Bringing Out the Dead - Nächte der Erinnerung - Martin Scorsese (1999)

Moderator: jogiwan

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Bringing Out the Dead - Nächte der Erinnerung - Martin Scorsese (1999)

Beitrag von buxtebrawler »

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Originaltitel: Bringing Out the Dead

Herstellungsland: USA / 1999

Regie: Martin Scorsese

Darsteller: Nicolas Cage, Patricia Arquette, John Goodman, Ving Rhames, Tom Sizemore, Marc Anthony, Mary Beth Hurt, Cliff Curtis, Nestor Serrano, Aida Turturro, Sonja Sohn, Cynthia Roman u. A.
Sanitäter Frank (Nicolas Cage) versucht jede Nacht Menschen in einer amerikanischen Grossstadt zu retten. Jede Nacht Penner und Junkies, die in ein Krankenhaus müssen, das völlig überfüllt ist. Doch in letzter Zeit sterben ihm die meisten Patienten zwischen den Händen weg. Als Frank mit dem Tod einer Patientin nicht klarkommt, lernt er schliesslich eine Frau kennen, deren Vater er das Leben gerettet hat. Mit den Nerven am Ende verliert er sich in Träumen, Drogen und Depression...
Quelle: www.ofdb.de

Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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buxtebrawler
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Re: Bringing Out the Dead - Nächte der Erinnerung - M. Scorsese

Beitrag von buxtebrawler »

„Warum sollte man verleugnen, dass man diesen einen Augenblick lang selbst Gott gewesen ist?“

Das US-Drama „Bringing Out the Dead - Nächte der Erinnerung“ aus dem Jahre 1999 markiert eine weitere Zusammenarbeit des Regisseurs Martin Scorsese („Kundun“) mit Drehbuchautor Paul Schrader („Taxi Driver“). Rettungssanitäter Frank (Nicolas Cage, „8 mm“) ist Nacht für Nacht mit wechselnden Kollegen in New York unterwegs, um die Erstversorgung verletzter und kranker Menschen zu gewährleisten und sie ins Krankenhaus zu fahren. Doch seit er einem jungen Mädchen nicht mehr helfen konnte, scheinen ihm sämtliche Patienten unter den Händen wegzusterben. Zudem scheint ihn das tote Mädchen zu verfolgen, immer wieder sieht er ihr Gesicht in anderen Menschen und scheint er ihre Botschaften zu empfangen. Zunehmend beginnt er an seinem Beruf zu zweifeln, bis er schließlich in Depressionen verfällt.

„Warum ist immer alles gleich ein Herzstillstand?“

Wie schon die Scorsese/Schrader-Kollaboration „Taxi Driver“ ist auch „Bringing Out the Dead - Nächte der Erinnerung“ ein „New-York-Film“, ein urbaner Alptraum, in dem ein Einzelner an den Schattenseiten der Großstadt verzweifelt und zu zerbrechen droht, bis er schließlich fragwürdige, radikale Entscheidungen trifft. Er beginnt mit Erzählungen des Protagonisten aus dem Off im Stile eines Film noir, der er im Prinzip auch ist. Der Auftakt bietet bald Einblicke in eine überfüllte Notaufnahme, in der Chaos und Zynismus seitens des überforderten Personals vorherrschen. Nach Schichtende sieht Frank regelmäßig aus wie nach einer Schlacht – übermüdet und in blutgetränkter Kleidung. Zwangsläufig muss er sich neben mehr oder minder „normalen“ Patienten mit durchs soziale Raster gefallenen Verlierern des US-amerikanischen Traums herumplagen, beispielsweise mit dem durchgeknallten und lebensmüden Junkie Noel (Marc Anthony, „Mann unter Feuer“), der beinahe jede Nacht eingeliefert wird und allen auf die Nerven fällt. Dieser wiederum ist ein alter Bekannter von Mary (Patricia Arquette, „True Romance“), deren Vater Frank jüngst das Leben gerettet hat und der seither im Krankenhaus im Koma liegt. Frank entwickelt ein Interesse an Mary, lernt sie näher kennen und erfährt, dass sie in der Vergangenheit selbst drogenabhängig war. Diese Konstellation verhindert allen zynischen Dialogen zum Trotz ein einseitiges, vorurteilsbehaftetes Bild Drogenabhängiger und ist gleichzeitig ein Indiz für den schmalen Grat zum Wahnsinn, den in dieser Stadt vor ihrem Exitus immer mehr zu übertreten scheinen.

