Antiviral - Brandon Cronenberg (2012)

Moderator: jogiwan

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jogiwan
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Antiviral - Brandon Cronenberg (2012)

Beitrag von jogiwan »

Antiviral

Bild

Originaltitel: Antiviral

Herstellungsland: Kanada, USA / 2012

Regie: Brandon Cronenberg

Darsteller: Caleb Landry Jones, Sarah Gadon, Malcolm McDowell, Douglas Smith, Joe Pingue

Story:

In der nahen Zukunft ist der fragwürdige Kult um Prominente soweit fortgeschritten, dass Kliniken den Fans anbieten, sich mit denselben Krankheiten zu infizieren um sich so den ansonsten unerreichbaren Prominenten etwas näher zu fühlen Syd arbeitet in der Lucas-Klinik, die mit dem Superstar Hannah Geist bzw. ihren Krankheiten einen Exklusivvertrag abgeschlossen hat und als diese überraschend erkrankt, springt Syd für einen Kollegen ein und nimmt dem erkrankten Superstar ein bisschen Blut ab. Doch Syd hat auch eine dubiose Nebenjob und sorgt für Viren-Nachschub für den Schwarzmarkt bzw. dubiose Hintermänner, indem er sie sich selbst injiziert und anschließend wieder isoliert und als Hannah Geist überraschend an dem aggressiven Virus verstirbt, steckt auch Syd in ziemlichen Schwierigkeiten…
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jogiwan
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Re: Antiviral - Brandon Cronenberg (2012)

Beitrag von jogiwan »

Wenn man als Filius in die Fußstapfen seines Vaters tritt, sollte man sich nicht ausgerechnet das Genre aussuchen, mit dem auch der Daddy berühmt geworden ist, da ansonsten zwangsläufig immer der Vergleich im Raum steht. Brandon Cronenberg hat diesen weisen Rat jedoch ausgeschlagen und mit dem schrägen Medizin-Drama "Antiviral" eine düstere Body-Horror-Zukunftsvision geschaffen, die doch stark an Filme wie "Die Brut", "Shivers" und "Videodrome" erinnert. Während es Cronenberg Senior jedoch immer geschafft hat, dass man seine Visionen akzeptiert, verzettelt sich der Sohnemann in seinem erschaffenen Kosmos und statt irgendwelche Erklärungen zur sehr abstrakten Ausgangslage zu bieten, schwenkt "Antiviral" nach der Halbzeit in Richtung Thriller, was dem Streifen irgendwie nicht so gut bekommt und die ganze Sause noch zweifelhafter erscheinen lässt. Die Geschichte über begehrte Virenstämme von Superstars hat mit guten Ansätzen jedenfalls nicht ganz überzeugt und obwohl der sterile Look zweifelsfrei gelungen ist und auch die Darsteller überzeugen, bleiben am Ende dann für meinen Geschmack für einen dennoch interessanten und auch zweifelsfrei ungewöhnlichen Streifen dann doch zu viele Fragezeichen zurück.
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Arkadin
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Re: Antiviral - Brandon Cronenberg (2012)

Beitrag von Arkadin »

In einer sehr nahen Zukunft. Stars sind die neuen Götter und um ihnen nahe zu sein, lassen sich ihre Fans in Spezialkliniken für teures Geld deren Krankheiten spritzen. Wenn man den Herpes der Vergötterten hat, hat man einen Teil von ihr. Syd March (Caleb Landry Jones) arbeitet in einer solchen Klinik. Aber er arbeitet nebenbei auf eigene Rechnung. Er schmuggelt die Viren aus der Klinik, indem er sie sich selbst injiziert. Dann verkauft sie an einen zwielichtigen Schwarzhändler (Joe Pingue). Als er dies auch mit dem Virus der beliebten Hannah Geist (Sarah Gadon) tut, erlebt er eine böse Überraschung…

