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Bitterer Reis - Giuseppe De Santis (1949)

Verfasst: Di 20. Mai 2014, 16:46
von buxtebrawler
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Originaltitel: Riso Amaro

Herstellungsland: Italien / 1949

Regie: Giuseppe De Santis

Darsteller: Silvana Mangano, Raf Vallone, Vittorio Gassman, Doris Dowling, Maria Capuzzo, Checco Rissone, Nico Pepe, Adriana Sivieri, Lia Corelli, Maria Gracia Francia, Dedi Ristori, Anna Maestri u. A.
Walter (Vittorio Gassmann) ist auf der Flucht vor der Polizei, die ihn wegen des Diebstahls einer wertvollen Halskette sucht. Nachdem er knapp entkommen war, übergibt er den Schmuck seiner Freundin Francesca (Doris Dowling), mit der er am Bahnhof verabredet war. Um in der Menge zu verschwinden, schließt sie sich spontan den Arbeiterinnen für die Reis-Anpflanzungen an, die in großer Zahl auf dem Weg in die Po-Ebene sind. Als sie im Zug Silvana (Silvana Mangano) begegnet, wird ihr erst klar, worauf sie sich eingelassen hat. Da sie keinen Vertrag mit den Arbeitgebern an den Reisfeldern hat, droht ihr am Ziel die Zurückweisung. Silvana beruhigt sie, aber damit verfolgt sie eigene Ziele, denn sie hatte bemerkt, dass Francesca etwas in einem Tuch versteckt hielt. An den Reisfeldern angekommen, erfährt Francesca schnell, dass sie hier keineswegs willkommen ist, und als sie dann noch bemerkt, dass ihr Silvana den Schmuck gestohlen hat, bleibt ihr nur noch eine Möglichkeit, bevor sie von dort wieder verschwinden muss. Gemeinsam mit anderen Arbeiterinnen, die keinen Vertrag haben, erzwingt sie den Zugang zu den Reisfeldern...
Quelle: www.ofdb.de

Re: Bitterer Reis - Giuseppe De Santis (1949)

Verfasst: Di 20. Mai 2014, 16:48
von buxtebrawler
„Nur Frauen sind für diese Arbeit geeignet. Zarte und flinke Hände braucht man, Hände, die gewohnt sind, mit Babys umzugehen oder die Nadel einzufädeln.“ (außerdem kommen sie beim Putzen besser in die Ecken…)

Puristen des italienischen Neorealismus mögen angesichts des stark auf Unterhaltungs- und Schauwerte ausgerichteten „Bitterer Reis“ aus dem Jahre 1949 die Nase rümpfen, Genießer des anspruchsvolleren Unterhaltungsfilms jedoch dürften das eine oder andere Auge für den nach einer Geschichte von Giuseppe De Santis und Carlo Lizzani entstandenen Film, bei dem De Santis („Tragische Jagd“) persönlich Regie führte, gern riskieren.

Am Bahnhof steckt Juwelendieb Walter (Vittorio Gassmann, „Sleepers“) auf der Flucht vor der Polizei seiner Freundin Francesca (Doris Dowling, „Die blaue Dahlie“) die jüngst gestohlene Halskette zu. Francesca taucht in der Menge der Arbeiterinnen unter, die zur Reissaat in die Po-Ebene reisen, und gibt sich als eine von ihnen aus. Sie freundet sich mit Silvana (Silvana Mangano, „Die Fahrten des Odysseus“) an, die ihr jedoch bei erstbester Gelegenheit das vermeintlich wertvolle Schmuckstück mopst. Francesca sieht sich gezwungen, ebenfalls zur Aussaat anzutreten, um die Kette zurückzubekommen. Ohne Arbeitsvertrag droht ihr jedoch der Ausschluss, woraufhin sie mit anderen Vertragslosen für ihr Recht auf Arbeit kämpft. So lernt Francesca den harten Alltag der Arbeiterinnen am eigenen Leibe kennen.

