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Darsteller: Laura Linney, Tom Wilkinson, Campbell Scott, Jennifer Carpenter, Colm Feore, Joshua Close, Kenneth Welsh, Duncan Fraser, JR Bourne, Mary Beth Hurt, Henry Czerny, Shohreh Aghdashloo u. A.
Es passiert nur selten, aber eines Tages entscheidet sich die katholische Kirche offiziell dazu, einen Exorzismus an einer 19jährigen College Studentin durchzuführen. Doch die Austreibung der Dämonen geht schief und die junge Frau stirbt. Durchzogen mit vielen Rückblicken auf das heftige Ritual wird der Prozess gegen den durchführenden Priester gezeigt, der wegen fahrlässiger Tötung angeklagt wird. Laura Linney spielt die Rechtsanwältin, die die Verteidigung des Priesters übernimmt und mit ihrem Job als Anwältin nicht allzu zufrieden ist.
„Wir wollen hier einem Mann Gottes an den Kragen!“ (Na wartet, wir sehen uns wieder vorm jüngsten Gericht!)
Zwischen dem vielgescholtenen (doch meines Erachtens gar nicht schlechten), direkt für den Videothekenmarkt gedrehten fünften Teil der „Hellraiser“-Horrorreihe „Hellraiser: Inferno“ und dem Remake des Science-Fiction Klassikers „Der Tag, an dem die Erde stillstand“ drehte US-Regisseur mit „Der Exorzismus von Emily Rose“ im Jahre 2005 seinen ersten Kinofilm. Das Drehbuch stammt von Derrickson in Zusammenarbeit mit Paul Harris Boardman. Gerade hierzulande wurde der Film missverständlich aufgefasst, da er für den deutschsprachigen Markt mit dem Zusatz „Nach einer wahren Geschichte“ vermarktet wurde, was von den Filmmachern so nicht intendiert war. Zudem präsentiert sich der Film als Mischung aus Okkult-Horror und Justiz-Drama/-Thriller und legt mitnichten sein Hauptaugenmerk auf Exorzisten-Horror à la „Der Exorzist“.
Emily Rose (Jennifer Carpenter, „Pakt der Rache“) ist tot – sie wurde nur 19 Jahre alt. Der katholische Priester Richard Moore (Tom Wilkinson, „Rush Hour“) sitzt in Untersuchungshaft, angeklagt wegen fahrlässiger Tötung. Emily hatte ihr Studium abgebrochen und war ins heimische, ländliche Elternhaus zurückgekehrt, nachdem sie, beginnend eines Nachts um 3:00 Uhr, Wahnvorstellungen und Muskelkrämpfe erlitt. Ein Zustand, der anhielt und sich verschlimmerte, auch unter medikamentengestützter ärztlicher Behandlung gegen eine epileptische Psychose. Man zog Pater Moore zu Rate, der sie von einem Dämon besessen wähnte und schließlich einen Exorzismus an ihr durchführte – ohne Erfolg. Die alleinstehende, ehrgeizige Anwältin Erin Christine Bruner (Laura Linney, „Die Truman Show“) übernimmt die Verteidigung Moores. Während die Staatsanwaltschaft davon ausgeht, dass die Aussetzung der medizinischen Behandlung und die Anstrengungen des Exorzismus für den Tod der jungen Frau verantwortlich sind, versucht die zunächst noch zweifelnde, doch dem Pater mit der Zeit immer mehr Glauben schenkende Anwältin, die Geschworenen von der Unschuld ihres Mandanten zu überzeugen: Dessen Exorzismus hätte versagt, weil er unter dem Einfluss des Medikaments in Emilys Körper nicht an den Dämon herangekommen sei.
Für seinen Film hat Derrickson sich zwar offensichtlich inspirieren lassen vom Fall der Anneliese Michel, die 1976 in Deutschland von der katholischen Kirche fahrlässig getötet wurde, indem man an ihr den sog. „großen Exorzismus“ durchführte, doch gibt es im Film viele Abweichungen zu diesem Fall, dessen Handlung daher als fiktiv bezeichnet werden muss. In Rückblenden aus Sicht Moores erzählt „Der Exorzismus von Emily Rose“ die Ereignisse nach, die Emily schließlich ihr Leben und Moore seine Freiheit kosteten. Dies geschieht in Form von Gesprächen mit der zunächst skeptischen, sich selbst als Agnostikerin bezeichnenden Anwältin, in deren unsteten Lebenswandel sich jedoch auch bald eigenartige und beängstigende Phänomene schleichen. Dass sie einen Drink bestellt, ohne ihn zu trinken, ihn aber von ihrem männlichen Gesprächspartner bezahlen lässt, ist dabei ein sicherlich wenig relevantes Detail, nicht erst bei genauerer Überlegung recht unrealistisch erscheint es hingegen, dass sich Bruner die Ereignisse nur etappenweise erzählen lässt: Moore gibt ihr ein paar Informationen, es geht vor Gericht zum ersten Verhandlungstag, dann lässt sie sich in chronologischer Abfolge weitere Details berichten etc. Dies ist mit Sicherheit der Dramaturgie des Films geschuldet, denn kein ernstzunehmender Anwalt würde in der Realität so verfahren, erscheint mir aber dennoch etwas unglücklich. Ein weiterer Schachzug Derricksons ist es, seinen Film mit der Verhaftung des Paters im Winter zu beginnen und mit der Verhandlung im Herbst fortzuführen, während er den Sommer komplett überspringt – so kann er die Tristesse und Melancholie winterlicher und herbstlicher Stimmung für sich nutzen, ohne dass ihm strahlender Sonnenschein und ausgelassene Fröhlichkeit dazwischenfunken würden.
