Tatort: Kressin und der Laster nach Lüttich - Tom Toelle (1971)

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sid.vicious
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Tatort: Kressin und der Laster nach Lüttich - Tom Toelle (1971)

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Alternativer Titel: Tatort, Kressin und der Laster nach Lüttich
Produktionsland: Deutschland
Produktion: WDR
Erscheinungsjahr: 1971
Regie: Tom Toelle
Drehbuch: Wolfgang Menge
Kamera: Jan Kalis
Schnitt: Lothar Kirchem
Musik: Klaus Doldinger
Länge: ca. 79:07 Minuten
Freigabe:
Darsteller:
[center]Zollfahnder Kressin - Sieghardt Rupp
Elisabeth - Katrin Schaake
Zollrat - Hermann Lenschau
Kommissar Lutz - Werner Schumacher
Sievers - Ivan Desny
Vondracek - Manfred Seipold
Strauss - Friedrich Schütter
Desroches - Jean-Pierre Zola
Patzke - Gernot Duda
Ewald - Joachim Richert
Müllerburg - Heinz Meier
Paul - Horst Hesslein
Semmler - Hammie de Beukelaer
Kalun - Peter Seljee
Erwin - Hennie van Raalte
Fritz - Jean-Baptiste Jouby
Hausschild - Karl-Heinz Walther[/center]



Kressin ist einem Schmugglerring auf der Spur, der unverzollten Alkohol einschleust. Als einer von Kressins Kollegen, der Undercover innerhalb des Schmugglerrings arbeitete zu Tode kommt, ist Kressin gefordert.

Ein Jahr nach „Das Millionenspiel“ führte Tom Toelle in diesem Tatort die Regie. Was Toelle dort erreichte war eine ganze Menge, denn dieser Tatort hat wirklich Einiges zu bieten.

Der Start vollzieht sich am Kölner Hauptbahnhof und Kressin ist auf Beobachtungskurs. Der Verdächtige ist ein gewisser Sievers, gespielt von Ivan Desny. Was uns dabei einfällt ist: dass Desny doch bereits schon im vorherigen Kressin-Tatort „Kressin und der tote Mann im Fleet“ aktiv war und dort ebenfalls den Namen Sievers hatte. Demnach ein kurzes aber erfreuliches Wiedersehen mit dem Gentleman-Ganoven.

Weitere nette Schauspielkollegen sollen allerdings noch folgen. Manfred Seipold spielt die Rolle des Undercover-Fahnders Vondracek und Friedrich Schütter die Rolle von Strauss. Wer Friedrich Schütter vielleicht nicht vom Namen her kennt, der kennt zumindest seine markante Stimme, die er Ben Cartwright innerhalb der Bonanza-Synchronisation verlieh.

Die Story um den Laster nach Lüttich wird langsam aufgebaut und zeigt sich als sehr bodenständig. Des weiteren ist diese mit einer passenden Musik unterlegt.

Kressin zeigt sich diesmal weniger in der Rolle des Arbeitverachtenden Zollfahnders und Lebemanns, sondern befindet sich eher im Part des Draufgängers. Dazu lässt sich der Zollfahnder auch gern in das Krisengebiet katapultieren. Dass es in diesem Krisengebiet äußerst heiß hergeht, macht Kressin nicht allzu viel aus. Jegliche Fragen aus seinem Umfeld weiß er mit Sarkasmus und Ignorieren aus dem Weg zu räumen.

Wirklich gut ist die Atmosphäre in Lüttich. Kressin ist ein Fremder innerhalb Belgiens und lehnt sich extrem weit aus dem Fenster. Die Gefahr mag ihn kalt lassen, aber dem Publikum wird eine hochbrisante Atmosphäre vermittelt. Dass dabei noch schlammige Feldwege zum Schauplatz von Prügeleien (die ebenfalls sehr überzeugend dargestellt werden) fungieren, vermittelt ein weiteres unbehagliches Gefühl.

Als kleines optisches Bonbon wird ein gezackter Aufkleber mit der Aufschrift „Tschibo senkt die Kaffeepreise“ an der Glastür eines kleinen Cafes präsentiert.

Fazit: Mit Wortwitz, Schlagfertigkeit und ohne jegliche Selbstzweifel rockt Sieghardt Rupp auch diesen Tatort, so wie man es von ihm kennt. Kressin ist einfach klasse.

Besser als der tote Mann im Fleet, aber nicht ganz so genial wie der von Kressin gestoppte Nordexpress.

8/10
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buxtebrawler
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Re: Kressin und der Laster nach Lüttich - Tom Toelle (1971)

Beitrag von buxtebrawler »

Tatort: Kressin und der Laster nach Lüttich

„Die Franzosen haben Lüttich fünfmal erobert!“

Knapp zwei Monate nach Zolloberinspektor Kressins erstem Einsatz innerhalb der damals noch jungen „Tatort“-TV-Krimi-Reihe, genauer: in der fünften Episode vom 7. März 1971, durfte Sieghardt Rupp den Kölner Beamten erneut verkörpern. Das erneut von Wolfgang Menge verfasste Drehbuch ließ ihn diesmal im eigenen Revier schnüffeln, schickte ihn jedoch – man ahnt es aufgrund des Titels – infolgedessen auf einen Ausflug ins belgische Lüttich. Mit der Regie betraute man Tom Toelle, einen bedeutenden deutschen Fernsehregisseur, der u.a. für TV-Meilensteine wie die Skandaldystopie „Das Millionenspiel“ (zu der ebenfalls Menge das Drehbuch schrieb) oder die Fallada-Verfilmung „Der Trinker“ verantwortlich zeichnete. „Kressin und der Laster nach Lüttich“ blieb jedoch Toelles einziger „Tatort“.

