Black Forest - Gert Steinheimer (2010)

Moderator: jogiwan

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jogiwan
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Black Forest - Gert Steinheimer (2010)

Beitrag von jogiwan »

Black Forest

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Originaltitel: Black Forest

Herstellungsland: Deutschland / 2010

Regie: Gert Steinheimer

Darsteller: Johanna Klante, Nikola Kastner, Adrian Topol, Bernhard Bulling, Andreas Hoppe

Story:

Die Paare Mike und Sabine sowie Jürgen und Eva wollen einen Abenteuerurlaub auf dem idyllischen Wunderlehof verbringen, einem kleinen Holzhaus im Schwarzwald. Fernab der Zivilisation gibt es keinerlei Komfort, nur einen alten, defekten Fernsehapparat. Der sendet bald dubiose Signale, die bei den zwei Paaren Wahnvorstellungen auslösen. Man kocht eine Suppe aus Knollenblätterpilzen und massakriert einen harmlosen Wanderer. Die Erkenntnis, dass der Voreigentümer der Hütte in der Anstalt gelandet ist und seine tote Tochter als dämonische Übermittlerin der Halluzinationen fungiert, kommt zu spät. (quelle: dvd-cover)
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jogiwan
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Re: Black Forest - Gert Steinheimer (2010)

Beitrag von jogiwan »

Deutsche Genrefilme haben ja generell keinen guten Ruf und auch "Black Forest" fährt ja gemeinhin auch sehr schlechte Kritiken ein. Warum das so ist, kann ich nach meiner gestrigen Sichtung aber nicht ganz nachvollziehen. "Black Forest" ist zwar kein wirkliches Highlight, aber ein eigentlich recht solider Haunted-House-Klaustrophopbie-Backwood-Thriller im netten Schwarzwald-Ambiente, dem man zwischendurch auch gut gucken kann. Die Geschichte über gemeinsame Wahnvorstellungen, die durch einen Fernseher verursacht werden fand ich ja halbwegs originell und auch die darstellerischen Leistungen gehen für einen eher niedrig-budgetierten Film auch durchaus in Ordnung. Beim Ende hätte man zwar noch etwas nachbessern können, aber ansonsten fühlte ich mich bei dem Streifen mit recht kurzer Laufzeit systemerhaltend unterhalten.
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Adalmar
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Re: Black Forest - Gert Steinheimer (2010)

Beitrag von Adalmar »

Habe mich hier bislang auch von einigen sehr negativen Kritiken und dem etwas blöden denglischen Titel abhalten lassen, aber nach dem, was du schreibst, gebe ich dem vielleicht auch mal eine Chance. Die DVD kriegt man ja sehr günstig.
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buxtebrawler
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Re: Black Forest - Gert Steinheimer (2010)

Beitrag von buxtebrawler »

Klingt in der Tat nicht uninteressant.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)
Diese Filme sind züchisch krank!
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Salvatore Baccaro
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Re: Black Forest - Gert Steinheimer (2010)

Beitrag von Salvatore Baccaro »

Black Forest. Der Schwarze Wald. Der Schwarzwald. Jemandem, der deutsche Geschichte in Filmen denkt, wird wohl sofort Hans Deppes SCHWARZWALDMÄDEL von 1950 in den Sinn kommen. Basierend auf einer beliebten Operette (Uraufführung: 1917) ist Deppes Adaption bereits die dritte Verfilmung des biederen Stoffes, außerdem der erste deutsche Farbfilm nach dem Krieg und überhaupt mit seiner harmlos-albernen Machart einer der größten Erfolge der Nachkriegsfilmindustrie und Blaupause für unzählige ähnlich gelagerte Produktionen wie beispielweise die Roy-Black-Blödelei SCHWARZWALDFAHRT AUS LIEBESKUMMER (1974), die 1965 in der ARD erstausgestrahlte Fernsehserie DER FORELLENHOF oder, vielleicht heute zumindest vom Namen her noch am berühmtesten, DIE SCHWARZWALDKLINIK, eine weitere fade Fernsehserie, diesmal vom ZDF in den 80ern ausgestrahlt. Nun aber, im Jahre 2010: BLACK FOREST. Jegliches Lokalkolorit ist aus dem Schwarzwald verschwunden. Er wird zu einem Schwarzen Wald an sich, dem nichts Liebliches mehr innewohnt, auseinandergeschnitten in die beiden englischen Worte Black und Forest, von trällernden Mädels, feschen Buben, gepflegter Tradition keine Spur.