Zu Bildern der Arbeit in den Reisfeldern, für die die Kamera unverhohlen auf die Hintern der Arbeiterinnen zielt, erklärt ein Radioreporter, dass auch in Italien seit Jahrhunderten Reis angebaut wird. Der Reportage-Stil endet abrupt, als De Santis seine Charaktere einzuführen beginnt. Walter verschwindet recht schnell wieder aus der Handlung, die verstärkt ihr Augenmerk auf die Beziehung zwischen Francesca und Silvana richtet. Parallel dazu entwickelt „Bitterer Reis“ seinen neorealistischen, sozialkritischen Anspruch, indem er zeigt, welch Kampf um die Arbeitsplätze selbst für diesen schlecht bezahlten Knochenjob entbrennt, als die Frauen ohne Vertrag in Konkurrenz zu denen mit treten und ausgenutzt und ausgebootet werden sollen, und wie die Quasi-Zuhälter der Frauen vom Konkurrenzkampf profitieren. Im Kleinen wird hier die kapitalistische Arbeitslogik veranschaulicht, die auf die Ausbeutung des Arbeiters/der Arbeiterin ausgerichtet ist und sich um Entsolidarisierung der Unterschicht bemüht, von der sie letztlich profitiert. Wie Sklaven werden die Arbeiterinnen von den Männern angetrieben. Sprechen ist während der Arbeit verboten, weshalb man singend untereinander kommuniziert. Ein offener Konflikt bricht aus, die Frauen gehen aufeinander los. In der Konsequenz jedoch entwickeln sich Solidarität und Arbeitskampf, was auf den interessanten historischen Fakt verweist, dass die Reisarbeiterinnen zu den Vorreitern der italienischen Arbeiterbewegung zählten, die sich früh gewerkschaftlich organisierten.

Mit Unteroffizier Marco (Raf Vallone, „Der Pate – Teil 3“) wird ein weiterer Charakter eingeführt, der moderierend eingreift und zwischen den Frauen vermittelt, zudem Gefängnisse als Instrument der Justiz kritisiert. Marco entwickelt Interesse an Silvana und umgarnt sie. Dies bedeutet den Ausgangspunkt für den melodramatischen Aspekt des Films mit seiner unheilvollen Vierecks-Beziehung zwischen Francesca, Marco, Silvana und dem hinzustoßenden Walter, der ausgerechnet dann wieder die Szenerie betritt, als Silvana das Corpus Delicti am Körper trägt und tanzt. Die Ereignisse überschlagen sich, Walter und Marco lassen die Fäuste fliegen und das begehrte Diebesgut entpuppt sich zu allem Überfluss als billige Fälschung. Während die Arbeiterinnen knietief in den Reisfeldern stecken, begibt sich „Bitterer Reis“ nun zusätzlich zur „Beziehungskiste“ ebenso tief ins Kriminalmilieu: Reisdiebe schleichen sich ein, werden vom selbstgefälligen Walter jedoch nur verlacht. Stattdessen schmiedet er mit ihnen einen perfiden Plan, eine viel größere Menge zu stehlen und die Arbeiterinnen, die in Reis bezahlt werden (!), damit unmittelbar um ihren verdienten Mindestlohnt zu bringen. Parallel dazu wird Silvana ihres Lebens überdrüssig, fürchtet ewiges Darben in Armut und wird damit zur leichten Beute für Blender Walter, mit dem sie hoffnungsvoll anbändelt, jedoch von ihm geschlagen und erniedrigt wird. Die Charaktere entwickeln und verändern sich, ihre Vorzeichen werden umgekehrt: Aus der lebenslustigen, doch verträumten Silvana wird eine egoistische Kriminelle, Francesca hingegen bekundet den Arbeiterinnen ihren Respekt, sagt sich von Walter und der Kriminalität los und versucht erfolglos, auf Silvana einzuwirken. Francesca wird zudem von Walter erpresst, was ihre Handlungsfähigkeit weiter einschränkt. Fortan schraubt sich „Bitterer Reis“ in seinem Verlauf von einer dramatischen Szene zur anderen hoch; als Komplizin Walters überschwemmt Silvana die Felder und gefährdet die Ernte, es kommt zu Schusswechseln, in deren Zusammenhang Walter all seiner Niedertracht freien Lauf lässt. Menschen sterben und während ein Ableben hart, aber gerecht erscheint, ist ein anderes überaus tragisch. Ergreifend schließt der Film und sollte keinen Zuschauer unberührt zurücklassen.

„Bitterer Reis“ vermengt auf angenehm leichtfüßige Weise anspruchsvolle neorealistische Aspekte mit Kriminalfilm- und Liebesmelodram-Elementen, öffnet sich damit einem großen Publikum und ist in seiner Zusammensetzung, der Gegenüberstellung scheinbarer Gegensätze wie Knochenarbeit und Lebensfreude und der Verquickung von Kapitalismuskritik mit nur scheinbar profanen zwischenmenschlichen Dramen näher am Proletariat, als es manch Kritiker erahnen dürfte. Er widmet sich nicht nur dem großen Ganzen, das er anhand der Massen auf den Reisfeldern porträtiert, kritisiert und zum Anlassen nimmt, seinen Respekt gegenüber den schwer arbeitenden Frauen auszudrücken, sondern auch dem Individuum, an dessen Beispiel er die Sehnsucht nach dem Entfliehen aus der Armut und die damit verbundenen Gefahren verdeutlicht, er die Destruktivität egoistischer, gegen die Arbeiter gerichteter Kriminalität aufzeigt und letztlich die von Abhängigkeiten, materiellen Zwängen und Existenzängsten erschwerte Suche nach Liebe und Geborgenheit skizziert, die auch unter denkbaren ungünstigen Umständen sich ihren Weg bahnt, jedoch erhöhte Gefahr läuft, irregeführt zu werden. Den Film-noir-Fatalismus seines Jahrzehnts lässt der Film derweil hinter sich.

