Der Rattengott - Krsto Papic (1976)

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Salvatore Baccaro
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Der Rattengott - Krsto Papic (1976)

Beitrag von Salvatore Baccaro »

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Originaltitel: IZBAVITELJ
Herstellungsland: Kroatien 1976
Regie: Krsto Papic
Darsteller: Ivica Vidovic, Mirjana Majurec, Relja Basic, Fabijan Sovagovic

Nachdem ich auf dem diesjährigen Forentreffen mit Ratten regelrecht beschossen worden bin - selbst in VIRUS ist es ja eine solche, die den Auftakt zu den folgenden Massakern gibt -, dachte ich mir, dass es nicht die schlechteste Idee sei, meinem liebsten Ratten-Horror-Film, nämlich dem 1976 in Kroatien erschienenen IZBAVITELJ, ein paar flüchtige Zeilen zu widmen.

Zunächst zu den Fakten: IZBAVITELJ basiert auf einem 1925 erschienenen, mir leider allerdings bis jetzt unbekannten Roman des russischen Schriftstellers Alexander Grin, und wurde von dem im Februar 2013 verstorbenen Regisseur Kristo Papic inszeniert, dessen hierzulande - und wohl auch international - bekanntester und kommerziell erfolgreichster Film das Werk gewesen sein mag (was sich nicht zuletzt daran zeigt, dass er bereits seit VHS-Zeiten relativ problemlos in einer deutschen Synchronfassung bezogen werden kann), obwohl Papic schon seit den 60ern, sozusagen als kroatische Antwort auf die sogenannte "Schwarze Welle" des Serbischen Kinos, äußerst beklemmende, düstere Dokumentarfilme drehte, von denen exemplarisch hier nur KAD TE MOJA CAKIJA UBODE von 1968 genannt werden soll, eine etwa viertelstündige Studie über die Banalität des Tötens im kroatischen Hinterland, wo Bauern und Bäuerinnen in oftmals lapidaren Ton über diverse Morde oder Totschläge wegen Nichtigkeiten berichten: da hat der eine zu viel getrunken und im Rausch einen anderen angegriffen, zwei Landwirte streiten sich darüber, ob ein bestimmter Trampelpfad nun dem Gebiet des einen oder dem des anderen zugehört und schlagen sich darüber die Köpfe ein - das alles mit einer Beiläufigkeit erzählt, aus der auch die vermeintlichen Polizeiphotos nicht ausbrechen, die die Toten in ihrer ganzen nackten Schauerlichkeit wie auf dem Seziertisch präsentieren. Klar dürfte hier schon sein: Papic ist niemand, der in seinen Filmen die Sonnenseiten des Lebens feiert, sondern richtet seine Kamera lange und unermüdlich in jene Abgründe, von denen Nietzsche schreibt, dass das das beste Mittel sei, sie dazu zu bringen, in einen selbst zurückzuschauen.

