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Sons of Norway - Jens Lies (2011)

Verfasst: Fr 11. Jan 2013, 10:48
von Arkadin
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OT: Sønner av Norge

Norwegen/Schweden/Dänemark/Frankreich 2011

Regie: Jens Lies

Norwegen 1979. Nach dem Unfalltod seiner Mutter verliert der junge Nikolaj den Boden unter den Füßen. Während sein Vater dem Tod der Mutter mit Lethargie begegnet, findet Nikolaj in der Punk-Bewegung seinen Trost. Als Nikolaj aufgrund eines Flaschenwurfs auf den Schuldirektor Ärger bekommt, erwacht der Vater aus seiner tiefen Depression. Der überzeugte Hippie stellt sich bedingungslos hinter Nikolaj und zeigt plötzlich ebenfalls großes Interesse am Punk. Was für Nikolaj nicht unbedingt erfreulich ist, denn wogegen kann er sich auflehnen, wenn der eigene Vater für alles Verständnis hat und den Sohn an Wildheit noch locker übertrifft?

Um gleich vorweg mit einem Missverständnis aufzuräumen: „Sons of Norway“ ist keine Komödie und auch kein Feel-Good-Movie. Obwohl die Inhaltsangabe und das Filmplakat darauf schließen lassen könnten. „Sons of Norway“ ist einerseits eine klassische Coming-of-Age-Geschichte, wie auch ein Film über Trauerarbeit. Natürlich gibt es in „Sons of Norway“ viele Szenen, die einen schmunzeln lassen. Aber es werden bewusst keine Schenkelklopfer produziert, sondern der Humor ergibt sich ganz natürlich aus der Handlung und oftmals liegt eine gewisse Melancholie darunter.

Drehbuchautor Nikolaj Frobenius hat mit „Sons of Norway“ seinen eigenen – scheinbar autobiographischen – Roman verarbeitet und in Regisseur Jens Lies, der bereits mit dem vielfach ausgezeichneten „Anderland“ für Furore sorgte, einen kongenialen Partner gefunden. Lien kleidet die Geschichte mit viel Fingerspitzengefühl und einer großartigen Besetzung (Sven „Elling“ Nordin, der junge Åsmund Høeg und – leider viel zu kurz – die schöne Sonja Richter) in bewegende Bilder. Vielleicht wird die Welt des Punks etwas zu eindimensional und stereotyp dargestellt. Die Punks wirken nicht echt, sondern eben wie Leute, die sich als Punks verkleidet haben und sich jetzt in die zu erwartenden Posen werfen. Andererseits kann man dies auch als Kritik an all denjenigen auffassen, die Ende der 70er Punk als Attitüde für sich entdeckten, aber innerlich nicht wirklich dahinterstanden. Als Beispiel sei hier der von Trond Nilssen verkörperte Anton genannt, der einerseits den Punk-Prototyp verkörpert und gerade darum für Nikolaj zum großen Vorbild wird. Der allerdings auch– das wird in einer späteren Szene deutlich – vorrangig an seiner Musikkarriere interessiert und von seinem Punk-Publikum nicht gerade begeistert ist. Und Nikolaj wirkt in seiner Punk-Kostümierung, mit Sicherheitsnadel durch die Wange, weiterhin wie der nette Junge von Nebenan, der sich zum Fasching als Punk verkleidet hat.

Neben dem Wunsch, sich von seinem ultraliberalen Hippie-Vater zu emanzipieren, bietet ihm der Nihilismus der Bewegung vor allem auch die Möglichkeit, seine Trauer über den unverständlichen, ja zutiefst ungerechten, Tod der Mutter zu überwinden. Und hier liegt die große Tragik der Geschichte. Magnus versteht nicht, was mit seinem Sohn los ist. Er kann nicht sehen, was dieser braucht oder besser gesagt, gerade nicht braucht. Er braucht einen Vater, mit dem er seine Trauer teilen kann, keinen Kumpel, der scheinbar die Mutter vergessen hat. Magnus droht seinen Sohn förmlich zu ersticken, indem er ihm keine Reibungsfläche bietet. Was Nikolaj auch anstellt, Magnus hat dafür Verständnis und treibt es sogar noch doller. Wie soll man rebellieren und seinen eigenen Weg finden, wenn – egal was man tut – der Vater immer wieder der noch größere Rebell und Anarchist ist? Es ist schier zum Verzweifeln und auch, wenn diese Situation immer zu komischen Szenen führt, so gefriert einem doch ab und an das Schmunzeln. Welchen größeren Albtraum gibt es für einen pubertierenden Sohn, als wenn sich sein Vater mit dem von ihm begehrten Mädchen amüsiert oder sich beim ersten Konzert seiner Punkband hinter die Drums setzt.