„Können Sie sich vorstellen, was es heißt, Ihr Vorgesetzter zu sein?“

Kressin ist einer Schmugglerbande auf der Spur, die unverzollten Alkohol nach Westdeutschland einschleust, indem sie ihn, per Lkw aus Osteuropa kommend, als Leinölfirnis oder Schwefelsäure deklariert und nach Belgien bringt. In einem Versteck nahe der Autobahn wird der Stoff gegen die in den Papieren angegebene Ware ausgetauscht, sodass es an der belgischen Grenze nichts zu beanstanden gibt. Seit die Bande den Inkognitofahnder Vondracek (Manfred Seipold, „Unter den Dächern von St. Pauli“), der in einer Notsituation den Gangstern gegenüber einen meuternden Fahrer spielen musste, kaltblütig umgebracht hat, steht fest, dass sie vor nichts zurückschreckt und ihr schnellstmöglich das Handwerk gelegt werden muss. Kressin geht auf volles Risiko und schleust sich höchstpersönlich in die Bande ein…

Ganove Sievers (Ivan Desny), der in Kressins erstem „Tatort“ entkommen konnte, wird zu Beginn am Kölner Hauptbahnhof von Kressin beschattet und damit als eine episodenübergreifende Figur etabliert, die in scheinbar jedem schmutzigen Geschäft ihre Finger mit drin hat. Doch Kressin wäre nicht Kressin, würde er nicht zeitgleich eine junge Frau (Katrin Schaake, „Whity“) umgarnen, die einen Spielzeugladen betreibt und einen Gepäckträger benötigt – aber stattdessen im leichtlebigen Zollfahnder ihren Liebhaber zumindest für die Länge dieser Episode findet. Diese widmet sich im weiteren Verlauf der Schmugglerbande und dem von ihr grausam verübten Mord: Vondracek wird von einem Lkw überfahren.

Handelte es sich bei Kressins erstem Einsatz noch um einen Crossover mit dem Hamburger Hauptkommissar Trimmel, muss Kressin hier mit dem eine Episode zuvor neu eingeführten Kölner Kommissar Lutz (Werner Schumacher) zusammenarbeiten. Im Dialog wird erläutert, weshalb diese Art Schmuggel besonders lukrativ ist und wie sie funktioniert, womit der Bildungsauftrag abgehakt wäre und man zum draufgängerischen Einsatz Kressins übergehen kann: Die Polizei stellt Teile der Bande und Kressin kapert ihren Lkw, um sich fortan als ihr Fahrer Paetzold auszugeben und gen Lüttich zu steuern. Die Folge sind eine Prügelei sowie Verfolgungsjagden und Stunts, wenn er auf der Rückfahrt von zwei Lastern in die Zange genommen wird. Kressins Vorgesetzter (Hermann Lenschau, „Die blaue Hand“) ist davon alles andere als begeistert.

Doch Kressin meint es ernst, behält seine Identität als Paetzold bei – und okkupiert die Wohnung seiner neuen Freundin Elisabeth, die er dadurch mit hineinzieht. Kressin wagt einen Alleingang ohne Kripo, was die im ersten Fall noch sehr dandyhaft gezeichnete Figur weiter charakterisiert: Hat er sich in etwas verbissen, nimmt er eigene Verluste billigend in Kauf, macht sich jedoch auch nichts daraus, Außenstehende zu involvieren und dadurch Gefahren auszusetzen. Infolge einer Konfrontation mit K.O.-Tropfen und falschen Sanitätern wird er dann auch übel zugerichtet, bis die ganze Angelegenheit in einer wüsten Schießerei mündet, durch deren Kugelhagel Kressin eilt und sich erneut am Kölner Hauptbahnhof beim Versuch, Sievers zu überführen, wiederfindet.

Obwohl aus Täter und Motiv keinerlei Geheimnis gemacht wird, ist der mit rund 80 Minuten auch knackig kurze „Tatort“ angenehm spannend und dank seiner Actioneinlagen durchaus aufregend ausgefallen. Hätte man aus Vondracek keinen Fahnder, sondern ein tatsächliches Bandenmitglied gemacht, hätte der Tote selbst Dreck am Stecken und der Fall damit eine schöne Parallele zum Vorgänger aufzuweisen gehabt. Nichtsdestotrotz wird die Handlung zeitweise durch einige seltsame Dialoge und unwahrscheinliche Zufälle vorangetrieben, was etwas schade ist. Zudem ist „Kressin und der Laster nach Lüttich“ längst nicht mehr so swingin‘ wie Kressins Debüt, dafür aber auch weit weniger überzeichnet. Aus heutiger Sicht besonders interessant: Das Zeitkolorit durch die Aufnahmen der Kölner Innenstadt.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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