Das mag man für leicht durchschaubar halten und das ist es vermutlich auch, dafür beweist er aber inszenatorisches Geschick und ein sicheres Gespür für Gänsehaut bei den Bildern der Rückblenden: Zusammen mit der erbarmungswürdigen Emily muss der Zuschauer gediegenen Suspense-Horror ertragen, wenn sie vor lauter Grusel keine Bettruhe findet, mit finsteren Fratzen konfrontiert wird und schließlich selbst ein dämonisches Antlitz im Pferdestall aufsetzt. Ihre neuentdeckte kulinarische Affinität zu Spinnentieren sorgt zudem für einen nicht zu knappen Ekelfaktor. Die enorm wandlungsfähige Jennifer Carpenter durchlebt in ihrer Rolle als Emily Rose eine grauenvolle Metamorphose von der unbedarften, hübschen Studentin zum die Kontrolle über seinen Körper verloren habenden, ausgemergelten, zerschundenen, angsteinflößenden Etwas, die ihre Wirkung auf den Zuschauer nicht verfehlt. Der Exorzismus schließlich entpuppt sich keinesfalls als Kernstück des Films und ist – eine entsprechende Erwartungshaltung vorausgesetzt – sicherlich eher enttäuschend ausgefallen, hatte man sich eine Art Regan 2.0 erhofft.
Im Endeffekt interessanter ist jedoch der Gerichtsprozess, der in ruhigem, durchaus angenehmem Erzähltempo in bewährter Justiz-Thriller-Manier geführt wird und in seinem Dialogreichtum dahingehend konzipiert wurde, dass man Verständnis für beide Parteien entwickelt. Die, das muss ich genau so anerkennen, sehr guten Schauspieler erleichtern die Identifikation mit bzw. das Verständnis für die unterschiedlichen Charaktere und ein eindeutiges Gut/Böse-Schema gibt es nicht. Jedoch tut „Der Exorzismus von Emily Rose“ zwar so, als ließe er die Wahrheit offen, als überließe er sie der Interpretation des Zuschauers, steuert dabei aber tendenziös in Richtung der Verteidigung, indem er die Anwältin umso mehr dämonische Phänomene erleben lässt, je ausgiebiger sie sich mit dem Fall beschäftigt. Schließlich lässt man sie gar eine charakterliche Entwicklung vollziehen, an deren Ende die ehemals so ehrgeizige Frau einen feuchten Kehricht auf ihre Karriere gibt. Möchte der Films uns weismachen, dass eine Karrierefrau etwas Unanständiges sei und sie besser zu Gott bzw. ihrer eigenen Spiritualität zurückfinden solle? Möchte man uns dahingehend manipulieren, Moores Ausführungen und seiner Überzeugung Glauben zu schenken und sie als die wahrscheinlichere Option der tatsächlichen Wahrheit zu akzeptieren? Dann wäre „Der Exorzismus von Emily Rose“ kein auf christlicher Mythologie basierender Thriller, auf den der Klerus erfahrungsgemäß nicht sonderlich gut zu sprechen ist, sondern ein Werbefilm für die katholische Kirche und eine Rechtfertigung ihrer menschenunwürdigen Praktiken. Oder warnt Derrickson mit seinem Film vor genau dieser Art der Manipulation, vor der Anfälligkeit sich selbst mit beiden Beinen auf dem Boden der Tatsachen glaubender, diesseitsorientierter, weltlicher Menschen für religiösen Eifer und wirre Sekten, beispielsweise durch jahrelange Leugnung eigener spiritueller Bedürfnisse und deren Ersetzung mit Materialismus? Ich bin nach meiner Erstsichtung dieser handwerklich größtenteils sehr gut gemachten und spannenden Genre-Melange unschlüssig und behalte mir eine Bewertung in Punkten daher zunächst vor.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)