Dass in diesem Film Punk nur durch eine einzige Band, nämlich den „Sex Pistols“, repräsentiert wird, und es scheinbar in den 70ern gar keine andere Punk-Band gab, liegt wahrscheinlich am Mit-Produzenten, Ex-Pistols-Sänger Johnny Rotten. Und das erklärt auch seinen etwas skurrilen Auftritt am Ende des Filmes, wenn er dem jungen Nikolaj gute Ratschläge gibt. Das wirkt dann doch etwas weit hergeholt und wurde scheinbar nur eingebaut, um Herrn Rotten, der hier als Chefvordenker der Punk-Bewegung glorifiziert wird, einen Gefallen zu tun. Andererseits sind die vielen Pistols-Songs aber auch effektvoll in den Film eingebaut, da kann man diese Eindimensionalität auch mal verzeihen,

„Sons of Norway“ ist ein sehr gefühlvolles, sympathisches – aber auch trauriges Coming-of-Age-Drama. Die zahlreichen humorvollen Szenen sind dabei kein Selbstzweck, sondern fügen sich nahtlos in die Geschichte ein, wobei man jederzeit die Verzweiflung des jungen Protagonisten Nikolaj spüren kann. Lediglich das Punk-Umfeld wird zum Teil zu stereotyp gezeichnet, was aber auch in der Absicht des Regisseurs gelegen haben kann.

Re: Sons of Norway - Jens Lies (2011)

Verfasst: Fr 11. Jan 2013, 10:51
von buxtebrawler
Klingt sehr interessant. Danke für die Filmvorstellung, Arkschi.

[x] vorgemerkt

Re: Sons of Norway - Jens Lies (2011)

Verfasst: Fr 11. Jan 2013, 12:54
von karlAbundzu
da mag ich dir doch en detail widersprechen:
ich finde der punk fügt sich ganz gut ein, schon alleine dadurch, dass er nicht als reaktion auf den tod der mutter dargestellt wird, viel mehr kauft er ja mit der mutter seine erste IGGY POP LP, die man ja auch unter Punk subsumieren kann. Und so weit ich mich erinnere, war punk anfangs auch fast nur pistols, auch ich hörte in der bravo zuerst im zuge der pistols davon!
Und die Musik von der band war ziemlich authentisch und gut.
Ansonsten haste natürlich recht, es ist ein coming of age film, eher drama als komödie (obwohl: die nacktcampszenen sind natürlich komödie im klassischen sinn)
und der lydon auftritt ist so gut, der passt überall rein :D

Re: Sons of Norway - Jens Lies (2011)

Verfasst: Fr 11. Jan 2013, 12:59
von untot
Mist ich hatte den gesten noch in der Hand und wieder hingestellt, das ärgert mich jetzt! :x

Re: Sons of Norway - Jens Lies (2011)

Verfasst: Fr 11. Jan 2013, 13:32
von buxtebrawler
karlAbundzu hat geschrieben:Und so weit ich mich erinnere, war punk anfangs auch fast nur pistols
Nee, da gab's schon noch 'ne Menge anderer Bands, und auch nicht nur in England.

Re: Sons of Norway - Jens Lies (2011)

Verfasst: Sa 12. Jan 2013, 12:50
von karlAbundzu
das ist schon richtig, ber medial vermittelt in kontinental-europa meine ich.

Re: Sons of Norway - Jens Lies (2011)

Verfasst: Do 17. Jan 2013, 15:53
von dr. freudstein
Bekommt zwar immer mal komödiantische Züge, aber das ist vor allem auf den Vater zugeschnitten, da es schon sehr ungewöhnlich rüberkommt. Dennoch mehr als Drama zu verstehen, wie schon gesagt wurde. Hier geht es in erster Linie um Trauerverarbeitung. Der Vater allerdings kommt trotzdem echter rüber, weil der ja schon immer eine gewisse Protesthaltung eingenommen hat. Während der Sohn eher gekünstelt präsentiert wird und sich gar nicht so weit vorlehnt wie sein Dad, reisst nicht seine Schnauze auf, kommt nicht aus sich heraus. Tja Lydon ist ja nun wirklich sehr selbstverliebt, das zeigt sich ja immer wieder. Aber es stimmt schon, THE DAMNED und RAMONES brachten wenige Monate vor den SEX PISTOLS ihre Platte raus, UK SUBS; ADVERTS, CHELSEA etc. gründeten sich auch schon 1976...aber die SEX PISTOLS waren die ersten die im medialen Fokus standen, natürlich so inszeniert worden von den Pistols. Aber auf wirklich viele Stücke haben sie es nicht gebracht. Die Film Punkband kommt sehr original rüber, habe selbst einiges an KBD Punk aus Norwegen. Ich fande den Film jedenfalls sehr nett durchzuschauen und er regte ein wenig zum Nachdenken an, sag ich mal spontan. Jeder hätte gerne einen coolen Daddy, aber wenn der so sein möchte wie der Sohn selbst oder ihm gar die Show stiehlt....tja

