Nosferatu in Brazil - Ivan Cardoso
Verfasst: So 4. Aug 2013, 13:32
Originaltitel: Nosferatu on Brasil
Herstellungsland: Brasilien 1970
Regie: Ivan Cardoso
"I like surreal things, I like Lynch's early films and short animated bizzare stuff, I like Svankmajer's surreal animations ... but this - what is this ?! I can't figure out what author tried except to show bunch of sequences without any sense ... or I just can't find any meaning in this ? - Sorry, but I don't. - 1/10 from me ..."
User arminio am 3.7.2003 auf http://www.imdb.com/title/tt0126546/
NOSFERATU ON BRASIL ist ein 1970 vom – natürlich - brasilianischen Regisseur und José-Mojica-Marins-Schüler Ivan Cardoso auf Super 8 gedrehtes, mit einer Laufzeit von nicht einmal dreißig Minuten aufwartendes und, wie der Titel bereits vollmundig verkündet, dem Vampir-Genre zugehöriges Schauerstück, das komplett ohne Dialoge auskommt und, ganz in Stummfilmmanier, tonlos aufgenommene Spielszenen mit einem externen Soundtrack verbindet, der hauptsächlich aus zeitgenössischem und für heutige Ohren mehr oder minder unterhaltsamen, sacht psychedelisch angehauchter Beat-Musik westlicher Prägung besteht. Verglichen werden kann dieses im Grunde völlig unbekannte Projekt, dessen Hauptverantwortlicher es erst in den 80ern zu einigem Ruhm in den hartgesottensten Trash-Film-Kreisen bringen sollte, meiner Meinung nach noch am ehesten mit CUADECUC, VAMPIR, einem 1971 veröffentlichten Frühwerk des spanischen Experimentalfilmers Pere Portabella, bei dem dieser den Umstand, dass er Jess Franco beim Dreh zu dessen überraschend konventionell und geordnet geratenen DRACULA-Adaption EL CONDE DRÁCULA über die Schulter blicken durfte, eben nicht dazu verwendete, ein ebenso konventionelles und geordnetes Making-Of zu produzieren, sondern das eingefangene Material lediglich als Fundament benutzte, um auf diesem seine eigene Narration der klassischen Geschichte zu errichten. Portabellas Film wird dadurch zu einer reinen Zitatensammlung, zu einer Anhäufung und Koppelung fragmentarischer Versatzstücke der altbekannten Stokerschen Blutsaugertragödie sowie Bildern, die die Dreharbeiten selbst zum Thema haben und beispielweise in selbstreflexiver Offenheit zeigen wie Franco und sein Team etwas Kunstblut auf den Körpern der Schauspieler verteilen. Um mit dem Zuschauer, dessen Genre-Wissen und den daraus resultierenden Erwartungshaltungen zu spielen, ordnet Portabella das Material Francos neu ohne es in irgendeiner Weise zu verfremden. Er begnügt sich mit dem Gegebenen, mit den nackten Bildern, auf deren Wirkung er so sehr vertraut, dass er es sich sogar leisten kann, den Ton komplett abzustellen und sie stattdessen mit einem beunruhigenden Noise-Klanglandschaft zu unterlegen, die erst am Ende von der Stimme des Dracula-Darstellers Christopher Lee durchbrochen wird, wenn dieser höchstironisch das Finale aus Bram Stokers Romanvorlage vorliest und somit ein Medium das andere ausstechen lässt. Portabella ist mit CUADECUC, VAMPIR somit ein bemerkenswerter postmoderner Filmessay gelungen, in dem er die grundsätzliche Manipulierbarkeit von Bildern ebenso thematisiert wie die in Traditionen erstarrte Genre-Mentalität des kommerziellen Filmbetriebs. Mit Cardosos NOSFERATU ON BRASIL teilt er damit zum einen seine vollkommene Dialogarmut, sodann die Tatsache, dass die Struktur beider Filme eine voller Brüche und Sprünge ist und nicht zuletzt die Versetzung einer der beliebtesten Horror-Mythen der europäischen und US-amerikanischen Welt in einen neuen Kontext: bei Portabella in den eines assoziativen Experimentalfilm-Kaleidoskops, bei Cardoso in das sonnige Brasilien der Moderne.