Wer sich in diesen Black Forest verirrt, das sind zwei Pärchen wie sie sich ähnlicher kaum sein könnten. Eva liebt Jürgen und Sabine liebt Mike und zusammen ergeben sie ein vierköpfiges Freundesgespann, das die Schnauze voll von der medialen Dauerberieselung der Metropole hat, in der sie, vermute ich, hippe Studentenleben in Wohnungen voller IKEA-Möbeln und einem ausnahmslos veganen Kühlschrank führen. Das Paradies, wo es keine Handys, keine Computer, keine Fernsehapparate geben soll, stellt eine einsam gelegene Ferienhütte irgendwo im Schwarzwald dar. In bestem Schwäbisch führt der urige Pächter die Großstadtkinder durch das Areal, danach sind die Liebenden für eine Woche, so der Plan, allein mit sich, ihren Gedanken und Körpern, die sich davon erholen wollen, Teil einer hyperaktiven Moderne zu sein. Lange dauert der Friede indes nicht: Jürgen und Mike entdecken, entgegen der Pächterwarnung, verriegelte Türe besser verriegelt bleiben zu lassen, in einer mit Holzbrettern zugenagelten Kammer einen greisen Fernsehapparat – und können dem Drang trotz ihrer guter Vorsätze nicht widerstehen, ihn aus seinem Gefängnis zu befreien, immerhin läuft gerade die Bundesliga, und so ganz ohne Unterhaltungsmedien wird es mit den beiden Mädels doch bestimmt auf Dauer langweilig werden. Allerdings funktioniert die Kiste nicht, da scheitern selbst die Künste Jürgens, der so etwas wie ein Technikfachmann zu sein scheint. Plötzlich aber, während Sabine allein mit ihm ist, schaltet der Fernseher sich wie von selbst ein. Er zeigt ihr ihre liebte Fernsehkochshow, wo Christian Begyn, der international gefeierte Starkoch, der sich in BLACK FOREST quasi selbst spielt, ihr in putzig-gebrochenem Deutsch erklärt, wie man Pilze sammelt, wie man Pilze kocht und wie man Pilze in Form eines köstlichen Gerichts dem Magen zuführt. Sabine zieht los, um seinen Rat zu befolgen, kommt mit einem Korb voller vermeintlicher Leckereien zurück und kreiert für ihre Freunde ein Abendessen, zu dem schließlich noch ein Wanderer namens Horst stößt, der sich in der Gegend verlaufen hat und einen Platz zum Schlafen braucht. Horst als echter Naturbursche kann die Freunde in letzter Sekunde davon abhalten, Sabines Pilzbeute zu kosten. Das seien Knollenpilze, sagt er, da müsse Sabine versehentlich danebengegriffen haben. Die Bestürzung ist groß, zumal Sabine unter den Freunden als ausgemachte Pilzkennerin gilt. Lange währt die Erleichterung nicht, denn jetzt ist bereits Jürgen an der Reihe, von dem Fernsehapparat ihn in die Irre leitende Signale zu empfangen. Erneut fängt das Gerät auf einmal zu flimmern an und bringt Jürgen eine Nachrichtensendung vor Augen, in der von einem entlaufenen Straftäter gewarnt wird, der Horst heißt und, wie das Fahndungsphoto beweist, exakt so aussieht wie der Horst, der im Moment auf dem Ferienhüttenheuboden schlummert. Alsbald sind Eva, Mike, Sabine informiert und man holt zum Gegenschlag aus. Ein bitteres Gefecht später ist Horst mausetot und das Fernsehen berichtet, der entlaufene Sträfling, der auf einmal ganz anders heißt und ganz anders aussieht, sei inzwischen ganz woanders in die Polizeifallen gegangen. Während ihre Freunde beginnen, sich in gegenseitigen Vorwürfen selbst zu zerfleischen, denn immerhin hat man gerade einem offenbar Unschuldigen das Leben geraubt, dämmert Eva, dass das Problem möglicherweise in dem eigensinnigen Fernsehapparat stecken könne…

