" sollten als geeignete Beispiele ausreichen), bewegt sich "Assault" irgendwo zwischen Edgar Wallace, Hitchcock und Giallo. Im Gegensatz zu vielen Gialli, verzichtet diese britische Produktion weitgehend auf offensive Erotikszenen und harsche Gewaltmomente, zeichnet andererseits Charaktere, die sich ebenso in der Welt des italienischen Thrillers sehr wohlfühlen würden. Da haben wir die verklemmte und gestrenge Schuldirektorin im Angebot, deren Ehemann sich wie ein Dienstbote fühlt, seiner Frustration durch Annährungsversuche in Richtung Schülerinnen Ausdruck verleiht, im versteckten Karton pornographische Bilder hortet. Dazu die attraktive Heldin unter Druck, den hilfreichen und gleichzeitig verdächtigen Mediziner, den Polizisten ohne Fahndungserfolg und selbstverständlich den psychisch gestörten Killer usw..
An dieser Stelle drängt sich der Blick auf die Damen und Herren vor der Kamera geradezu auf, also ran an das Ensemble. Suzy Kendall verbinden Fans vor allem mit dem Giallo-Klassiker "Torso" (I corpi presentano tracce di violenza carnale, 1973) von Sergio Martino, einem der ganz grossen Filme dieses wundervollen Genres. Erneut: Erwartet bitte keinen "Brit-Giallo" oder gar einen "Torso-Klon"! Davon losgelöst macht Suzy ihren Job sehr gut, schaltet souverän zwischen clever, zielstrebig und hilfebedürftig um, sehr sympathisch, sehr anziehend! Verdammt, hätten wir früher eine Kunstlehrerin dieses Kalibers geniessen dürfen, das Geklapper unten den Tischen wäre vermutlich durch das gesamte Gebäude gehallt, in der Toilettenabteilung hätte der Saft die mit Parolen beschmierten Wände übertüncht! So viel Glück war mir nicht vergönnt, statt Suzy schlurfte ein glatzköpfiges Überbleibsel der 68er durchs Klassenzimmer, schüttelte sich Mohn und schlimmere Dinge aus dem Rauschebart! Wie können sich unter solch widrigen und anprangerungswürdigen Bedingungen, die geforderte Kreativität und angemahnte Ästhetik ihren Weg in Welt bahnen? Genug davon, betrachten wir die Herrenriege. Frank Finlay wird für mich immer der launige Porthos aus den Musketier-Verfilmungen von Richard Lester bleiben, Satan, wie ich diese Filme liebe! Hier gefällt er als bemühter Polizist, fernab von trotteligen Anwandlungen, dennoch nicht ohne fremde Hilfe zur Ergreifung des Täters in der Lage. James Laurenson darf sich um Suzy Kendall kümmern, wird vom Drehbuch ins Zwielicht gesetzt, es knistert folglich auf unterschiedlichen Ebenen zwischen Suzy und dem freundlichen Arzt. Dilys Hamlett und Tony Beckley spielen als ungleiches und unglückliches Ehepaar großartig auf, Hamlett als stocksteife Schulleiterin, Beckley macht uns den verschwitzten Geiferling, gewissermaßen den idealen Verdächtigen. Emotionale Kälte zwischen den Eheleuten, geprägt durch gegenseitiges Unverständis. Ekel und Hass hinter der konservativen Fassade. An unangehmenen Gestalten mangelt es keinesfalls, nicht minder stark Freddie Jones als hinterlistiger Reporter, der mit seriösem Journalismus überhaupt nichts am Hut hat. Die damals noch blutjunge Lesley-Anne Down hat einen der frühen Auftritte ihrer Karriere (sie ist übrigens auch in der Hammer-Produktion "Comtesse des Grauens" (Countess Dracula, 1971) zu sehen, überstrahlt von der damals unwerfenden Ingrid Pitt).
Mord in malerischer Umgebung. Freundlicher Wald im englischen Hinterland wandelt sich in Bruchteilen von Sekunden zum Schlachthaus eines Psychopathen, ein imposanter Strommast ragt wie ein Fanal des Schreckens aus dem Grün hervor! "Assault" hätte ein temporeicher und stylischer Thriller werden können, die Verantwortlichen schlugen nach dem Auftakt eine andere Richtung ein. Mir gefällt der Streifen in der vorhandenen Form gut, es muss nicht immer ein Giallo sein, es muss nicht immer Wallace sein, es muss nicht immer Hitchcock sein. Zugegeben, dieser kleine Brit-Krimi ist kein Höhepunkt seiner Zunft, aber er versteht mich ansprechend und kurzweilig zu unterhalten, setzt immer wieder kleine Höhepunkte und Ausrufezeichen. Gerade denke ich an den köstlichen Humor während einer Zeugenbefragung, in deren Verlauf sich Suzy mit einem ignoranten Fatzke plagt. Ihr wisst schon worauf ich anspiele... Ja, da ist sie wieder, meine geliebte und oft beschworene "Wohlfühlatmosphäre". Von einem kleinen Schätzchen wie "Assault" lasse ich mich gern verführen, 87 Minuten frühe siebziger Jahre, eine wahre Wonne! Keine Spur Gemecker? Der dynamische Score tönt sehr angenehm, wirkt aber teils ein wenig unpassend, wäre in einem frühen Rialto-Wallace besser aufgehoben (Beschwerde auf hohem Niveau, fast schon kleinkariert).
Bisher gibt der deutsche Markt keine DVD/BD zu "Assault" her, die britische Scheibe von Network geht als brauchbar durch (lässt aber Raum für deutliche Verbesserungen). Als Bonus gibt es eine Folge aus der britischen TV-Serie "Tales of the Unexpected" zu sehen (There's One Born Every Minute, 1981). Frank Finlay spielt die Hauptrolle, eine sehr schöne Beigabe (inklusive einer Anspielung seitens Finlay auf "Assault"). Vielleicht erbarmt sich ein Label aus dem deutschsprachigen Raum, immerhin sind in letzter Zeit auch unverhoffte und hochwertige DVDs zu britischen Perlen "Teufelkreis Y" (Twisted Nerve, 1968) und "Die Fratze" (Fright, 1971) erschienen!
7/10 Wonnepunkte auf der wohligen Knuffelskala
Lieblingszitat:
"Did he have horns?"
"Horns?"