Damit enden die Gemeinsamkeiten aber fast schon. NOSFERATU ON BRASIL bedient sich, was seine Bilder betrifft, keiner Fremdaufnahmen. Sämtliche Szenen sind von Cardoso und seinem sicherlich überschaubaren Mitarbeiterkreis selbst geschaffen worden. Auch inhaltlich hat man sich aufs Wesentlichste beschränkt. Zwar trägt der titelgebende Nosferatu, der es von seinem Heimatland Budapest nach Copacabana schafft, einen fledermaushaften Umhang und verbringt stereotyp seine Nächte damit, vor allem junge Mädchen im wahrsten Sinne des Wortes aufzureißen, aber eben auch seine Tage, da die Vampire im Cardoso-Universum völlig resident gegen Sonnenstrahlen zu sein scheinen und sich daher munter selbst im grellsten, lateinamerikanischen Sonnenschein zwischen Palmen und Sandstränden bewegen, was einen Rezipienten, der mit den Vampir-Verkörperungen eines Max Schreck, eines Bela Lugosi oder eben eines Christopher Lee vertraut ist, mindestens irritieren muss. Ebenso irritierend ist die Art und Weise, wie Cardoso diese zumindest im Kern originelle Idee letztlich in die Tat umsetzt. NOSFERATU ON BRASIL kommt nämlich, im Gegensatz zu CUADECUC, VAMPIR, nicht nur ohne Dialoge, sondern auch gänzlich ohne Handlung aus. Jegliche, wenn auch noch so rudimentären filmdramatische Mittel ungenutzt liegenlassend, ist NOSFERATU ON BRASIL von der ersten Minute an eine bloße Nummernrevue. Der Vampir hangelt sich von einem Hals zum nächsten, er lauert seinen Opfern in Parks auf, fällt über Liebespaare her, lässt sich als Hitchcicker mitnehmen und merzt die Insassen des Fahrzeugs aus. Eine halbe Stunde lang reiht Cardoso eine Verfolgungs- und Mordszene an die andere, ohne dass diese ein anderer roter Faden zusammenhalten würde als der, dass es eben der immergleiche Täter ist, der die Gräuel verursacht. Vielleicht würde das an so manchen deutschen Amateur-Splatterfilm der 90er erinnern, jene Filme eines Andreas Schnaas und Konsorten, in deren Mittelpunkt nur die möglichst erfindungsreiche Destruktion menschlicher Körper steht, der alle technischen, künstlerischen oder dramaturgischen Aspekte rigoros untergeordnet sind, dafür ist Cardoso dann aber doch viel zu zahm und blutarm in seinen Gewaltdarstellungen, und andererseits tragen Look und Machart des Films eher dazu bei, NOSFERATU ON BRASIL für einen vergessenen Stummfilm zu halten, ein archaisches Artefakt aus der Zeit, in der das Kino dem Jahrmarkt noch nicht entwachsen gewesen ist und primitiv, grobschlächtig und unbeholfen bloße Action- oder Handlungsszenen ohne jegliche Psychologie zusammenknüpfte. Sichtbare Automatenmensch, leere Schablonenhülsen sind die Figuren in NOSFERATU ON BRASIL, aus denen nicht einmal der Vampir selbst durch irgendetwas Eigenes heraussticht. Im Grunde könnte man die einzelnen Szenen wild durcheinanderwirbeln und es würde wohl nicht einmal den Verantwortlichen selbst auffallen, da, wie gesagt, keine die andere bedingt und der gesamte Film tatsächlich so wirkt, als sei er an freien Wochenenden als reines Spaßprojekt gedreht worden, ohne dass die Macher damit irgendeine kommerzielle Absicht verbunden hätten. Um die Vampir-Attacken in ihrer Monotonie wenigstens ein bisschen aufzulockern, fiel Cardoso schlussendlich auch nichts Besse-res ein als wahllose Landschafts- und Stadtimpressionen seines Heimatlandes einzuflechten, die auch aus dem Werbevideo eines Offenen Kanals Brasiliens oder aus einem Touristen-Sight-Seeing-Video ohne Sight-Seeings hätten stammen können. Etwa in der Mitte des Films befindet sich zudem eine etwas wirre Montagesequenz, in der der Zuschauer neben Bildern von Schädel- und Knochenhäufen die schönsten bisherigen Szenen in einer Art Best-Of noch einmal als Stills präsentiert bekommt. Ein möglicher Kritikpunkt wäre außerdem die Musikauswahl. Cardoso greift hierbei eben nicht auf zur damalige Zeit politisch wie künstlerisch progressive brasilianische Interpreten wie beispielweise die Os Mutantes oder Caetano Veloso zurück, die freilich ebenfalls stark von westlicher Popmusik geprägt sind, aus der Synthese dieser fremdländischen Sounds mit ihrer eigenen musikalischen Tradition indes etwas durchaus genuin Brasilianisches erschufen, vielmehr untermalt er seinen Film mit zumeist höchstens nettem Sixties-Beat-Pop, belanglosem Easy-Listening und einmal gar einem erdigen Blues, also Kompositionen, die so überhaupt nicht zu den tropischen Sommerbildern und den voyeuristisch abgefilmten Bikinimädchen passen wollen.
