Anbei nun endlich auch einmal meine fünf bis zehn Cent zu diesem merkwürdigen Horrorkurzfilmkompendium aus deutschen Landen, das offenbar völlig dem Vergessen anheimgefallen ist - sofern es einem nicht für fünf bis zehn Cent auf den einschlägigen Wühltischchen zwischen die Finger gerät.
1) MALUM
Es ist Weihnachtszeit in Deutschland. Eine Frau, deren Namen wir, soweit ich mich erinnere, im Verlaufe des Films nicht erfahren werden, schlendert durch die winterliche Innenstadt ihres Heimatorts. Vor einem Schaufenster bleibt sie stehen. Darin führen automatisch betriebene Puppen die immer gleichen mechanischen Bewegungen aus. Plötzlich hat unsere Heldin etwas, das ich, in Anlehnung an einen der beiden Titel, einmal notbehelfsmäßig als Todesvision bezeichnen möchte. In Großaufnahmen sehen wir zusammen mit ihr den Hals einer der Puppen, aus dem ein mechanischer Stab ragt, der ihn mit dem Rumpf verbindet. Laut sind die Geräusche, die der sich bewegende Kopf dabei macht, irgendwie bedrohlich, beinahe eklig. Wenn dann zum nicht wenig verstörten Gesicht der Frau geschnitten wird, wird wohl in jedem Betrachter irgendeine Assoziation zu Kopf- oder Halsabschneiden geweckt worden sein. Diese Art und Weise völlig harmlose Alltagsdinge so zu inszenieren, dass man vor ihnen zurückzucken mochte, hat mich vor allem an einen Film denken lassen, der im Erscheinungsjahr von GEISTERSTUNDE zwar zum Großteil schon gedreht war, jedoch noch nicht veröffentlicht worden ist: Lucio Fulcis Alters-Meta-Meisterwerk UN GATTO NEL CERVELLO. Fulci, der sich dort quasi selbst spielt, d.h. einen Horrorfilmregisseur, den sein Beruf geistig komplett zerschossen hat, sodass er überall, sei es nun in einem leckeren Steak oder im lautstarken, aber banalen nachbarlichen Kettensägenhantieren zwecks Feuerholzverkleinerung, irgendwelche Gewalt- und/oder Sexorgien phantasiert, hätte bei einem Weihnachtsbummel durchaus etwas ähnlich visuell Verstörendes zustoßen können wie der namenlosen Protagonistin in MALUM.
Ebenfalls an Fulci erinnert, dass es – Spoiler-Warnung! – in vorliegendem Film eine schwarze Katze ist, die unserer Heldin heftig zusetzt. Allein der Titel von UN GATTO NEL CERVELLO verweist schon auf Fulcis besonderes Verhältnis zu Miezen und Muschis: seinen derangierten Geisteszustand verbildlicht er mit dem wirklich genialen – und, ob nun bewusst oder unbewusst, Lautréamonts CHANTS DE MALDOROR entlehnten - Bild eines menschlichen Gehirns, das von einer Katzenhandpuppe zerfetzt wird. Eine bessere Allegorie zum sprichwörtlichen Kater, den man hat, wenn man Wein trinkt, als ob er Milch sei, kann ich mir schlicht nicht vorstellen. In MALUM ist das Hauskätzchen unserer Protagonistin indes bloß Mordwerkzeug, nicht eigentlicher Täter. Um wen es sich dabei handelt, erklärt unsere Frau, von ihrem Weihnachtsmarktausflug in die heimische Wohnung zurückgekehrt, ansatzweise in einem Telefonat mit ihrer dominanten Mutter. Auf die Frage, was der Tag und sie noch vorhätten, erwidert sie: „Ich bin eingeladen zum Geburtstag. Robert, er ist Ethnologe. Nein, du kennst ihn nicht. Ich hab ihm einen Jagdfetisch gekauft, das ist so’n… Mama, ich bin dreiunddreißig Jahre, hör endlich auf, mich wie ein Kind zu behandeln!