IZBAVITELJ stellt darin im Grunde keine Ausnahme dar. Der Großteil der Szenen ist in finsterster Nacht oder zumindest in den Dämmerstunden angesiedelt. Zwar herrscht zu Beginn noch häufig Tageslicht vor, selbst da versteht es Papic aber, die Bilder eben nicht sonnendurchtränkt-milde erscheinen zu lassen, sondern mit einer dunklen, auf das weitere Geschehen vorausdeutenden Patina zu überziehen, indem er es beispielweise konsequent vermeidet, den hellen Himmel direkt in den Fokus der Kamera zu rücken oder aber geschlossene Räume prinzipiell wie Grüfte oder Katakomben zu beleuchten. Gerade im Vergleich zu seinen frühen Dokumentarfilmen wird indes deutlich, dass der schonungslose Realismus, der die Welt in trostlosestem Schwarzweiß schildert, einem Ton und einer Ästhetik gewichen ist, die beide mehr mit den Schauermärchen eines Juraj Herz zu tun haben – nicht zuletzt die den Vorspann untermalenden, unheimlichen Illustrationen könnten in einer Reihe stehen mit denen der nur eingeschränkt für die kleinsten Filmfreunde geeigneten Werke wie PANNA A NETVOR oder DEVÁTÉ SRDCE - oder stellenweise gar an VALERIE A TYDEN DIVU erinnern, ohne freilich an keiner Stelle dessen visuelle Brillanz zu erreichen. In IZBAVITELJ hat Papic das Grauen und die Grausamkeit, bei KAD TE MOJA CAKIJA UBODE noch nicht wegzudenkenden Teil des menschlichen Herzens und damit der menschlichen Gemeinschaft per se, wie es zunächst scheint, nach außen verlagert, ihm eine konkrete, fassbare Gestalt gegeben, eben die eines Rattengottes beziehungsweise - wie der Originaltitel besser übersetzt wäre - eines Rattenmessias, der, irgendeiner uralten Prophezeiung zufolge, Christus-gleich sein Volk, sprich: dämonische, gestaltwandlerische Rattenungeheuer, der versprochenen Herrschaft über unsere Welt entgegenführen soll (inwieweit Bruno Mattei mit IZBAVITELJ vertraut gewesen ist und am Ende gar von ihm für seinen RATS – NOTTE DI TERRORE inspiriert wurde, entzieht sich indes meiner Kenntnis). Den megalomanen Nagern kommt jedenfalls der verkrachte Schriftsteller Ivan in die Quere, der gleich zu Filmbeginn von einem Missgeschick ins nächste gestürzt wird: erst verweigert ihm ein weiterer Verleger die Annahme eines seiner Manuskripte, danach wirkt sich die zwischen den beiden Weltkriegen grassierende Wirtschaftskrise auf sein Leben dahingehend aus, dass ihm seine Wirtin, der er bereits mehrere Monatsmieten schuldet, kurzerhand auf die Straße setzt, und um überhaupt überleben zu können, muss er das Liebste, was ihm bleibt, seine Bücher, zu Schleuderpreisen auf einem improvisierten Flohmarkt verschachern. Der armselige Preis, den er dafür erzielt, reicht allerdings gerade einmal für eine ebenso armselige Mahlzeit, weswegen er sich als Schlafplatz für die Nacht eine Bank im Stadtpark aussucht. Dort entdeckt ihn jedoch ein alter Bekannter, seines Zeichens ehemaliger Ladenbesitzer, dessen Geschäft Konkurs hatte anmelden müssen, und der sich nun als Parkwächter verdingt, und gibt ihm den freundschaftlichen Rat, in einem nahegelegenen, leerstehenden Institutsgebäude zu nächtigen. Ivan, inzwischen in romantischer Liebe zu einer gewissen Sonja entbrannt, die er auf dem Flohmarkt kennengelernt hat, ist gerade dabei, sich in dem weitläufigen, spukigen Gemäuer einzurichten, als ihn ferne Stimmen in einen Festsaal führen, der einer recht seltsamen Gesellschaft dazu dient, eine freizügige Fress- und Sauf-Orgie abzuhalten. Nicht nur, dass die Personen angesichts der landesweiten Krise scheinbar nicht den geringsten Mangel leiden, erstaunt Ivan, der, auf einer Balustrade versteckt, dem Treiben sprachlos zusieht, sondern auch ihr Aussehen irritiert ihn nicht wenig, haben viele der Gestalten doch etwas durchweg Animalisches, um nicht zu sagen: Rattenhaftes, in ihren Gesichtern, wirken auf den ersten Blick zwar wie Menschen, scheinen auf den zweiten aber nichts weniger als das zu sein. Wie es in solchen Filmen der Fall sein muss, wird Ivan natürlich in dem Moment aufgespürt, als der Anführer der Bande eine pathetische, mit schnarrender Stimme vorgetragene Erweckungsrede hält, flieht, schafft es, zu entkommen und wird von den Behörden, denen er am nächsten Morgen seine Erlebnisse schildert, für verrückt erklärt, zumal keine Spuren mehr zu finden sind, die darauf hindeuten, dass überhaupt irgendwer außer Ivan das Institut in letzter Zeit aufgesucht hat. Der Zufall - oder besser: Papics Drehbuch - bringt Ivan nun aber mit Professor Martin Boskovic zusammen, der nicht nur der Vater seiner angehimmelten Sonja ist, sondern ihm zudem auseinandersetzen kann, in was für eine mitternächtliche Party er da ungewollt hineingeplatzt ist. Rattenmonstren sind es, so seine Erklärung, die die Gabe besitzen, sich in Menschen zu verwandeln und deren Endziel darin besteht, die komplette Menschheit durch Doppelgänger ihresgleichen zu ersetzen, um alsbald die neuen Herren des Erdballs zu sein. Dass Boskovic klug genug ist, seine abstrusen These nicht an die größte Glocke zu hängen, sondern nur an eine, mit der er im eingeweihten Kreis seiner Nächsten bimmelt, um mit deren Hilfe für die Rettung der Menschheit zu kämpfen, ist genauso logisch, wie dass Ivan, der ja zusätzlich auf die Liebe Sonjas schielt, ihm bereitwillig seiner Unterstützung im Ausmerzen der langschwänzigen Brut zusichert. So dauert es nicht lange bis sich der greise Professor, die wunderhübsche Sonja und der fesche Ivan einem Feind gegenübersehen, der, was unsere Helden noch nicht wissen, bereits die halbe Stadt unterwandert hat und seine Sporen bis in die höchsten Ministerien ausstreute…