Man könnte hier aufhören, NOSFERATU ON BRASIL mehr von seiner kostbaren Zeit zu schenken und das Ganze als substanzlose Amateu-Video-Rarität abtun, wenn es nicht noch eine zweite Lesart geben würde, die Cardoso dann doch wieder näher an Portabella heranrückt als es zunächst den Anschein macht. Bezeichnend ist zunächst einmal die Titelsequenz. Hier hat man die Namen der Besetzung und des Stabs auf – nehme ich an – Pappkartons verewigt, die man danach einfach der Kameralinse vor die Nase hält. Als der Name des Films erscheint, lässt Cardoso es sich nicht nehmen, einen guten Schwall Kunstblut über die improvisierte Titelkarte zu schütten, eine Geste, in der ich doch zumindest ein Augenzwinkern zu erkennen meine, das dem Betrachter sagen zu wollen scheint, dass es den Menschen hinter der Kamera durchaus bewusst ist, dass sie gerade an einem Film arbeiten, über dessen billige Machart es keinen Zweifel geben kann. Geradezu parodistisch wird es in einer späteren Szene, wenn der Vampir sich an einem Werbekatalogstrand einen Cocktail gönnt und, in Badeshorts steckend, aufs Meer hinausschmachtet. Der Vampir, dessen Herkunft aus Budapest zu Beginn mehr als deutlich unterstrichen wird, wirkt gerade in dieser Szene wie ein Fremdkörper, der sich in eine Welt verirrt hat, in die er einfach nicht gehört. Somit verbreitet es eben keinen Schrecken oder auch nur ein wohliges Gruseln, sondern es hat mehr mit unfreiwilliger Komik zu tun, wenn er auf sonnenbeschienen Plätzen und in dschungelähnlicher Vegetation Bikinischönheiten hinterherstellt. Während in den Filmen des wohl einflussreichsten und wichtigstes brasilianischen Horrorregisseurs José-Mojica-Marins zumindest in seinem frühen Oeuvre die spezifisch nationalen Wurzeln frappierend ins Augen springen, aus denen seine nur unterschwellig an angloamerikanische Vorbilder angelehnten Schocker letztlich gewachsen sind – seine berühmteste Figur, die des nihilistischen, proto-faschistischen Dorftotengräbers Zé do Caixão, kann man sich zum Beispiel unschwer außerhalb eines rein brasilianischen Kontextes vorstellen -, könnte NOSFERATU ON BRASIL, so wie er vorliegt, in jedem beliebigen Land hergestellt worden sein, das über Sandstrände, Palmwäldchen und Kokosnüsse verfügt. Selbst die Einblicke in Brasiliens Land und Leute, die Cardoso immer wieder herbeizieht, um die bloßen Saug- und Fangszenen etwas aufzulockern, sind nichts weiter als klischeehafte Bilder ohne Seele, die dem Rezi-pienten noch weniger über die Mentalität, die Kultur Brasiliens als ein Blick in einen Reisekatalog verrät.
