Ave Caesar, morituri te salutant…
Na gut, Zombie-Gladiatoren sind mir in meiner langjährigen Beschäftigung mit den eher abgründigen Seiten der internationalen Filmgeschichte bislang auch noch nicht untergekommen. Freilich aber springen mir, als ich die Inhaltsangabe des 2011er Debut-Films von Raffaele Picchio zum ersten Mal lese, sofort Erinnerungen an den wundervollen Horror-Peplum ROMA CONTRO ROMA Giuseppe Varis aus dem Jahre 1964 mit seiner Armee aus Zombie-Legionären ins Gedächtnis. Hätte ich mir, denke ich mir jetzt, achtzig Minuten später, doch lieber noch einmal diesen filone-Kreuzweg-Klassiker angeschaut statt vorliegende glänzende Zusammenfassung all dessen, was im italienischen Genrekino seit dem Ende seines Goldenen Zeitalters in den späten 80ern, frühen 90ern so alles schiefläuft…
MORITURIS beginnt mit (per nachträglicher Spezialeffekte eher schlecht als recht auf Vintage-16mm-Material getrimmten) verwackelten Handkameraaufnahmen, die eine Bilderbuchfamilie, bestehend aus Mama, Papa, Sohnemann, Töchterchen und Onkel, beim Sonntagsausflug irgendwo in der bewaldeten Pampa begleiten. Besagter Onkel schaut nicht nur aus wie das Klischeebild eines Pädophilen, sondern nimmt das jüngste Glied der Bande, ein vielleicht sieben- oder achtjähriges Mädchen, alsbald auch an der schmierigen Pfote mit ins Unterholz. Was der Lüstling mit seinem Opfer dort alles anstellt, verschweigt uns der Film glücklicherweise, anschließend aber bläut der Onkel der Kleinen unmissverständlich ein, ja niemandem etwas über das Spiel zu erzählen, das sie gerade miteinander getrieben haben, und außerdem, Spaß gemacht habe es ihr ja wohl doch, oder? Ein mildes Mundwinkelzucken hat es mir immerhin abgerungen, dass der Päderast, wie weiland Peter Lorre, seine Untat pfeifend mit Griegs BERGKÖNIG begleitet. Lange kann ich mich an Melodie und Fritz-Lang-Hommage jedoch nicht erfreuen, denn scheinbar wie gerufen von dem sexuellen Übergriff metzeln auf einmal nicht näher definierte, sprich, außerhalb des Bildkaders agierende, sagen wir, Mächte den Familienfreund nieder. Anders als in jedem herkömmlichen Slasher trifft die Sühne indes aber nicht nur das schwärzeste Familienschaf. Nein, gleich die gesamte Familie bekommt einen Prozess gemacht, der so kurz, und derart off-screen ist, dass zu konstatieren letztlich nur bleibt: Irgendwann liegen sie alle in ihrem Blut mausetot im Wald herum. Abschließend werden wir mittels bedeutungsschwerem Kameraschwenk noch darauf hingewiesen, dass die Familie unweit einer Ruine campiert hat, bevor der scherenschnittartig gestaltete Vorspann uns ins Alte Rom entführt: Gladiatoren schlachten sich gegenseitig in Arenen ab, der Imperator hebt oder senkt den Daumen, muskelbepackte Arme zerbrechen Ketten, das Ganze wie in besten Peplum-Zeiten. Allerdings werden von den aufständischen und marodierend durchs Land ziehenden Deserteuren in der Folge dann auch Frauen vergewaltigt, Säuglinge aufgespießt, und wehrlose Opfer an Kreuze geschlagen. Dazu ertönt ohrenbetäubende Musik, als sollten gleich noch einmal mindestens Karthago, Alesia und Pavia eingenommen werden.
