DVD: Subkultur Entertainment
Die Entfesselten (Frankreich, Italien 1975, Originaltitel: L'agression)
Rache, Wahnsinn und sonstige Irrtümer?
Paul Varlin (Jean-Louis Trintignant) ist mit Gattin Hélène (Michèle Grellier) und Tochter Patty (Delphine Boffy) auf dem Weg in den Urlaub. Auf einer Autobahnraststätte kommt es zu einem kleinen Zwischenfall mit drei Motorradfahrern. Wenig später entdeckt der Familienvater die Biker im Rückspiegel, es folgt eine gefährliche Auseinandersetzung bei hohem Tempo. Schließlich landet die Familie mit ihrem PKW auf einem Feld abseits der Autobahn, Paul liefert sich eine wüste Prügelei mit den erneut auftauchenden Typen und wird bewusstlos geschlagen. Kaum ist der Geprügelte wieder halbwegs auf den Beinen, erblickt er ein Bild des Grauens, Hélène und Patty leben nicht mehr! Zur Beerdigung ihrer Schwester reist Sarah (Catherine Deneuve) an, gelangweilte Ehefrau und kantiger Witwer kommen sich körperlich nahe. Derweil gehen die polizeilichen Ermittlungen nur schleppend vorwärts, Paul wird zunehmend von Rachegelüsten ergriffen ...
Regisseur Gérard Pirès präsentiert uns ein Werk abseits üblicher Rachethriller und/oder Bikermovies. Protagonist Paul Varlin erhebt sich nicht als aufrechter Bürger über den mit Abschaum gefüllten Sumpf, vielmehr bekommen wir es mit einem aufbrausenden Hasardeur zu tun, klare Grenzen zwischen Gut und Böse lösen sich auf. Unerbittlich dreht sich die Spirale, fieser Twist inklusive, die blutige Abrechnung scheint nicht mehr aufhaltbar, glücklicherweise sind Franzosen oft für Überraschungen gut. Auf den ersten Blick mag das Finale zu brav angelegt sein, doch diese gegen aufgebaute Erwartungshaltungen gebürstete Marschrichtung, soll sich letztlich als mutig und konsequent erweisen. Ich möchte nicht zu viel verraten, wende mich daher umgehend den zentralen Charakteren zu.
Jean-Louis Trintignant bricht das Klischee des präzisen Selbstjustizlers auf. Nein, ein wortkarger und zielstrebiger Racheengel ist Paul Varlin keineswegs, vielleicht eine Art Gegenentwurf. Varlin pöbelt mit Vorliebe, verliert schnell die Beherrschung, vögelt nach dem gewaltsamen Tod seiner Gattin deren Schwester. Mit Trintignant hat man die Hauptrolle grandios besetzt, hier wird kein strahlender Held oder höschenbefeuchtender Sexgott benötigt. Catherine Deneuve gibt die frustrierte Hausfrau auf der Suche nach Abenteuern, der gewaltsame Tod von Schwester und Nichte schrumpft zur Nebensache. Auf der Suche nach Liebe, Lust und Aufmerksamkeit, vordergründig symbolisiert ein Wechsel der Frisur Veränderung, den Willen zum Glück und den Aufbruch in eine bessere Zukunft. Deneuve und Trintignant prallen aufeinander, ineinander, bleiben gemeinsam einsam, Antworten gibt das Finale nicht, an Fingerzeigen mangelt es jedoch keineswegs. In der wichtigsten Nebenrolle sehen wir Claude Brasseur als André Ducatel. Jener Ducatel arbeitet als Kellner, bringt eine herrlich schmierig-schleimige Aura ins Spiel, Brasseur ist für mich der wahre Star des Streifens, daran ändern auch die starken Vorstellungen von Trintignant und Deneuve nichts. André Ducatel verdient den Preis
"Schmierlappen des Monats", für Freunde schräger Schweinepriester eine wahre Wonne. Philippe Brigaud gefällt als Gesetzeshüter, während Franco Fabrizi eine weitere Schippe Lustmolch ins Spiel bringt.
Harsche Dialoge sind kein Problem, gar erwünscht? Dann freut euch auf ein kleines Feuerwerk rüder Sprüche und Beschimpfungen, die wilden Siebziger in Bestform!
"Die Entfesselten" hat noch mehr zu bieten, so nötigt mir die jederzeit stimmungsvolle Kameraarbeit Respekt ab. Auf das unerwartete Ende habe ich bereits hingewiesen, lasst euch überraschen! Rache mag oft Blutwurst sein, diesmal kommt sie in Form von Schweinskopfsülze mit doppelter Portion Gelee aus der Hüfte. Auf besondere Weise schmackhaft, die Saat geht in Mund, Magen, Herz und Hirn auf, ergo schlucke ich altes Luder allzu gern.
Subkultur Entertainment bietet
"L'agression" in schöner Qualität an, auf Wunsch mit dem alternativen Ende der deutschen Kinofassung. Obendrauf gibt es eine Bildergalerie, hinzu kommt ein Booklet mit Anmerkungen von Marcus Stiglegger. Fast hätte ich das Wendecover für Spielkinder unterschlagen. Tolle Veröffentlichung eines prächtigen Films, vielen Dank dafür! Kaufzwang, ist doch klar!
Dicke 7,5/10 (gut bis sehr gut). Sammelwürdigkeit der DVD: 10/10!
Lieblingszitat:
"Die Frau ist bezaubernd. Die Frau ist göttlich. Die Frau ist ein Mirakel. Sie liebt den Schwanz! Das sind die nackten Tatsachen, mein Lieber!"