Was aber wäre, wenn all diese Kritikpunkte einem Konzept Rechnung tragen, mit dem Cardoso ganz bewusst einen vermeintlich verhüllten Angriff auf eben das Kino hatte starten wollen, das aus seiner Perspektive die Welt mit seelenloser, in der Stummfilmzeit klebengebliebener Melodramatik überschwemmt, eben das Kino, dem nicht nur Jean-Luc Godard wenige Jahre zuvor mit Filmen wie WEEK END oder ONE PLUS ONE den Kampf ansagte, den großen Traumfabriken wie Hollywood, Cinecittà, Pinewood, Mosfilm, die, wie man es kaum anders von ihnen erwarten kann, ihr Publikum mit schönen (oder eben grässlichen)Träumen versorgen, um sie am Aufwachen zu hindern? In gewisser Weise liefert NOSFERATU ON BRASIL den Zuschauern, die sich den Film in Vorfreude eines reichlich blutigen und freizügigen Bahnhofsvergnügens anschauen, exakt das, was sie von ihm erwarten. Mit einer anspruchsvollen Handlung braucht man sich gar nicht erst aufhalten, es reicht, dass da ein Antagonist ist, der beißt und metzelt, und eine Riege ansehnlicher Damen, die sich von ihm beißen und metzeln lassen, alles, was einen Film normalerweise in den Status eines Kunstwerks oder wenigstens eines Kulturguts erhebt, entbehrt NOSFERATU ON BRASIL wie selbstverständlich. Als anti-kapitalistisches, anti-kolonialistisches Statement würde Cardosos Debut jedoch gerade deshalb Sinn machen, und das nicht nur, weil die Figur des Vampirs nicht erst seit marxistischer Deutung durchaus mit einem System gleichgesetzt werden kann, in dem die (ökonomische) Ausbeutung auf der Tagesordnung steht. Näher an aufrüttelnden, essayistischen Werken eines sogenannten „Dritten Kinos“, die das Loslösen von der nicht eigenen, sondern den westlichen Industrieländern entsprungenen Filmhistorie postulieren, wie dem in dieser Hinsicht klassischen, 1968 entstandenen HORA DE LOS HORNOS der beiden Argentinier Fernando E. Solanas und Octavio Gentio, könnte man NOSFERATU ON BRASIL als eine einzige Anklage verstehen, als einen Protest, der sich der Mittel des Feindes bedient, um sie so affirmativ zu verwenden, dass sie sich am Ende gegen sich selbst kehren und ihre eigenen Mechanismen ad absurdum führen. NOSFERATU ON BRASIL wäre dann ein ausgestreckter Zeigefinger, der sich in die Wunde bohrt und schreit: seht euch an, mit welchen stumpfsinnigen, platten, filmischen Kolonialwaren unsere Zivilisation überschwemmt wird!, und dabei, etwas leiser, die Frage stellt: wäre es nicht möglich, diesen eine Bildsprache entgegenzusetzen, die ihren reaktionären Charakter so nachhaltig aufdeckt, dass sie darüber zu Staub zerfallen? Dass der Vampir am Ende, nachdem er die weibliche Bevölkerung Rios etwas dezimiert und, auf einer Metaebene, die Filmlandschaft Brasiliens mit einem weiteren hanebüchenen Billigststreifen für Leute, die nicht genügend Imaginationskraft haben, um ihre Wichsvorlagen und Gewaltphantasien mit eigenen Mitteln hervorzuzaubern, verpestet hat, nach Europa zurückkehrt, gibt immerhin Anlass zu dem Hauch von Hoffnung, dass sein Einfluss, obwohl schon immun gegen das Licht der Aufklärung, irgendwann einmal nur noch ein zerfleddernder Schatten sein könnte.
Um noch einmal den Vergleich mit CUADECUC, VAMPIR zu bemühen: beides sind für mich destruktive Filme, und auf ihre Weise typisch für das geistige Klima, in dem sie entstanden. Während Petrobello aber in dem Wissen zerstört, dass er aus dem Zerlegten und Zerrissenen etwas Neues hervorsprießen lassen wird, wäre das für Cardosos Film zutreffende Bild das eines Pferdes, das man so lange und so intensiv reitet bis es unter einem tot zusammenbricht. Oder anders gesagt: NOSFERATU ON BRASIL ist die vorausgehende Bitte und CUADECUC, VAMPIR ihre geforderte Erfüllung.