Jedoch ist „Bringing Out the Dead - Nächte der Erinnerung“ kein auf die Tränendrüsen drückendes Betroffenheitsdrama, sondern gespickt mit großartigem (schwarzem) Humor, der mit Einführung des Sanitäterkollegen Marcus (Ving Rhames, „Jacob’s Ladder“) dominanter wird, ohne den Film zu veralbern. Dieser wird zunehmend zu einer in Bezug auf Rettungssanitäter wenig vertrauenserweckenden Groteske, stellt dabei jedoch unaufhörlich existentielle Fragen, äußert trotz alledem viel Respekt für dieses Berufsbild und zeigt eindringlich die Gefahren seelischen Ausbrennens, die mit ihm einhergehen, gespickt mit den typischen urbanen Symptomen wie emotionaler Verwahrlosung, Einsamkeit trotz Millionenmetropole und gefühlte Ohnmacht gegenüber den äußeren Umständen. Fast jede Szene wurde mit Musik untermalt, ohne dass sie dabei aufdringlich wirken würde. Im Gegenteil, der Soundtrack ist überaus hörenswert mit seinen stets geschickt eingesetzten Stücken von The Clash, Van Morrison, R.E.M., Johnny Thunders, The Who und anderen. Der auch dadurch konsequent erzielte Geräuschpegel passt zur „City that never sleeps“, zur Rastlosigkeit und Unruhe, die Scorsese verdeutlicht. Ohne in modernistische Hektik zu verfallen, gelingt Scorsese einmal mehr ein düsteres Bild New Yorks und in ihm gefangener Einzelschicksale, während der zum Einsatz kommende Humor das Treiben spöttisch kommentiert und dadurch erträglich macht.

Nicolas Cage, der manchmal vorschnell zum Mainstream-Schauspieler verschrien wird, habe ich selten derart aufspielen sehen wie hier. Er verkörpert exzellent seine tragische Rolle und wird dabei in einer Weise von Scorsese inszeniert, dass man als Zuschauer viel Empathie entwickelt und förmlich mit ihm mitfühlt und -leidet. Müßig zu erwähnen, dass ein Scorsese-Film wie dieser zwar sicherlich über ein beachtliches Budget verfügt, jedoch alles andere als ein Hollywood-Blockbuster-Konfektionsware ist. Cage steht die Fragilität seiner Rolle besser zu Gesicht als erwartet und er scheint bestens mit ihr umzugehen. Auch der Rest der Besetzung ist hochkarätig: Patricia Arquette, John Goodman („The Big Lebowski“), Ving Rhames, Marc Anthony – alle versehen ihre nicht immer einfachen Rollen mit Charisma und machen sie lebendig. Das Ende ist vielseitig auslegbar: Ein Plädoyer für Sterbehilfe, was die naheliegendste Interpretation wäre, nachdem der Zuschauer mehr und mehr die Perspektive Franks eingenommen hat? Oder ein Mord, durchgeführt von einem psychisch kranken Mann, der aus dem Verkehr gezogen gehört? „Bringing Out the Dead - Nächte der Erinnerung“ entpuppt sich als lange nachklingendes, grandioses Filmerlebnis, das Scorseses anerkannten Klassikern in rein gar nichts nachsteht und als modernes Noir-Mystery-Drama, das atmosphärisch in der obersten Liga spielt, ganz wunderbar dazu geeignet ist, in warme Decken eingemümmelt im mauscheligen Heimkino genossen zu werden und sich darüber bewusst zu werden, wie gut es einem (hoffentlich) gerade geht.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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purgatorio
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Re: Bringing Out the Dead - Nächte der Erinnerung - M. Scorsese

Beitrag von purgatorio »

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...und offenbar auch noch ein guter :mrgreen:
Im Prinzip funktioniere ich wie ein Gremlin:
- nicht nach Mitternacht füttern
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Arkadin
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Re: Bringing Out the Dead - Nächte der Erinnerung - M. Scorsese

Beitrag von Arkadin »

Freut mich sehr, dass der Dir gefallen hat, buxte.
Ich kann nur unterschreiben, was du dazu zu sagen hast. Sehr toller, merkwürdigerweise aber recht unbekannter, Scorese, der sicherlich mehr Aufmerksamkeit verdient hat.
Früher war mehr Lametta
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buxtebrawler
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Re: Bringing Out the Dead - Nächte der Erinnerung - M. Scorsese

Beitrag von buxtebrawler »

Arkadin hat geschrieben:Freut mich sehr, dass der Dir gefallen hat, buxte.
Ich kann nur unterschreiben, was du dazu zu sagen hast. Sehr toller, merkwürdigerweise aber recht unbekannter, Scorese, der sicherlich mehr Aufmerksamkeit verdient hat.
Traf genau meinen Geschmack.
Ja, wundert mich auch, wobei meine Freundin den allerdings schon kannte. Ich war drauf gestoßen, als ich Scorseses Filmographie nach mir noch unbekannten interessanten Filmen durchforstet hatte.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Re: Bringing Out the Dead - Nächte der Erinnerung - M. Scorsese

Beitrag von buxtebrawler »

Gerade nach mittlerweile auch schon wieder etlichen Jahren noch mal gesehen und ich bin nach wie vor schwer angetan. Cage als Voice-over-Erzählinstanz im Präteritum, der sich in Neo-Noir-Optik und -Thematik durchs Leben schlägt und dessen immer stärkere Entfremdung von seiner Umwelt aus seiner Mimik spricht. Ein unterschätztes Meisterwerk!
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