Mundo Nudo - Nackt in der Wildnis (1981)
Verfasst: Do 19. Jun 2014, 21:18
Originaltitel: Kapax del Amazonas
Alternativtitel: Mundo Verde
Herstellungsland: Kolumbien 1981
Regie: Aldo Sambrell, Miguel Ángel Rincón
Darsteller: Kapax, Maria Bauza, Aldo Sambrell, Eva Bravo
Seit geraumer Zeit häufen sich nun schon die mein Postfach verstopfenden E-Mails, in denen ich – mutmaßlich von Mitgliedern dieses Forums, die sich indes hinter seltsamen Pseudonymen wie „Marschall Vormärz“ oder „Josephine Beauchatte“ verstecken – wahlweise freundlich darum gebeten oder aber auch regelrecht bedroht werde, doch endlich einmal einen kolumbianischen Kannibalenfilm aus der Hochzeit des Genres zu besprechen. Nun gut, weshalb denn nicht?, dachte ich mir, zwar nicht um meine körperliche Unversehrtheit bangend, jedoch um meiner Seele ihren und vor allem meinem E-Mail-Postfach seinen Frieden zurückzugeben, es gibt immerhin Schlimmeres, das Menschen schon von Menschen verlangt haben, und allzu schwer war das vorliegende Werk nun wirklich nicht zu finden, scheint es sich doch gerade in Deutschland größter Beliebtheit zu erfreuen, ein Verdacht, den gleich mehrere DVD-Veröffentlichungen heftig stützen.
Bevor ich mich dem Genuss indes vorbehaltlos hingebe, das kurze Abarbeiten einer Checkliste, die unter der Leitfrage steht: handelt es sich bei MUNDO VERDE alias MUNDO NUDO alias KAPAX DEL AMAZONAS denn nun wirklich um einen kolumbianischen Kannibalenfilm, wie er meinen anonymen Erpressern offenbar vorschwebt? Der Titel zunächst lässt das einigermaßen erwarten. MUNDO VERDE, was so viel heißt wie GRÜNE WELT, klar, das ist zwar kein GREEN INFERNO, Dschungelstimmung kommt da allerdings genauso auf wie im Originaltitel KAPAX DEL AMAZONAS, und der deutsche Alternativtitel MUNDO NUDO verspricht zudem neben Fleischverspachteln noch reichlich Fleischbeschau. Das Produktionsjahr 1981 könnte höhere Erwartungen gar nicht schüren, die markigen Sprüche auf der deutschen DVD lassen einem gar das Wasser im Munde zusammenlaufen: Gefangen unter Wilden, kann man da lesen, und: Den Ritualen der Wilden ausgeliefert. Getoppt wird das Ganze nur noch vom Covertext, dessen stilistischsten Höhenflüge ich niemandem vorenthalten möchte: „Tödliches Ringen mit giftigen Schlangen und mörderische Alligatorenkämpfe, Fruchtbarkeitsriten und berauschende Liebesfeste der Wilden im Dschungel des Amazonas - und mitten unter ihnen eine zarte, weiße Frau. [… ] Die junge Forscherin erlebt hautnah die unheimlichen, fremdartigen Sitten und Bräuche der Wilden. Sie ist ihnen völlig schutzlos ausgeliefert und muss hilflos Rituale über sich ergehen lassen, an die sie in der Zivilisation nicht einmal im Traum gedacht hätte.“ Von Kannibalen fehlt hier zwar noch jede Spur, doch setze ich nun einfach mal voraus, dass unter den grauenerregenden Riten, von denen der Film verspricht, sie mir in grauenerregender Weise vorzuführen, doch sicherlich wenigstens eine kleine Knabberei an Menschengebein zu sehen sein wird. Ach ja, und das Produktionsland ist eindeutig und nachweislich Kolumbien. Demnach kann einer Erfüllung meines unfreiwilligen Auftrags wohl nichts mehr im Wege stehen.