P.S.: Den Film in all seiner Glorie kann man sich übrigens hier zu Gemüte führen:
Herstellungsland: Brasilien 1970
Regie: Ivan Cardoso
"I like surreal things, I like Lynch's early films and short animated bizzare stuff, I like Svankmajer's surreal animations ... but this - what is this ?! I can't figure out what author tried except to show bunch of sequences without any sense ... or I just can't find any meaning in this ? - Sorry, but I don't. - 1/10 from me ..."
User arminio am 3.7.2003 auf http://www.imdb.com/title/tt0126546/
NOSFERATU ON BRASIL ist ein 1970 vom – natürlich - brasilianischen Regisseur und José-Mojica-Marins-Schüler Ivan Cardoso auf Super 8 gedrehtes, mit einer Laufzeit von nicht einmal dreißig Minuten aufwartendes und, wie der Titel bereits vollmundig verkündet, dem Vampir-Genre zugehöriges Schauerstück, das komplett ohne Dialoge auskommt und, ganz in Stummfilmmanier, tonlos aufgenommene Spielszenen mit einem externen Soundtrack verbindet, der hauptsächlich aus zeitgenössischem und für heutige Ohren mehr oder minder unterhaltsamen, sacht psychedelisch angehauchter Beat-Musik westlicher Prägung besteht. Verglichen werden kann dieses im Grunde völlig unbekannte Projekt, dessen Hauptverantwortlicher es erst in den 80ern zu einigem Ruhm in den hartgesottensten Trash-Film-Kreisen bringen sollte, meiner Meinung nach noch am ehesten mit CUADECUC, VAMPIR, einem 1971 veröffentlichten Frühwerk des spanischen Experimentalfilmers Pere Portabella, bei dem dieser den Umstand, dass er Jess Franco beim Dreh zu dessen überraschend konventionell und geordnet geratenen DRACULA-Adaption EL CONDE DRÁCULA über die Schulter blicken durfte, eben nicht dazu verwendete, ein ebenso konventionelles und geordnetes Making-Of zu produzieren, sondern das eingefangene Material lediglich als Fundament benutzte, um auf diesem seine eigene Narration der klassischen Geschichte zu errichten. Portabellas Film wird dadurch zu einer reinen Zitatensammlung, zu einer Anhäufung und Koppelung fragmentarischer Versatzstücke der altbekannten Stokerschen Blutsaugertragödie sowie Bildern, die die Dreharbeiten selbst zum Thema haben und beispielweise in selbstreflexiver Offenheit zeigen wie Franco und sein Team etwas Kunstblut auf den Körpern der Schauspieler verteilen. Um mit dem Zuschauer, dessen Genre-Wissen und den daraus resultierenden Erwartungshaltungen zu spielen, ordnet Portabella das Material Francos neu ohne es in irgendeiner Weise zu verfremden. Er begnügt sich mit dem Gegebenen, mit den nackten Bildern, auf deren Wirkung er so sehr vertraut, dass er es sich sogar leisten kann, den Ton komplett abzustellen und sie stattdessen mit einem beunruhigenden Noise-Klanglandschaft zu unterlegen, die erst am Ende von der Stimme des Dracula-Darstellers Christopher Lee durchbrochen wird, wenn dieser höchstironisch das Finale aus Bram Stokers Romanvorlage vorliest und somit ein Medium das andere ausstechen lässt. Portabella ist mit CUADECUC, VAMPIR somit ein bemerkenswerter postmoderner Filmessay gelungen, in dem er die grundsätzliche Manipulierbarkeit von Bildern ebenso thematisiert wie die in Traditionen erstarrte Genre-Mentalität des kommerziellen Filmbetriebs. Mit Cardosos NOSFERATU ON BRASIL teilt er damit zum einen seine vollkommene Dialogarmut, sodann die Tatsache, dass die Struktur beider Filme eine voller Brüche und Sprünge ist und nicht zuletzt die Versetzung einer der beliebtesten Horror-Mythen der europäischen und US-amerikanischen Welt in einen neuen Kontext: bei Portabella in den eines assoziativen Experimentalfilm-Kaleidoskops, bei Cardoso in das sonnige Brasilien der Moderne.
