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Al-qasr al-mal'oun - Hassan Reda (1962)

Verfasst: Di 8. Jul 2014, 23:22
von Salvatore Baccaro
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Originaltitel: Al-qasr al-mal'oun

Produktionsland: Ägypten 1962

Regie: Hassan Reda

Darsteller: !? (die Informationen im Internet für Menschen, die arabische Schriftzeichen nicht zu entschlüsseln verstehen, sind mehr als dürftig)

AL-QASR AL-MAL’OUN, das wird meine Zunge wahrscheinlich niemals richtig aussprechen können, ansehen können es meine Augen aber durchaus, und zwar im Rahmen meines kürzlich abgehaltenen kleinen Marathons quer durch den arabischsprachigen Horrorfilm, von dem schon das Lob gezeugt hat, das ich der ägyptischen Gruselkomödie BEIT AL ASHBAH vor wenigen Tagen zukommen ließ. Vorliegender Film - sein Titel soll übersetzt wohl so viel bedeuten wie ein verwunschenes, heimgesuchtes Herrenhaus - stammt ebenfalls aus Ägypten, wurde indes zehn Jahre später gedreht, 1962, um genau zu sein, und hat auch sonst mit BEIT AL ASHBAH wenige Überschneidungspunkte. Man erinnere sich: BEIT AL ASHBAH, das war für mich so etwas wie eine ausgiebige Fahrt über einen knallbonbonbunten Rummelplatz, zwar mit kurzen Abstechern in die Geisterbahn, sonst aber vor allem mit albernen Clowns und karnevalesken Effekten, derart debil, dass es schon wieder zum Lachen reizt. AL-QASR AL-MAL’OUN steht diesem naiv-kindischen Spaß dabei schon beinahe diametral gegenüber, was schon gleich seine ersten Minuten beweisen, die für den westlichen Betrachter zudem gar nicht fremd wirken dürften.

Ein junger Anwalt, Hassan, reist von Kairo ins ägyptische Hinterland, wo er die Testamentsänderung eines schwerkranken Greises betreuen soll, der vorhat, sein Gesamterbe seinem Töchterchen zu vermachen, sodass für deren Tante, d.h. seine Schwester, nichts weiter als der Pflichtteil übrigbleibt. In drei Etappen wird Hassans Reise geschildert. Zunächst kehrt er bei einem Studienfreund und Kollegen ein, dem erfolglosen Rechtsverdreher Fathi, seines Zeichens der einzige nominelle Spaßvogel des Films, der dann aber tatsächlich den Eindruck erweckt, mit seinen Blödeleien direkt aus BEIT AL ASHBAH gefallen zu sein. Als Hassan seinem Freund näher auseinandersetzt, was ihn denn nun eigentlich in die Provinz geführt hat, traut der seinen Ohren so wenig, dass er – eine meiner liebsten Szenen des gesamten Films – auf unfassbar drollige Weise mit den Händen gegen ihre Muscheln schlägt und immer wieder fragend wiederholt, was er gesagt habe, ob er überhaupt was gesagt habe, er habe kein Wort verstanden. Grund für die Panik ist, man kann es sich schon denken, dass über dem Anwesen, in dem Hassans Auftraggeber residiert, ein Fluch liegen soll, weswegen es von sämtlichen Bewohnern der umliegenden Dörfer gemieden wird. Hassan kann darüber bloß genauso lautstark und überlegen lachen wie, und darauf wollte ich hinaus, einstmals Jonathan Harker, als ihn das rumänische Bauernvolk vor dem Schloss des Grafen Dracula gewarnt hat. Die Parallelen enden hier jedoch noch nicht. Was folgt, ist eine Kutschfahrt durch düstere Wälder. Irgendwann weigert der Kutscher sich weiterzufahren: von nun an sei es nicht mehr geheuer, Hassan müsse die letzte Strecke zu Fuß gehen, und es fehlt eigentlich lediglich, dass der Name Borgo-Pass angstvoll geraunt wird. Endlich erreicht Hassan das Herrenhaus. Die Erwartungshaltungen sind bis dahin hoch, hat der Film doch bis hierhin, mal abgesehen von den inhaltlichen Abweichungen, rein formell exakt die Schemata bedient, die die Eröffnung so ziemlich jeder Stoker-Adaption konstituieren. Erfüllt werden sie allerdings nicht, denn in dem angeblichen Spukschloss erwartet Hassan nichts, was im Entferntesten nach Max Schreck, Bela Lugosi oder Christopher Lee ausschaut, sondern vielmehr eine, auf den ersten Blick zumindest, reichlich intakte und vor allem nette, sympathische Familie, bestehend aus dem von seiner Krankheit an den Rollstuhl gefesselten Greis, dessen Schwester, dem bildhübschen, Hassan sofort Herz und Augen verdrehenden Töchterchen sowie dem Faktotum des Hauses, ein gewisser Morsi, dessen Hauptaufgabe es zu sein scheint, fortwährend lautlos in den finstersten Ecken herumzustreichen. Weshalb nun aber das Familienoberhaupt einen Anwalt extra aus Kairo, das ein gutes Stück entfernt zu liegen scheint, hat kommen lassen müssen, wo es sich doch, wie man nun erfährt, tatsächlich bloß darum handelt, sein Testament aufzusetzen, erklärt der Film im Prinzip genauso wenig wie den Umstand, weshalb sich nun jeder vor dem Anwesen fürchtet, in dem nun wirklich nichts wesentlich Unheimliches zu finden ist – na gut, in einer Nacht erschrickt Hassan mal vor einem Leopardenfellteppichkopf, was man dadurch verdeutlicht, dass zu einem ulkigen Knalleffekt der Tonspur auf das weit aufgerissene Maul des längst erlegten Raubkätzchens gezomt wird - denn dieser Plotpunkt tritt von nun an derart in den Hintergrund, dass man ihn über weite Strecke schlicht vergessen kann. Überhaupt ändert der Film nach dieser feinen, raschen Einführung seinen Ton, wird zum einen langatmig, zum anderen melodramatisch.

