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Anyab - 1981 - Mohammed Shebl

Verfasst: Do 7. Aug 2014, 11:56
von Salvatore Baccaro
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Originaltitel: Anyab

Produktionsland: Ägypten 1981

Regie: Mohammed Shebl

Darsteller: !? (aufgrund meiner fehlenden Kenntnisse im Entziffern arabischer Schriftzeichen)

Ein Geständnis, bei dem ich stets entsetzte Blicke ernte, wenn ich es jemandem unverblümt ins Gesicht werfe, lautet, dass ich den allseits beliebten und verehrten Mitternachtskinoklassiker THE ROCKY HORROR PICTURE SHOW bislang nur fragmentarisch, quasi nebenbei, und selbst da nur die eine oder andere Szene, von denen mir kaum etwas im Gedächtnis geblieben ist, gesehen habe. Einen ähnlichen, wenn nicht sogar noch heftigeren Effekt hat es übrigens, wenn ich das Gleiche von solchen Publikumslieblingen wie STAR WARS oder DAS BOOT zu berichten weiß. Vielleicht liegt genau in diesen entrüsteten Blicken der Grund, dass ich mir in all den Jahren die nun wirklich leicht zu bekommenden Filme nicht besorgt habe. Als wolle ich besonders subversiv sein und den Blicken Gründe liefern für Entsetzen und Entrüstung, greife ich stattdessen zu einem Film wie dem vorliegenden, den kaum einer kennt oder kennen möchte, einem Streifen von 1981 namens ANYAB, was aus dem Arabischen übersetzt wohl so viel wie Fangzähne heißen dürfte, der, sofern man den spärlichen Informationen im Netz glauben darf, so etwas sein soll wie das ägyptische Remake oder Rip-Off eben besagten ROCKY-HORROR-Grusicals – und nach dem, was ich von dem Abend von vor mindestens zwei Jahren im Gedächtnis behalten habe, als ich miterleben durfte, wie ein Philosophiestudent protestantische Mädchen mit einem Georges-Bataille-Band zu schockieren versuchte, in dem irgendeine Künstlerin DIE GESCHICHTE DES AUGES mit gewaltpornographischen Zeichnungen illustriert hatte, und wie ich selbst schließlich derart betrunken war, dass ich wildfremden Leute lange Referate über Leben und Werk Andrzej Zulawskis hielt, und wie im Hintergrund, wenn nicht gerade Pink-Floyd-Schallplatten liefen, auf dem Fernsehbildschirm Buntkostümierte homoerotische Tänze aufführten, kann ich zumindest unterschreiben, dass ANYAB und THE ROCKY HORROR PICTURE SHOW zumindest auf ästhetischer Ebene die eine oder andere Gemeinsamkeit zu teilen scheinen.