Damit enden die Gemeinsamkeiten aber fast schon. NOSFERATU ON BRASIL bedient sich, was seine Bilder betrifft, keiner Fremdaufnahmen. Sämtliche Szenen sind von Cardoso und seinem sicherlich überschaubaren Mitarbeiterkreis selbst geschaffen worden. Auch inhaltlich hat man sich aufs Wesentlichste beschränkt. Zwar trägt der titelgebende Nosferatu, der es von seinem Heimatland Budapest nach Copacabana schafft, einen fledermaushaften Umhang und verbringt stereotyp seine Nächte damit, vor allem junge Mädchen im wahrsten Sinne des Wortes aufzureißen, aber eben auch seine Tage, da die Vampire im Cardoso-Universum völlig resident gegen Sonnenstrahlen zu sein scheinen und sich daher munter selbst im grellsten, lateinamerikanischen Sonnenschein zwischen Palmen und Sandstränden bewegen, was einen Rezipienten, der mit den Vampir-Verkörperungen eines Max Schreck, eines Bela Lugosi oder eben eines Christopher Lee vertraut ist, mindestens irritieren muss. Ebenso irritierend ist die Art und Weise, wie Cardoso diese zumindest im Kern originelle Idee letztlich in die Tat umsetzt. NOSFERATU ON BRASIL kommt nämlich, im Gegensatz zu CUADECUC, VAMPIR, nicht nur ohne Dialoge, sondern auch gänzlich ohne Handlung aus. Jegliche, wenn auch noch so rudimentären filmdramatische Mittel ungenutzt liegenlassend, ist NOSFERATU ON BRASIL von der ersten Minute an eine bloße Nummernrevue. Der Vampir hangelt sich von einem Hals zum nächsten, er lauert seinen Opfern in Parks auf, fällt über Liebespaare her, lässt sich als Hitchcicker mitnehmen und merzt die Insassen des Fahrzeugs aus. Eine halbe Stunde lang reiht Cardoso eine Verfolgungs- und Mordszene an die andere, ohne dass diese ein anderer roter Faden zusammenhalten würde als der, dass es eben der immergleiche Täter ist, der die Gräuel verursacht. Vielleicht würde das an so manchen deutschen Amateur-Splatterfilm der 90er erinnern, jene Filme eines Andreas Schnaas und Konsorten, in deren Mittelpunkt nur die möglichst erfindungsreiche Destruktion menschlicher Körper steht, der alle technischen, künstlerischen oder dramaturgischen Aspekte rigoros untergeordnet sind, dafür ist Cardoso dann aber doch viel zu zahm und blutarm in seinen Gewaltdarstellungen, und andererseits tragen Look und Machart des Films eher dazu bei, NOSFERATU ON BRASIL für einen vergessenen Stummfilm zu halten, ein archaisches Artefakt aus der Zeit, in der das Kino dem Jahrmarkt noch nicht entwachsen gewesen ist und primitiv, grobschlächtig und unbeholfen bloße Action- oder Handlungsszenen ohne jegliche Psychologie zusammenknüpfte. Sichtbare Automatenmensch, leere Schablonenhülsen sind die Figuren in NOSFERATU ON BRASIL, aus denen nicht einmal der Vampir selbst durch irgendetwas Eigenes heraussticht. Im Grunde könnte man die einzelnen Szenen wild durcheinanderwirbeln und es würde wohl nicht einmal den Verantwortlichen selbst auffallen, da, wie gesagt, keine die andere bedingt und der gesamte Film tatsächlich so wirkt, als sei er an freien Wochenenden als reines Spaßprojekt gedreht worden, ohne dass die Macher damit irgendeine kommerzielle Absicht verbunden hätten. Um die Vampir-Attacken in ihrer Monotonie wenigstens ein bisschen aufzulockern, fiel Cardoso schlussendlich auch nichts Besse-res ein als wahllose Landschafts- und Stadtimpressionen seines Heimatlandes einzuflechten, die auch aus dem Werbevideo eines Offenen Kanals Brasiliens oder aus einem Touristen-Sight-Seeing-Video ohne Sight-Seeings hätten stammen können. Etwa in der Mitte des Films befindet sich zudem eine etwas wirre Montagesequenz, in der der Zuschauer neben Bildern von Schädel- und Knochenhäufen die schönsten bisherigen Szenen in einer Art Best-Of noch einmal als Stills präsentiert bekommt. Ein möglicher Kritikpunkt wäre außerdem die Musikauswahl. Cardoso greift hierbei eben nicht auf zur damalige Zeit politisch wie künstlerisch progressive brasilianische Interpreten wie beispielweise die Os Mutantes oder Caetano Veloso zurück, die freilich ebenfalls stark von westlicher Popmusik geprägt sind, aus der Synthese dieser fremdländischen Sounds mit ihrer eigenen musikalischen Tradition indes etwas durchaus genuin Brasilianisches erschufen, vielmehr untermalt er seinen Film mit zumeist höchstens nettem Sixties-Beat-Pop, belanglosem Easy-Listening und einmal gar einem erdigen Blues, also Kompositionen, die so überhaupt nicht zu den tropischen Sommerbildern und den voyeuristisch abgefilmten Bikinimädchen passen wollen.