So weit die reine Geschichte, die bei einer oberflächlichen Betrachtung einen politischen Unterton zu haben scheint, den subtil zu nennen übertrieben wäre. Relativ einfach ist es wohl selbst für jeden Nicht-Historiker gewisse Parallelen festzustellen zwischen der inmitten von Arbeitslosigkeit, Hungerleiden und allgemeinem Frust erwachsenden Rattenbewegung, die, aus dem Untergrund kommend, schnell bis an die Gesellschaftsspitze vorgedrungen ist, und einer anderen Organisation, die ab den 20er Jahren stetig an Prominenz zunahm bis sie irgendwann über die Geschicke Deutschlands bestimmte und wenig später einschneidend in die des restlichen Europas eingriff. Papic macht daraus, wie gesagt, alles andere als einen Hehl, sondern reibt seinem Publikum die Parallele zwischen bitterböser Ratte und bitterbösen Nazis regelrecht unter die Nase. Hierfür kann vor allem die Szene als Beweismaterial dienen, in der Ivan das gruslige Treiben der Rattenbande bespitzelt und der Rattenerlöser, in ihn unkenntlich machende Schatten getaucht, seine Rede hält. Nicht nur, dass seine Stimme einen unverkennbar teutonischen Klang besitzt, auch das, was diese Stimme an Worten von sich gibt – es fallen Sätze wie: „Auch diejenigen, die heute noch abseits stehen, werden uns zu finden, doch die, die sich gegen uns stellen, werden vernichtet werden“ - könnte eins zu eins aus den Mündern eines Goebbels oder eines Hitlers stammen. Damit aber noch nicht genug: Papic muss zudem noch in vorderster Reihe der lauschenden, halbmenschlichen und halbrättischen Zuhörerschaft einen Herrn postieren, dessen Oberlippenbart einen – sagen wir – ganz besonderen Schnitt aufweist, und zusätzlich ist die Ziffer 33 unschwer im Hintergrund des Rattenmessias auszumachen. Somit wäre die Interpretation des Films eine, die nicht mal einer gelangweilten siebten Klasse großartige Schwierigkeiten bereiten dürfte. IZBAVITELJ ist nichts anderes als die, mehr oder weniger verklausulierte, Schilderung des faschistischen Erwachens im Europa zwischen Weltkrieg Nummer 1 und Nummer 2. Die Ratten sind gleichzusetzen mit SS, mit Schwarzhemden, mit Eiserner Garde und allem anderen, was da sonst noch extrem nationalistisch polterte und pochte, und Ivan, sein Liebchen und der weise Professor Sinnbilder für die demokratische Gesinnung, die außer Kraft gesetzt werden soll, indem man sich Stück für Stück von unten her durch ihr Mark und ihr Gebein nagt.