Zurück in der Gegenwart angelangt lernen wir zunächst einen jungen Mann kennen, der in seinem schicken Appartement einem Telefonpartner einen eher einfältigen Vortrag im Stile Sade’schen Libertinismus hält: Im Mittelpunkt der Menschheit stehe der Egoismus; Täter unterscheide von ihren Opfer einzig ihre Stärke; würden diese Opfer bei einem gewaltsamen Umsturz zur Macht gelangen, würden sie ihren vormaligen Unterdrückern in nichts nachstehen, usw. usf. Erst danach bekommen wir unser nominelles Helden-Quintett vorgestellt, (das wiederum, so reime ich mir das jedenfalls zusammen, freundschaftlich mit dem Libertin-Hipster verbunden zu sein scheint): Drei Italiener, die zwei rumänische Rom-Touristinnen mit ihrem fahrbaren Untersatz in die Wälder außerhalb der Metropole mitnehmen, wo angeblich eine hedonistische Rave-Party stattfinden soll, wie sie das Stiefelland noch nie gesehen hat. Während der Fahrt finden sich die Pärchen schnell zusammen, und auch das fünfte Rad am Wagen, sprich, derjenige der Typen, der nach Adam Riese am Ende ohne weibliche Begleitung ins heimische Bett fallen wird, nimmt es so sportlich, dass man lange (und langweilige) Minuten herzhaft über Musikgeschmäcker streiten kann – einer der Burschen liebt beispielweise Al Bano & Romina Power, was unsere Bande veranlasst, „Felicita“ zu krakeelen –, und auch noch Zeit und Muße hat, in den Pausen, wenn der Motor ruhen und die Blase sich leeren muss, ein bisschen auf gegenseitige Tuchfühlung zu gehen. Keine Sorge, all die Dialoge, die die erste halbe Stunde füllen, sind derart irrelevant – sowohl an sich wie auch für die folgende „Story“ –, dass wir uns nichts davon merken müssen, und ich sie auch überspringe, um zum Wesentlichen zu kommen: Die Party lässt sich im Forst nicht finden, man beschließt, trotzdem dort zu rasten, vielleicht sei man ja nur zu früh dran. Inzwischen ist es Nacht geworden, die ersten Bierdosen zischen, und eins der Pärchen verabschiedet sich zum sexuellen Stelldichein von der Gruppe. Aus dem Nichts – und dieser Moment hat mich tatsächlich überrascht – verwandeln sich die charmanten Jünglinge jedoch in reißerische Bestien, und eröffnen den beiden Freundinnen, sie nur deshalb in den Wald gelockt zu haben, um sie dort zuerst ausgiebig zu misshandeln, und dann zu ermorden, so wie sie es schon mit etlichen Opfern vor ihnen gemacht haben. Gesagt, getan werden die wehrlosen Frauen nach allen Regeln der Kunst verhöhnt, verprügelt, vergewaltigt – und diese langen Erniedrigungsszenen gehören tatsächlich zum Unerträglichsten, was ich seit Langem sehen durfte. Nicht, dass sie sonderlich explizit ausgefallen wären. Picchio übertritt weder die Grenze zum Hardcore noch suhlt er sich sonst in Einzelheiten der gewaltsamen Übergriffe. Letzteres liegt möglicherweise aber nicht am Fingerspitzengefühl des Regisseurs, sondern wesentlich daran, dass im limitierten Budget keine externen Lichtquellen mehr drin gewesen sind, und der Film gerade in den Waldszenen (und er spielt zu neunzig Prozent im Wald) derart dunkel ausgefallen ist, dass man überhaupt Mühe hat, zu erkennen, wer es ist, der da spricht, und was derjenige da tut, während er spricht. Trotzdem: An verbaler Gewalt, an gewalttätigem Sound-Design, an einer regelrecht genussvoll zelebrierten, kein bisschen (meta)reflexiv gebrochenen, in irgendeiner Form problematisierten oder kontextualisierten Misogynie sind die folgenden Minuten derart voll bis zum Rand, dass mir der Rand meiner Toleranz mehrmals überzulaufen drohte, und beweisen mir einmal mehr, wie wenig es darauf ankommt, WAS ein Film zeigt, sondern WIE er das tut.
