Die Orgien der Cleopatra - Rino di Silvestro (1983)
Verfasst: Mo 28. Jul 2014, 13:32
Originaltitel: Sogni erotici di Cleopatra
Produktionsland: Italien 1983
Regie: Rino di Silvestro
Darsteller: Marcella Petrelli, Rita Silva, Jacques Stany, Andrea Coppola, Maurizio Faraoni, Paul Branco
Puh, was habe ich mich jahrelang nach diesem Film verzehrt! Nicht etwa, weil das verhältnismäßig schmale Oeuvre des Rino di Silvestro nun einen besonders hohen Stellenwert in meinem Leben hätte, obwohl Werke wie beispielweise sein Drama um eine Werwölfin, LA LUPA MANNARA (1976), oder sein Beitrag zum NS-Lagerfilm mit dem schön sperrigen Titel LE DEPORTATE DELLA SEZIONE SPECIALE SS (1976) durchaus Filme wären, die ich meinen Kindern, sofern ich einmal welche haben sollte, ab einem bestimmten Alter nicht vorenthalten würde, und sicher auch nicht aus dem Interesse des Historikers heraus, die Lebens- und Leidensgeschichte der ägyptischen Herrscherin und Caesar-Geliebten Cleopatra VII. auf unterhaltsam-informative mit viel nackter Haut präsentiert zu bekommen, obwohl das wohl durchaus die Intention der Verantwortlichen für den vorliegenden Film gewesen sein muss, nein, vielmehr hat meine unbändige Freude, als ich endlich eine englischsprachige VHS von SOGNI EROTICI DI CLEOPATRA in den Händen halten konnte, mit dem Genre an sich zu tun, innerhalb dessen Grenzen der Film operiert. Nachdem Tinto Brass mit seinem CALIGOLA, für mich der antike Zwillingsbruder zu dem genauso dekadenten SALON KITTY, der das korrumpierende Potential von Sex und Macht vor der Hakenkreuzflagge bebildert, offenbar ein Epos geschaffen hat, das gewisse Gelüste seines Publikums nicht nur anvisierte, sondern sie gezielt ins Schwarze traf, bevölkerte Anfang der 80er eine Handvoll exploitativer Sandalenfilmchen die Bahnhofskinos Italiens, die ich immer noch am sinnigsten unter dem Oberbegriff erotic peplums zusammengefasst sehe. Keinem dieser Werke, die eigentlich die Fortschreibung einer schon Ende der 60er, Anfang der 70er im italienischen Kino anzutreffenden Tradition sind, historische Kontexte dadurch attraktiver zu machen, dass man sie mit Blödeleien und Brüsten anreichert, und die ihrerseits in den dezidiert horizontal ausgerichteten, mit antiken Stoffen nur notdürftig bedeckten italienischen Hardcore-Filmchen der 90er ihre eigene Fortschreibung finden, wenn vor allem Joe D’Amato einfach nicht damit aufhören kann, Rammeleien vor römische Ruinen zu setzen, stehe ich kalt gegenüber. Vielleicht hat es damit zu tun, dass ich auf einem altsprachlichen Gymnasium großgeworden bin. Bereits in der fünften Klasse, noch bevor ich einen englischen Satz fehlerfrei habe aussprechen können, musste ich lernen, wie man dominus oder anchilla dekliniert. Wir haben Asterix-Comics auf Latein gelesen, wir haben lustige Spielchen veranstaltet, indem wir uns als junge Römer verkleideten, wir grüßten unsere Lehrer mit Salve, Magister! Was ich in diesen Filmen jedenfalls wiederfinde, ist die Art und Weise wie ich mir mit zwölf, dreizehn die römische Antike vorgestellt habe. Das konnten mir Cicero, Caesar, Cassius Dio und all die anderen, die zum Lachen in den Keller steigen und ansonsten, um ja nicht in die Versuchung zu geraten, witzig zu sein, auf harten Steinen schliefen, nicht wirklich austreiben.