In mehreren Szenen kommt die Verschränkung dieser beiden Attribute so eigentümlich zum Ausdruck, dass ich mich einmal mehr fragen muss, wie der Film denn auf ein ägyptisches Publikum Anfang der 60er gewirkt haben mag: war das denn genauso irritiert wie ich es mit meinen westlichen Augen des einundzwanzigsten Jahrhunderts bin? Beispielweise räumt Morsi einmal umständlich langsam ein Tablett aus einem Zimmer, in dem die Liebenden – denn dass sich zwischen Hassan und dem Mädchen etwas anbahnt, dürfte jedem klar sein – bis dahin getuschelt haben. Es dauert eine halbe Ewigkeit bis der Diener eingesammelt hat, was es einzusammeln gibt, dabei stehen die jungen Leute im Bildvordergrund und schauen ihm schweigend dabei zu. Wer nicht schweigt, das ist die Filmmusik. Die tönt nämlich pompös unter Einsatz eines ganzen Orchesters daher, als würden wir gerade einer der ergreifendsten Szenen der Filmgeschichte beiwohnen. Diese Diskrepanz zwischen Bildinhalt und akustischem Kommentar durchzieht den Film dann auch wie ein Leitmotiv. Da entkleidet sich unsere Heldin, freilich im züchtigsten Bereich bleibend, mehrere Minuten vor dem Spiegel, während ihr Liebster, ein paar Zimmer weiter mittels Parallelmontage dabei gezeigt wird, wie er sich verträumt guckend in sein Bett kuschelt. Alles wirkt still, friedlich, nur die Musik tobt in einer Dramatik daher, die in dem Kontext fast schon ironisch wirkt. Als Hassan für einige Tage nach Kairo zurückkehrt, um, was auch immer, bezüglich des Testamentsentwurfs zu klären, leisten sich die Turteltäubchen am Bahnhof einen Abschied, dass man meinen könne, er ziehe in den Krieg und sie sei sich sicher, ihn nie mehr lebend wieder zu sehen. Übrigens vergehen bis dahin etwa dreißig Minuten, in denen die reine Story kaum einen Schritt nach vorne kommt. Seitdem Hassan in dem Herrenhaus einquartiert worden ist, tritt die Hand-lung quasi auf der Stelle und der Film pendelt sich ein zwischen Dialogszenen, deren Worte oftmals nicht wirklich zu irgendeiner Zuschauererkenntnis führen, und Sequenzen wie aus einem Stummfilm, wo die Kamera, ganz ohne gesprochener Worte zu bedürfen, einfach nur detailliert die Handlungen der Protagonisten einfängt und reine Atmosphäre schafft. (Bei einer Szene, fällt mir gerade ein, die auf offener Straße spielt – und ich weiß nicht: wurde das nun wirklich auf einer solchen gedreht oder, wozu ich dann doch mehr tendiere, in einer Studiokulisse? -, hat mir bestens gefallen, wie eine Kutsche, eine Mauer rechts, ein Gebäude im Hintergrund, vor dem eine Straße verläuft, sowie mehrere Statisten zu einer wirklich hübschen Bildkompositionen angeordnet worden sind.)