Trotzdem, für mich trifft es diese Lösung nur halb. Natürlich sind Papics NS-Verweise kein Zufall, nichtsdestotrotz deutete eine zweite Szene in eine ganz andere Richtung, nämlich die, in der Ivan von Professor Boskovic ein Buch vorgesetzt bekommt, aus dem dieser sein gesamtes, die Rattenteufel betreffendes Wissen gezogen hat. Geschrieben wurde es von jemandem mit dem kuriose Namen Ert Ertus, herausgegeben von Johan Simelmann, Rothenburg 1437, sein Titel: Das Vermächtnis des Rattenkönigs, und während Ivan darin liest und forscht und dem Zuschauer per Off-Kommentar mitteilt, über was alles da sein Auge gleitet, dürfte wiederum jedem, der sich nur ein bisschen mit der deutschen Geschichte auskennt, bald die Ohren klingeln. Sinngemäß heißt es bei Herrn Ertus, dass die Ratten, was wir schon wissen, die Macht besitzen, ihr Aussehen zu wandeln. Sie können sich Hände und Füße wachsen lassen, tragen Kleider, haben menschenähnliche Gesichter, und mischen sich so unter das gemeine Volk, um ihre Ränke zu schmieden, die hauptsächlich finanzielle Motive zum Ausgang habe, denn eine wahre Lust bereitete es ihnen, zu rauben und zu stehlen und das dadurch Gewonnene zu wesentlich höheren Preisen weiterzuverkaufen. Außerdem sind sie der Grund für Epidemien, für Hungersnöte, für Kriege und überhaupt für alles Schlimme in der Welt. Die Ratten in IZBAVITELJ, deren genaue Herkunft uns der Film allerdings nie wirklich verrät, sie scheinen einfach seit Anbeginn der Zeit vor Ort gewesen zu sein, um Gottes edlen Plan zu vereiteln, repräsentieren das absolute Böse, das Schlechte schlechthin, und ihre Vernichtung ist demnach folgerichtig ein Werk der Humanität und der Nächstenliebe, denn, wie gesagt, selbst wenn sie wie Menschen aussehen sollten, wahre Menschen sind es eben nicht, sondern nur Ratten in menschlicher Verkleidung. Es ist erstaunlich wie sehr diese Definition der Rattenungeheuer der entspricht, die das Naziregime für seinen Intimfeind, das internationale Judentum, gefunden – und eben nicht eigenständig kreiert - hat und, um in der Filmgeschichte zu bleiben, in Fritz Hipplers Propaganda-Meisterwerk DER EWIGE JUDE auf den Punkt brachte. Gezeigt werden dort zunächst die Plagen, die dem Menschen erwachsen, wenn die gemeine Ratte in seiner Nähe siedelt. Eine Weltkarte verdeutlicht ihre Wanderung und die Art und Weise, wie sie die Gebiete, die sie mit den Pfoten berührt, regelrecht verflucht. Genauso, sagt Dr. Hippler, verhält es sich mit dem wandernden Juden, der allerdings noch schwerer zu bekämpfen ist als eine Ratte, da er die Kunst des Verstellens und Täuschens wie kein anderes Lebewesen beherrscht, und alles daran setzt, vor allem in Großstädten in der breiten, anonymen Volksmasse unerkannt seine Fäden zu spinnen. Dass Papic Hipplers Film, der neben Harlans JUD SÜSS und Riefenstahls TRIUMPH DES WILLENS sicherlich zu den berühmt-berüchtigsten und sinnfälligsten NS-Propaganda-Stücken zählt, gekannt haben muss, steht für mich ebenso wenig außer Frage wie die Tatsache, dass er somit in seinen Rattenmenschen sozusagen Täter und Opfer in einer einzigen Konstruktion zusammengeführt hat. Offensichtlich wird, was ich meine, wenn man sich das äußerst radikale, beinahe bestialische Vorgehen Boskovics bei der Rattenbekämpfung vergegenwärtigt. Er hat nämlich ein Serum entwickelt, das er ihnen wie kleine Bomben oder Molotow-Cocktails mitten in die menschlichen Gesichter schleudert, die, kaum mit dem Mittelchen in Berührung gekommen, sofort ihre Masken verlieren und zu dem werden, was sie sind: maskenbildnerisch ziemlich gelungene, und für Rattenphobiker mit Sicherheit scheußliche, für mich irgendwie aber auch putzige Rattenköpfchen. Boskovic – und nach dessen Ableben Ivan – kennen keine Gnade, sind ihre Gegner ja, wie oben erwähnt, keine Menschen, sondern Bestien, und so wird nicht erst viel gedacht und gesonnen, man handelt unversehens, und vor allem rücksichtslos.