Nicht unterschlagen darf ich natürlich eines der offensichtlichsten Merkmale des Films: den aus heutiger Sicht subtilen, für die damalige Zeit jedoch skandalösen Erotikfaktor. Die attraktive Silvana Mangano steckte man in einen knallengen Pullover oder in Blusen, die ihre Oberweite betonen, womit sie wie ein Pin-Up-Modell aussieht. Dass die Arbeiterinnen in den nassen Reisfeldern ihre Röcke so hoch rafften, dass man ihre Oberschenkel sieht, wird dankbar von der gern voyeuristischen Kamera aufgenommen, die zudem auch den Blick auf manch Unterwäsche gewährt und Manganos unbekleidete Beine gern einmal noch länger aussehen lässt, als sie ohnehin wirkten. Gewiss hatte De Santis damit Vorbildwirkung für nachfolgende Filme, bis schließlich auch die italienische Filmindustrie bei Erotik- und Sex-Filmen federführend mit von der Partie war und dabei half, Begriffe wie Sexploitation mitzuprägen. Davon ist „Bitterer Reis“ indes noch meilenweit entfernt, wenngleich zu den im vorherigen Absatz genannten Vorzügen eine gewisse Sinnlichkeit hinzukommt, die den Filmgenuss zusätzlich erhöht. Ein hochinteressanter, kaum angestaubter Klassiker, der inhaltlichen Anspruch mit hohem Unterhaltungsfaktor und mal stilsicherer, mal frech-provokanter Ästhetik miteinander verbindet.

Re: Bitterer Reis - Giuseppe De Santis (1949)

Verfasst: So 27. Jul 2014, 22:41
von buxtebrawler
Scheint demnächst von Filmjuwelen auf DVD zu kommen!

Re: Bitterer Reis - Giuseppe De Santis (1949)

Verfasst: So 27. Jul 2014, 23:54
von dr. freudstein
ofdb sagt Februar 2015, also noch ne Weile hin. Welche Fassung hast du gesehen, TV oder VHS? Darf ich die auch sehen, mein Briefkasten ist schon wieder leer :oops:

Re: Bitterer Reis - Giuseppe De Santis (1949)

Verfasst: Mo 28. Jul 2014, 09:54
von buxtebrawler
dr. freudstein hat geschrieben:ofdb sagt Februar 2015, also noch ne Weile hin. Welche Fassung hast du gesehen, TV oder VHS? Darf ich die auch sehen, mein Briefkasten ist schon wieder leer :oops:
Ah, ist sogar schon eingetragen, danke für die Ergänzung. Meine Fassung dürfte eine aus internationaler DVD und deutschem TV-Ton zusammengebastelte sein. Leg ich dir mal in den Briefkasten.

Re: Bitterer Reis - Giuseppe De Santis (1949)

Verfasst: Fr 21. Nov 2014, 11:22
von CamperVan.Helsing
buxtebrawler hat geschrieben:Scheint demnächst von Filmjuwelen auf DVD zu kommen!
Ab 13.2. kommt Reis, Reis, Baby

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Re: Bitterer Reis - Giuseppe De Santis (1949)

Verfasst: Fr 21. Nov 2014, 17:58
von Die Kroete
ugo-piazza hat geschrieben:
buxtebrawler hat geschrieben:Scheint demnächst von Filmjuwelen auf DVD zu kommen!
Ab 13.2. kommt Reis, Reis, Baby

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Super, daß den endlich mal einer bringt. :thup:

Hoffentlich dann auch mit der deutschen Kino-Synchro ?! :?

Re: Bitterer Reis - Giuseppe De Santis (1949)

Verfasst: Mo 17. Apr 2023, 16:07
von buxtebrawler
Ist mutmaßlich am 14.04.2023 bei Filmjuwelen auf Blu-ray und auch noch einmal auf DVD erschienen:

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Extras:
- Interview mit Drehbuchautor Carlo Lizzani (OmU / 6:36 Min.), Guido Michelone über den Film (OmU / 6:36 Min.)
- Regisseur Giuseppe De Santis berichtet (OmU / 32 Min.), Comic Bitterer Reis (OmU / 4 Min.)
- Originaltrailer, Deutscher Trailer, Bildergalerie, Archivmaterial
- Booklet mit Hintergrundinformationen und Biographien

Bemerkungen:
- s/w
- Verpackung: Softbox + Schuber

Quelle: OFDb-Shop