8/10

Re: Sons of Norway - Jens Lies (2011)

Verfasst: Mi 10. Mai 2017, 14:01
von buxtebrawler
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Re: Sons of Norway - Jens Lies (2011)

Verfasst: Fr 12. Mai 2017, 13:00
von buxtebrawler
„Wir sind Affen und es gibt nichts, dessen wir uns schämen müssten!“

Nach „Jonny Vang“ und „Anderland“ ist „Sons Of Norway“ aus dem Jahre 2011 der dritte Spielfilm des norwegischen Regisseurs Jens Lien. Die Coming-of-Age-Dramödie wurde Ende der 1970er inmitten der Zeit, in der die britische Punkrock-Explosion bis nach Norwegen reichte, angesiedelt und setzt sich auf komische bis nachdenkliche Weise mit dem Verhältnis eines Anarcho-Hippie-Vaters zu seinem den Punk für sich entdeckenden Sohn auseinander. Der Film entstand in norwegisch-schwedisch-dänisch-französischer Koproduktion. Er basiert auf dem autobiografischen Roman „Teori og praksis“ des Drehbuchautors Nikolaj Frobenius.

„Eine Bierflasche an den Kopf zu bekommen, ist wohl nur ein geringer Preis, den man für die gesunde, rebellische Haltung der Kinder bezahlt!“

Magnus (Sven Nordin, „Elling“) ist ein alternder Hippie, der sich als Architekt verdingt und Vater zweier Söhne ist, Nikolaj (Åsmund Høeg) und Peter. Zusammen mit seiner Frau (Sonja Richter, „Unter die Haut - Gefährliche Begierde“) und den Kindern lebt er in einem beschaulichen Vorort Oslos und gibt nicht viel auf Konventionen. Kurz nachdem der pubertierende Nikolaj den Punk für sich entdeckte – ausgelöst durch das Sex-Pistols-Stück „God Save The Queen“ – stirbt seine Mutter überraschend infolge eines Autounfalls. Magnus verfällt daraufhin in schwere Depressionen und Nikolaj ist es, der sich um ihn kümmern muss, während Magnus‘ Schwester den kleinen Peter zu sich nimmt. Während Nikolaj sich auch optisch der Punkszene zuneigt, mit seinem Kumpel Tor (Tony Veitsle Skarpsno) Leute erschreckt und randaliert sowie mit dem älteren Anton (Trond Nilssen, „King of Devil's Island“) eine Punk-Band gründet, kann er seinen langsam aus seiner Lethargie erwachenden Vater dadurch kaum provozieren, im Gegenteil: Magnus steht seinem Sohn stets bei, nimmt ihn vor Autoritäten in Schutz und wird selbst zum Punk-Fan. Seinen Job hat er gekündigt und seinen Blümchenbus veräußert, in den Sommerferien bastelt er zusammen mit Nikolaj an einem Moped mit Sozius. Mit diesem reisen sie in ein Nudisten-Camp, worauf Nikolaj so gar keine Lust hat. Dort erwischt er zu allem Überfluss seinen Vater auch noch beim Sex und auf der Rückfahrt mit seinem noch immer nackten Vater gerät er in eine Polizeikontrolle. Das ist Nikolaj alles hochnotpeinlich. Während der Bandprobe zieht er sich Speed rein und sein Vater läuft Gefahr, verrückt und paranoid zu werden. Als im Vorfeld des ersten Gigs der Drummer ausfällt, spring ausgerechnet sein Vater jedoch ein, woraufhin er aus der Band aussteigt. Nachdem die Polizei die Ermittlungen hinsichtlich des Unfalltods seiner Mutter eingestellt hat, durchleidet er einen ekligen Horrortrip, in dem er mit seinem Vater seine Mutter aufisst. Nikolaj dreht durch, landet im Krankenhaus und fantasiert eine surreale Verhaftung zusammen. Im Traum erscheint ihm Sex-Pistols-Sänger Johnny Rotten, der ihm ein paar Lebensweisheiten mitgibt, woraufhin Nikolaj wieder erwacht.