Besser könnte der Film dann auch gar nicht beginnen. Sein Vorspann ist unterlegt mit Photographien, die wirken, als hätten die Verantwortlichen wahllos in einer ethnographischen Sammlung herumgewühlt und den Zufall bestimmen lassen, welche Bilder denn nun besonders aussagekräftig ihr Werk einleiten sollen. Da sieht man eine barbusige Indio-Frau auf Fischfang, einige Krieger mit Masken, Statuen, deren Gesichter besagten Masken bis ins Detail ähneln, rauchende alte Männer, eben all das, was in der gemeinen westlichen Vorstellung ein Dschungelleben so ausmacht. Die Texttafel, die darauf folgt, ist ganz im Stile des Genres gehalten, das ja ursprünglich, wie man weiß und, sofern man es noch nicht weiß, bei Umberto Lenzis Initialzündung MONDO CANNIBALE nachsehen kann, aus dem des Mondos erwachsen ist, und es seitdem zu seinem guten Ton gehören lässt, selbst die offensichtlich gestelltesten Eskapaden als bare Münze zu verkaufen. In KAPAX DEL AMAZONAS tönt es: „Die folgende Geschichte basiert auf den Lebensformen und Gebräuchen eines der letzten Indianer-Stämme, die noch heute im Quellgebiet des Amazonas in Kolumbien leben: die Indios Yaguas. Der Film ist so naturgetreu wie möglich nachempfunden.“ Diese vollmundige Ankündigung geht angeblich auf Kosten eines gewissen A.W. Galgez, seines Zeichens Professor der Universität Louisiana und dort „Spezialist für Indianerfragen.“ Na, wenn solch eine Autorität – über deren reelle Existenz ich indes bei meiner vielleicht zu oberflächlichen Recherche nichts habe herausfinden können – für die Authentizität des Gezeigten bürgt, dann kann doch nun wirklich nichts mehr schief-gehen, oder?
Die Eröffnungsszene jedenfalls ist ein Festschmaus für jeden, der es schätzt, wenn Filme ausgetretene Urwaldpfade verlassen und in experimentelles Terrain vorstoßen. Was wir sehen: ein Flugzeug im Abend- oder Morgenrot, von einer statischen Kamera abgefilmt, auf das sich eine Gruppe Menschen, wohl die Passagiere, zubewegt. Was wir hören: nicht allzu erbauliche easy-listening-Klänge, die in keinem zeitgleich entstandenen B-Porno positiv aufgefallen wären, sowie Stimmen aus dem Off, die einerseits den Eindruck erwecken, völlig unabhängig von den Bildern eingesprochen worden zu sein und deren Dialoge andererseits nichtssagender und banaler nicht sein könnten, obwohl sie immerhin die Funktion erfüllen, uns schemenhaft zu umreißen, was die Ausgangsprämisse des Films sein soll: eine junge Anthropologin begibt sich ins Amazonasgebiet, um bislang unerforschte Indianerstämme zu erforschen, während ihr sie begleitender Ehegatte dieses Vorhaben zutiefst verurteilt und stattdessen lieber mit seiner Whiskyflasche allein wäre. Weshalb er dann überhaupt erst mitgereist ist und worin denn nun das konkrete Ziel ihrer Expedition besteht und wie die Beiden eigentlich heißen, das verrät der Film uns mit keiner Silbe und zeigt stattdessen lang und breit und in einer Manier, die von frühsten Stummfilmen abgekupfert zu sein scheint, Start- und Landevorgang der Maschine, wozu immer wieder zu einer etwas unbeholfen in ihrem Tower sitzenden Fluglotsin geschnitten wird. Der Flug dauert eine gefühlte Ewigkeit, in der die Kamera einmal kurz lüstern die Beine unserer versonnen dasitzenden Heldin hinabklettern darf und ihr Ehegatte einen Mitreisenden, der sich zunächst ziert, mit Alkohol, den man offensichtlich kistenweise in den Dschungel mitschleppt, betrunken macht, um danach grausame Schlager mit ihm zu trällern. Endlich landet man, was erneut lange genug dauert, jedoch nur, um vor Ort, d.h. in einem am Rande der Zivilisation befindlichen Dörfchen, eine zweite Maschine zu chartern, in deren Cockpit nun der stark alkoholisierte Ehemann Platz nimmt, übrigens verkörpert von keinem geringeren als der spanischen Schauspiellegende Aldo Sambell, der nicht nur an Mario-Bianchi-Meisterwerken wie LA BIMBA DI SATANA oder BIANCANEVE & CO. partizipieren durfte, sondern ebenso in vergessenen Historienepen Lorenzo Oronatis wie ROMA. L’ANTICA CHIAVE DEI SENSI oder FLAVIA Auftritte absolvierte, und, zu guter Letzt, unter dem Pseudonym Alfred S. Bell in KAPAX DEL AMAZONAS gar, je nach Fassung, als Co- oder Hauptregisseur fungiert. Besagter Herr Sambell wird nun also von seiner Gattin dazu genötigt, ihre Eheprobleme zu diskutieren, dabei hat er in seinem Rausch schon alle Hände voll damit zu tun, das Flugzeug auf Kurs zu halten, weshalb das Ganze, wie sollte es anders sein?, in einem Absturz mündet, der avantgardistischer nicht hätte inszeniert sein können. Zu POV-Shots einer knapp über der Oberfläche einer Flusses dahinsurrenden Maschine und verwackelten Aufnahmen von Bäumen und Himmeln, schreit unsere Heldin einmal nur: „Wir stürzen ab!