Es sind Luigi-Cozzi-Wochen in meinem Kopf, deshalb nun endlich auch einmal ein paar kurze Zeilen zu seinem einzigen Fernsehfilm, IL VICINO DI CASA aus der Reihe "Dario Argento presents":
Eingekeilt zwischen dem Film, für den ich Luigi Cozzi wohl nach wie vor am meisten liebe, sein selbstfinanziertes, non-kommerzielles Underground-Debut IL TUNNEL SOTTO IL MONDO von 1969, dessen Machart voll und ganz dem Regelwerk des Experimentalkinos verpflichtet ist, und dem Film, der wohl insgesamt als derjenige gelten muss, in dem Cozzi sich am weitesten an die Gepflogenheiten des in der westlichem Hemisphäre dominierenden, narrativ orientierten Unterhaltungskino anpasst, ohne indes seine Avantgarde-Sensibilitäten gänzlich zu verleugnen, und der deshalb gemeinhin als sein „bester“ bezeichnet wird, nämlich der in der Tat exzellente Giallo L’ASSASSINO É COSTRETTO AD UCCIDERE ANCORA von 1975, kann sein Beitrag zu der von Dario Argento ins Leben gerufenen, vierteiligen TV-Reihe LA PORTA SUL BUIO doch eigentlich nur verlieren, oder?
In der Tat wurde ich erst kürzlich davon überzeugt, dass das Fernsehen der frühen 70er mit dem, mit dem ich aufgewachsen bin, nicht unbedingt deckungsgleich ist. Rainer Erlers DIE DELEGATION hat mich regelrecht sprachlos zurückgelassen - obwohl ich ihn dann natürlich an entsprechender Stelle doch mit der einen oder anderen Zellen bedacht habe. Unter der Schirmherrschaft des ZDF ist da nicht nur ein wirklich zum Denken anregendes Werk entstanden, gerade in stilistischer Hinsicht beweist DIE DELEGATION Prophetie, wenn Erler das Genre des found-footage-Horror quasi im Alleingang erfindet und zugleich bereits schon transzendiert. Im Falle von IL VICINO DI CASA sind wir nun allerdings in Italien, und außerdem drei Jahre später. Dario Argento ist gerade dabei, zum shooting star des Spannungskinos zu avancieren. Wenn man einen eigenen TV-Sendeplatz bekommt, hat man es wohl, denke ich mir, in gewisser Weise „geschafft“. Für LA PORTA SUL BUIO hat Argento selbst indes nur eine Episode inszeniert hat, die übrigen teilen sich unter Cozzi sowie zwei Herren namens Mario Foglietti und Roberto Pariante auf, von denen der eine, Foglietti, in der Folge offenbar weiterhin hauptsächlich fürs italienische Fernsehen gearbeitet hat, und der andere, Pariante, hauptberuflich offenbar Regieassistent in unzähligen italienischen Genreproduktionen gewesen ist, darunter nicht zuletzt Argentos Früh-Gialli IL GATTO A NOVE CODE und 4 MOSCHE DI VELLUTO GRIGIO. Auf mich wirkt LA PORTA SUL BUIO, gerade im Hinblick auf Argentos weiteren künstlerischen Lebensweg, wie das Ende einer Ära. Mit seinen ersten drei Spielfilmen hat er, meine ich, im Rahmen des klassischen Giallos alles gesagt, was gesagt werden kann, im gleichen Jahr, in dem sein Ausflug in TV-Gefilde stattfindet, wird er noch den aus der Reihe fallendsten Film seines gesamten Oeuvres drehen, LE CINQUE GIORNATE, ein wohl eher witzig gemeintes Werk mit Adriano Celentano vor historischer Kulisse, um danach mit PROFONDO ROSSO die Phase seiner Karriere einzuläuten, in der er seine Filme derart weit nach oben öffnet, dass die metaphysische Welt in einer Weise in sie eindringen kann, dass sie sie von einem Haufen Zelluloid in religiöse Stätten verwandelt.