Durchkreuzt wird das Martyrium der Rumäninnen (und mein eigenes) durch zweierlei: Zum einen kehren wir kurzfristig zum jungen Herrn vom Anfang zurück, der sich inzwischen, Vivaldi lauschend, eine Prostituierte hat kommenlassen. Diese wird von ihm geknebelt und gefesselt (und zwar vor einer Leinwand, auf der, ohne Spaß, Massimo Pupillos IL BOIA SCARLATTO läuft), worauf er, übrigens angetan mit einer Gasmake (!), eine Glasröhre, in der sich eine lebende, mutmaßlich ausgehungerte Maus namens Idi Amin (!!) befindet, in ihre Vagina einführt. (Muss ich diese Szene noch in irgendeiner Weise kommentieren?) Zum andern werden unsere Antagonisten bei ihrem Treiben von einer POV-Kamera mit Rotfilter beäugt, die schnaubend durchs Gestrüpp stolpert, und, wo wir schon bei Referenzen an die italienische Horrorfilmgeschichte sind, mehr mit Joe D’Amatos PORNO HOLOCAUST als mit seinem ANTHROPOPHAGUS gemein haben. Will heißen: Bis das, was unsere drei Unholde dabei beobachtet, wie sie ihre Opfer mehrmals krankenhausreif schlagen, mehrere ihrer Körperöffnungen penetrieren, und sich die heftigsten sprachlichen Entgleisungen für sie ausdenken, endlich in Aktion tritt, dauert es eine Ewigkeit, in der die beiden Frauen schon längst eigenständig Reißaus genommen haben, und von ihren Peinigern durch den stockfinsteren Forst verfolgt werden. Selbst dann, als die POV-Kamera sich entscheidet, zu CGI-Gladiatoren zu transformieren, die mit Äxten, Macheten und Wurfsternen gegen die Störenfriede ihrer Ruhestätte (zumindest interpretiere ich den Vorspann so; erklärt wird zur Hintergrundgeschichte der Zombie-Gladiatoren in MORITURIS exakt NICHTS) ins Feld ziehen, kommt Picchios Film – eben genau wie PORNO HOLOCAUST – nicht nur kein bisschen in Fahrt, sondern feiert vielmehr regelrecht die eigene Stagnation. Das liegt sowohl an der nach wie vor nahezu das gesamte Bild verschlingenden Dunkelheit, (bei der ich mich im Übrigen frage, weshalb Maestro Sergio Stivaletti für Splatter-Effekte verpflichtet worden ist, die man mangels Licht sowieso nicht erkennen kann) als auch an dem inhaltlich äußerst begrenzten Szenario. Bis zum Finale setzt sich MORITURIS einzig aus Flucht-, Verfolgungs-, und Todesszenen zusammen. Da die untoten Gladiatoren nicht unterscheiden, ob ihnen gerade eine vergewaltigte Frau oder ein vergewaltigender Mann vor die Klinge läuft, und deshalb keine der fünf Figuren lebend den Abspann erreicht, gleicht die Dramaturgie einem Nulllinien-EKG. Zu guter (oder schlechter) Letzt gönnt der Film uns noch eine (überflüssige) Wiederbegegnung mit dem Unsympath, dessen einzige angenehme Eigenschaft es zu sein scheint, dass er italienische Gothic-Horrorfilme der 60er zu schätzen weiß. Offenbar, um seine Freunde aus dem Waldstück abzuholen, fährt dieser die Straße entlang, die auch diese nachts zuvor genommen haben – und staunt nicht schlecht, als er sowohl seine Kollegen als auch die beiden Rumäninnen übel zugerichtet an Kreuze genagelt am Wegesrand entdeckt. (Kreuze, die, nehme ich an, die Zombie-Gladiatoren in sorgsamer Handarbeit auch noch schnell über Nacht gezimmert haben, ja?)
Die hauptsächlichen Kritikpunkte an MORITURIS habe ich zwar schon angedeutet, bündle sie aber nochmal, damit mir keiner vorwerfen kann, er sei nicht von mir gewarnt worden: 1. Der Film zeigt Gewalt gegen Frauen in einer Weise, die, zumindest aus meiner Sicht, durchaus dazu angetan ist, diese Gewalt genussvoll zu rezipieren. Das, was die drei Burschen weit über eine Viertelstunde mit ihren Opfern anstellen, ist eben nicht so unkonsumierbar wie ähnliche Szenen in Werken von Haneke, Kubrick oder Noe, aber auch nicht so himmelschreiend grotesk, fernab der Realität, wie zum Beispiel das berühmt-berüchtigte Ende von Andrea Bianchis NUDE PER L’ASSASSINO. Ich werde das Gefühl nicht los, dass Picchios Kamera, sein Schnitt, sein Tondesign sich gemein macht mit den Tätern, mit ihnen kooperiert, sich affirmativ auf ihre Seite stellt, und in dieser Affirmation keinen noch so haarfeinen Bruch zulässt. 2. Die Story des Films passt nicht nur auf einen Bierdeckel, aus dem bereits mehrere Zigarettenfilter gebastelt worden sind, sondern ist auch ein Paradeexempel für verschenktes Potential. Was hätte man nicht aus der Idee mit den Zombie-Gladiatoren alles stricken können! Alles, was dem Drehbuch indes einfällt, ist ein 08/15-Szenario der Marke „Arglose junge Leute straucheln an einen Ort, wo sie nicht sein sollten, und werden einen Kopf kürzer gemacht.“ Die Wendung nach einer halben Stunde, die die zuvor zwar etwas debil rüberkommenden, aber nicht unsympathischen Junggesellen zu Psychopathen werden lässt, ist noch das Originellste, was Picchio an kreativer Eigenleistung aufbietet. Falls Picchios Absicht es war, irgendeinen nihilistischen Gesellschaftskommentar abzugeben, worauf immerhin die Ausführungen des gerne mit Mäusen und Gasmasken operierenden Libertins hindeuten, sowie, dass die Zombie-Gladiatoren einfach jeden niedermetzeln, den sie zu packen kriegen, sei es nun ein unschuldiges Kind oder ein Päderast nach frischer Tat, dann sind die Spuren hierfür so spärlich gesät, dass man schon einen immensen Aufwand an Interpretationsleistung benötigt, um sich den Film so hinzubiegen – und nein, für einen Schundfetzen wie vorliegenden lasse ich mich nicht dazu herab. 3. Selten habe ich einen Film gesehen, dem die hundsmiserable Beleuchtung derart das Genick bricht, wie diesem. Hätte Picchio nicht bei Tag drehen, und einen Farbfilter über seine Bilder legen können! Zumindest wäre das wohl mein erster Einfall gewesen, wenn ich merke, dass etwa achtzig Prozent meiner Bilder Schatten sind, und zwanzig Prozent schemenhafte menschliche Umrisse. Schauwerte gibt es demnach im wahrsten Wortsinn keine. Falls Stivaletti markerschütternde Gore-Sudeleien aus seinem Hut gezaubert hat, kann man sie in MORITURIS jedenfalls nicht einmal mit viel Phantasie erahnen. Noch die eindrucksvollste Szene ist die, in der der Gasmasken- und Mäuse-Fetischist sich mit seinem Opfer vergnügt – und das auch nur, weil sie angemessen ausgeleuchtet ist, völlig aus dem Nichts kommt, völlig bescheuert ist, und weil im Hintergrund der scharlachrote Henker auf einer Leinwand herumtollt. Da die geknebelte und gefesselte Frau in der Diegese von MORITURIS parallelisiert ist mit einer Frau in IL BUIO SCARLATTO, die sich in ähnlich misslicher Lage befindet, könnte man die Szene vielleicht als (missglückten) Versuch Picchios lesen, sich dezidiert in eine bestimmte Genre-Tradition stellen zu wollen. Das wäre dann aber genauso, als wenn beispielweise Andreas Schnaas in VIOLENT SHIT ein NOSFERATU- oder CALIGARI-Poster in die Kamera gehalten hätte.
Achtzig Prozent verschwendete Lebenszeit – und das nur, weil man unbedingt Zombie-Gladiatoren sehen will. Wozu will ich eigentlich Zombie-Gladiatoren sehen? Meine Box mit armenischen Experimentalfilmen der 60er und 70er Jahre wird die nächsten Wochen zu meinem Kopfkissen werden. Pfui, Picchio, von Dir schaue ich so schnell keinen Film mehr! (Oh Gott, und der Mann hat offenbar dieses Jahr ein Remake von Amando de Ossorios LA NOCHE DEL TERROR CIEGO verbrochen. Sollte man den armen blinden Templern wirklich noch schlimmer zusetzen können als es Vick Campbell mit EL RETORNO DE LOS TEMPLARIOS getan hat...!?)