“ Auf besagten Robert, der, wie sich kurz darauf herausstellt, der feste Freund unserer Heldin ist, wartet ein Geschenk, über das ich mich auch freuen würde: eine Dämonengestalt aus Schwarzholz, hübsch exotisch, um zu zeigen, dass das Böse immer von Draußen, nie von Drinnen kommt. Als Begleitung dieses „Jagdfetisches“ gibt es ein Bilderbuch, in dem unserer Frau (langsam beginnt es zu nerven, dass die Gute scheinbar keinen Namen hat) im weiteren Abendverlauf angeregt blättert, und dabei Photographien von beispielweise Kopfgeldjägern und ihrer Beute enthüllt, die in keinem Mondo negativ auffallen würden. Schließlich nimmt sie ein Bad und der offenbar im Fetisch wohnende Buschdämon Besitz von der ebenfalls namenlosen Pussy, was zu einem Duell auf Leben und Tod zwischen Mensch und Tier führt – oder eben zu dem, was Regisseur Volker Morlock (ein Künstlername?) in Anbetracht seiner begrenzten künstlerischen und finanziellen Mitteln für ein solches hält. Das Kätzchen springt herum, das Licht geht an und aus, die Kamera wird unruhig. Leider sieht man die Katze, anders als bei Fulci, nie in voller Schönheit – was jedoch auch nicht dabei hilft, die Illusion zu erwecken, unsere Heldin würde wirklich mit ihrer Mieze kämpfen, und der holprige Schnitt nicht nur so tun, als ob.
Letztlich ist die Idee ganz nett, aber nicht wirklich originell und zudem ziemlich konventionell umgesetzt, wenn auch die Hitchcock-Mutterkomplexnummer halbwegs sinnvoll in das Geschehen eingebunden wurde, aber was nutzt das bei einem Film, der derart vorhersehbar abläuft wie dieser?
2) JULIA
„Jenseits dem, was der Menschheit bekannt ist, existiert eine Welt, die größer ist als das Universum und zeitlos wie die Unendlichkeit. Eine Welt, in der Angst und Schrecken nicht zu erklären sind. Betreten Sie diese Welt, doch versuchen Sie nicht, sie zu verstehen.“ Was da zu 80er-Synthie-Flächen und stilistisch an Werbefilme erinnernden Detail- und Großaufnahmen von Kristallen mit monotoner, irgendwie unmenschlich klingender Männerstimme vorgelesen wird, lässt mich an zwei Dinge denken: zum einen an meditative Stunden eines hinterhöfischen Astro-Channels, zum anderen an die Anfänge von trashigen Science-Fiction-Filmen wie PLAN 9 FROM OUTER SPACE oder STAR CRASH. JULIA indes ist nichts dergleichen, sondern hat sich inhaltlich dem wesentlich erdgebundenerem Doppelgängermotiv verschrieben. Dabei greift der Film natürlich auf eine reiche Tradition zurück. Schon in der deutschen Romantik erfuhren unheimliche Doppelgänger einen regelrechten Boom – man lese zum Beispiel E.T.A. Hoffmanns DIE ELIXIERE DES TEUFELS oder Adelbert von Chamissos PETER SCHLEMIHLS WUNDERSAME GESCHICHTE -, außerdem ist einer der ersten (nicht nur deutschen) überlieferten Horrorfilme überhaupt eben einer mit genau dieser Thematik: DER STUDENT VON PRAG aus dem Jahre 1913, bei dem es bis heute nicht ganz klar ist, wer wann und wie oft Regie geführt hat.