Bei alldem wird es schwer, sich für eine Seite zu entscheiden. Natürlich ist Ivan der nominelle Held und natürlich sind die Ratten nicht die angenehmste Gesellschaft, dennoch kann der Fanatismus eines Boskovic ebenfalls nicht unter den Tisch gekehrt werden, der zu keinem Zeitpunkt die Möglichkeit eines diplomatischen Gesprächs auch nur in entfernteste Erwägung zieht. Meine persönliche Lesart von IZBAVITELJ wäre demnach die, dass Papic eben nur vorgibt, in seinem Film Partei für Ivan zu ergreifen. In Wirklichkeit muss man einen Schritt zurück zu der Objektivität treten, die sein Frühwerk so sehr durchzieht, dorthin, wo die Menschen zu bloßen, nicht mal sonderlich hübschen Käfern werden, die man in einem Glaskasten dabei beobachtet, wie sie sich begatten, sich bekriegen und gegenseitig auffressen. All die Stereotypen und historischen Anspielungen, die Papic herbeizieht, haben einzig den Zweck, einander außer Kraft zu setzen und zu nivellieren und letztlich auf etwas hinzuweisen, das über festgelegten Klischees und geschichtlichen Ereignissen steht: nämlich den Fakt, dass die richtige Tragödie unserer Leben erst dadurch entsteht, dass eine bestimmte Gruppe für eine andere zur Ratte wird und damit zu etwas Unmenschlichen, Lebensunwerten, dem man problemlos den Kampf ansagen kann. Der Jude, der Neger, der Nazi, der Kommunist, das sind alles nichts weiter als Füllungen für ein und dieselbe leere Statthalterhülse, in die man beliebig auch die Schwarzhaarigen, die Regenschirmträger oder die Wüstenspringmäuse einsetzen könnte. Die zutiefst menschliche Botschaft Papics wäre also: sicher besteht ein quantitativer Unterschied, ob in der Bundesrepublik jemand wegen seiner politischen Anschauung Diskriminierung erfährt und einem Juden, um den herum das Dritte Reich zu wachsen beginnt, dennoch trägt die Triebfeder in beiden qualitativ identischen Fällen den Namen Intoleranz, und wo diese zu regieren beginnt, entstehen harte, unnachgiebige Fronten, deren Überbrückung meist, wie IZBATIVELJ zeigt, im Verlöschen einer der beiden Welten jenseits der Mauer endet.

Von diesem Subtext mal abgesehen, bei dem man mir nun zustimmen mag oder nicht, ist IZBAVITELJ ein kurzweiliger, unterhaltsamer Spannungsfilm geworden, der, wie ich finde, ein wenig unter seiner Laufzeit von gerade mal fünfundsiebzig Minuten leidet, der es dann auch geschuldet ist, dass sich im Finale für meine Verhältnisse alles etwas zu hastig und überstürzt entwickelt, und für tiefergehende Einblicke in die Psychen seiner Figuren wenig bis gar keine Zeit bleibt. Dadurch, dass Papic seinem Werk ein Kleid überstreifte, das einige auffallend nach den damals vor allem in Tschechien dutzendweise hergestellten Märchenfilme osteuropäischer Prägung aussehende Flicken trägt, und die Inszenierung, neben ihrer Finsternis, dann letztlich doch recht konventionell ausgefallen ist, der Plot zudem teilweise gar an amerikanische Genre-Vertreter wie INVASION OF THE BODY SNATCHERS erinnert, ist IZBAVITELJ bei weitem konsumierbarer und verdaulicher als das, was ich von seinen zuvor entstandenen Dokumentationen kenne. Den Meisterwerkorden hefte ich ihm nicht an die Brust, aber eine klare Empfehlung für jeden, der sich für Horrorschocker aus exotischen Ländern interessiert, spreche ich freilich trotzdem aus, denn, wie eingangs erwähnt, nicht mal Bruno Mattei hatte entsetzlichere Ratte, da diese hier eben nicht bloß gefärbte Meerschweinchen sind, sondern mannsgroß, mit Nosferatu-Beißerchen und dem allein schon schlottern machenden Plan, unsere Welt nicht durch rohe Gewalt, vielmehr durch kühle Taktik in ihre zu verkehren.
dr. freudstein
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Re: Der Rattengott - Krsto Papic

Beitrag von dr. freudstein »