Es ist schön, wenn ein Film gleich zu Beginn seine Karten derart offenlegt, dass man zu ahnen meint, womit man es zu tun haben wird. Da ist ein weißer Kreis, auf dem Tänzer in Schauerkostümen eine befremdliche Choreographie zum Besten geben, eingefangen von einer Kamera, die von schräg oben auf das Geschehen herabblickt. Da ertönt für westliche Ohren alles andere als sperrig klingende, schon eher mainstreamige Rock/Pop-Musik, wie man sie in den frühen 80ern allerorten gefeiert hat, und zwei rosa geschminkte Männerlippen in Großaufnahme, hinter denen Vampirzähne hervorlugen, singen davon, dass es immer einen Grund gibt, Angst zu haben, wovor auch immer. Da ist nicht zuletzt ein armes Hühnchen, das mit einem gezielten Hieb den Kopf vom Rumpf getrennt bekommt und dessen Todeskampf immer wieder wie selbstverständlich zwischen das Gesinge und Getanze geschnitten wird. Es ist eine seltsame Welt, in die Regisseur Mohammed Shebl uns entführt, uns mit Stricken bindet und den schrägsten schauspielerischen und tänzerischen Performances aussetzt, die zumindest ich in letzter Zeit zu Gesicht gekriegt habe. An diesen Prolog schließt sich nahtlos die Vorstellung unserer beiden Helden, Männlein und Weiblein, Ali und Mona heißend, und sich, es ist der Silvesterabend, verabredet haben, um auf einer Party gemeinsam ins nächste Jahr zu gleiten. Er steht vor ihrem Haus an seinem schicken Wagen, sie erwartend, auf dem Autodach herumtrommelnd, natürlich singend, dass er beim ersten Blick, der auf sie fiel, schon gewusst hat, sie ist die Frau seines Lebens. Sie macht sich im Haus fertig, wiederholt, natürlich ebenfalls singend, seine Schlagworte, und keiner beachtet die Tänzerschar, die hinter Ali auf der Straße seine schmachtenden Beteuerungen choreographisch umsetzt. So, als ob sie in einem anderen Filmuniversum stattfinden würden, regelrecht in die Szene hineingeschnitten, haben diese mit 80er-Sportklamotten angetanen Tänzer schon früh den Verdacht in mir erweckt, dass ANYAB, wie meine erste Assoziation gewesen ist, eben nicht mit beispielweise MAHAKAAL, dem indischen Remake oder Rip-Off von NIGHTMARE ON ELM STREET, oder ZINDA LAASH, dem pakistanischen Remake oder Rip-Off des Hammer-DRACULA, beides exotische Varianten westlicher Stoffe, die viel mit Tanz und Gesang arbeiten, in einen Topf geworfen werden kann, und dass, wenn man dieses schillernde Machwerk überhaupt mit etwas vergleichen möchte, schon kaum zuordenbare, irgendwo zwischen hoher Kunst und niedrigstem Trash oszillierende Großtaten wie Ivan Cardosos O SEGREDO DA MÚMIA herhalten müssen.

Erst mit der Zeit nämlich wird klar: ANYAB ist sich seiner selbst durchaus bewusst. Es ist ein Film mit einer Metaebene, die im Laufe der knapp hundert Minuten zu ansehnlicher Größe wächst und zwischendurch die ziemlich banale Story völlig überlagert. Nachdem Ali und Mona eine Panne erlitten haben und mitten auf einer unwegsamen Landstraße liegengeblieben sind, suchen sie, wie so viele Horrorfilmhelden vor und nach ihnen, Zuflucht in dem einzigen Haus der näheren Umgebung, das stilecht mit Donner und Gewitter in den Film eingeführt wird, in dessen Garten schon der Sensenmann lauert und dessen Türen dem noch immer singenden Pärchen ein buckliger Diener öffnet. Der Besitzer des Gemäuers ist nun niemand Geringeres als Graf Dracula höchstpersönlich, den, angeödet von seinem monotonen Dasein in den Karpaten, Sehnsucht nach der Großstadt ergriffen hat. Er lobt den Lärm und das Getümmel Kairos, die Menschenmassen, vor allem aber auch das Kino und das Fernsehen, und nebenbei schmiedet er noch, wie so viele Vampire vor und nach ihm, den Plan, wie er es schaffen könne, an den Hals der süßen Mona zu gelangen, in die er sich unsterblich verguckt hat. So weit, so gut, die Story zählt nichts, dafür die Umsetzung alles. Die wechselt, was den Rhythmus betrifft, ständig von extremer Statik zu extremer Dynamik. Manche Szenen entwickeln sich unvorstellbar langsam und behäbig. Zu nennen sei die Ankunft des Pärchens in Draculas Residenz. Man steht im Foyer herum, der bucklige Diener ist regelrecht erstarrt, man redet nicht viel und das wenige, was gesagt wird, transportiert kaum einen Inhalt, und selbst dass hinter einem Vorhang eine Gestalt in miserabelstem Gorillakostüm hervorschaut, kann den Leerlauf nicht aufhalten, nicht mal zum Stocken bringen. In manchen Szenen überstürzen sich die Einfälle aber dann wie Geistesblitze. Da werden die Gedanken Monas in Comic-Sprechblasen dargestellt, völlig sinnlose Zwischentitel, die ausschauen, als hätten sich die übermütigsten Kinder einer Kairoer Vorschule einmal richtig austoben dürfen, tragen nichts zum Verständnis der Handlung bei, die sowieso kristallklar ist, die meisten der in dem Herrenhaus residierenden Vampire, Geister, Monstren tragen flirrende Disco-Kostüme und Make-Up, als seien sie nicht aus Grüften, sondern Spaceshuttles entstiegen. Gerade in den Tanzszenen, vor allem eine etwa in der Mitte des Films, die eine gefühlte halbe Stunde dauert, schäumt das kreative Potential der Verantwortlichen nach allen Seiten hin über, sodass mich der Eindruck beschleicht, da habe jemand die berühmte Totentanzszene in Jean Renoirs LA RÈGLE DU JEU im LDS-Vollrausch neuinszenieren wollen. Wenn dann in jedem Zimmer der Trockeneisnebel bis zu den Knöcheln der Protagonisten wabert, andauernd auf Gargouilles, die in der Welt von ANYAB scheinbar als Grabstatuetten dienen, weiße, überhaupt nicht schaurige Ratten oder Mäuse herumklettern, und wenn Dracula selbst exakt so aussieht wie ich mir einen ägyptischen Schlagerstar der frühen 80er vorstelle, dem vor allem die Herzen älterer Frauen zu Füßen gelegen haben mögen, kann der Film technisch noch so zusammengeschraubt wirken, er besitzt etwas, das ihm eine ganze eigene Ecke im Kuriositätenkabinett für Cineasten sichert.

