Ein Zug für zwei Halunken - Robert Aldrich (1973)
Verfasst: Fr 18. Jan 2013, 22:21
Ein Zug für zwei Halunken (USA 1973, Originaltitel: Emperor of the North)
Exzessive Machtspiele
1933 leiden viele US-Bürger unter der 1929 ausgebrochenen Wirtschaftskrise. Arbeitslose Streuner springen auf Güterzüge, ihre einzige Möglichkeit längere Strecken zu bewältigen. Zugführer Shack (Ernest Borgnine) wird von Tramps und eigenen Kollegen gefürchtet, mit brutaler Gewalt geht der Sadist gegen ungebetene Gäste vor. Ass Nr. 1 (Lee Marvin), ein erfahrener und cleverer Bursche, will auf Shacks 19er eine grössere Strecke zurücklegen. Eisenbahner und Tramps schliessen Wetten ab, der 19er wird zum Schausplatz eines lebensgefährlichen Katz-und-Maus-Spiels. Auch der großmäulige Jungspund Cigaret (Keith Carradine) will Shack in die Suppe spucken, für Ass Nr. 1 stellt der unerwünschte Gefährte eher eine zusätzliche Herausforderung als Unterstützung dar ...
Robert Aldrich hat im Laufe seiner Karriere einige Perlen inszeniert. Zu seinen bekannstesten Werken zählen "Was geschah wirklich mit Baby Jane?" (What Ever Happened to Baby Jane?, 1962) und ) "Das dreckige Dutzend" (The Dirty Dozen, 1966). Leider verstarb der Filmemacher bereits 1983, er wurde lediglich 65 Jahre jung.
"Ein Zug für zwei Halunken" spielt während der Großen Depression, doch dieses Zeitfenster dient lediglich als geeigneter Aufhänger. Im Zentrum der Handlung stehen zwei unachgiebige Charaktere, schlitzohriger Tramp trifft auf knüppelharten Eisenbahner. Freilich ist die Intention problemlos erkennbar, die geknechtete Unterschicht wehrt sich gegen das System der Unterdrückung und Ausbeutung. Durch den gesammten Film zieht sich harscher Humor, Ironie und Zynismus bereichern das Treiben ungemein. Für klare Verhältnisse wird sofort gesorgt, wir werden Zeuge wie Shack mit Tramps umgeht, zielstrebig und gnadenlos, durchaus mit Freude an Mord und Totschlag. Dabei könnte alles so entspannt sein, gemütlich schnauft die Dampflok durch malerische Landschaften, rollt über beeindruckende Brückenkonstruktionen. Mit Lee Marvin und Ernest Borgnine hat Robert Aldrich zwei glänzend aufgelegte Hauptdarsteller vor der Kamera. Marvin mit harter Schale und mittelhartem Kern, lässig und dennoch jederzeit hellwach, Ass Nr. 1 lässt sich nicht unterkriegen. Borgnine legt einen der stärksten Auftritte seiner Laufbahn hin! Sadismus und Boshaftigkeit springen Shack aus dem Gesicht, stürzen sich wie geifernde Furien auf den Zuschauer hernieder. Shack steht nicht nur stellvertretend für ein menschenverachtendes Gesellschaftsystem, er verkörpert die Boshaftigkeit und Perversion, welche vermutlich in uns allen lauert. Dritter im Bunde ist Keith Carradine. Cigar will den alten Tramp vom Thron stossen, versucht zuvor von dessen Erfahrung zu profitieren. Bitter gerät der Ausblick in die Zukunft, Cigar fehlt es an Herz und Hirn, wohin führt uns die Reise? Trotz eindeutiger Marschrichtung der Charakere, lässt sich das Drehbuch nicht von feinen Zwischentönen abhalten. Sogar Shack scheint kurz Schwäche zu zeigen, sein Appell an Ass Nr. 1 -während die Gefahr der Kollision mit einem entgegenkommenden Zug besteht- mutet nahezu verzweifelt an, selbstverständlich schaltet der Unhold im Eiltempo zurück in den Hass- und Krawallmodus. Prächtige Szenen ereignen sich auch abseits des Zuges. Der bewährte Simon Oakland ist in einer kleinen Rolle als uniformierter Polizist zu sehen, den die Verfolgung eines Diebes mitten in eine Ansammlung Tramps führt. Keine angenehme Situation für den Gesetzeshüter, anschauen und genießen!
Lebt das Leben! Kämpf um die Freiheit! Um jeden Preis, nur ein Leben in Freiheit ist lebenswert, leistet Widerstand! Klar, man könnte subtiler formulieren. Noch besser gefällt mir folgende Idee: Grandiose Schauspieler in einem prachtvollen Umfeld bestaunen, dynamische Regie und vortreffliche Kameraarbeit bewundern, knapp zwei Stunden großes Kino erleben!
Koch Media hat "Ein Zug für zwei Halunken" ungekürzt auf DVD veröffentlicht, im Bonusbereich sind Trailer, Teaser und eine Bildergalerie zu finden, ferner ist ein englischer Audiokommentar (ohne Untertitel) enthalten. Die beste Beigabe soll nicht unterschlagen werden, ein informatives Booklet mit stattlichen 28 Seiten Umfang. Überwiegend geht die gebotene Bildqualität in Ordnung, aber ärgerlicherweise tritt die Kompression bei einer der wichtigsten Szenen in den Vordergrund, kommt mit dem Nebel leider nicht klar. Dennoch gilt Kaufzwang, der Streifen ist eine Bereicherung jeder Sammlung!
8/10 (sehr gut)
Lieblingszitat:
"Jetzt wird er aber zur rasenden Wildsau!"