Unter dem Eindruck eines in unzählige Klein- und Kleinststaaten zersplitterten deutschen Kulturraums, der Französischen Revolution und der an diese anschließenden sogenannten Befreiungskriege gegen die Napoleonische Expansion, sowie den später einsetzenden oppositionellen Bestrebungen um nationale Einheit wie man sie von Großveranstaltungen wie dem Hambacher Fest kennt, mausert der Deutsche Wald sich Anfang des neunzehnten Jahrhunderts zu einem identitätsstiftenden Nationalsymbol für das sich gerade zu formieren beginnende Deutsche Reich. Dabei decken die medialen Repräsentationen des Waldes zu dieser Zeit eine ganze Bandbreite an Ambivalenzen ab. Der Wald ist unheimlich, finster, voller Räuber, Gespenster, Teufeleien, wie der um die Jahrhundertwende florierende Schauer-, Ritter-, Räuber- oder Bundesroman unter Beweis stellt. Der Wald ist ergiebigster Konservierungsraum für Märchen und Mythen wie sie die Brüder Grimm zur gleichen Zeit zutage fördern, sammeln und veröffentlichen. Der Wald kann aber auch dem seiner Einheit mit dem Unendlichen verlustig gegangenen modernen Menschen eine Ahnung von dem geben, was er verloren hat, nachzulesen unter anderem bei dem romantischen Dichter Joseph von Eichendorff. Wie es um den Wald im Jahre 2010 steht? Ein Heimatfilm klassischer Prägung hätte eine eindeutige Antwort darauf: inzwischen ist ein einstmals mythischer Ort wie der Schwarzwald zu einem Anlaufbecken werbeprospektseliger Touristen geworden. Touristen müssen jedoch nicht immer nur mit Photokameras anreisen, um Schnappschüsse für das Familienalbum festzuhalten, sie können professionellere Equipments mit sich führen, Filmkameras, ein ganzes Team, ein Drehbuch am Ende noch, in dem vom Schwarzwald als Kulisse für einen weiteren Teenage-Horror-Schocker die Rede ist. BLACK FOREST könnte solch ein Film heißen – wäre das vorliegende Werk nicht ein weitgehend klug durchdachtes, selbstreflexives Spiel mit Bedeutungen und Bedeutungszusammenhängen, das solche nach US-amerikanischen Vorbildern gestrickte pure Unterhaltungsware selbstbewusst aufs Korn nimmt.

Das Grauen, das über unsere Viererbande hereinfällt, kommt aus dem Fernseher. Hätten Eva, Sabine, Mike und Jürgen ihr gefasstes Ziel in die Tat umgesetzt, d.h. wirklich eine gesamte Woche auf alles zu verzichten, was mit modernen Massenmedien zu tun hat, hätte es einen Film wie BLACK FOREST gar nicht geben müssen. Es ist erstaunlich, wie schnell vor allem in Jürgen und Mike der Wunsch erwacht, doch mal den einen oder anderen Blick in den vermeintlich defekten Fernseher zu werfen, und wie schnell Sabine und Jürgen das glauben, was ihnen auf dessen Schirm aufgetischt wird: tödliche Pilzkost und flüchtige Massenmörder. Dass BLACK FOREST sich, ähnlich wie CANNIBAL HOLOCAUST, aus seiner eigenen Medienkritik nicht ausnimmt, zeigt schon allein eine Sequenz relativ zu Beginn. Unsere Helden haben ihr Feriendomizil gerade erst bezogen und sind jetzt dabei, einen Haufen Dinge zu tun, die man auf dem Lande, fernab der Zivilisation, eben tut, beispielweise Holzhacken, durch den Forst spazieren, ein Lagerfeuer entfachen. In BLACK FOREST ist diese Szenenfolge inszeniert wie ein Werbespot, der einen aufs Landleben heißmachen soll. Noch früher findet sich eine Szene wie aus einem beliebigen neumodischen Horrorfilm. Eva und Jürgen knutschen in ihrem Zimmer herum, als ein merkwürdiger Ton zu ihren Ohren dringt, ein ekliges Knirschen oder Krächzen. Es stammt von der Schaukel im Garten, die sich von selbst in ihren rostigen Angeln bewegt, so laut, dass man es in einem geschlossenen Raum bei geschlossenem Fenster über eine Strecke von mindestens fünf bis zehn Meter hinweg hören kann. BLACK FOREST zeigt mit solchen subtil-seltsamen Einsprengseln, dass es ihm von Anfang an nicht darum geht, ein handelsüblicher, nach bekannter Dramaturgie verfahrender Horrorfilm zu sein. Vielmehr siedelt der Film seinen Hauptstützpunkt eine Ebene weiter höher an: es ist ein Meta-Horrorfilm, wenn überhaupt.

