Ein deutscher Boxer - Eric Friedler
Verfasst: Do 28. Jun 2012, 19:14
"Ein deutscher Boxer"
Eric Friedler erzählt die Geschichte eines außergewöhnlichen Menschen und Boxers: Charly Graf.
Eine Kindheit geprägt von Armut und Rassismus
Schwarzer, Boxer, deutscher Meister: Charly Graf wird 1951 im sozialen Brennpunkt Mannheim-Waldhof als unehelicher Sohn einer ungelernten Arbeiterin und eines schwarzen US-Soldaten geboren und wächst in den sogenannten Benz-Baracken auf. Rückblickend wird er sein Leben als ewigen Kampf bezeichnen.
Wegen seiner Hautfarbe wird er immer wieder ausgegrenzt und mit Vorurteilen konfrontiert. Die ersten Trainer erklären dem Nachwuchssportler, dass er einer anderen Rasse angehöre. Trotz früher Erfolge im Boxsport wird er kriminell, denn im Rotlichtviertel von Mannheim, wo er mit dem organisierten Verbrechen in Berührung kommt, fühlt er sich anerkannt. Immer wieder gerät er mit dem Gesetz in Konflikt, landet regelmäßig im Gefängnis, wo er zusammengerechnet rund zehn Jahre seines Lebens verbringt.
Der Boxer und der Terrorist
Inspiriert vom Streik in der Danziger Werft, aus der die Bewegung Solidarnocz hervorgehen wird, zettelt er 1980 spontan und mit dem Schlachtruf "Solidarität" eine Gefängnismeuterei an, als er seine schwerkranke Mutter nicht besuchen darf. Im politisch noch immer sensiblen Klima der 80er-Jahre wird er daraufhin in die JVA Stammheim verlegt. Hier lernt er den Ex-RAF-Terroristen Peter-Jürgen Boock kennen, mit dem er von nun an seine Hofgänge zu absolvieren hat. Zwei Welten prallen aufeinander - doch die beiden so verschiedenen Männer freunden sich entgegen aller Erwartungen an.
Peter-Jürgen Boock beginnt, Charly Graf für Literatur zu interessieren, was dessen Leben eine völlig neue Wendung gibt. So fängt das Kind aus den Benz-Baracken an, Roman-Klassiker von Hermann Hesse und William Faulkner zu lesen. Worte, so erkennt der ehemalige Zuhälter und Türsteher fasziniert, können über dieselbe Kraft verfügen wie Faustschläge. Boock bringt Graf nicht nur dazu, sein Leben und sich selbst zu hinterfragen, sondern motiviert ihn auch, wieder an seine Profi-Laufbahn als Boxer anzuknüpfen.
Als Häftling im offiziellen Boxwettkampf
Doch dann wird Graf überraschend in die JVA Ludwigsburg verlegt. Allerdings hat er diesmal ein paar Bücher im Gepäck und den festen Willen, wieder als Boxer einzusteigen. Es ist ein veränderter Graf, der in Ludwigsburg den Kontakt zur Gefängnisleitung sucht und dem es gelingt, sich als Häftling erfolgreich für offizielle Wettkämpfe anzumelden. Klug mobilisiert er mit Hilfe des Box-Promoters Jean-Marcel Nartz die deutsche Presse und stellt die Anstaltsleitung mit einer geglückten Anmeldung zu einem Kampf vor vollendete Tatsachen.
Eisern zieht er sein persönliches Trainingsprogramm durch und bekommt sogar einen täglichen Trainerbesuch gestellt. Grafs Rechnung geht auf. Er darf zum ersten Kampf in die Freiheit und wird sogar von einer "grünen Minna" gebracht, mit persönlicher Polizei-Eskorte. Ein einzigartiger Fall in der deutschen Justizgeschichte. Und Graf gewinnt! Und er gewinnt immer wieder und befindet sich bald auf dem direkten Weg zur deutschen Meisterschaft. Dabei wird die Ballade "Willy" von Konstantin Wecker wichtig für ihn. Als, wie er es formuliert, "intellektueller Ratschlag, einen Kampf zu gewinnen". Und tatsächlich: Wieder in Freiheit gelingt es ihm, Deutscher Meister im Schwergewicht zu werden.
Vom Deutschen Meister in die Depression
Charly Graf glaubt sich am Ziel seiner Träume, fühlt sich "wie im Paradies" und endlich, endlich anerkannt als Deutscher. Doch schon wenige Monate später verliert er unter dubiosen Umständen seinen Titel. Schiebung oder faire Entscheidung? Charly Graf fällt in eine tiefe Depression, hört auf zu boxen, verlässt Mannheim. Es wird Jahre dauern, bis Charly Graf diesen Schlag verwindet. Über ein Jahrzehnt später kehrt er zurück, versucht neu, Fuß in der alten Heimat zu fassen, findet endlich als Sozialarbeiter in Mannheim seine Berufung. Und dann erfährt er doch noch Gerechtigkeit. Von einer Seite, von der er es nie erwartet hätte.
Innenansichten eines Kämpfers:
"Mein Name ist Charles Graf, ich bin geboren am 16. November 1951 in Mannheim. Die meisten sehen mich als Boxer mit einem beschränkten Horizont. Und für mich sind die Siege, wenn ich sie in ihrer Haltung zerstöre. Neger, Neger! Ich musste immer kämpfen. Es war immer ein Kampf. Für mich war es ein Kampf, einfach, einfach ... um klar zu machen, dass ich ein Mensch bin."
Sendetermin:
Erstausstrahlung: 12. Juni 2012 um 23.45 Uhr im Ersten
Wiederholung: 4. August um 22.45 Uhr im NDR Fernsehen