“, und schon ist es geschehen und das Flugzeug nahezu entzweigerissen, sodass die eine Hälfte mit unserer noch immer namenlosen Frau, und die andere mit Herrn Sambell, wie es scheint, an zwei völlig unterschiedlichen Enden des Dschungels gelandet sind. Dieser Auftakt, so viel verrate ich jetzt einfach schon mal, steht symptomatisch für die gesamte Machart des Films. Dialoge werden grundsätzlich, bis auf ganz wenige Ausnahmen, aus dem Off gesprochen. Ereignisreiche Szenen wie beispielweise der Absturz werden grundsätzlich ohne etwaige Schauwerte, sozusagen beiläufig, abgehandelt, wohingegen Szenen, in denen dem Zuschauer Altvertrautes begegnet, wie beispielweise das Abheben und Landen von Flugzeugen, grundsätzlich eine Ausdehnung bis ins Unermessliche erfahren. Haben Sambell und sein Regiestuhlkollege Miguel Ángel Rincón zudem ein Konzept verfolgen wollen, nämlich das, eine gewisse Oberflächlichkeit der Bilder wie sie im bereits erwähnten stummen Film der Rummelplatzjahre des Kinos vorherrschte, in denen jedes Bild einen eindeutigen Inhalt transportierte, über den weder es selbst noch beigefügte Kommentare in Wort und Schrift hinausreichten, zurück in die Gegenwart der frühen 80er zu holen, so ist ihnen das mehr als gelungen. KAPAX DEL AMAZONAS ist bloße Oberfläche, besitzt keine Tiefe, kann problemlos auf das reduziert werden, was er einem visuell anbietet.
Aber ich schweife ab, denn: wo sind denn nun endlich die Kannibalen? Aha, einem Indio ist der Absturz wohl nicht entgangen, denn er erklimmt einen Baum, späht aus, rudert mit seinem Floß zu der Unfallstelle, wo er unsere namenlose Heldin zugegebenermaßen relativ intakt antrifft. Während Kapax, so der Name des Indios – denn im Gegensatz zu unserer weißen Frau hat er einen und zufälligerweise heißt er auch noch fast genauso wie der Film, in dem er agiert -, nun alles daran setzt, seine Beute aufzumuntern und zu erfrischen, indem er sie füttert, sie päppelt, ihre Wunden heilt, zeigt man in Parallelmontagen, so, als würde ständig in einen anderen Film hineingezappt werden, was mit Herrn Sambell geschieht, den es, wie bereits angedeutet, mit seiner Hälfte der Maschine offenbar in kilometerweite Ferne verschlagen hat. Ob sein Stöhnen und Herumgehampel nun auf den Schock oder seinen hohen Alkoholpegel zurückzuführen ist, bleibt für mich unklar, Fakt ist, was der Absturz nicht hat vollenden können, erledigt eine Schlange, die ihm kurzerhand die Luft abdrückt, worauf gefräßige Krokodile sich seine Leichen sichern. So wirr der Schnitt hier ist, so entnervend die Musik, so wenig hat sich bisher irgendeines der großspurigen Versprechen bewahrheitet, wegen derer ich diese DVD überhaupt erst in den Player geschoben habe. Unsere Heldin ohne Namen ist nun jedenfalls allein mit ihrem Kapax, darf nach knapp dreißig Minuten zum ersten Mal zaghaft eine ihrer Brustwarzen zeigen, und sich relativ schnell in eine amouröse Beziehung zu dem Indio verwickeln, was bei dem Ehemann, den sie zurücklässt, nicht allzu sehr verwundert. Viel Zeit braucht der Film nun aber nicht, um ihre Gefühle zu studieren - die sind genauso leicht durchschaubar und blankes Außen wie alles andere, sie verliebt sich in ihn, er verliebt sich in sie, was gibt es da sonst noch zu erklären? -, sondern um genauestens zu dokumentieren wie unser Pärchen auf dem Weg zu Kapax‘ Heimatdorf durch den Urwald streift, Fische fängt und die Dame ihre wundersam gerettete Kamera sowohl auf die paradiesische Faune als auch auf übergroße Götterstatuen richtet, zu der ihr neuer Freund sie führt, um ihr seine Religion näherzubringen. Dass wir in einer Rückblende erfahren, dass Kapax schon einmal ein Weib besessen hat, das aber von einem Rivalen im Fluss ertränkt und schließlich von den Krokodilen geholt worden ist, fällt in die Kategorie unnützer Informationen, die verschwistert ist mit vielen der Bilder, mit denen der Film nun seine Laufzeit streckt. Einmal fährt die Kamera einen massiven Baumstamm entlang. Weder Kapax noch die Frau sind dabei zu sehen. Wozu dann diese Einstellung? Und das ist nur eines zahlreicher Beispiele.