Punk rebelliert(e) nicht nur gegen das konservative Establishment, sondern auch gegen die Hippie- Generation und ihr eindimensionales, verleugnendes bis verlogenes Weltbild sowie ihre „Love and Peace“-Fantastereien. So wartet man im Verlaufe der Handlung eigentlich permanent darauf, dass es endlich zum offenen Konflikt zwischen Vater und Sohn kommt, der bezeichnenderweise jedoch ausbleibt. Zwischendurch findet zumindest eine interessante Diskussion am Esstisch statt, die es gut auf den Punkt bringt, doch zum Bruch zwischen Magnus und Nikolaj kommt es nie. Wann immer Magnus seinem Sohn peinlich wird, sieht man Nikolaj dies lediglich in dessen Mimik an.

„Sons Of Norway“ ist kein klassisches spannungsgeladenes Coming-of-Age-Drama mit Pointe. Ausgehend von einem Flaschenwurf Nikolajs auf seinen eine Rede am Nationalfeiertag haltenden Rektor (Karl Bomann-Larsen, „Eine Handvoll Zeit“) blendet der Film zurück zur Weihnachtsfeier 1978, für die Magnus einen ausgeprägten Bananenfimmel für sich entdeckt hat und aus dem Fest der Liebe das der gekrümmten Südfrucht macht. Diese und weitere Szenen und Sequenzen sind komödiantisch bzw. karikierend überzeichnet und tatsächlich mit einem angenehm schrägen Humor versehen, der jedoch in den Hintergrund gerät, nachdem Nikolajs Mutter das Zeitliche gesegnet hat. Nach Nikolajs sehr gut, weil nachvollziehbar bis authentisch dargestellten Punk-Initiation schließt sich irgendwann der Kreis zum Prolog und die Handlung wird in der filmischen Gegenwart weitergesponnen, was den Erzählfluss nicht stört.

Zunehmend rückt die Trauerarbeit in den Fokus des Films, ohne jedoch auf die Tränendrüse zu drücken. Die Charaktere bleiben stets reichlich entrückt und damit gewissermaßen distanziert, ohne den Bezug zum Zuschauer zu gefährden. Dieser gelungene Spagat ist dem Film hoch anzurechnen. Ohne das Thema totquatschen zu müssen, wird man Zeuge, wie sich Magnus seiner klassischen autoritären Vaterrolle verweigert und offenbar auch kaum in der Lage ist, zusammen mit seinem Sohn den äußerst schmerzhaften Verlust zu verarbeiten. Durch seine Faszination für die Punk-Bewegung und schließlich seine Identifikation mit ihr verliert Nikolaj eine Reflektionsfläche für seine Rebellion, die sein Vater immer wieder zu übertrumpfen scheint – was beinahe zu einer weiteren Katastrophe führt. Dabei geht „Sons Of Norway“ ohne erhobenen Zeigefinger vor und appelliert an die Empathie des Publikums, das selbst entscheiden muss, wie viel Kumpelsein einer Vater-Sohn-Beziehung insbesondere in einer solch schwierigen Phase angemessen wäre.

Koproduzent Johnny Rottens Gastauftritt passt da gut hinein, denn er versucht gar nicht erst, Sven Nordins übermenschlicher schauspielerischer Leistung die Schau zu stehlen. Ob dieser Film einen jungen Menschen zum Punk machen kann, weiß ich nicht, vermutlich aber schon, denn die grundsätzliche Sympathie für die Subkultur ist allgegenwärtig, ohne diese zu verklären. „Sons Of Norway“ ist der etwas andere Independent-Punk-Film und für die FSK-12-Freigabe sind verdammt viele Geschlechtsorgane zu sehen. Kameraarbeit, Schnitt und die nie geschwätzigen Dialoge sind voll auf der Höhe. Meine präpubertäre Nichte befand zwar „So ein Bullshit!“, ich jedoch war fasziniert von der unorthodoxen, zu keiner Sekunde langatmigen oder dramaturgisch fragwürdigen, unprätentiösen Verarbeitung seines Themenkomplexes und den unverbrauchten Schauspielern. Ein sympathischer Film, der sich seines Humors bewusst ist, ohne auf sarkastische oder gar zynische Weise seine schrägen Charaktere der Lächerlichkeit preiszugeben – und zudem ein Einblick in ein unkonventionelles Norwegen, das auf diese Weise bisher den Wenigstens nahegebracht worden sein dürfte.