Wo aber, fragt man sich, genau wie bei BEIT AL ASHBAH, bleiben denn nun die versprochenen Geister? Sie kommen schleichend und relativ undurchsichtig. Nachdem Hassan abgereist ist, hat seine Liebste eine schauererregende Vision. Sie glaubt, gesehen zu haben, wie ihr eigener Vater von einem Fremden ermordet worden ist. Ihr Vater, sichtlich lebendig, ihre Tante und Morsi reden ihr ein, sie leide unter Halluzinationen. Trotzdem ist die junge Frau nicht von dem Wahrheitsgehalt ihrer Vision abzubringen. Als sie kurz darauf weitere Erscheinungen hat, genau gesagt: eine Gestalt mit skelettierten Händen, die sich nachts an ihrem Schlafzimmerfenster zu schaffen macht, konsultiert ihre Familie endlich einen Arzt, der die Meinung, die Tochter leide unter Wahnvorstellungen, nur bekräftigt. Das Schauspiel – man könnte es auch over-acting nennen – der Darstellerin ist mir dabei einige Unzen Gold wert. Allein diese Schreie, dieses ausrastende Gebaren, diese Hysterie, das wirkt wohl alles umso heftiger, weil es in eine im Grunde recht betuchte, behäbige Inszenierung einbricht, und sie für einige Szenen komplett aus den Fugen reißt. Hassan, inzwischen zurückgekehrt und seine Liebe in erbärmlichster Verfassung vorfindend, gibt sich mit solchen phantastischen Erklärungen freilich nicht zufrieden und zerbricht sich mit Fathi den Kopf darüber, wie das Ganze logisch aufzuschlüsseln sei. Bald schon kommt ihm die Idee, das Mädchen solle bewusst in den Wahnsinn getrieben werden. Wer aber könne daran ein Interesse haben? Sein Verdacht fällt auf die Tante und Morsi. Da die uns aber schon von Beginn an als leidlich zwielichtig präsentiert wurden, kann es so einfach nicht sein, und wirklich verkomplizieren sich die Dinge zunehmend, wenn Hassan nun auf eigene Faust den Ermittler zu spielen beginnt, um seiner Liebsten geistiges und finanzielles Heil zurückzuerobern.

Inszenatorisch hat AL-QASR AL-MAL’OUN in seiner heißen Phase, mit dem er eigentlich nur das Setting teilt, weniger von einem klassischen Gothic-Horror-Streifen, erinnert vielmehr an die zeitgleich in Deutschland entstandenen Edgar-Wallace-Krimis oder, in einigen, wenigen Szenen, wo POV-Shots des schließlich alles andere als übernatürlichen Killers zumindest angedeutet – (eine Prostituierte, Mitwisserin des Komplott, muss verschwinden, bevor sie Hassan enthüllen kann, was sie weiß, wobei wir quasi aus der Sicht ihres Schlächters zu sehen bekommen wie sie ihn bei sich einlässt, ihn begrüßt, mit ihm schäkert, ihm versichert, nichts preisgegeben zu haben: wie gesagt, das ist kein vollkommener POV-Shot, die Kamera wurde aber so dicht neben der Stelle platziert, wo die Augen der Frau den für uns Unsichtbaren fixieren, dass der Effekt durchaus vergleichbare Wirkung erzielt) - vor allem aber seine schwarzen Handschuhe demonstrativ ins Bild gehalten werden, an italienische Früh-Gialli, wie sie 1962 eigentlich noch gar nicht existiert haben dürften. Die edle Schwarzweißphotographie verstärkt die optische Komponente, der eine Ästhetik innewohnt, wie sie von den trivialen Bildinhalten letztlich nicht eingelöst wird, mich ein wenig an den argentinischen Schocker PLACER SANGRIENTO erinnernd, dem ich vor einigen Wochen konstatiert habe, so trashig und an den Haaren herbeigezogen seine Handlung wirke, so delikat sei deren visuelle Umsetzung. Obwohl AL-QASR AL-MAL’OUN natürlich nicht mit Trash aus einem Trog trinkt, unterm Strich ist das, wie sein lateinamerikanischer Bruder, ein Gruselkrimi, dem man seine Entstehungszeit deutlich ansieht, und der am Ende mit einer überaus logischen, durchaus überraschenden Lösung auftrumpft, die den meisten einem zuvor Schläfenkratzen bereitenden Ungereimtheiten einen sie erklärenden Sinn verleiht. In meinen persönlichen Kanon wird dieses Werk nicht eingehen, wo, auf ägyptischer Seite, nun schon Chahines BAB EL HADID, Abdel Salams AL-MUMMIA sowie natürlich BEIT AL ASHBAH versammelt sind, unterhalten hat es mich trotzdem prächtig. Ein Film für alle, die die Hysterie schöner Frauen schätzen, die stellenweise haarsträubendem Klamauk nicht abgeneigt sein, die es gerne warm ums Herz haben, und diese Wärme von melodramatischen Streichern hervorgerufen bekommen wollen, und die generell an der Frage interessiert sind, wie denn ein Wallace-Krimi aussehen würde, hätte man ihn in einem arabischen oder nordafrikanischen Land inszeniert. Ach ja, und eine halbwegs erotische Tanzeinlage in einem Bordell gibt es als Bonus obendrauf.

Re: Al-qasr al-mal'oun - Hassan Reda (1962)

Verfasst: Do 10. Jul 2014, 09:13
von jogiwan
Arabischer Horror ist auch ein Feld, dass wohl noch zu beackern ist... ich hab ja ein Herz für solch obskure Sachen. Danke für die Vorstellung!