Dann, Äonen später: das Dorf. Was sich hier wohl alles abspielen wird. Da mag unsere Heldin noch so viel Kitschiges und Belangloses aus dem Off fabulieren, in so einem Eingeborenendorf müssen einfach erschreckende Dinge stattfinden: bestia-lischster Tiersnuff, Initiationsriten voller Gräuel, Frauenverachtung und Männermord. Was das Thema des Tiersnuffs angeht, so liegt die Beantwortung der Frage, ob dieser in KAPAX DEL AMAZONAS überhaupt vorkommt, wahrscheinlich im Auge des Betrachters. Für den einen wird es durchaus in den Bereich des Tiersnuffs fallen, dass Fische mittels selbstgebastelter Speere aus einem Flusslauf gespießt werden – nicht dass das außerordentlich graphisch gezeigt werden würde – und ein Ringkampf zwischen einem Eingeborenen und einem – ich gehe stark davon aus – bereits zuvor erlegten, etwas größeren Fisch, der von seinem angeblichen Gegner ständig hin und her geworfen wird, um die Illusion von Bewegung zu erwecken, könnte man mit viel gutem Willen vielleicht ebenso in diese Ecke schieben, ansonsten wird dem lieben Getier weder Haar noch Schuppe gekrümmt, und das ist ja nun wirklich nicht das Schlechteste. Aber wie steht es um die Rituale, an die unsere namenlose Heldin, laut DVD-Text, nicht einmal in ihren kühnsten Träumen zu denken wagte? Mal abgesehen davon, dass die weiße Frau von den Dorfbewohnern recht freundlich empfangen wird und die sogenannten Wilden eigentlich ganz umgängliche Zeitgenossen sind, verliert sich der Film von nun an in ein merkwürdiges Schema, das er bis zu seinem bitteren Ende beibehalten wird. Kapax möchte unsere Heldin ehelichen, die scheint dem nicht abgeneigt, Problem aber ist, noch andere Kontrahenten werden vorstellig und halten um ihre Hand an. Im Quellgebiet des Amazonas entscheidet jedoch nicht die Frau, wer ihr Zukünftiger werden wird, nein, die Anwärter müssen diverse, ich nenne es mal, Abenteuerspielchen bestehen, aus denen der Mutigste, Härteste, Verknallteste als Sieger hervorgeht. Diese Spielchen, oder besser: Gebräuche, sehen wie folgt aus. Wir hätten da ein kräftezehrendes Wettschwimmen, einen Zweikampf, das Gleiten über eine Schlucht, über die ein Seil gespannt ist, an dem man wiederum mit Hilfe eines Art Boomerangs hängt und das Aushalten der Qualen, die einem Ameisen bereiten, die auf dem nackten Oberkörper tanzen – letzteres eine Szene, die ganz schwach eine Erinnerung an Deodatos ULTIMO MONDO CANNIBALE wachruft und in Anbetracht ihrer Umsetzung sogleich wieder sanft einschlummern lässt. Tatsächlich scheint das Leben der Indios Yaguas einzig und allein daraus zu bestehen, entweder die Buhlenden um eine Frau anzufeuern oder selbst Buhlender um eine Frau zu sein und seine Kräfte mit den anderen Buhlenden zu messen, je nachdem, auf welcher Seite man nun steht. Einblicke in ihr religiöses, soziales, politisches Leben erhält man zu keiner Sekunde, und das, worin man Einblicke erhält, nämlich die ätzenden Wettkämpfe um die Gunst der ewig Namenlosen, davor hätte man besser die Vorhänge zugezogen lassen sollen. Eine Szene sticht besonders aus diesem Potpourri traniger, unsinniger Einfälle hervor, nämlich die, in der der Film uns äußerst lange irgendein Zeremoniell, dessen Bewandtnis sich mir leider nicht erschlossen hat, vor Augen führt. Zu nervigster Musik, monotonem Trommeln, über dem schrille Flöten zirpen, wird getanzt, gebalgt, gesessen und das für die Dauer von schätzungsweise fünf Minuten, die, rein nach Gefühl, sich indes zu fünf Jahren auswachsen. Na gut, die Kameraarbeit soll wohl dokumentarisches Flair bewirken, aber dafür reicht es eben nicht, sie einfach irgendwo abzustellen und schnittlos darauf harren zu lassen, dass da irgendwas passiert. Das tut es nämlich nicht. Es wird getanzt, ein bisschen um die weiße Frau gerungen, gesessen, gegessen. Das Ende vom Lied: Kapax darf seine Holde ehelichen und die fällt ihm süßlich in die starken Arme.