Zu Beginn von IL VICINO DI CASA tritt Argento, wie übrigens in jeder der kommenden drei Folgen, ähnlich wie sein großes Vorbild in ALFRED HITCHCOCK PRESENTS, als Kommentator, Erzähler, Moderator auf, der dem Publikum in salbungsreichen, jedoch recht allgemeingehaltenen Worten noch einmal das Kredo des modernen Horrorfilms ins Gedächtnis ruft: noch im Alltäglichsten kann der schlimmste Schrecken lauern, nirgendwo ist man vor dem Grauen gefeit, weder auf offener Straße noch in der Straßenbahn, schon gar nicht in der Strandhauswohnung, in die man als junge Familie ziehen möchte, um endlich den Startschuss für eine bürgerliche Existenz abzugeben. Das jedenfalls planen unsere Helden, das Liebespärchen Stefania und Luca, das, zum Trio vervollständigt durch einen Säugling, der keinen Namen zu haben scheint und immer bloß Baby genannt wird, zu Beginn der Episode in ihr neues Leben unterwegs ist. Hilfsbereit wie man ist, gabelt man unterwegs Argento auf, dessen Auto am Straßenrand liegengeblieben ist, und erreicht womöglich nur wegen dieser Verzögerung das schmucke Häuschen erst bei Einbruch der Dämmerung. Unheimlich flüstern die von einem sachten Wind bewegten Bäume, nahe rauscht das niemals schweigende Meer, doch kein düsteres Vorzeichen bricht den frischen Mut unserer Liebenden, die nicht mal sonderlich zu stören scheint, dass der Strom in ihrer Wohnung noch nicht angemeldet wurde, und man sich erstmal mit Kerzen aushelfen muss - immerhin sei das romantisch, sagen sie. Cozzi lässt sich viel Zeit, die Beiden beim Erkunden ihrer zumeist im Finstern liegenden Wohnung zu begleiten, und schließlich beim Fernsehen zu filmen. Wie in L’ASSASSINO È COSTRETTO AD UCCIDERE ANCORA läuft dort IL TUNNEL SOTTO IL MONDO, obwohl der niemals eine kommerzielle Auswertung erfahren hat: sogar beinahe dieselben Szenen sind es, die auf der Leinwand flimmern werden, wenn Antoine Saint-John und George Hilton ihre Mordpläne aushecken. Ich schätze Cozzi für dieses Füllhörner an Zitate, die er in jedem seiner Filme, mal mehr, mal weniger, über uns ausschüttet, und finde es ehrlich witzig, wenn er Luca in IL VICINO DI CASA den weiteren Abend mit ABBOTT AND COSTELLO MEET FRANKENSTEIN verbringen lässt. Garniert wird das außerdem mit einem kleinen Gespräch zwischen Luca und Stefania über wahren und falschen Horror. Für sie ist das, was ihr Mann tut – er scheint, soweit ich das verstanden haben, reißerische Geschichtchen für Pulp-Magazine zu verfassen – eine bloße Kinderei, genauso wie das Frankenstein-Monster, das sich unbeholfen über den Fernsehschirm bewegt. Der wahre Horror, sagt sie, ist woanders.