Insgesamt sechsmal erleiden unsere vier Protagonisten Sinnestäuschungen. Zu Beginn gehen die noch eindeutig von dem Fernsehapparat aus. Der steht freilich stellvertretend für eine Medienmaschinerie, der es nicht primär darauf ankommt mündige Bürger in mündigen und freigetroffenen Entscheidungen zu unterstürzen, sondern ihnen, im Gegenteil, diese abzunehmen, oder gleich ganz unmöglich zu machen, indem man sie mit gezielten Falschinformationen füttert und in eine komplett andere Richtung (ab)lenkt. Christian Begyn, dessen intermedialer Kurzauftritt mir den wohl witzigsten Moment des gesamten Films bereitete, preist vollmundig Pilze an, die völlig vergiftet sind, und die Nachrichten erklären einen völlig Unschuldigen zur potentiellen Lebensgefahr – es mögen wenig elaborierte Metaphern sein, klar ist, dass in beiden Fällen das Fernsehen das Denken der Protagonisten übernimmt bzw. es durchdringend beeinflusst, indem es über Bilder Vorstellungen in es pflanzt, die dazu angetan sind, jeden noch so klaren Verstand zu verwässern. Sabine, die sich eigentlich, wie es heißt, mit Pilzen auskennt und Jürgen, der Horst zuvor noch zum sympathischsten Kerl unter der Sonne erklärt hat, verlassen sich, was zu fatalen Konsequenzen führt, nicht mehr auf ihr eigenes Denken, ihr eigenes Fühlen. Sie haben es an eine Macht abgetreten, die letztendlich gesichtslos bleibt und überhaupt nicht greifbar: jene Macht, von denen wir kaum glauben können, dass hinter ihr Menschen wie Du und Ich stehen soll, die in Wirklichkeit für die ganzen gesundheitsruinierenden Schadstoffen in unseren Lebensmitteln die Verantwortung tragen, und dafür, dass irgendwelche arme Seelen zu Sündenböcken erklärt werden, an denen sich der Zorn von Nationen abreagieren darf.

