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Touki Bouki - Djibril Diop Mambéty (1973)

Verfasst: Do 13. Dez 2012, 15:05
von Salvatore Baccaro
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Originaltitel: Touki Bouki

Herstellungsland: Senegal 1973

Regie: Djibril Diop Mambéty

Darsteller: Magaye Niang, Mareme Niang, Aminata Fall, Ousseynou Diop, Christoph Colomb, Ndou Labia, Mustapha Ture

Zumindest dem eingeschränkten menschlichen Blick erscheint der japanische Schneemakak wie die personifizierte Ruhe, ein weises Tier, das über allen weltlichen Dingen steht, da es sich der völligen Vergeistigung ergeben hat. Da sitzen sie nun, in ihren heißen Quellen badend, ihre Körper unterhalb der Wasseroberfläche eingehüllt wie in eine warme Kinderdecke, der Kopf oberhalb gespickt von Schneeflocken, die sich im dichten Pelz verfangen haben. Sie scheinen kein Gestern und kein Morgen zu kennen, sind ganz bei sich, in Kontemplation versunken, eingerahmt von Gletschern fast wie von sie beschützenden Naturgewalten, deren Anliegen es ist, diese letzte philosophische Oase nicht den Zwängen der materialistischen Welt preiszugeben. Und in ihrem intuitiven, von nichts verstelltem und vertrübtem Schauen dringen sie vielleicht bis zum Wesen Gottes vor.

Allen denjenigen, denen nicht die Gnade zuteil wurde, als Schneemakak in die Wiege gelegt zu werden, bleibt indes immer noch der Trost der Kunst, die gleichsam wenigstens einen Fingerknochen, eine Haarspitze oder manchmal sogar ein ganzes Bein Gottes in Reichweite zu rücken versteht. Sobald man nämlich beginnt, die Kunst nicht weiter als Ware, als Ausdruck einer an sich selbst von außen her gestellte Forderung oder als bunten Zeitvertreib zu betrachten, kann man sich die Kirchenbesuche getrost sparen, es sei denn, man wolle sich ein wenig Taschengeld aus der Kollekte stibitzen oder sich mit seiner Liebsten in den Beichtstuhl zu einem sicherlich nicht keuschen Kuss zurückziehen. Ein probates Mittel für diese pontifikale Funktion, den immanenten Menschen mit der Transzendenz zu verknüpfen wie ein Stück Stoff mit einem andern stellt sicherlich jener Film dar, wegen dem ich das alles hier überhaupt schreibe und der mir, als ich ihn vor wenigen Tagen zum ersten Mal sah, fast die Augen aus dem Kopf trieb. Um nicht in den Fängen jener Leute zu geraten, die auf die teuflische Idee verfielen, einem die Auswahl abzunehmen und für jedes Kunstgebiet einen sogenannten Kanon zu erstellen, d.h. nichts anderes als eine Vorgabe, was man zu kennen und zu schätzen hat, wenn man nicht als Tor verschrien werden möchte, schritt ich einmal mehr vom ausgetretenen, mit Mauleselkot übersäten Pfad ab ins freie Feld hinaus, oder, um genau zu sein, in die Savanne, und nahm mir zum ersten Mal in meinem Leben einen Film aus Afrika zur Brust. Was nur!?, rufe ich noch immer aus und kann es nicht fassen, dass der Zufall den ersten Schuss sofort ins Schwarze (no pun intended) lenkte.

Allein die ersten Minuten, in denen auf publikumfeindlichste Weise gleich einmal die Freiheit der Steppe, wo eine Herde Büffel oder Ochsen zu kindlichstem Flötenspiel umherzieht, mit dem Tod ihrer Leidesgenossen im örtlichen Schlachthaus kontrastriert wird, und das noch bevor der Vorspann sein Ende erreicht hat! Allein die Struktur, die von einem mythologisch-mythischem Beginn auf dem Lande, dessen Stimmung eine mehr bedrückende und klaustrophobische ist, die Geschichte seiner Protagonisten, einem jungen Liebespärchen, das sich, wie auch immer, Geld besorgen möchte, um sich mit diesem ein neues Leben in Paris zu verkaufen, über einen nouvelle-wagemutigen Kriminalplot, für den Godard überdeutlich Pate stand (und zwar nicht jener Godard, wie er im Jahre 1973 vorliegt, verfangen in die Fallstricke der marxistisch-leninistischen Filmtheorie und mit einem Fankreis von etwa fünf Radikalen, sondern der Godard zur Pierrot-le-Fou-Zeiten, der noch nicht Politik durch Filme betreiben wollte, vielmehr Politik, Gesellschaftskritik, kurz: Subversion in spielerischer Weise mit einer im Vergleich zum Spätwerk unschuldig wirkenden Zerstörung der Kinokonventionen verband), bis hin zum eindeutig politischen, anklagenden, die Satire bis zum Kloß im Hals steigernden Finale treibt, bei dem uns auch die Ochsen wiederbegegnen, die immer noch unablässig geschlachtet werden - das alles so sehr geschmückt mit überschäumender Kreativität und abstrusesten Ideen, dass einem (mir) der Kopf schwirrt! Allein, und das nicht zuletzt, die Tatsache, dass der Film wohl über ein Budget verfügte, bei dem jeder Hollywood-Produzent sich vor Lachen an seinem Kokain verschluckt hätte, und sich das zu keiner Sekunde anmerken lässt, stattdessen eine technische Brillanz aufweist, die jeden, der schon darüber hinaus ist, den Herrn der Ringe für die Krone des Kinos zu halten, so meine ich, in einen kataleptischen Zustand des Entzückens versetzen müsste. Demnach zücke ich die Feder und schreibe Touki Bouki hinein in meinen persönlichen Filmkanon und posaune den Namen hinaus, damit es hoffentlich viele mir gleichtun, jedoch mit der Prämisse: es kann sein, doch es muss nicht, die ich überhaupt jedem rate, der etwas verkaufen möchte.