Sex Advice (Sesso in confessionale) - Vittorio De Sisti

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Moderator: jogiwan

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Santini
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Sex Advice (Sesso in confessionale) - Vittorio De Sisti

Beitrag von Santini »

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Originaltitel: Sesso in confessionale

Herstellungsland: Italien / 1974

Regie: Vittorio De Sisti

Darsteller: Emilio Servadio, Carmine Benincasa, Luigi De Marchi, Patrizia Carrano u. A.


Mondo / Erotik

Offiziell ab Februar 2010 von MYA.


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Italian, removable English subtitles.
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Salvatore Baccaro
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Re: Sex Advice (Sesso in confessionale) - Vittorio De Sisti

Beitrag von Salvatore Baccaro »

Abt. Dem Jogi sei Dank!

Hätte in dem weihnachtlichen Mondo-Päckchen, das unser Jogi mir dankenswerterweise zukommen ließ, nicht auch ein italienischer Film namens SESSO IN CONFESSIONALE aus dem Jahre 1974 gesteckt, wäre ich sicherlich nicht so schnell über den mir zuvor gänzlich unbekannten Namen Vittorio De Sisti gestolpert.

Neben einem Schwung commedie sexy all’italiana, einem Melodrama namens QUANDRO L’AMORE È SENSUALITÀ (1973) mit Ewa Aulin und Agostina Belli sowie dem auf dem letztjährigen Terza-Visione-Festival gezeigten Tanzfilm DANCE MUSIC (1984) finden sich gerade zu Beginn der Regiestuhl-Karriere des ehemaligen Tonmanns einige Werke, deren Titel allein schon den leicht anrüchigen Duft zeitgenössischer Sex-Mondos auszuströmen scheinen: INGHLITERRA NUDA beispielweise, oder SCUSI, LE CONOSCE IL SESSO?, oder eben SESSO IN CONFESSIONALE. Was mag einen hier schon mehr erwarten als ein SCHULMÄDCHENREPORT auf Italienisch?

Nach der Sichtung jedenfalls von SESSO IN CONFESSIONALE weiß ich nunmehr, dass solche Vorurteile verfehlt sind. Die SCHULMÄDCHENREPORTE bieten jedoch trotzdem vielleicht eine gute Basis, um auf den Punkt zu bringen, was einen bei diesem eigenartigen Dokumentarfilm erwartet. Man subtrahiere deren Soft-Porno-Schauwerte, die hölzernen Spielszenen, die generelle exploitative Ausrichtung, bei der einem deutlich die Agenda der Verantwortlichen unter die Nase gerieben wird, dass es letztlich nicht um sexuelle Aufklärung, sondern sexuelle Ausbeutung geht; man ersetze die reichlich gestellten Interviewszenen mit vermeintlich zufällig ins Bild tapsenden Passanten durch welche mit ausgewiesenen Experten auf ihrem jeweiligen Gebiet; man addiere zusätzlich noch eine offensive Kritik an der katholischen Amtskirche und einen durchweg didaktischen Genuss hinzu – die Summe, die sich bei einer solchen Rechnung in euren Köpfen ergibt, dürfte nicht weit von dem entfernt sein, was SESSO IN CONFESSIONALE letztlich darstellt.

Dass der Film sein Thema nur deshalb anschneiden würde, um mich zu stimulieren, diesen Eindruck hat De Sistis konsequent nüchtern gehaltene, beinahe schon trockene Reportage nämlich nun wirklich zu keinem Zeitpunkt bei mir erweckt – und das, obwohl sich der Kern vorliegenden Werks ausnahmslos um die Unterdrückung der abendländischen Sexualität durch die Allgewalt der christlichen Religion, konkret: Die katholische Beichte, rankt, ein Stoff, der mehr als nur einen zeitgleich entstandenen Nonnen-Exploiter zu einer Laufzeit von neunzig Minuten verholfen hat. Statt uns zu zeigen, wie Priester ihren Schäflein beim Beichtgespräch unter die Wolle fahren, oder wie sich junge Frauen, denen der örtliche Priester beigebracht hat, jeder Gedanke an ihr Geschlechtsteil sei eine todbringende Sünde, lieber selbst geißeln, um sich den Teufel der Wollust auszutreiben, lässt De Sisti lang und breit Psychologen, Theologen, Soziologen, und auch die Redakteurin einer feministischen Zeitschrift zu Worten kommen, deren Tenor ausnahmslos nach sexueller Befreiung, Säkularisation, Selbstbestimmtheit ruft. Ausgiebig erörtert werden dabei zum Beispiel: Die Vor- und Nachteile verschiedener Möglichkeiten der Empfängnisverhütung vom Kondom über Spirale und Diaphragma bis zur Pille; die psychischen Folgen einer erzkatholischen Erziehung, bei der jegliche Geschlechtlichkeit mit Tabu und Schuldgefühlen belegt wird; die fatalen Auswirkungen, die eine rigide Morallehre letztlich für die jugendlichen Mitglieder einer Gesellschaft hat, und sie viel eher auf den falschen Weg treibt als wenn man offen mit ihnen über ihre leiblichen Bedürfnisse sprechen würde.