Das dritte und das vierte Täuschungsmanöver führen eine Stufe weiter. Jürgen ist nachvollziehbarerweise ziemlich fertig darüber, dass seine Freunde und er Horst aufgrund eines falschen Verdachts niedergestochen haben. Er redet sich ein, die anderen würden hinter seinem Rücken pausenlos sich das Maul über ihn zerreißen, ihn wegen seiner Sinnestäuschung für verrückt halten. Um dem auf den Grund zu gehen, platziert er einen Camcorder in Sabines und Mikes Schlafzimmer, zeichnet ein Gespräch der beiden auf. Später, nachdem er sich die Kamera zurückgeholt hat, spielt er das Video über den eigentlich defekten Fernseher ab. Was er dort hört, stimmt nicht mit der Realität überein – in Wirklichkeit haben Mike und Sabine belanglos geplauscht -, sondern setzt ihm den Floh ins Ohr, Sabine, Mike und Eva seien tatsächlich komplett gegen ihn und planen, die Polizei einzuschalten, ihm den Mord an Horst in die Schuhe zu schieben und ihn so final loszuwerden. Mike wiederum gerät Jürgens Kamera in die Hände, er möchte sich ansehen, was der sich angesehen hat, und stößt auf ein ganz anderes Video, nämlich eins, das Jürgen und Sabine beim Sex zeigt. Am nächsten Morgen sitzen sich die beiden Männer – übrigens eine der großartigsten Szene des ganzen Films – scheißfreundlich und mit, nicht nur im übertragenen Sinn, geladenen Gewehren im Frühstücksraum gegenüber, grinsen sich gegenseitig in die Gesichter und denken doch nur darüber nach, wie sie sich am jeweils anderen für das angeblich begangene Unrecht rächen können - eine Szene fast wie aus einer wirklich komischen Italowestern-Parodie. Man sieht: von einer allgemein-abstrakten Ebene – Nachrichtensendungen, Kochshows -, haben die Attacken des übeltäterischen Fernsehers sich auf eine privat-persönliche verlagert. Unsere Helden werden in dem angegriffen, was ihnen am wichtigsten ist: die Beziehungen zu denen ihnen am nächsten stehenden Menschen. Nachdem ihnen im wahrsten Sinne des Wortes das Essen vergällt wurde und sie gegen eine unschuldige Minderheit in Gestalt Horsts aufgehetzt worden sind, greifen die sie von außen dirigierenden Mächte in ihre Privatsphären ein, um dort Zwietracht zu säen, wo sie am wehsten tut und wo sie am effektivsten Schaden anrichtet.

Da BLACK FOREST offenbar nachzeichnen möchte wie das genau funktioniert, dass Menschen irgendwann derart medienverseucht sind, dass sie ihre eigenen, klaren Gedanken schon gar nicht mehr denken können und nur noch das sehen, was ihnen einmal von anderer, nämlich medialer Seite gezeigt worden ist, kommt die dritte und letzte Manipulationsebene, mit der der Fernseher bzw. das Fernsehen, unsere Freunde ins Unglück stürzt, ganz ohne technische Mittler aus. Mike, überzeugt, Jürgen und Sabine treiben es hinter seinem Rücken miteinander, beobachtet die Beiden von einem Jägersitz aus, ein Gewehr natürlich schussbereit im Schoss. Nun wird der Film BLACK FOREST selbst endgültig zum Komplizen des Komplotts gegen die jungen Leute. Unweit des Jägersitzes, in Schusslinie zumindest, diskutiert Jürgen mit Sabine. Er wirft ihr vor, sich mit Mike und Eva gegen ihn verbündet zu haben, verdächtigt sie, die ihre Sachen gepackt hat und auf dem Weg ins nächste Dorf ist, von dort aus die Polizei auf ihn hetzen zu wollen. Für Mikes Augen sieht es danach aus, als ob die beiden geil aufeinander seien, dabei streiten sie vielmehr, fallen irgendwann zu Boden, nur nicht, um Sex zu haben, sondern um miteinander zu rangeln. Die Verzerrung der Realität durch Bilder, die gar nicht aus der sogenannten Realität stammen, findet ihre Vollendung, weil der Film BLACK FOREST sich auf die Seite des Fernsehapparats schlägt, der in ihm die eigentliche Hauptrolle spielt. Der Zuschauer ist dabei dennoch weiterhin eine Ebene höher angesiedelt, eben weil er trotz allem die Möglichkeit hat, zwischen zwei Varianten – der subjektiven Perspektive Mikes und der objektiveren, die Eva im Gespräch mit Jürgen zeigt – auszuwählen und eine davon als verzerrt zu erkennen.