Es ist schon mutig, was Brandon Cronenberg da gemacht hat. Der Sohn eines ebenso berühmten, wie insbesondere für sein Frühwerk bei zahlreichen Fans ausgesprochen beliebten Kultregisseurs begibt sich für sein Spielfilmdebüt auf exakt jenes Feld, welches Papa David einst bestellt hat. Kalkül, weil man mit dem Namen Cronenberg möglichst viele Fans anziehen oder zumindest höchst neugierig machen möchte? Oder ist es eher ein klarer Fall von „Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm“ und Cronenberg Jr. treiben nun einmal dieselben Themen um, wie seinen Vater? Vermutlich eher letzteres, den Brandon Cronenberg führte nicht nur Regie, sondern schrieb auch das Drehbuch zu „Antiviral“. Ein merkwürdiger, aber durchaus faszinierender Film, wie ihn auch Cronenberg Sr. in jungen Jahren hätte drehen können. Damit soll es aber nun genug sein, ob der Vergleich der beiden Cronenbergs. Denn Brandon C. hat hier ein eigenständiges Werk geschaffen, welches zwar stilistisch an das Frühwerk des Vaters erinnert, dieses aber noch einmal um ein paar Grad herunter kühlt.

Im Grund ist „Antiviral“ ein tiefschwarze Satire. So schwarz, dass sie komplett humorlos erscheint. Aber natürlich ist der auf die Spitze (und darüber hinaus) getriebene Starkult völlig grotesk und würde in den Händen z.B. eines Quentin Dupieux zu einem Stück absurd-surrealer Komödie werden. Cronenberg wählt aber einen anderen, grimmigeren Ansatz. Der von ihm geschaffenen, sterilen Welt ist jegliche Leichtigkeit, jeder Anflug von Spaß ausgetrieben. Die Fans der (für was eigentlich?) vergötterten Stars zeigen keine echten Gefühle, sondern eine übertriebene Sucht nach dem Kick der totalen Hingabe an ein Traumgeschöpf. Nicht nur, dass sie sich die Krankheiten der Stars spritzen lassen, um ihnen irgendwie nahe zu sein, sie verschlingen sie förmlich in Form von künstlich aus dem Muskelgewebe der Traumgötter hergestellten, gräulichen Fleischlappen. Cronenberg zeigt eine Welt in der die Menschen komplett leer sind. Die Fans als dumme Schafe, die alles dafür tun, damit ihre Stars das eigenen nutzlose Leben irgendwie aufwerten. Die Stars selber, die lediglich Produkte sind. So sehr, dass sie Teile von sich verkaufen lassen. Ihre Krankheiten, ihr Fleisch, ihre Persönlichkeit, welche virtuell den Bedürfnissen der Fans angepasst und jederzeit verfügbar ist. Und dazwischen diejenigen, die das ganze Elend skrupellos zu ihrer eigenen Bereicherung ausschlachten und an nichts anderem als Gewinnmaximierung interessiert sind. Keine der drei Gruppen ist irgendwie sympathisch oder bietet sich zum Mitfühlen an. So ähnelt Cronenbergs Film dann auch mehr eine klinischen Versuchsanordnung und weniger dem SF-Thriller als der er verkauft wird.

Dazu passt dann auch hervorragend die Besetzung der Hauptrolle mit Caleb Landry Jones. Jones hat nicht nur von Natur her ein seltsames, fiebrig-„krankes“ Aussehen, sondern auch eine unangenehme, unterschwellig aggressive, selbstfixierte Aura. So war er bereits die Idealbesetzung für den fiesen Armitage-Sohn im großen Überraschungserfolg „Get Out“, wie auch in „Twin Peaks: The Return“ wo man ihn als drogensüchtigen Freund von Amanda Seyfried sah. Einem Typen der nichts auf die Reihe bekommt, seine Mitmenschen ohne Rücksicht ausnutzt und sie sehenden Auges mit ins Elend zieht. Ein Mensch, dem man liebend gerne den Hals umdrehen würde. Oder „you love to hate“. Sein Syd March passt da in diese Reihe. Skrupellos, immer an der Grenze zur Selbstzerstörung, fast geisterhaft. Zur Identifikation lädt Syd sicherlich nicht ein. Aber er ist der perfekte Führer durch eine eiskalte Welt, der jegliche menschliche Wärme abhanden gekommen ist. Ein Welt, die Liebe und Mitgefühl in einen sinnentleerten Fanatismus pervertiert hat. Jones trägt den Film auf seinen schmalen, ausgemergelten Schultern und spielt locker gegen eine Größe wie Malcom McDowell an, der hier offensichtlich nur wenige Drehtage zur Verfügung stand und professionell, aber auch etwas egal agiert.