Dabei beginnt SOGNI EROTICI DI CLEOPATRA ausgerechnet mit einem Cicero-Zitat. Ob das authentisch ist, kann ich nur vermuten, immerhin erklärt es uns, dass wir uns im Jahre 46 vor Christi Geburt befinden, dass Caesar sein Weib und seinen Sohn, Cleopatra und Caesarian, von den Gestaden des Nils in die römische Metropole gebracht hat, dass deren Bewohner der Ägypterin indes überaus feindlich gegenübergestanden haben sollen, sodass der Imperator sie in einem abseitigen, wenn auch luxuriösen Anwesen an den Ufern des Tibers einquartierte, wo die ihrem Geliebten hemmungslos Ergebene, jedoch von unstillbarem Sexdurst gepeinigte Schönheit ihre Tage in Einsamkeit und Ödnis fristet, und jede Gelegenheit nutzen muss, die sich ihr bietet, an weibliche oder männliche Zuneigung zu gelangen. Viel mehr passiert dann kurioserweise auch gar nicht, und im Grunde wirkt der gesamte restliche Film wie eine Verfilmung dieser wenigen, irgendeines seiner Briefe entnommene Sätze des Marcus Tullius. Allein wo die erotischen Träume sein sollen, das frag man sich schon bei der eigentlichen Eröffnungsszene. Cleopatra träumt, das stimmt, doch zu sehen wie der eigene Geliebte von maskierten Meuchelmördern weichzeichnerisch niedergestreckt wird, das hält nicht mal die Träumende selbst für eine außerordentlich prickelnde Erfahrung. Als sie hochschreckt, ist ihr klar: diesem Traum muss eine prophetische Qualität innewohnen, Caesar wird sterben, sogar ein Datum schwirrt in ihrem verstörten Köpfchen herum, die Iden des Märzes. Generell hat das jedoch keine weitere Auswirkung auf die Handlung, obwohl die in schöner Regelmäßigkeit von dieser immer gleichen Traumsequenz durchstoßen wird, und sich ansonsten ausnahmslos in Cleopatras von kichernden Zofen und potenten Mannsbildern bewohnten Palast abspielt, zu dem Caesar höchstens mal zur Steppvisite vorbeischaut, und, vor allem, was die versprochenen Orgien angeht, rege Trägheit herrscht. Unter Orgien versteht Renato di Silvestro nämlich nicht annähernd die Bilder, die bei dem Stichwort in Köpfen wie denen von D’Amato oder Mattei sofort jeden vernünftigen Gedanken erschlagen. Im Prinzip ist es eine einzige Orgienszene, die SOGNI EROTICI DI CLEOPATRA beinhaltet, und bei der sitzen einige wenige Damen und Herren munter bechernd und lachend in einem nicht mal besonders hergerichteten Raum und tun so, als ob sie geil wären. Na gut, beiläufig spritzt eine der Frauen etwas Milch aus ihren prallen Brüsten mitten in das Gesicht eines Verehrers, sonderlich skandalös ist das nicht, und fällt sogar gegenüber einer sehr befremdlichen Tanzszene ab, die vor allem durch die Musik, zu der sie stattfindet, eine nicht geringe surreale Note verliehen bekommt. Man muss das gehört und gesehen haben: römisches Ambiente, züchtiges Getatsche und Gepatsche, dazu zwei schwarze Tänzer, die sich verausgaben, als stünde ihr Leben auf dem Spiel, sowie merkwürdigstes Synthie-Gedudel, das so sehr nach den 80ern klingt, dass sich ein anachronistischer Schock einstellt.
Überhaupt ist, was SOGNI EROTICI DI CLEOPATRA auszeichnet, seine übergroße Zurückgenommenheit. Man stelle sich folgendes vor: ein beliebiger Hardcore-Streifen der frühen 80er wird von jeglichem expliziten Material kastriert, sodass einzig die Annäherungsszenen zwischen den Kopulierenden übrigbleiben, das vorsichtige Herantasten und allmähliche Entkleiden, das dann aber, um die Laufzeit zu strecken, elend in die Länge gezogen wird, und dabei permanent auf Stellen tritt, die unter dem Druck schon reichlich eingesunken sind. Man stellte sich das vor und man hat eine ungefähre Ahnung davon, wie dieses Machwerk in seinem Innersten funktioniert. Für niemanden gibt es einen Höhepunkt, Geschlechtsteile werden züchtig unter Tuniken versteckt, das Liebesspiel verlässt nie Rahmen, die selbst für zwölf-, dreizehnjährige Lateinschüler nichts Erschreckendes gehabt hätten. Man küsst sich behutsam, man streichelt sich, man führt, selbst wenn es etwas härter wird, noch locker-flockige Gespräche. Sex entkleidet di Silvestro von all seiner Animalität. Slow-Motion Softcore: wenn das ein eigenes Porno-Genre wäre, könnte SOGNI EROTICI DI CLEOPATRA dessen Anführerin werden. Ein erotic peplum für die ganze Familie sozusagen, bei dem alles derart bieder von statten geht, dass kein Elternteil rote Ohren bekommen muss. Gewalt, das braucht kaum extra erwähnt zu werden, findet sich folgerichtigerweise dann auch so gut wie gar nicht, und wenn denn mal jemand zur Strafe gepeitscht wird, ist es, als sei die Geißel nur eine Verlängerung zärtlicher Hände. Wahlweise kann man das sinnlich finden, oder eben sterbenslangweilig, da, wie gesagt, die Sexszenen so viel Raum einnehmen, dass für eine Handlung eigentlich kaum noch eine Nische bleibt, und di Silvestro die, die sich dann doch auftut, mit völlig ermüdenden Dialogen über politische Intrigen und Machenschaften innerhalb des römischen Senats füllt, die sich tatsächlich so anfühlen wie Cicero sich lesen lässt: schon nach einem Satz spürt man die Eisengewichte an den Augenlidern.
