Zwischen bundesdeutschem Amateur-Splatter und mir besteht normalerweise eine Beziehung, die geprägt ist von Abscheu, Unverstand und seltenen Momenten der unfreiwilligen Komik, die es wenigstens ein bisschen erträglicher machen, wenn wir uns mal freiwillig oder unfreiwillig über den Weg laufen und ich die Einladung zum Kaffeetrinken wider besseres Wissen doch nicht ausschlage. Prototypisches Beispiel (und zudem gewissermaßen Initialzündung für das gesamte Genre) ist wohl Andreas Schnaas‘ im Jahre 1989 in Wäldern rund um Hamburg verbrochener "Klassiker" VIOLENT SHIT, der seine Laufzeit einzig und allein dazu nutzt, Menschen herumfahrend in ihren Autos zu zeigen, und anschließend, wie sie, sowohl, was die Qualität der Effekte als auch was die Kenntnis der menschlichen Anatomie betrifft, mittels äußerst kruden Splatter-Attacken auseinanderdividiert werden. Genau im gleichen Jahr aber dreht Olaf Ittenbach im Süden der Republik, dem kleinen oberbayrischen Dörfchen Landsbereid im Landkreis Fürstenfeldbruck, ebenfalls sein Debut – und beweist mir, der ich BLACK PAST nun nach etwa fünfzehn Jahren erneut gesichtet habe, wie man mit wenig Geld (die imdb spricht von einem Budget von 2000 Mark), mit einem kleinen Team aus Bekannten und Freunden, mit beschränkten technischen Mitteln, dafür aber mit viel Herzblut dann doch ein Werk schaffen kann, das mich kürzlich amüsiert hat wie schon lange keins mehr.
Während Schnaas‘ eindrucksvoller Beweis für die Talentlosigkeit sämtlicher an seinem Machwerk Beteiligter offensichtlich über kein Drehbuch verfügt hat, das darüber hinausgeht, die einzelnen Mordtaten seines Schlachter-Karls detailliert zu schildern, erzählt Ittenbach demgegenüber eine klassische Schauergeschichte. Der Realschüler Thommy zieht mit seinen beiden kratzbürstigen Schwestern sowie dem grantigen Vater nach dem (nicht näher erläuterten) Tod der Mutter in ein neues Haus, wo er alsbald auf dem Speicher eine ominöse, mit Ketten umschlungene Kiste findet. In dieser wiederum: Ein Tagebuch, in dem ein Vormieter im Jahre 1978 minutiös davon berichtet, wie er allmählich den Verstand verliert und seine gesamte Familie abschlachtet, und außerdem ein altmodischer Spiegel, der in den Tagebuchaufzeichnungen als Ursache des ganzen Übels gedeutet wird. Das hält unseren einfältigen Helden freilich nicht davon ab, sich das Schmuckstück ins Zimmer zu hängen – und mich nicht davon, schon jetzt den weiteren Verlauf des Films recht genau vorauszuahnen. Dass die Story von BLACK PAST freilich relativ durchschaubar ist, und sich Ittenbach außerdem phasenweise überdeutlich bei Raimis EVIL DEAD bedient, fällt für mich aber weniger ins Gewicht, wenn der gesamte Rest, obwohl man dem Film seine Produktionsbedingungen natürlich an der Nasenspitze ansieht, derart stimmig ineinandergreift.
Wenn man erneut VIOLENT SHIT als Kontrastfolie vor BLACK PAST hält, erblühen die Vorzüge von Ittenbachs Film nur umso mehr: Ton, Schnitt, Kameraführung, sogar der zwar wenig memorable, aber immerhin nicht nervenzehrende Soundtrack siedeln allesamt auf einem Niveau, in dessen Nähe vergleichbare Independent-Horror-Regisseur hierzulande sich üblicherweise nicht mal zufällig verirren. Man merkt BLACK PAST an, dass Ittenbach sich seine Lieblingsfilme nicht nur wegen der Gore-Elemente angeschaut, sondern auch ziemlich gut verinnerlicht hat, wie man eine Szene filmen und montieren muss, dass sie nicht statisch wirkt, wie man angemessen eine POV-Kamera setzt, oder wann es Sinn macht, innerhalb einer Szene einen Kameraschwenk einzusetzen, einen Soundeffekt zu setzen, oder eine Großaufnahme anzubringen. Dieser unerträgliche Langeweile, die mich bei derartigen Produktionen oftmals befällt, geht BLACK PAST erfolgreich aus dem Weg, indem er sich ästhetisch, technisch, strukturell mit einigen Wassern der Kurzweile und des Abwechslungsreichtums gewaschen präsentiert - was sich wiederum nicht zuletzt auch an seinen Gewaltexzessen zeigt. Auch die setzt Ittenbach nämlich weniger als inflationären Selbstzweck, sondern dramaturgisch pointiert ein: Zu Beginn des Films fehlen sie nahezu ganz, steigern sich dann in Thommy Visionen und kulminieren in einer viertelstündigen Blutorgie. So weit, so bekannt – nur ist Ittenbach (einmal ganz abgesehen davon, dass der gelernte Zahntechniker über ein wesentlich glücklicheres und kreativeres Händchen darin verfügt, eine Körperdekonstruktion mehr oder minder überzeugend darstellen zu können) sich bewusst, dass die Wirkung selbst der grausigsten Gore-Szene verpufft, wenn man minutenlang mit der Kamera auf sie draufhält, statt sie kurz und bündig abzuhandeln. Wenn Ittenbach im letzten Drittel gar in eine wahre Höllenvision herabsteigt, die sich beinahe anfühlt wie das bundesdeutsche Äquivalent zu den Unterweltsszenen in den Filmen von José Mojica Marins der 60er und 70er, verdichten sich seine Anatomieschauen gar zur surrealen Phantasmagorie. Brennende Kinderwägen rattern durch die Nacht. Entmenschlichte Ärzte nageln Ittenbachs Glied an ein Holzbrett. An Höhlenwänden hängen halbzerhackte Personen und jammern um die Wette. Das ist, als sei Dantes INFERNO wiederauferstanden in der oberbayrischen Provinz, und ich weiß nicht, soll ich angewidert, fasziniert oder belustigt sein?