Man merkt „Antiviral“ jederzeit an, dass nicht viel Budget zur Verfügung steht. So wirkt er manchmal wie ein ambitionierter Hochschulabschlussfilm. Doch Cronenberg weiß mit dieser Limitation gut umzugehen. Die Welt, die er mit seinen weißen, klinischen Flächen erschafft, wirkt einerseits futuristisch, andererseits in seinem aseptischen Apple-Look auch sehr vertraut. In dieser Welt können auch die kleinen, schmutzigen Make-Up-Effekte für den allgegenwärtigen Ausschlag, dem ausgehusteten -fast schwarzen Blut und die krank-fleckige Haut einen größeren Effekt erzielen. „Antiviral“ mag weit weniger eklig sein, als man bei seiner Prämisse erwarten würde – aber das ständige Blut-Husten, die Großaufnahme, die fast schon dokumentarischen Einstiche der Spritzen, die Close-Ups auf die kranken-fiebrigen Gesichter verfehlen ihre Wirkung nicht. Ebenso wie das schwarz-zynische Ende und die unterkühlt-unangenehme Atmosphäre. Nein, ein mitreißender Film ist „Antiviral“ nicht. Aber ein faszinierender mit Widerhaken. Einer über den man noch lange nachdenkt, und der nicht so einfach aus dem Kopf verschwinden will, wie man das gern hätte. Fast wie ein Virus.
Früher war mehr Lametta
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sergio petroni
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Re: Antiviral - Brandon Cronenberg (2012)

Beitrag von sergio petroni »

Die Vermarktung von Stars kennt keine Grenzen mehr. Um dem jeweiligen Liebling besonders
nahe zu sein, gibt es in nicht allzu ferner Zukunft völlig neue Möglichkeiten. Man kann sich Blut bzw. Viren des
oder der Angehimmelten kaufen und injizieren lassen. So kann man hautnah an den Krankheiten
und Empfindungen des geliebten Stars teilhaben. Syd arbeitet in solch einer Vermarktungsklinik
und hat nebenher allerdings noch Schwarzgeschäfte am Laufen. Indem er sich Viren von Stars
(aktuell von der sehr angesagten Hannah Geist) selbst spritzt, diese ausbrütet und auf dem Schwarzmarkt selbst vertickt,
begibt er sich in große Gefahr, leidet Hannah doch an einer unheilbaren Krankheit.
Brandon Cronenbergs Regiedebut merkt man die limitierten Finanzmittel durchaus an. Umso
erstaunlicher, welch durchgestylter und stringenter Film ihm dabei gelungen ist.
Grelle Kälte ist vorherrschend, optisch und stimmungsmäßig. Da paßt sich auch der
Hauptdarsteller nahtlos ein. Mitfiebern und Spannung sind eher weniger angesagt.
Kritik an den Auswüchsen von Starkult der sich im wahrsten Sinne selbst frißt,
vermittelt über Cronenbergschen Bodyhorror, ist das bestimmende Thema.
"Antiviral" ist möglicherweise der noch ausbaufähige Einstieg in ein Brandon-Cronenbergsches Universum.
Man darf gespannt sein.
6/10
DrDjangoMD hat geschrieben:„Wohl steht das Haus gezimmert und gefügt, doch ach – es wankt der Grund auf dem wir bauten.“
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