Gekostet haben wird SOGNI EROTICI DI CLEOPATRA nicht viel mehr als ich in der Woche zum Essen ausgebe, und das sind nun wirklich keine Unsummen. Wie man es beispielweise bereits aus Matteis CALIGULA ET MESSALINE (1982) kennt, der im direkten Vergleich von mir ohne mit der Wimper zu zucken den Meisterwerkstatus zuerkannt bekommt, ist jede etwas aufwändiger wirkende Szene, jeder Massenauflauf römischer Bürger, jede aufmarschierende Legion, jedes einstürzende Gebäude, aus irgendwelchen Sandalenfilmen der 50er oder 60er stibitzt und holprig in das allein von der Optik her auffallende Unterschiede aufweisende Material aus dem Jahre 1983 eingefügt worden. Marc Anton sieht aus wie Lou Reed, Caesar wie ein gelangweilter Psychologie-Professor, Cleopatra wie ein Revuesternchen, das gerade seine erste Chance, in der Filmwelt Fuß zu fassen, gnadenlos verjubelt. Und dass man es tatsächlich mit einem Film zu tun hat, dessen Budget gegen Null tendiert, zeigt, neben den mauen Kulissen, die obligatorische Pferdeszene, für die man es nicht mal fertigbrachte, die berühmte Rosskopulation aus Borowczyks LA BÊTE zu verwerten, die im Übrigen wahrscheinlich sowieso kostenlos zu kriegen gewesen wäre. Stattdessen bedient sich de Silvestro eines ästhetischen Mittels, das man fast als Hommage an die selige Stummfilmzeit verstehen kann: die graphischen Handlung, das Wichsen eines Hengstpenis, wird als Schattenspiel an der Stallwand inszeniert, wobei es natürlich überdeutlich ist, dass Cleopatra eben keinen wirklichen Pferdeschwanz in der Faust hat, sondern etwas, dessen Silhouette mehr an einen auf jedem Feldweg herumliegenden Stecken erinnert. Hinzukommt, dass dieser Ausflug in die Welt der Ställe und Gäule völlig isoliert im Raum steht, und dort genauso wenig von jemandem abgeholt wird wie der erste und einzige Höhepunkt des Films, zumindest die erste und einzige Szene, der ich zwar keine erotischen Qualitäten zugestehen würde, die auf mich aber immerhin so gewirkt hat, als ob sie, wäre sie etwas länger, etwas professioneller, etwas künstlerischer eingefangen worden, durchaus stimulierend hätte wirken können. Cleopatra liegt hierfür masturbierend auf ihrem Lager. Gefilmt wird zunächst durch ein Aquarium hindurch. Plötzlich entdeckt unsere Heldin eine lebende Schlange zwischen ihren Schenkeln. Unerschrocken wird die nun zum Phallusersatz deklariert, die Schöne reibt sich und die Schlange über zwei Minuten lang. Das hat mir gefallen, durchaus, aber ob es sich für besagte zwei Minuten nun wirklich lohnt, sich durch fast neunzig Minuten uninspirierten Sex und theaterhaft-steif gemurmelte Dialoge zu quälen?
Im Ernst: SOGNI EROTICI DI CLEOPATRA hat mich eingeschläfert wie schon lange nichts mehr. Nichts hier riecht nach Kreativität oder auch nur ein bisschen Mühe, die in das Werk investiert worden wäre. Cleopatras Darstellung als von Leidenschaft getriebene Frau, die sich mal zur aufopferungswilligen Liebhaberin, mal zur kaltherzigen Tyrannin verpuppt, ist so alt wie ihre vermutlich eindrucksvollste literarische Manifestation bei William Shakespeare, und wird von Marcella Petrelli im Somnambulen-Modus abgeliefert, dass man fürchtet, die Schauspielerin könne jeden Moment selbst in Morpheus Arme sinken. Dass am Ende des Films ein Off-Sprecher über die weiteren Lebenswege der handelnden Figuren berichtet, Figuren, deren Schicksal einem komplett gleichgültig ist, wirkt bezeichnend nach eineinhalb Stunden, in denen ausgerechnet die aufregenden, historisch relevanten Dinge sich konsequent hinter der Szene versteckt haben, während auf ihren Brettern konstanter Leerlauf herrschte. SOGNI EROTICI DI CLEOPATRA ist ein Rahmen ohne Bild, ein Rahmen, der nichts umschließt. Er hat nicht den göttlichen Trash von CALIGULA ET MESSALINA (1982), er hat nicht den königlichen Hinterhofcharme von FLAVIA (1986), er hat nicht die perverse Zügellosigkeit von CALIGOLA: LA STORIA MAI RACCONTATA (1982), und er hat nicht, um einmal ein älteres Beispiel zu nennen, den delirierenden Anti-Humor eines POPPEA…UNA PROSTITUTA AL SERVIZIO DELL’IMPERO (1972), und natürlich schon gar nicht die Hardcore-Fickerei von einem inhaltlich verwandten Werk wie ANTONIO E CLEOPATRA (1996). Wir raten ab!