Falls Regisseurin Susanne Aernicke sich auf irgendeine Tradition hat berufen wollen, kommt das in JULIA indes nicht wirklich durch. Unsere Heldin ist die Ehefrau eines offenkundigen Starpolitikers, der seine Zeit zwischen Konferenzen, TV-Auftritten und Wahlveranstaltungen aufteilt. An seiner Seite lebt Julia ein Luxusleben der erschreckendsten Oberflächlichkeiten. Schmuck, teure Parfüms und Kleider sind die Dinge, mit denen sie von ihren ausgiebigen Shoppingtouren heimkehrt - bis sie in einem dieser Läden eine Frau entdeckt, die exakt so aussieht wie sie selbst. Als sie sie zu verfolgen versucht, nimmt sie unbeabsichtigt einen – hust – mysteriösen Spiegel mit sich, wird dann aber vom Ladendetektiv noch rechtzeitig gepackt und zur Rechenschaft gezogen. Ihr wenig begeisterter Ehemann, mit dem sie kurz darauf telefoniert, liefert eine der besten Zeilen des Films. Er lamentiert, nachdem er aufgelegt hat: „So kurz vor den Wahlen und nichts als Ärger mit dieser Frau!“ Diese Frau hat aber ebenfalls Ärger, stellt sie doch fest, dass ihre Doppelgängerin offenbar vorhat, sich in ihr Leben und sie damit zu ver-drängen. Sie schläft mit ihrem Ehemann, taucht völlig unvermittelt in ihren vier Wänden auf. Julia sieht keine andere Möglichkeit als mit Waffengewalt bzw. eben dem, was die Küche einer gutsituierten Familie so alles hergibt, gegen ihre Feindin vorzugehen.
Trotz weiblicher Verantwortlichen ist JULIA nichts weniger als ein Film mit wenigstens zaghaftem feministischem Ansatz, stattdessen wird eine spannungsarme Geschichte, unterlegt von furchtbarer 80er-Dosenmusik, relativ spannungsarm erzählt. Dass JULIA inhaltlich kein bisschen Sinn ergibt, liegt natürlich an der „Welt, die größer ist als das Universum und zeitlos wie die Unendlichkeit“, und die in die, die wir unsere Realität nennen, unbarmherzig einbricht. Bei Argento und Fulci hat dieser Einbruch allerdings genuin filmische Qualitäten, an die JULIA nicht im Traum rankommt.
3) Kristalltod
Waren in MALUM und JULIA Bezüge zum italienischen Horrorkino stets derart vage, dass man auch von Zufall hätte sprechen können, muss Regisseur Pascal Hoffmann mindestens SUSPIRIA, TENEBRAE oder PROFONDO ROSSO mehrmals gesehen und ziemlich verinnerlicht haben. KRISTALLTOD beginnt mit Kinderzeichnungen, die auch aus PROFONDO ROSSO hätten stammen können. Zwei Frauen werden in einem Wohnhaus von einem schwarzbehandschuhten Killer gehetzt und gemeuchelt wie in TENEBRAE. Eine Szene, in der die Arme des Mörders rational kaum nachvollziehbar durch einen Badezimmerspiegel schießen, um eine der Frauen am Hals zu greifen, ist offensichtlich vom Auftakt zum ersten Mord in SUSPIRIA inspiriert. Der gesichtslose Schlächter, der unseren beiden (schon wieder namenlosen) Freundinnen nachstellt, ist aber kein Hexenwesen, kein christlich-rigider Moralapostel, keine geisteskranke Übermutter, sondern entspringt einer durchaus originellen Rahmengeschichte.
Am frühen Abend der Nacht, in der sie sterben werden, sind unsere Heldinnen auf Seitengassen unterwegs nach Hause. Einer der Damen fällt plötzlich ein: „Ach, sowas Blödes! Ich hab doch das Haarspray vergessen! Hoffentlich krieg ich da noch welches.“ Da hat Mädchen #2 schon einen Antiquitätenladen erspäht, an dem man offenbar noch nie zuvor vorbeigekommen ist. „Lass uns da mal reinschauen!“, schlägt sie vor, doch Mädchen #1 ist überhaupt nicht begeistert: „Nee, wir habens doch eilig. Wir müssen doch noch in den Supermarkt.“ – „Nur ganz kurz.“ - „Och, weißte! Und dann stehen wir wieder das ganze Wochenende vor nem leeren Kühlschrank“, warnt die Vernünftige der Beiden und bereut ihr Nachgeben spätestens, als Mädchen #1 aus dem Antiquariat, das von einem kleinen Mädchen und einem Greis geführt wird, einen kostbar ausschauenden Kristall hat mitgehen lassen. Kaum sind die wenig sympathischen Freundinnen allerdings wieder draußen, setzen sich Urgroßvater und Enkelin zu einer ungewöhnlichen Schachpartie zusammen, bei der einzig ein schwarzer König und zwei weiße Königinnen auf dem Brett sind. Jedem dürfte dämmern: der schwarze König, das ist der Handschuhkiller, die weißen Königinnen sind unsere Heldinnen, ihr verzweifelter Todeskampf ist demnach nichts weiter als eine Übersetzung des andauernden Schachspiels in die sogenannte Wirklichkeit.
Ob mir persönlich diese Idee nun gefällt – viel weiter erklärt wird die Hintergrundgeschichte nämlich nicht -, sei einmal dahingestellt, immerhin ist KRISTALLTOD visuell für einen Amateurfilm, dem man sein geringes Budget ansieht, vielleicht nicht unbedingt eine Augenweide, aber doch eine halbhohe Augenbirke, die sich freilich nie mit den Großtaten von Bava, Argento oder Fulci auch nur zu messen wagen würde, im Kontext der vorliegenden Sammlung indes der mit Abstand beste, empfehlenswerteste und unterhaltsamste Film darstellt.
4) BIS DASS DER TOD UNS SCHEIDET
BIS DASS DER TOD UNS SCHEIDET wiederum ist im Kontext der vorliegenden Sammlung der mit Abstand schlechteste, vermeidenswürdigste und sterbenslangweiligste Film, und kündet nachdrücklich von der Unfähigkeit des Regisseurs Dirk Eichhoff, mehr zu liefern als eine hauptsächlich über geschwätzige Dialoge erzählte Spukgeschichte, die zu keinem Zeitpunkt interessant oder wenigstens unfreiwillig komisch wird. Ein bisschen erinnert sie an Lamberto Bavas PER SIEMPRE, einen Film, der ebenfalls nur dann gewinnt, wenn man ihn mit welchen vergleicht, die noch reizloser daherkommen. Leider ist BIS DASS DER TOD UNS SCHEIDET, übrigens der einzige der vier Filme, der mit Englisch als Originalsprache gedreht wurde, bei einer Länge von knapp vierzig Minuten eine wahre Geduldsprobe, in der keine Gewaltspitze, kein kreativer Einfall, keine Dramatik der Handlung für Abwechslung sorgen darf.
Eine Frau hat ihren Ehemann in Streit und Notwehr erstochen. Nach langer Zeit kehrt sie in ihr gemeinschaftliches Haus zurück. Lange diskutiert sie mit einer Freundin über das Für und Wider ihrer Entscheidung. Dazwischen hat sie Flashbacks an die tragische Tat. Die Frage, ob ihr Ehemann wirklich tot ist, stellt sich, als ein unheimlicher Eindringling im Haus auftaucht. Aber nein – Spoiler Warnung! -, es ist bloß sein von ihm bei der Geburt getrennter Zwillingsbruder, der Rache üben will, und so weiter, und wenn die Ausleuchtung nur ein bisschen heller wäre, würde ich jedem glauben, der mir BIS DASS DER TOD UNS SCHEIDET als Extended-Folge einer beliebigen Vorabendserie verkaufen würde. Herzschmerz, ein Frauenschicksal, Liebe über den Tod hinaus, große Augen voller Tränen und Empfindsamkeit: als Heftchenroman am Zeitschriftenkiosk hätte BIS DASS DER TOD UNS SCHEIDET auch keine schlechten Karten, nur als Horrorfilm ist das Ganze überhaupt nicht zu gebrauchen. Das wahre Gruselige scheint mir zu sein, dass die Verantwortlichen wirklich glauben, Atmosphäre könne allein dadurch entstehen, dass man ein paar talking heads behaupten lässt, sie sei entstanden.
Fassen wir zusammen: eine Episode ist zum Davonlaufen, zwei kann man sich mit niedriger Erwartungshaltung anschauen ohne allzu enttäuscht zu werden, eine einzige bereitet einem unter der Prämisse einer low-budgierten Hommage an das italienische Horrorkino der 70er und 80er die eine oder andere unterhaltsame Minute. Ob das ausreicht, die DVD für fünf bis zehn Cent von ihrem Wühltischchenliegen zu nehmen, muss jeder für sich selbst entscheiden.