Für mich ist all das aber reine Makulatur. Viel mehr als die Äxte, die Köpfe zerteilen, und Kettensägen, die Eingeweide durch die Lüfte wirbeln, und jaulende Dämonenfratzen hat mich an BLACK PAST das Schauspielerensemble begeistert – oder, besser gesagt: Die Tatsache, dass Ittenbach selbst die Hauptrolle des Thommy übernommen hat. All jene Szenen, in denen er mit seiner Film-Familie und seinen Film-Freunden interagiert, sind pures Gold für mich. Es ist eine wahre Lust, Ittenbach zu sehen, wie er sich als dicklicher Jugendlicher zum Frühstück Weißbier in den Kaffee schüttet, von Halbstarken auf dem Schulhof verprügelt wird, nachdem er selbst angefangen hat, sie grundlos zu beleidigen, mit seiner Liebsten im Zoo süße Tierbabys anschaut, oder regelmäßig von den Schwestern aus dem Bett geholt werden muss, damit er es wenigstens einmal pünktlich in die Schule schafft. Diese Schwestern, bitterböse Ziegen wie aus Grimms Märchen, die keine Gelegenheit auslassen, mit ihrem Bruder einen Streit vom Zaun zu brechen, der Vater, der seinen Sohn gerne mal als „betrunkenen Affe“ verhöhnt, und Thommys Freund Frankie, der Bier trinkend über die (fiktive) Filmreihe DOUBLE FIST FORCE philoso-phiert, vervollständigen eine selbstironische, beinahe parodistische Ebene, die BLACK PAST immanent eingeschrieben ist, und den Film immer wieder auf subtile Art wie seine eigene Persiflage wirken lässt. Während dieses Augenzwinkern den gesamten Film über zu spüren ist, hat mich eine bestimmte Szene in einen regelrechten Lachkrampf versetzt: Erneut erwacht Thommy aus einem seiner Horrorträume, und zwar außerhalb seines Betts auf dem Boden, wo ihn dann auch sein schwesterlicher Weckdienst findet, und empört dem frühstückenden Papa berichtet, der Thommy liege völlig besoffen in seiner Stube. Thommy wiederum kippt sich zum Wachwerden erstmal ein halbes Bier über den Kopf, bevor er sich in die Küche schleppt. Dort nimmt er eine Whiskyflasche aus dem Wandschrank, und leert sie in einem Zug bis zur Hälfte. An dieser Stelle liefert der Film das schönste, schlichteste Paradebeispiel, was für ein versierter Regisseur Ittenbach mit knapp zwanzig Jahren schon ist: Wir sehen Tommy in Halbtotale seinen Whisky schluckend, worauf die Kamera langsam nach links schwenkt, und uns die entsetzten Gesichter der Familie am Frühstückstisch enthüllt. Beschrieben klingt das sicher ziemlich einfallslos, im Film wiederum ist es das Optimum des Kunststücks, komödiantische Momente allein mittels Kamera-Operatinoen zu erzeugen. Ohne Spaß, das war das Witzigste, das ich in einem Film seit langem sehen durfte!
Das Ende mag etwas einfalllos sein, und, überhaupt, habe ich die visuellen Querverweise zu Argentos TENEBRE nicht wirklich verstanden, und die Story mag dünn sein wie die Grundprämisse mit dem verwunschenen Spiegel, und die Postsynchronisation stolpert manchmal mehr durch die Sätze als dass sie sie entsprechend der Lippenbewegungen der Darsteller ausformuliert – aber was kümmert mich das, wenn ich knapp achtzig Minuten einem blutjungen Olaf Ittenbach in der Rolle seines Lebens dabei zusehen darf, wie er sein Zimmer mit leeren Bierpullen zumüllt, wie er schreiend aus Alpdrücken hochfährt, oder wie ihm schließlich Dämonenfangzähne wachsen, und er sich erfolgreich durch das bayrische Landleben metzelt?!