Man könnte hier aufhören, NOSFERATU ON BRASIL mehr von seiner kostbaren Zeit zu schenken und das Ganze als substanzlose Amateu-Video-Rarität abtun, wenn es nicht noch eine zweite Lesart geben würde, die Cardoso dann doch wieder näher an Portabella heranrückt als es zunächst den Anschein macht. Bezeichnend ist zunächst einmal die Titelsequenz. Hier hat man die Namen der Besetzung und des Stabs auf – nehme ich an – Pappkartons verewigt, die man danach einfach der Kameralinse vor die Nase hält. Als der Name des Films erscheint, lässt Cardoso es sich nicht nehmen, einen guten Schwall Kunstblut über die improvisierte Titelkarte zu schütten, eine Geste, in der ich doch zumindest ein Augenzwinkern zu erkennen meine, das dem Betrachter sagen zu wollen scheint, dass es den Menschen hinter der Kamera durchaus bewusst ist, dass sie gerade an einem Film arbeiten, über dessen billige Machart es keinen Zweifel geben kann. Geradezu parodistisch wird es in einer späteren Szene, wenn der Vampir sich an einem Werbekatalogstrand einen Cocktail gönnt und, in Badeshorts steckend, aufs Meer hinausschmachtet. Der Vampir, dessen Herkunft aus Budapest zu Beginn mehr als deutlich unterstrichen wird, wirkt gerade in dieser Szene wie ein Fremdkörper, der sich in eine Welt verirrt hat, in die er einfach nicht gehört. Somit verbreitet es eben keinen Schrecken oder auch nur ein wohliges Gruseln, sondern es hat mehr mit unfreiwilliger Komik zu tun, wenn er auf sonnenbeschienen Plätzen und in dschungelähnlicher Vegetation Bikinischönheiten hinterherstellt. Während in den Filmen des wohl einflussreichsten und wichtigstes brasilianischen Horrorregisseurs José-Mojica-Marins zumindest in seinem frühen Oeuvre die spezifisch nationalen Wurzeln frappierend ins Augen springen, aus denen seine nur unterschwellig an angloamerikanische Vorbilder angelehnten Schocker letztlich gewachsen sind – seine berühmteste Figur, die des nihilistischen, proto-faschistischen Dorftotengräbers Zé do Caixão, kann man sich zum Beispiel unschwer außerhalb eines rein brasilianischen Kontextes vorstellen -, könnte NOSFERATU ON BRASIL, so wie er vorliegt, in jedem beliebigen Land hergestellt worden sein, das über Sandstrände, Palmwäldchen und Kokosnüsse verfügt. Selbst die Einblicke in Brasiliens Land und Leute, die Cardoso immer wieder herbeizieht, um die bloßen Saug- und Fangszenen etwas aufzulockern, sind nichts weiter als klischeehafte Bilder ohne Seele, die dem Rezi-pienten noch weniger über die Mentalität, die Kultur Brasiliens als ein Blick in einen Reisekatalog verrät.