Wie sehr sie damit Recht hat, wird Stefania nur kurze Zeit später am eigenen Leib erfahren. Zuerst ist da ein ominöser Fleck an der Zimmerdecke. Man vermutet: beim Nachbar über ihnen muss die Wohnung unter Wasser stehen. Hilfsbereit wie sie sind, pochen Luca und Stefania sofort bei diesem, und dringen ein, als er nicht öffnet und die Tür sich als unverschlossen erweist. Tatsächlich tritt Wasser in Mengen über den Rand der Badewanne, zugleich hängt aber auch der Arm einer erdrosselten Frauenleiche über den Wannenrand. Luca und Stefania packt der blanke Schreck, doch da ihr Auto im Morast feststeckt und sich partout nicht von der Stelle bewegen lässt, beschließt man, erstmal in der eigenen Wohnung die Morgensonne abzuwarten und dann die Polizei zu verständigen – eine Entscheidung, die ich persönlich, selbst wenn ich mit einem Baby auf dem Arm etliche Kilometer am Strand entlang zum nächsten Ort hätte wandern müssen, in solch einer Situation NICHT getroffen hätte. Irgendwann merkt Luca dann auch noch, dass sein Feuerzeug weg ist: er muss es oben, beim mörderischen Nachbar, vergessen haben. Kurzerhand stiehlt er sich zum zweiten Mal hinauf, um es zu holen, just in dem Moment kehrt der sympathisch ausschauende Bartträger von seinem nächtlichen Spaziergang zurück. Stefania kann ihn zwar noch abfangen, bevor er seine Wohnung betritt und Luca dort antrifft, indem sie ihn unter dem Vorwand, sich im Dunkeln zu fürchten, in ihre Wohnung lockt, dort zählt er indes, als er den stetig expandieren Wasserfleck an der Decke bemerkt, eins und eins zusammen, heuchelt zunächst Nachbarschaftshilfe, um unsere Helden kurz darauf in einem unbedachten Moment zu überwältigen, zu knebeln und zu fesseln. Die Szene, in der der ebenfalls namenlose Herr sich Eintritt in die Wohnung Lucas und Stefanias verschafft, um einen Befreiungsversuch der Beiden zu vereiteln, ist dann auch vielleicht die einzige in IL VICINO DI CASA, die auf dem hohen Level operiert, für das Cozzi und vor allem Argento zu diesem Zeitpunkt normalerweise stehen. Eigenständigkeit verrät es indes nicht, wenn Cozzi den Meuchelnachbarn in Zeitlupe durch eine Fensterscheibe preschen lässt, worauf die Scherben grazil und anmutig durch die Luft wirbeln, wie kurz zuvor im Finale von 4 MOSCHE DI VELLUTO GRIGIO oder, über ein Jahrzehnt später, zu Beginn von PHENOMENA – schön anzuschauen ist es trotzdem, und reißt den Zuschauer zudem aus der ein bisschen bedächtigen, sich ein bisschen zu sehr auf falsche Schreckmomente verlassenden und ein bisschen unter dem meinen Ohren irgendwie deplatziert vorkommenden Jazz-Score leidenden Inszenierung.
Insgesamt gesehen ist IL VICINO DI CASA ein nettes, einstündiges Spannungsfilmchen, das niemand wirklich schlecht finden wird – wirklich gut finde ich es allerdings ebenfalls nicht: zumal Cozzi, gerade, was das Visuelle betrifft, weit hinter den Feuerwerken zurückbleibt, die er in seinem vorherigen und seinem nachfolgenden Film mit spielerischer Hand abgefackelt hat bzw. abfackeln wird. Die eine oder andere Bildkomposition habe ich begrüßt, und die eine oder andere Nachtaufnahme von raschelndem Blattwerk ist tatsächlich einigermaßen gruselig geraten, dennoch: IL VICINO DI CASA hat sich etwas Statisches, Starres, einen fehlenden Mut auf die Fahne geschrieben, den ich mir nur damit erklären kann, dass es eben ein TV-Film ist, bei dem sowohl inhaltlich wie ästhetisch nicht allzu viel gewagt werden durfte, konnte oder wollte. Alles in allem funktioniert IL VICINO DI CASA für mich eher wie ein Präludium zu L’ASSASSINO È COSTRETTO UCCIDERE ANCORA als wie ein eigenständiger Film. Immerhin sind hier schon viele der Motive versammelt, die in dem späteren Langfilm zur vollen Reife finden sollten: ein verräterisches Feuerzeug, ein entlegenes Strandhaus, ein Killer, der absolut rational und unterkühlt sein Geschäft verrichtet. Einmal fragt er beispielweise Luca und Stefania, die zur Stummheit verdammt gebunden ihm zu Füßen liegen, wieso sie sich denn gegen ihr Ableben sträuben würden. Immerhin könnten sie ein Privileg ihr eigen nennen, das vielen Liebenden verwehrt bliebe: sie würden zusammen sterben, ertrinken, im Ozean. Dieser Satz, so zynisch er beim ersten Hören klingen mag, regte mich dennoch zum Nachdenken an. Ich meine, was ist wichtiger? Der nackte Überlebenswille, der den Tod bloß hinauszögert statt ihn zu besiegen, oder der, einem romantischen Ideal zu genügen, das die Liebe über den Tod hinaus verspricht und somit, in gewisser Weise, Unsterblichkeit?