BLACK FOREST ist ein Sammelsurium aus Versatzstücken, Positionen, Anspielungen. Ich finde es erstaunlich, wie viel von anderen Filmen man in ihm findet, ohne dass er dadurch seine Eigenständig verlieren würde. THE EVIL DEAD, FUNNY GAMES, CANNIBAL HOLOCAUST, THE CABIN IN THE WOODS - man könnte die Reihe eine ganze Weile so fortsetzen und trotzdem nicht wirklich an der Essenz dieses seltsamen, teilweise ordentlich komischen, teilweise betont ernsten, zuweilen bewusst unglaubwürdigen Films rühren. RUBBER, Quentin Dupieuxs ebenfalls 2010 veröffentlichte irrsinnige Meta-Komödie, stellt für mich den wohl ergiebigsten Bezugspunkt dar. Beide Filme sind von ihrer ganzen Struktur her darauf angelegt, ihr Publikum von Grund auf zu verunsichern, indem sie den fiktiven Rahmen, den jeder Film zwangsläufig hat, permanent in die eine oder andere Richtung ausweiten, ihn sich zusammenziehen lassen, ihn verengen oder vergrößern. Dupieuxs Kino der Willkür operiert allerdings hauptsächlich mit einem die Verunsicherung überdeckenden Humor. Bei RUBBER lacht man nicht nur über die grotesken Dinge, die sich auf der Leinwand abspielen, sondern letztlich auch über sich selbst, weil man diesen grotesken Dingen normalerweise auf den Leim geht. Noch im kämpferischen Finale zwinkert uns Dupieux schalkhaft zu: ein Gefecht zwischen Dreirädern und Hollywood, wie mag das wohl ausgehen?

BLACK FOREST vertritt demgegenüber, scheint es, eine Agenda mit klarerer politischer Linie. Eigentlich würde ich BLACK FOREST sowieso lieber als Heimatfilm denn als Horrorfilm klassifizieren, wegen seiner Botschaft, nicht wegen seiner Ästhetik oder Narration. Im Prinzip haben wir es bei dem Film mit einem recht wertkonservativen Werk zu tun. Der Deutsche Wald ist, das weiß jeder, ständig bedroht durch touristischen Plastikmüll, Wilderer, großangelegte Rodungen, um Bauplätze für Einkaufszentren mitten im Forst zu schaffen. Davon handelt zumindest jeder gefühlte zweite klassische Heimatfilm unserer Großelternepoche. Zwischen städtischer Moderne und ländlicher Tradition klafft eine Kluft, die wenigstens in einem Großteil der Spielfilme der 50er und 60er kaum überbrückt werden kann oder will. BLACK FOREST greift mit der existenziellen Bedrohung des Deutschen Waldes noch etwas weiter aus. Nicht die Touristen, nicht die hinzuziehenden Städter, nicht die stetig expandierende Infrastruktur, nicht der generelle Verfall des Brauchtums sind in BLACK FOREST die Feinde, die es zuerst zu bekämpfen gilt, zunächst muss mit den Medien aufgeräumt werden, die solche falschen Ideen, falschen Bilder, falsche Ideologien in unsere Köpfe transportieren. Am Ende von BLACK FOREST eilt Eva – im Englischen könnte man sie als final girl bezeichnen – einem idyllischen Dörfchen entgegen. Die Rettung scheint nahe, doch die Kamera fährt zurück, um zu enthüllen, dass das, was wir da sehen – unsere Heldin wenige Schritte vom happy ending entfernt - wiederum nur eine Szene in einem Fernsehschirm ist. Die mediale Moderne hat die Realität übernommen, sie in sich aufgesogen, ist an ihre Stelle getreten. Ein Alptraumszenario, dem ein Film wie BLACK FOREST in selbstlosem Idealismus entgegenzutreten meint, indem er sein Publikum heftig genug rüttelt, dass es aufwacht.

Ob man den traditionalistischen Subtext, dessen (Er)lösungsgedanke von einem medienfreien Waldleben im Einklang mit der Natur reaktionäre Tendenzen verrät und vertritt, mitgehen möchte oder nicht, bleibt jedem selbst überlassen, ändert jedoch nichts daran, dass BLACK FOREST ein Film ist, der einem vielleicht nicht vorrangig durch seine Machart, aber aufgrund der von ihm wie selbstverständlich bezogenen politischen, gesellschaftlichen, medienkritischen Positionen noch lange zu denken geben kann.
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