Schließlich dann aber das: unsere namenlose Heldin, schon längst ihrer bürgerlichen Garderobe enthoben und barbusig im heißen Slip umherschlendernd, entdeckt am Ufer des Flusses ein Skelett, das exakt so aussieht, als habe es jemand auf Anweisung des Regisseurs genau so dort drapiert, dass es aussieht, als habe es jemand auf Anweisung des Regisseurs dort drapiert. Sie schreit, ist außer sich. Plötzlich begreift sie: nein, sie gehört nicht hierher, sie will weg, zurück in ihre Welt. Kapax fügt sich ihrem Willen und versteht offenbar, im Gegensatz zu mir, wie denn der Anblick eines hübsch geordneten Haufens Gebeine jemandem das Dschungelleben verleiden kann, wo er doch zuvor die ermüdendsten Riten ohne mit der Wimper zu zucken noch mit ermüdendsten Off-Kommentaren hat versehen können. Jedenfalls paddelt Kapax mit ihr in Richtung Zivilisation, zwar sichtbar zerknirscht, doch, gemäß seines Wesens, bereit, den Wunsch seiner Liebsten über den eigenen zu stellen. Unsere Namenlose schwelgt inzwischen in Erinnerungen, was Gelegenheit gibt, die sowieso schon dürftige Laufzeit von nicht mal achtzig Minuten mit einigen Rückblenden zu strecken. Da überkommt es sie und, ihm in heißen Liebesschwüren beteuernd, dass sie für immer die Seine sei, bittet sie Kapax, zurück ins Dorf zu kehren, nun wisse sie, ihr Platz sei an seiner Seite.
Tja, und das war es dann auch und ich sitze sprach- und gedankenlos vor dem schwarzen Bildschirm. Keine Kannibalen, keine Spannung, keine Erotik, keine grausamen Rituale, keine Tieropferungen, keine nennenswerten Dialoge, kein Sinn für ansprechende Bildkompositionen, keine nachvollziehbare Montage, keine professionelle Kameraarbeit, kein Soundtrack, der nicht in den Ohren wehtut, keine hübschen Naturaufnahmen. KAPAX DEL AMAZONAS entpuppt sich als ein Film, den man, um ihn fassen zu können, über das definieren muss, was er eben nicht besitzt, denn das, was er besitzt, ist nichts, was man irgendwie definieren könnte. Es stimmt, sein Produktionsland ist Kolumbien, und es stimmt ebenso, dass er im Jahre 1981 das Licht der Welt erblickt hat. Ansonsten habe ich meine Aufgabe so weit verfehlt wie möglich und ich fürchte, mein Postfach wird mir das nicht danken. Lieber Marschall Vormärz, liebe Josephine Beauchatte, ich habe mein Bestes versucht und stehe ratlos vor der Frage, aus welchem Grund und für wen ein solcher Film überhaupt gedreht worden ist – und wieso es nicht unter Strafe steht, auf solch überaus dreiste Weise in DVD-Cover-Texten zu lügen?
Mit freundlichen Grüßen
Euer Dr. Salvatore Sanchez,
Spezialist für kolumbianische Kannibalenfilmfragen.