Doch zurück zur versprochenen Metaebene. ANYAB ist nicht nur ein so greller Spaß, dass ich manchmal die Augen zusammenkneifen musste, er scheint zudem eine Agenda zu besitzen, die darin besteht, einerseits über sich selbst zu reflektieren, andererseits diese Reflexion bis hin zu dem gesellschaftlichen Kontext auszuweiten, in dem er entstanden ist. Das klingt nun sehr verkopft, kommt in ANYAB freilich aber so gerade nicht rüber, sondern stellenweise tatsächlich komisch im besten, nämlich gewollten Sinne. Beispielweise gibt es einen Erzähler, der sich in einer gutsortierten Bibliothek aufhält. Dieser, ein älterer Herr, vor Seriosität nur so strotzend, greift immer mal wieder ins Geschehen ein, um es zu kommentieren. Einmal, als zum ersten Mal der Name Dracula fällt, blättert er in einem schweren Buch und liest vor, was es denn mit diesem Dracula auf sich habe, seine Entstehung unter der Feder Bram Stokers, seine Rückführbarkeit auf den rumänischen Fürsten Vladl Dracul, und spart nicht mit dem selbstironischen Seitenhieb, bei dem er zu allem Überfluss direkt in die Kamera blickt, dass nicht wenige Filmemacher die Figur in der Vergangenheit zu rein kommerziellen Zwecken ausgeschlachtet hätten. Ein anderes Mal, und das ist wohl die befremdlichste Szene in diesem an Befremdlichkeiten reichen Werk, liefert er sich mit Dracula eine hitzige Diskussion darüber, ob es in heutiger Zeit noch Vampire gebe. Der Erzähler, sozusagen außerhalb des Films stehend, wird von Dracula, verstrickt in die Filmhandlung, nicht durch dessen spitze Eckzähne überzeugt, sondern eine Kette von fünf Anekdoten, die zusammenhanglos in die Debatte eingeflochten werden, und direkte Kritik an den Zuständen Ägyptens zu jener Zeit zu üben scheinen. „Das Kapital ist verstorbene Arbeit, das sich nur vampirmäßig belebt durch Einsaugung lebendiger Arbeit und um so mehr lebt, je mehr sie davon einsaugt“, das wusste schon Karl Marx und Herr Shebl illustriert das, indem er Dracula vermummt in den verschiedensten Berufsgruppen auftreten lässt, um Ali und Mona das Geld aus der Tasche zu ziehen: sei es nun als Klempner, der für fünf Minuten Arbeit eine Unsumme verlangt, als Schullehrer, der mit überteuerten Nachhilfestunden sein Konto saniert, oder Taxifahrer, der es ausnutzt, dass Mona kurz vor dem Gebären steht, um Ali einige Scheine mehr zu entlocken als ihm eigentlich zustehen. Obwohl der Erzähler sich nach jeder Episode halbtot lacht, meine Mundwinkel haben bei keiner dieser Kurzvignetten auch nur gezuckt, und einmal mehr stellt sich die Frage, ob da nicht doch Kulturunterschiede eine Rolle spielen, oder ob diese Sketche eben einfach nicht lustig sind. Auf keinen Fall lustig, sicherlich politisch wird wohl eine Szene intendiert gewesen sein, in der Dracula mit seinen Gästen ein paar Videofilme schaut, darunter nicht nur Leni Riefenstahls TRIUMPH DES WILLENS, sondern auch einiges von Ägyptens seinerseits bedeutendstem Regisseur, Youssef Chahine, der in keinem seiner Filme davon absah, das zu äußern oder zu bebildern, was er in der ägyptischen Gesellschaft für kritikwür-dig hielt. Komisch ist dann wiederum, dass Dracula sich darüber aufregt, dass ihm viele moderne Filme nur noch lieblos zusammengewürfelt erscheinen, man verstünde die pure Handlung schon gar nicht mehr, und das in einem Film, der genau dieses Stigma ganz offen vor sich her trägt, denn so munter wie in ANYAB sinnfrei geschnitten, geschwenkt oder getanzt wird, dahinter kann nichts anderes als ein ausgeklügeltes Konzept stehen.