Salvatore Baccaro hat geschrieben:
Nachdem ich auf dem diesjährigen Forentreffen mit Ratten regelrecht beschossen worden bin - selbst in VIRUS ist es ja eine solche, die den Auftakt zu den folgenden Massakern gibt -, dachte ich mir, dass es nicht die schlechteste Idee sei, meinem liebsten Ratten-Horror-Film, nämlich dem 1976 in Kroatien erschienenen IZBAVITELJ, ein paar flüchtige Zeilen zu widmen.
vielen Dank für deine paar flüchtigen Zeilen. Lieber ein Kurzkommentar als gar keiner :D

Echt unglaublich, was dir alles zu einfällt. Hast du auch diesen Leuchtkuli wie der Bux? Oder machst du keine Notizen, sondern schreibst unmittelbar nach der Sichtung?

Klingt sehr interessant der Film. Da der auch noch aus dem Heimatland meiner Familie kommt, werde ich mir den auch mal zulegen.
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Salvatore Baccaro
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Re: Der Rattengott - Krsto Papic

Beitrag von Salvatore Baccaro »

Ich mache mir keine Notizen, ich improvisiere... :D

Übrigens ist das Werk erst letzten Monat zum ersten Mal in Deutschland auf DVD erschienen:

[thumbnail]http://www.dvd-forum.at/img/uploaded/rattekomp.jpg[/thumbnail]

(Warum der Film allerdings nicht an Kinder und Jugendliche vermietet oder verkauft werden darf, erschließt sich mir bei dem heute doch oftmals recht laxen Umgang mit medialer Gewalt überhaupt nicht.)
purgatorio
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Re: Der Rattengott - Krsto Papic

Beitrag von purgatorio »

Junge :o Wann soll ich das denn lesen? :?
Im Prinzip funktioniere ich wie ein Gremlin:
- nicht nach Mitternacht füttern
- kein Wasser
- kein Sonnenlicht
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Salvatore Baccaro
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Re: Der Rattengott - Krsto Papic

Beitrag von Salvatore Baccaro »

purgatorio hat geschrieben:Junge :o Wann soll ich das denn lesen? :?
Ach, nutzen Sie Ihre Zeit doch zunächst einmal, sich den Film anzuschauen... ;-)
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Salvatore Baccaro
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Re: Der Rattengott - Krsto Papic

Beitrag von Salvatore Baccaro »

Nachdem ich nun endlich den dem RATTENGOTT zugrunde liegenden Text Alexander Grins gelesen habe, schätze ich Papics Film umso mehr - das aber nicht etwa deshalb, weil er aus einem mauen Stück Literatur ein hochinteressantes Stück Kino gestrickt hat, sondern weil er die künstlerischen Möglichkeiten seines Mediums nutzte, um etwas durchaus Eigenes, vom geschriebenen Wort Unabhängiges zu schaffen.

Zunächst jedoch eine Korrektur: IZBAVITELJ basiert nicht, wie ich oben behauptete und wie man allgemein liest, auf einem Roman Grins, seine Basis stellt vielmehr eine Kurzgeschichte dar, die in der mir vorliegenden deutschen Übertragung gerade einmal vierzig Seiten umfasst, und inhaltlich nicht über das hinausreicht, was Papic in der ersten halbe Stunde seines Films unterbringt: der Ich-Erzähler erlebt den finanziellen und ökonomischen Zusammenbruch seines Landes, muss in einem leerstehenden Gerichtsgebäude nächtigen und stößt dort auf ein dubioses Zusammentreffen vermeintlicher Rattenmenschen oder Menschenratten, die ihn im atemlosen Finale beinahe zu Tode hetzen. Das alles mag man als prophetische Vorahnung des europäischen Faschismus deuten, so wie es Papic teilweise getan hat, genauso plausibel wäre es indes, die Schreckensnacht des Protagonisten als eine durch eine noch nicht ganz abgeklungene Typhus-Infektion hervorgerufene Fieberphantasie zu verstehen, wofür zudem spricht, dass in IZBAVITELJ kein Wort darüber fällt, dass unser Held vor seinen grenzwertigen Erlebnissen wochenlang auf der Schwelle zwischen Leben und Tod in einem Krankenhausbett zitterte, Papic diesen Aspekt also, seinem realistischeren Ansatz zugunsten, leise unter den Tisch fallen lässt.