Was aber wäre, wenn all diese Kritikpunkte einem Konzept Rechnung tragen, mit dem Cardoso ganz bewusst einen vermeintlich verhüllten Angriff auf eben das Kino hatte starten wollen, das aus seiner Perspektive die Welt mit seelenloser, in der Stummfilmzeit klebengebliebener Melodramatik überschwemmt, eben das Kino, dem nicht nur Jean-Luc Godard wenige Jahre zuvor mit Filmen wie WEEK END oder ONE PLUS ONE den Kampf ansagte, den großen Traumfabriken wie Hollywood, Cinecittà, Pinewood, Mosfilm, die, wie man es kaum anders von ihnen erwarten kann, ihr Publikum mit schönen (oder eben grässlichen)Träumen versorgen, um sie am Aufwachen zu hindern? In gewisser Weise liefert NOSFERATU ON BRASIL den Zuschauern, die sich den Film in Vorfreude eines reichlich blutigen und freizügigen Bahnhofsvergnügens anschauen, exakt das, was sie von ihm erwarten. Mit einer anspruchsvollen Handlung braucht man sich gar nicht erst aufhalten, es reicht, dass da ein Antagonist ist, der beißt und metzelt, und eine Riege ansehnlicher Damen, die sich von ihm beißen und metzeln lassen, alles, was einen Film normalerweise in den Status eines Kunstwerks oder wenigstens eines Kulturguts erhebt, entbehrt NOSFERATU ON BRASIL wie selbstverständlich. Als anti-kapitalistisches, anti-kolonialistisches Statement würde Cardosos Debut jedoch gerade deshalb Sinn machen, und das nicht nur, weil die Figur des Vampirs nicht erst seit marxistischer Deutung durchaus mit einem System gleichgesetzt werden kann, in dem die (ökonomische) Ausbeutung auf der Tagesordnung steht. Näher an aufrüttelnden, essayistischen Werken eines sogenannten „Dritten Kinos“, die das Loslösen von der nicht eigenen, sondern den westlichen Industrieländern entsprungenen Filmhistorie postulieren, wie dem in dieser Hinsicht klassischen, 1968 entstandenen HORA DE LOS HORNOS der beiden Argentinier Fernando E. Solanas und Octavio Gentio, könnte man NOSFERATU ON BRASIL als eine einzige Anklage verstehen, als einen Protest, der sich der Mittel des Feindes bedient, um sie so affirmativ zu verwenden, dass sie sich am Ende gegen sich selbst kehren und ihre eigenen Mechanismen ad absurdum führen. NOSFERATU ON BRASIL wäre dann ein ausgestreckter Zeigefinger, der sich in die Wunde bohrt und schreit: seht euch an, mit welchen stumpfsinnigen, platten, filmischen Kolonialwaren unsere Zivilisation überschwemmt wird!, und dabei, etwas leiser, die Frage stellt: wäre es nicht möglich, diesen eine Bildsprache entgegenzusetzen, die ihren reaktionären Charakter so nachhaltig aufdeckt, dass sie darüber zu Staub zerfallen? Dass der Vampir am Ende, nachdem er die weibliche Bevölkerung Rios etwas dezimiert und, auf einer Metaebene, die Filmlandschaft Brasiliens mit einem weiteren hanebüchenen Billigststreifen für Leute, die nicht genügend Imaginationskraft haben, um ihre Wichsvorlagen und Gewaltphantasien mit eigenen Mitteln hervorzuzaubern, verpestet hat, nach Europa zurückkehrt, gibt immerhin Anlass zu dem Hauch von Hoffnung, dass sein Einfluss, obwohl schon immun gegen das Licht der Aufklärung, irgendwann einmal nur noch ein zerfleddernder Schatten sein könnte.
Um noch einmal den Vergleich mit CUADECUC, VAMPIR zu bemühen: beides sind für mich destruktive Filme, und auf ihre Weise typisch für das geistige Klima, in dem sie entstanden. Während Petrobello aber in dem Wissen zerstört, dass er aus dem Zerlegten und Zerrissenen etwas Neues hervorsprießen lassen wird, wäre das für Cardosos Film zutreffende Bild das eines Pferdes, das man so lange und so intensiv reitet bis es unter einem tot zusammenbricht. Oder anders gesagt: NOSFERATU ON BRASIL ist die vorausgehende Bitte und CUADECUC, VAMPIR ihre geforderte Erfüllung.
P.S.: Den Film in all seiner Glorie kann man sich übrigens hier zu Gemüte führen: