Die Geliebte des Vampirs - Renato Polselli (1960)
Verfasst: Di 25. Mär 2014, 11:30
Die Geliebte des Vampirs
Originaltitel: L'Amante del Vampiro
Alternativtitel: The Vampire and the Ballerina
Herstellungsland: Italien 1960
Regie: Renato Polselli
Darsteller: Walter Brandi, Gino Turini, Pier Ugo Gragnani, Tina Gloriani, Hélène Rémy, Iscaro Ravaioli
L’AMANTE DEL VAMPIRO ist offenbar einer der ersten italienischen (Gothic-)Horrorfilme überhaupt, veröffentlicht zu einem Zeitpunkt, als noch nicht einmal Mario Bavas für viele als DER Genre-Meilenstein geltende LA MASCHERA DEL DEMONIO vorgelegen hatte, was zunächst einmal verwundert, da beide Filme mir durchaus aus dem gleichen Holz geschnitzt zu sein scheinen. Jedenfalls weist L’AMANTE DEL VAMPIRO schon wesentlich deutlicher auf Bavas berühmtes Epos hin als auf die „eigentliche“ Initialzündung des italienischen Schauerkinos, I VAMPIRI von Riccardo Freda, dessen zuweilen noch etwas kriminal- oder groschenromanhafter Atmosphäre er eine konsequente, düster-morbide Schwarzweiß-Ästhetik entgegengesetzt, bei der die gruseligen Nachteulen nicht hoch genug fliegen können. Wie LA MASCHERA DEL DEMONIO, und damit im Gegensatz zu I VAMPIRI, ist der Film in einem zeit- und raumlosen Niemandsland angesiedelt, dessen Berührungspunkte mit der Moderne relativ marginal ausfallen. Stattdessen setzt Kameramann Angelo Baistrocchi auf Bilder wie aus einer anderen Welt, taucht ein in Grüfte, halbverfallene Schlösser und dichteste Wälder, wie man sie nicht mal in den zeitgleich entstandenen und vergleichsweise plüschigen Hammer-Horror-Filmen finden kann.
Überhaupt ist L’AMANTE DEL VAMPIRO ein Film der Bilder, ein Film, der allein über seine Bilder funktioniert, und dem man, reduziert man ihn allein auf sein konfuses Drehbuch, genauso wenig gerecht wird wie Polsellis späteren noch mehr aus den Angeln gehobenen surrealen Experimenten. Mehr als dass eine Gruppe junger Tänzerinnen – angeblich Ballett, doch was dann stattdessen geboten wird, entspricht wohl eher der allgemeinen Norm frühsechziger Tanzböden – sich irgendwo im italienischen Hinterland in einem stattlichen Anwesen damit beschäftigt ist, irgendeine tolle Choreographie einzustudieren, und alsbald lichte Stellen in ihren Reihen beklagen müssen, da bereits mehrere aus ihrer Mitte tot, offensichtlich hingemordet, aufgefunden worden sind, worauf der jugendliche Held eher durch Zufall auf eine Schlossruine im tiefsten Forst und in selbiger auf eine ominöse Gräfin stößt, die dort mit ihrem hünenhaften Diener Hermann haust, und alsbald feststellen muss, dass es sich bei den beiden um Vampire handelt, die es unter anderem auf das Hälschen seiner Verlobten abgesehen haben, passiert hier im Grunde nämlich nicht, da Polselli das Tempo seines Films die gesamte Laufzeit ziemlich gedrosselt hält und den einzelnen Szenen Zeit und Muse lässt, sich komplett zu entfalten. Zumal der Film rein storytechnisch nichts wirklich Innovatives vorzuführen hat. Die Vampire dieses Films verhalten sich so wie Vampire sich eben verhalten, die Opfer sind ausschließlich weiblich und, nach dem ersten Biss, willig, sich noch weitere Male beißen zu lassen, der Held ist einer dieser farblosen Kerle, dem die Frauenherzen gerade so zufliegen, die Geschichte orientiert sich unübersehbar in ihrer Grundstruktur, wie so viele vor oder nach ihr, an Bram Stokers DRACULA-Roman, sodass man prinzipiell für jede wichtige Figur eine Entsprechung in der literarischen Vorlage finden kann, einzig mit dem Unterschied, dass Polselli die Chronologie ein bisschen durcheinandergewirbelt und die Einzelstücke ein wenig eigen zusammenmontiert hat.
Trotzdem, die Story mag nichts reißen, mag routiniert sein, voller altbekannter Versatzstücke, die nicht mal 1960 noch neu gewirkt haben mögen, und der Film scheint gar nicht erst zu versuchen, dem Eingeweihten oder Nicht-Eingeweihten irgendwelche dramaturgische Überraschungen zu bieten – beispielweise wird die Identität des Vampirs, anders als in I VAMPIRI, ohne großes Federlesen gleich von Anfang an freimütig offengelegt -, dennoch war L’AMANTE DEL VAMPIRO für mich ein wahres Fest, und das allein aufgrund seiner Optik. Meiner Meinung nach hat Polselli sich nichts weniger zu seiner Agenda gemacht als einen Film zu schaffen, dessen Funktionsmechanismen eins zu eins mit denen des vor allem deutschen Kinos etwa vierzig Jahre früher übereinstimmen. Gleich der Prolog stößt einen förmlich mit der Nase mitten hinein in die Kabinette Caligaris, in das Golem-Schnauben Wegeners und die Hyänenöhrchen Nosferatus, wenn da eine junge Dirne vor dem Blutsauger flüchtet, und sowohl sie als auch ihr Verfolger als expressionistische Schattenspiele an einer Mauer zu sehen sind. Meisterhaft inszeniert Polselli in den ersten Minuten einen kleinen Kurzfilm für sich, der sowohl schaurig daherkommt als auch dieses Gefühl in mir weckt, dass unter den großartig ausgeleuchteten und mit dem Kontrast zwischen Licht und Schatten spielenden Bildern völlig kinobesessene, leidenschaftliche Herzschläge pulsieren. Das Verbeugen vor Regisseuren wie Fritz Lang oder Friedrich Wilhelm Murnau durchzieht dann aber auch den gesamten Restfilm, den ich mir problemlos komplett ohne Dialoge vorstellen könnte, so sehr spricht er allein auf der visuellen Ebene zu mir, dass es die vielen Worte gar nicht gebraucht hätte, mit denen Polselli sowieso nicht mal ein Bruchteil von dem auszusagen weiß, was er mit seinen Bildern vermag. Ein paar Zwischentafeln hätten, meiner Meinung nach, völlig ausgereicht, die einerseits ziemlich simple und andererseits dann doch an manchen Punkten einigermaßen verworrene Handlung zu erklären. Am euphorischsten feiere ich deshalb eben die Szenen, in denen Polselli seine eher blassen Charaktere und durchschnittlichen Schauspieler endlich einmal in Schweigen verfallen lässt und sich ganz einer Stille hingibt, auf der seine schlichten, jedoch ungemein effektiven Bildkompositionen sich hemmungslos ausbreiten können. Eine äußerst lange Szene sei hier beispielhaft erwähnt, die kurz vor Filmende stattfindet, als eine der Tänzerinnen, unsere nominelle Heroine, ihrer Freundin, die sich nach einem Vampirbiss reichlich seltsam verhält, nachstellt, um herauszubekommen, wo sie denn jede Nacht hinschleiche. Obwohl diese Szene mit unfassbar unpassendem Big-Band-Jazz beginnt, dessen Einsatz zu den schauerromantischen Bildern von durch nebelverhangenen Wäldern stapfenden Mädchen derart verschroben wirkt, dass ich es durchaus als ein frühes Aufschimmern von Polsellis exzessiven Irritations-Delirien der 70er Jahre bezeichnen würde, entwickelt sie sich bald zu einer mit leisen Tönen operierenden Choreographie, in der, ohne dass auch nur ein Sterbenswörtchen fallen würde, sich das Machtverhältnis zwischen den beiden Frauen nach und nach umkehrt, die Verfolgte ihre Verfolgerin erst in das Vampirschloss lockt, dann in dessen Keller, immer tiefer hinein, bis in die Gruft, wo der Blutsaugerfürst schläft, und wo unsere Heldin letztlich in der Falle sitzt und, hinter verschlossenen Türen stehend, mit ansehen muss wie die Bestie sich aus ihrem Sarg wälzt, um ihren Hals anzuzapfen. Dieses minutenlange und minutiöse Schilderung des Eindringens unserer Heldin in die Höhle des sprichwörtlichen Löwen hat mich aufgrund seiner gänsehautverursachenden Schlichtheit nicht zu wenig an jene brillante in Amando de Ossorios LA NOCHE DEL TERROR CIEGO erinnert, wo ebenfalls eine junge Dame weit über zehn Minuten zugebilligt bekommt, sich in der Templerburg häuslich ein- und dann hingerichtet zu werden.
Renato Polselli indes macht, wie Mario Bava oder vor allem der frühe Dario Argento, gar keinen Hehl aus seinen Vorbildern und zitiert diese ganz bewusst mit an den Insider gerichtetem Augenzwinkern. Die Kutsche, mit der unser Vampir durch die Lande zieht, ist zum Beispiel offensichtlich von der inspiriert, deren Pferdezügel Max Schreck in NOSFERATU zwischen den Klauen hält, und eine Szene, die ich für wirklich frenetischen Applaus würdig halte, in der ein weibliches Opfer des Beißers während ihres eigenen Begräbnisses im Sarg erwacht und sich als Untote wiederfindet, die durch ein Guckfenster aus Glas erst den Himmel sieht, dann die Gesichter der Trauerenden, schließlich die Erde, die man auf sie schaufelt, und den Zuschauer aus der Ich-Perspektive an diesem letzten Blick auf die Welt teilhaben lässt, kann gar nichts anderes sein als eine Anspielung auf das verkannte Meisterwerk Carl Theodor Dreyers mit dem bezeichnenden Titel VAMPYR. Ein Regisseur indes, dessen Namen mir bei Sichtung von L’AMANTE DEL VAMPIRO permanent wie eine Neonreklame im Hirn blinkte, wird von Polselli zwar nicht direkt erwähnt, dennoch bekomme ich den Gedanken nicht aus dem Kopf und das Gefühl nicht aus der Brust, dass die beiden auf der ästhetischen Ebene einiges verbindet. Wen ich meine, das ist Jean Epstein, der in Filmen wie MAUPRAT oder LA CHUTE DE LA MAISON USHER oder FINIS TERRAE in den 20ern ganz ähnlich mit Naturbildern verfuhr wie Polselli es in vorliegendem Werk tut. Man sehe sich nur an, wie Polselli die Natur stets das Grauen einleiten lässt, bevor es über seine Protagonisten herfällt. Wunderschöne Aufnahmen zeigen da wogende Bäume im Wind, einen rauschenden, unheimlichen Wasserfall, Eulen, die in Ritterrüstungen flattern, das labyrinthische Gestrüpp eines schier undurchdringlichen Waldes, die tiefschwarzen Zinnen einer Burg, die sich vor dem Nachthimmel abhebt. Für mich sind das alles Einstellungen, die in einem klassischen Epstein-Film nicht aus dem Rahmen gefallen wären.
Freilich wäre L’AMANTE DEL VAMPIRO kein Polselli-Film, wenn es nicht doch, neben der ganzen visuellen Entrücktheit, den einen oder anderen, indes noch wohldosierten, Moment geben würde, der einen zum Stutzen bringt. Das Thema Sex ist, jeder, der schon mal den einen oder anderen Blick in die Filmographie des studierten Philosophen aus den 70ern oder gar 80ern geworfen hat, wird mir da zustimmen, eins, von dem Polselli besessen scheint, und diese Besessenheit agiert er in L’AMANTE DEL VAMPIRO schonungslos aus, zumindest so weit ihm das die Zensurbedingungen des Jahres 1960 erlauben, für die er aber, denke ich, bereits ziemlich weit gegangen ist. Natürlich, nackte Frauenbrüste oder gar eindeutige Kopulationsszenen findet hier niemand, der Subtext ist indes ein vor nur mühsam zurückgehaltenem Sperma regelrecht triefender Schwamm voller geilem Lechzen und lüsternem Glotzen. Allein wie die Tänzerinnen inszeniert werden in ihren enganliegenden Tops und mit ihren aufreizenden Bewegungen, oder wie die Frauen, sobald der Vampir sie einmal biss, wobei der Vampirkuss spätestens seit Freud ja eine nur halbseiden verklausulierte Metapher für einen herzhaften Blow Job darstellt, sich in orgasmusähnlichen Zuckungen winden und ihm nicht nur Hals, sondern bereitwillig auch Hüfte hinstrecken, auf dass er sie, mit was auch immer, penetriere, oder die offenkundige SM-Beziehung zwischen Hermann und der Gräfin, bei der man nie recht weiß, wer nun von wem abhängt und wer die Hose anhat und wer seine Hose auf Befehl des anderen ausziehen muss: der Film ist aufgeladen mit einer sexuellen Spannung, die knisternd nur darauf zu warten scheint, sich zu entladen – ein Versprechen, das Polselli etwa zehn Jahre später dann einzulösen beginnt.
Daneben muss noch der Vampir an sich erwähnt werden, der, meine ich, relativ isoliert in der Filmgeschichte dasteht. Es ist ein Vampir ohne Eigenschaften, ein auf sein Skelett heruntergebrochener Vampir, potthässlich, völlig ohne Charisma, kein Max Schreck, kein Christopher Lee, kein Bela Lugosi, einfach nur ein raubtierhaftes Wesen, das nach seinen Instinkten lebt, und, wenn es Blut gesoffen hat, zu einem ebenso mich nicht besonders ansprechenden Mann wird, der vorzugsweise mit den Machtspielen zwischen ihm und seiner Herrin/Untertanin beschäftigt ist, wobei mich die Maske noch am ehesten an Jean Marais in Cocteaus LA BELLE ET LA BÊTE erinnert. Sein wenig ruhmvolles Ende, die feige Art, wie er sich seinen Opfern nähert, nämlich mit roher Gewalt und ohne alle Verführungskunst, sein oftmals hämisches Lachen und Grinsen, bevor er zubeißt, tragen nur dazu bei, ihm alles abzusprechen, was einen Vampir sonst normalerweise konstituiert. Ein obskures Zugeständnis an den Zeitgeist sind demgegenüber die reichhaltigen Tanzszenen zu flotter Swing- und Jazz-Musik, die mich mich zeitweise fühlen ließen, als sei ich nicht unter Polsellis Fittichen, sondern versehentlich in die pakistanische DRACULA-Verfilmung ZINDA LAASH oder einen der Bollywood-Horror-Musicals der Gebrüder Ramsay geraten, so unmotiviert und unvermittelt wie hier die gotische Bilderflut und die eigentliche Handlung immer wieder unterbrochen wird, damit Polselli uns die Tanzkünste seines indes recht ansprechenden weiblichen Casts vorführen kann. Einen Moment, den man Jean Rollin zugetraut hätte, das allerdings auch erst etwa eine Dekade später, ist jener, in der der Obervampir, der es scheinbar nicht mag, wenn andere Vampire sich zu ihm gesellen, eins seiner Opfer eigenhändig per Pfahl eliminiert, und interessant habe ich die ganze Hintergrundgeschichte empfunden, die ein Greis den Mädchen erzählt, als sie ihn nach den in der Gegend kursierenden Legenden über wiederkehrende, saugende und schmatzende Tote ausfragen. Angeblich habe es vor langer Zeit eine Gruppe bitterböser Menschen gewesen, die von Gott respektive einem seiner Engel zur Strafe für ihre Sünden auferlegt bekommen hätten, sich fortan selbst in kannibalischem Verzehr auffressen zu müssen. Das seien die Vampire gewesen, nach deren gegenseitigem Ausmerzen man überall, wo sie begraben lagen, Kruzifixe aufstellte, da diese das Einzige seien, was nachhaltig vor ihnen schütze. Mit der Zeit, so der Erzähler, haben die Menschen aus unerfindlichen Gründen, wie er hinzufügt, die Wirkung des Kreuzes vergessen und nun seien die Vampire wieder aus ihren Erdlöchern gekrochen und suchten die Lebenden heim. Was heißt das nichts anderes als dass die Vampirbrut sozusagen die, auf Umwegen stattfindende, göttliche Rache für die historische Aufklärung ist? Der Mensch vergisst das Kreuz, d.h. emanzipiert sich von ihm und wird sich selbst zum Gott. Dieses Vergessen generiert im Umkehrschluss aber, dass all das, was das Kreuz, d.h. der Glaube an sich, bis dahin in Schach hielt, nun über den Menschen hinwegrollt. Der Schlaf der Vernunft gebiert nicht die Ungeheuer, wie es bei Goya heißt, sondern der Gebrauch der Vernunft selbst ist die Gebärmutter, da dieser all das andere, für unvernünftig Erachtete ausschließt. Somit steht L’AMANTE DE VAMPIRO knietief in der Tradition eines im Grunde rationalitätsfeindlichen Horrorkinos, das am liebsten von dem Angriff der mythischen, mystischen, metaphysischen Vergangenheit auf die gottlose, entgottete Gegenwart berichtet.
Meine liebste Szene, und von denen gibt es in L’AMANTE DEL VAMPIRO viele, zum Schluss: Unser Hero und unsere Heroine befinden sich in einer nicht näher definierten Höhle. Sie schwatzen, küssen. Er hat ein Feuerzeug bei sich. Lässt er die Flamme in die Höhe schießen, erhellt sich die Höhle. Ihre Schatten werden gegen die Felswände geworfen. Erlischt das Feuer, sind sie in Schwarz gehüllt, ihre Gesichter nicht mehr zu erkennen. So kurz diese Szene auch sein mag, so perfekt ist sie für mich, und wegen solcher Momente wahrer Poesie ist L’AMANTO DEL VAMPIRO einer der besten Filme, die ich seit langem gesehen habe.
Originaltitel: L'Amante del Vampiro
Alternativtitel: The Vampire and the Ballerina
Herstellungsland: Italien 1960
Regie: Renato Polselli
Darsteller: Walter Brandi, Gino Turini, Pier Ugo Gragnani, Tina Gloriani, Hélène Rémy, Iscaro Ravaioli
L’AMANTE DEL VAMPIRO ist offenbar einer der ersten italienischen (Gothic-)Horrorfilme überhaupt, veröffentlicht zu einem Zeitpunkt, als noch nicht einmal Mario Bavas für viele als DER Genre-Meilenstein geltende LA MASCHERA DEL DEMONIO vorgelegen hatte, was zunächst einmal verwundert, da beide Filme mir durchaus aus dem gleichen Holz geschnitzt zu sein scheinen. Jedenfalls weist L’AMANTE DEL VAMPIRO schon wesentlich deutlicher auf Bavas berühmtes Epos hin als auf die „eigentliche“ Initialzündung des italienischen Schauerkinos, I VAMPIRI von Riccardo Freda, dessen zuweilen noch etwas kriminal- oder groschenromanhafter Atmosphäre er eine konsequente, düster-morbide Schwarzweiß-Ästhetik entgegengesetzt, bei der die gruseligen Nachteulen nicht hoch genug fliegen können. Wie LA MASCHERA DEL DEMONIO, und damit im Gegensatz zu I VAMPIRI, ist der Film in einem zeit- und raumlosen Niemandsland angesiedelt, dessen Berührungspunkte mit der Moderne relativ marginal ausfallen. Stattdessen setzt Kameramann Angelo Baistrocchi auf Bilder wie aus einer anderen Welt, taucht ein in Grüfte, halbverfallene Schlösser und dichteste Wälder, wie man sie nicht mal in den zeitgleich entstandenen und vergleichsweise plüschigen Hammer-Horror-Filmen finden kann.
Überhaupt ist L’AMANTE DEL VAMPIRO ein Film der Bilder, ein Film, der allein über seine Bilder funktioniert, und dem man, reduziert man ihn allein auf sein konfuses Drehbuch, genauso wenig gerecht wird wie Polsellis späteren noch mehr aus den Angeln gehobenen surrealen Experimenten. Mehr als dass eine Gruppe junger Tänzerinnen – angeblich Ballett, doch was dann stattdessen geboten wird, entspricht wohl eher der allgemeinen Norm frühsechziger Tanzböden – sich irgendwo im italienischen Hinterland in einem stattlichen Anwesen damit beschäftigt ist, irgendeine tolle Choreographie einzustudieren, und alsbald lichte Stellen in ihren Reihen beklagen müssen, da bereits mehrere aus ihrer Mitte tot, offensichtlich hingemordet, aufgefunden worden sind, worauf der jugendliche Held eher durch Zufall auf eine Schlossruine im tiefsten Forst und in selbiger auf eine ominöse Gräfin stößt, die dort mit ihrem hünenhaften Diener Hermann haust, und alsbald feststellen muss, dass es sich bei den beiden um Vampire handelt, die es unter anderem auf das Hälschen seiner Verlobten abgesehen haben, passiert hier im Grunde nämlich nicht, da Polselli das Tempo seines Films die gesamte Laufzeit ziemlich gedrosselt hält und den einzelnen Szenen Zeit und Muse lässt, sich komplett zu entfalten. Zumal der Film rein storytechnisch nichts wirklich Innovatives vorzuführen hat. Die Vampire dieses Films verhalten sich so wie Vampire sich eben verhalten, die Opfer sind ausschließlich weiblich und, nach dem ersten Biss, willig, sich noch weitere Male beißen zu lassen, der Held ist einer dieser farblosen Kerle, dem die Frauenherzen gerade so zufliegen, die Geschichte orientiert sich unübersehbar in ihrer Grundstruktur, wie so viele vor oder nach ihr, an Bram Stokers DRACULA-Roman, sodass man prinzipiell für jede wichtige Figur eine Entsprechung in der literarischen Vorlage finden kann, einzig mit dem Unterschied, dass Polselli die Chronologie ein bisschen durcheinandergewirbelt und die Einzelstücke ein wenig eigen zusammenmontiert hat.
Trotzdem, die Story mag nichts reißen, mag routiniert sein, voller altbekannter Versatzstücke, die nicht mal 1960 noch neu gewirkt haben mögen, und der Film scheint gar nicht erst zu versuchen, dem Eingeweihten oder Nicht-Eingeweihten irgendwelche dramaturgische Überraschungen zu bieten – beispielweise wird die Identität des Vampirs, anders als in I VAMPIRI, ohne großes Federlesen gleich von Anfang an freimütig offengelegt -, dennoch war L’AMANTE DEL VAMPIRO für mich ein wahres Fest, und das allein aufgrund seiner Optik. Meiner Meinung nach hat Polselli sich nichts weniger zu seiner Agenda gemacht als einen Film zu schaffen, dessen Funktionsmechanismen eins zu eins mit denen des vor allem deutschen Kinos etwa vierzig Jahre früher übereinstimmen. Gleich der Prolog stößt einen förmlich mit der Nase mitten hinein in die Kabinette Caligaris, in das Golem-Schnauben Wegeners und die Hyänenöhrchen Nosferatus, wenn da eine junge Dirne vor dem Blutsauger flüchtet, und sowohl sie als auch ihr Verfolger als expressionistische Schattenspiele an einer Mauer zu sehen sind. Meisterhaft inszeniert Polselli in den ersten Minuten einen kleinen Kurzfilm für sich, der sowohl schaurig daherkommt als auch dieses Gefühl in mir weckt, dass unter den großartig ausgeleuchteten und mit dem Kontrast zwischen Licht und Schatten spielenden Bildern völlig kinobesessene, leidenschaftliche Herzschläge pulsieren. Das Verbeugen vor Regisseuren wie Fritz Lang oder Friedrich Wilhelm Murnau durchzieht dann aber auch den gesamten Restfilm, den ich mir problemlos komplett ohne Dialoge vorstellen könnte, so sehr spricht er allein auf der visuellen Ebene zu mir, dass es die vielen Worte gar nicht gebraucht hätte, mit denen Polselli sowieso nicht mal ein Bruchteil von dem auszusagen weiß, was er mit seinen Bildern vermag. Ein paar Zwischentafeln hätten, meiner Meinung nach, völlig ausgereicht, die einerseits ziemlich simple und andererseits dann doch an manchen Punkten einigermaßen verworrene Handlung zu erklären. Am euphorischsten feiere ich deshalb eben die Szenen, in denen Polselli seine eher blassen Charaktere und durchschnittlichen Schauspieler endlich einmal in Schweigen verfallen lässt und sich ganz einer Stille hingibt, auf der seine schlichten, jedoch ungemein effektiven Bildkompositionen sich hemmungslos ausbreiten können. Eine äußerst lange Szene sei hier beispielhaft erwähnt, die kurz vor Filmende stattfindet, als eine der Tänzerinnen, unsere nominelle Heroine, ihrer Freundin, die sich nach einem Vampirbiss reichlich seltsam verhält, nachstellt, um herauszubekommen, wo sie denn jede Nacht hinschleiche. Obwohl diese Szene mit unfassbar unpassendem Big-Band-Jazz beginnt, dessen Einsatz zu den schauerromantischen Bildern von durch nebelverhangenen Wäldern stapfenden Mädchen derart verschroben wirkt, dass ich es durchaus als ein frühes Aufschimmern von Polsellis exzessiven Irritations-Delirien der 70er Jahre bezeichnen würde, entwickelt sie sich bald zu einer mit leisen Tönen operierenden Choreographie, in der, ohne dass auch nur ein Sterbenswörtchen fallen würde, sich das Machtverhältnis zwischen den beiden Frauen nach und nach umkehrt, die Verfolgte ihre Verfolgerin erst in das Vampirschloss lockt, dann in dessen Keller, immer tiefer hinein, bis in die Gruft, wo der Blutsaugerfürst schläft, und wo unsere Heldin letztlich in der Falle sitzt und, hinter verschlossenen Türen stehend, mit ansehen muss wie die Bestie sich aus ihrem Sarg wälzt, um ihren Hals anzuzapfen. Dieses minutenlange und minutiöse Schilderung des Eindringens unserer Heldin in die Höhle des sprichwörtlichen Löwen hat mich aufgrund seiner gänsehautverursachenden Schlichtheit nicht zu wenig an jene brillante in Amando de Ossorios LA NOCHE DEL TERROR CIEGO erinnert, wo ebenfalls eine junge Dame weit über zehn Minuten zugebilligt bekommt, sich in der Templerburg häuslich ein- und dann hingerichtet zu werden.
Renato Polselli indes macht, wie Mario Bava oder vor allem der frühe Dario Argento, gar keinen Hehl aus seinen Vorbildern und zitiert diese ganz bewusst mit an den Insider gerichtetem Augenzwinkern. Die Kutsche, mit der unser Vampir durch die Lande zieht, ist zum Beispiel offensichtlich von der inspiriert, deren Pferdezügel Max Schreck in NOSFERATU zwischen den Klauen hält, und eine Szene, die ich für wirklich frenetischen Applaus würdig halte, in der ein weibliches Opfer des Beißers während ihres eigenen Begräbnisses im Sarg erwacht und sich als Untote wiederfindet, die durch ein Guckfenster aus Glas erst den Himmel sieht, dann die Gesichter der Trauerenden, schließlich die Erde, die man auf sie schaufelt, und den Zuschauer aus der Ich-Perspektive an diesem letzten Blick auf die Welt teilhaben lässt, kann gar nichts anderes sein als eine Anspielung auf das verkannte Meisterwerk Carl Theodor Dreyers mit dem bezeichnenden Titel VAMPYR. Ein Regisseur indes, dessen Namen mir bei Sichtung von L’AMANTE DEL VAMPIRO permanent wie eine Neonreklame im Hirn blinkte, wird von Polselli zwar nicht direkt erwähnt, dennoch bekomme ich den Gedanken nicht aus dem Kopf und das Gefühl nicht aus der Brust, dass die beiden auf der ästhetischen Ebene einiges verbindet. Wen ich meine, das ist Jean Epstein, der in Filmen wie MAUPRAT oder LA CHUTE DE LA MAISON USHER oder FINIS TERRAE in den 20ern ganz ähnlich mit Naturbildern verfuhr wie Polselli es in vorliegendem Werk tut. Man sehe sich nur an, wie Polselli die Natur stets das Grauen einleiten lässt, bevor es über seine Protagonisten herfällt. Wunderschöne Aufnahmen zeigen da wogende Bäume im Wind, einen rauschenden, unheimlichen Wasserfall, Eulen, die in Ritterrüstungen flattern, das labyrinthische Gestrüpp eines schier undurchdringlichen Waldes, die tiefschwarzen Zinnen einer Burg, die sich vor dem Nachthimmel abhebt. Für mich sind das alles Einstellungen, die in einem klassischen Epstein-Film nicht aus dem Rahmen gefallen wären.
Freilich wäre L’AMANTE DEL VAMPIRO kein Polselli-Film, wenn es nicht doch, neben der ganzen visuellen Entrücktheit, den einen oder anderen, indes noch wohldosierten, Moment geben würde, der einen zum Stutzen bringt. Das Thema Sex ist, jeder, der schon mal den einen oder anderen Blick in die Filmographie des studierten Philosophen aus den 70ern oder gar 80ern geworfen hat, wird mir da zustimmen, eins, von dem Polselli besessen scheint, und diese Besessenheit agiert er in L’AMANTE DEL VAMPIRO schonungslos aus, zumindest so weit ihm das die Zensurbedingungen des Jahres 1960 erlauben, für die er aber, denke ich, bereits ziemlich weit gegangen ist. Natürlich, nackte Frauenbrüste oder gar eindeutige Kopulationsszenen findet hier niemand, der Subtext ist indes ein vor nur mühsam zurückgehaltenem Sperma regelrecht triefender Schwamm voller geilem Lechzen und lüsternem Glotzen. Allein wie die Tänzerinnen inszeniert werden in ihren enganliegenden Tops und mit ihren aufreizenden Bewegungen, oder wie die Frauen, sobald der Vampir sie einmal biss, wobei der Vampirkuss spätestens seit Freud ja eine nur halbseiden verklausulierte Metapher für einen herzhaften Blow Job darstellt, sich in orgasmusähnlichen Zuckungen winden und ihm nicht nur Hals, sondern bereitwillig auch Hüfte hinstrecken, auf dass er sie, mit was auch immer, penetriere, oder die offenkundige SM-Beziehung zwischen Hermann und der Gräfin, bei der man nie recht weiß, wer nun von wem abhängt und wer die Hose anhat und wer seine Hose auf Befehl des anderen ausziehen muss: der Film ist aufgeladen mit einer sexuellen Spannung, die knisternd nur darauf zu warten scheint, sich zu entladen – ein Versprechen, das Polselli etwa zehn Jahre später dann einzulösen beginnt.
Daneben muss noch der Vampir an sich erwähnt werden, der, meine ich, relativ isoliert in der Filmgeschichte dasteht. Es ist ein Vampir ohne Eigenschaften, ein auf sein Skelett heruntergebrochener Vampir, potthässlich, völlig ohne Charisma, kein Max Schreck, kein Christopher Lee, kein Bela Lugosi, einfach nur ein raubtierhaftes Wesen, das nach seinen Instinkten lebt, und, wenn es Blut gesoffen hat, zu einem ebenso mich nicht besonders ansprechenden Mann wird, der vorzugsweise mit den Machtspielen zwischen ihm und seiner Herrin/Untertanin beschäftigt ist, wobei mich die Maske noch am ehesten an Jean Marais in Cocteaus LA BELLE ET LA BÊTE erinnert. Sein wenig ruhmvolles Ende, die feige Art, wie er sich seinen Opfern nähert, nämlich mit roher Gewalt und ohne alle Verführungskunst, sein oftmals hämisches Lachen und Grinsen, bevor er zubeißt, tragen nur dazu bei, ihm alles abzusprechen, was einen Vampir sonst normalerweise konstituiert. Ein obskures Zugeständnis an den Zeitgeist sind demgegenüber die reichhaltigen Tanzszenen zu flotter Swing- und Jazz-Musik, die mich mich zeitweise fühlen ließen, als sei ich nicht unter Polsellis Fittichen, sondern versehentlich in die pakistanische DRACULA-Verfilmung ZINDA LAASH oder einen der Bollywood-Horror-Musicals der Gebrüder Ramsay geraten, so unmotiviert und unvermittelt wie hier die gotische Bilderflut und die eigentliche Handlung immer wieder unterbrochen wird, damit Polselli uns die Tanzkünste seines indes recht ansprechenden weiblichen Casts vorführen kann. Einen Moment, den man Jean Rollin zugetraut hätte, das allerdings auch erst etwa eine Dekade später, ist jener, in der der Obervampir, der es scheinbar nicht mag, wenn andere Vampire sich zu ihm gesellen, eins seiner Opfer eigenhändig per Pfahl eliminiert, und interessant habe ich die ganze Hintergrundgeschichte empfunden, die ein Greis den Mädchen erzählt, als sie ihn nach den in der Gegend kursierenden Legenden über wiederkehrende, saugende und schmatzende Tote ausfragen. Angeblich habe es vor langer Zeit eine Gruppe bitterböser Menschen gewesen, die von Gott respektive einem seiner Engel zur Strafe für ihre Sünden auferlegt bekommen hätten, sich fortan selbst in kannibalischem Verzehr auffressen zu müssen. Das seien die Vampire gewesen, nach deren gegenseitigem Ausmerzen man überall, wo sie begraben lagen, Kruzifixe aufstellte, da diese das Einzige seien, was nachhaltig vor ihnen schütze. Mit der Zeit, so der Erzähler, haben die Menschen aus unerfindlichen Gründen, wie er hinzufügt, die Wirkung des Kreuzes vergessen und nun seien die Vampire wieder aus ihren Erdlöchern gekrochen und suchten die Lebenden heim. Was heißt das nichts anderes als dass die Vampirbrut sozusagen die, auf Umwegen stattfindende, göttliche Rache für die historische Aufklärung ist? Der Mensch vergisst das Kreuz, d.h. emanzipiert sich von ihm und wird sich selbst zum Gott. Dieses Vergessen generiert im Umkehrschluss aber, dass all das, was das Kreuz, d.h. der Glaube an sich, bis dahin in Schach hielt, nun über den Menschen hinwegrollt. Der Schlaf der Vernunft gebiert nicht die Ungeheuer, wie es bei Goya heißt, sondern der Gebrauch der Vernunft selbst ist die Gebärmutter, da dieser all das andere, für unvernünftig Erachtete ausschließt. Somit steht L’AMANTE DE VAMPIRO knietief in der Tradition eines im Grunde rationalitätsfeindlichen Horrorkinos, das am liebsten von dem Angriff der mythischen, mystischen, metaphysischen Vergangenheit auf die gottlose, entgottete Gegenwart berichtet.
Meine liebste Szene, und von denen gibt es in L’AMANTE DEL VAMPIRO viele, zum Schluss: Unser Hero und unsere Heroine befinden sich in einer nicht näher definierten Höhle. Sie schwatzen, küssen. Er hat ein Feuerzeug bei sich. Lässt er die Flamme in die Höhe schießen, erhellt sich die Höhle. Ihre Schatten werden gegen die Felswände geworfen. Erlischt das Feuer, sind sie in Schwarz gehüllt, ihre Gesichter nicht mehr zu erkennen. So kurz diese Szene auch sein mag, so perfekt ist sie für mich, und wegen solcher Momente wahrer Poesie ist L’AMANTO DEL VAMPIRO einer der besten Filme, die ich seit langem gesehen habe.