Tatsächlich ist Grins Text - und vor allem seine unfassbar poetische Schreibweise und sein spielerisches Schaffen einer beklemmenden kafkaesken Atmosphäre - derart ambivalent, dass er sich jeglicher Kategorisierung zunächst einmal entzieht, wohingegen IZBAVITELJ mit seinen mannigfaltigen (film-)historischen Bezügen und seiner unübersehbaren politischen Stoßrichtung noch viel mehr an einen gewissen Realismus gebunden ist, der als Fakten präsentiert, was Grin als undeutliche Schemen skizziert. Wo man die Erzählung Grins daher in die Nähe eines Films wie Zulawskis grandioses Debut TRZECIA CZESC NOCY rücken kann, der ja ebenso offen lässt, wo genau denn nun eigentlich die Trennlinie verläuft, die das, was ist, von dem, was nur zu sein scheint, scheidet - oder eben die grundsätzliche Frage aufwirft, ob und inwieweit solch eine Trennlinie überhaupt existieren kann und sollte - da hat IZBAVITELJ, so wie ich ihn interpretierte, eine dann doch recht simple moralische Botschaft zu vermitteln, was ihm eben jene märchenhafte Züge verleiht, die ich ihm weiter oben schon konstatiert habe. IZBATIVELJ ist ein modernes Märchen, in dem es zwar "das Böse" und "das Gute" in plumper Schwarzweißmalerei nicht mehr gibt, dennoch alles auf eine bestimmte Lehre hinausläuft, die man sich besser hinter die Ohren schreiben sollte, Grin indes schrieb eine Erzählung, die eine Moderne ohne Märchen vor den Leser stellt, das eigentlich unbeschreibliche, hier aber unfassbar präzise in Worte gegossene Gefühl, dass sich die Welt um einen herum so lange immer weiter verkompliziert und verstrickt bis man selbst in ihren Labyrinthen nicht mal mehr sich selbst erkennt, genau das eben, wofür Kafka heute noch gelobt wird, Grin indes, außerhalb Russlands, weitgehend dem Vergessen anheimgefallen ist.

Ich jedenfalls empfehle jedem, sich den Erzählband DER RATTENFÄNGER, erschienen in Suhrkamps Phantastischer Bibliothek (Band 168) zu besorgen - zumal das Büchlein bei einschlägigen Online-Anbietern schon für 1 Cent (!) zu haben ist. Ganz neue Welten eröffnen sich da und Metaphern, die man immer in seinen Hosentaschen mit sich herumtragen sollte. Zum Abschluss meine liebste, die fast noch von Lautréamont stammen könnte: "Seine grünschwarzen Augen mit Pupillen, die wie Stahl glänzten, hatten einen Ausdruck, der an einen kaltblütig entblößten Arm erinnerte, den jemand in einen Sack senkt, um einen vorsintflutlichen Gegenstand zu ertasten." Ich erbebe!
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buxtebrawler
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Re: Der Rattengott - Krsto Papic

Beitrag von buxtebrawler »

Erscheint voraussichtlich am 25.11.2013 nach dem limitierten Mediabook nun auch in einer kleinen Hartbox bei '84 Entertainment, inkl. Langfassung und Stiglegger-Booklet:

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Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)
Diese Filme sind züchisch krank!
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jogiwan
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Re: Der Rattengott - Krsto Papic

Beitrag von jogiwan »

wobei auch hier die Langfassung im Bonus offenbar wieder nur im kroatischen O-Ton vorliegt... :(
it´s fun to stay at the YMCA!!!



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dr. freudstein
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Re: Der Rattengott - Krsto Papic

Beitrag von dr. freudstein »

jogiwan hat geschrieben:wobei auch hier die Langfassung im Bonus offenbar wieder nur im kroatischen O-Ton vorliegt... :(

das macht ja nix, ist eine sehr schöne Sprache :D
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Arkadin
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Re: Der Rattengott - Krsto Papic

Beitrag von Arkadin »

Salvatore Baccaro hat geschrieben: Ich jedenfalls empfehle jedem, sich den Erzählband DER RATTENFÄNGER, erschienen in Suhrkamps Phantastischer Bibliothek (Band 168) zu besorgen - zumal das Büchlein bei einschlägigen Online-Anbietern schon für 1 Cent (!) zu haben ist.
Schöner Tipp. Werde ich mal nach Ausschau halten.
Früher war mehr Lametta
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