Als Rahmung dienen De Sisti Schwenkaufnahmen durch unterschiedliche italienische Gotteshäuser, bei denen wir dem Flüstern inszenierter Beichtgespräche lauschen, die wirken sollen, als seien sie der Alltagsrealität selbst abgehorcht, und die angeführten kritischen Punkte der Interviewpartner ohne jeglichen Trash-Faktor vielmehr zusätzlich untermauern. Auch kommt der Film nicht um einige Spielszenen umhin, die jedoch in ihrer zurückhaltenden Ausführung teilweise an der Grenze zur Banalität balancieren: Ein Mann und eine Frau spielen an einem Strand Fangen, während zwei (läufige?) Hunde in Parallelmontage das Gleiche tun; ein Mann und eine Frau streiten sich auf offener Straße, weil sie ihm noch nicht ihre Jungfernschaft zu opfern bereit ist; Polizisten erwischen ein Liebespaar beim Parkplatz-Petting, und verdonnern sie zu einer Geldstrafe, da sie nicht ehelich verbandelt sind. In der Argumentationslinie des Films dienen auch diese fiktionalen Einsprengsel lediglich als Zementierung der Expertendiagnosen, und sind stets auf eine spezifische These zurückzuführen, sprich, alles andere als selbstzweckhaft. Einziger Ausreißer: Die ellenlange Tanzszene eines weiblichen Teufelchens, bei der ich mich ehrlich frage, was die nun in diesem Film zu suchen hat.

Höchstens dem Score von Ennio Morricone könnte man noch ankreiden, dass seine pumpenden Streicher, seine scheppernde Percussion, die schrillen Flöten eher nach einem hysterischen Giallo oder einem todspannenden Poliziottesco klingen – wenn er denn nicht so exzellent wäre. Gegenüber diesem fulminanten Soundtrack jedenfalls nehmen sich die zugehörigen Bilder und ihr Inhalt teilweise regelrecht ermüdend aus, weshalb SESSO IN CONFESSIONALE für mich nun doch eher ein interessantes Zeitdokument bildet, das gerade aufgrund seines in den Nullbereich tendierenden Exploitation-Gehaltes eine durchaus pädagogische Stoßrichtung verrät. Besonders atemberaubend macht das den Film aber nun wirklich nicht, sondern in seiner staubigen Seriosität eher reichlich steif – und zwar auf andere Art, als ich erwartet hatte.

Atemberaubender ist da schon die Feststellung, wie sehr einige der hier geäußerten Thesen denjenigen entsprechen, die der französische Philosoph Michel Foucault nur zwei Jahre später in seinem bahnbrechenden Werk „Der Wille zum Wissen“ freilich tausendfach elaborierter vertreten hat. Gerade dem auch für De Sistis Film titelgebenden Beichtoffenbarungen kommen darin als Ausdrucksform einer „scientia sexualis“ besonders zur Geltung: Der Beichtstuhl als Produktionsstätte für vermeintliches „Wissen“ über Sexualität, bei der das permanente Sprechen über das eigentlich Tabuisierte fortwährend neue Ausdifferenzierungen als pervers deklarierter sexueller Erscheinungsformen generiert: Homosexualität, Masturbation, Frigidität – eben all das, was man seinerzeit oder heute noch als Derivation von einer unspezifischen Norm deklariert. Die Ironie an diesem „Sexualitätsdispositiv“: Unter dem Deckmäntelchen, die abendländische Gesellschaft einer sukzessiven Liberalisierung entgegenzutreiben, schafft sie sich nur neue Unterkategorien, in denen Sexualität taxonomisch erfasst, fixiert, und letztlich stets aufs Neue zum Sprechen gebracht wird. Bevor ich zu dozieren anfange, und bevor ich SESSO IN CONFESSIONALE mit seiner Überdetermination psychoanalytischer Methodik – (denn Foucault betrachtet auch die Psychoanalyse als moderne Erscheinungsform des Sexualitätsdispositiv) – als Werkzeug entlarve, das eben nicht die sexuelle Befreiung vorantreibt, sondern ihre Unterminierung bewirkt, schließe ich mit dem knappen Urteil: Kann man sich anschauen, aber essentiell schaut irgendwie anders aus.

Falls jemand allerdings INGHLITERRA NUDA oder SCUSI, LE CONOSCE IL SESSO? in seinem Besitz hat: Einen Blick würde ich doch gerne riskieren…
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