Was fängt man aber nun mit einem Werk wie diesen an? Ich weiß es selbst nicht. ANYAB ist weder wirklich witzig (obwohl einige der oben beschriebenen Momente mich durchaus sekundenweise grinsen ließen), weder wirklich spannend (obwohl am Ende durchaus ein kleines Feuerwerk an Explosionen und Make-Up-Effekten, auf die Bruno Mattei in seinen Hochzeiten stolz hätte sein können, abgebrannt wird), weder wirklich unterhaltsam (mein Gefühl war eher, von dem Film mitleidlos erschlagen zu werden) noch wirklich intellektuell fordernd (die mannigfaltigen Querverweise, die der Film bewusst zieht, kommen dann doch eben nicht über das hinaus, was man gemeinhin name-dropping nennt). Ich kann nicht mal erahnen, was genau die Verantwortlichen denn nun getrieben haben mag, ein solches Werk überhaupt auf die Menschheit loszulassen. Handelt es sich hier um eine Produktion irrer Kunsthochschulabsolventen, die ihre Revolte in knalliges Pink gekleidet haben, oder vielleicht doch eher um den gescheiterten Versuch, damit, dass man Versatzstücke westlicher Kassenschlager wie THE ROCKY HORROR PICTURE SHOW oder DRACULA einigermaßen assoziativ aneinanderschmiegt, die eigenen Kinokassen überzustrapazieren? Ich stehe ratlos vor diesem fremdartigen Etwas, und kann mit Sicherheit nur sagen, dass ich etwas in dieser Form nun wirklich noch nie gesehen habe.

Re: Anyab - 1981 - Mohammed Shebl

Verfasst: Do 7. Aug 2014, 17:58
von Salvatore Baccaro
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