Le Amanti del Mostro - Sergio Garrone (1974)
Verfasst: Sa 9. Aug 2014, 18:08
Originaltitel: Le Amanti del Mostro
Herstellungsland: Italien 1974
Regie: Sergio Garrone
Darsteller: Klaus Kinski, Katia Christine, Marzia Damon, Stella Calderoni
Sergio Garrone dreht, da kann er sich mit Bruno Mattei an einen Tisch setzen, gerne im Doppel, d.h. zwei Filme auf einmal, oder vielleicht besser ausgedrückt: er dreht innerhalb gewisser Kulissen eine Handvoll Szenen, die er dann später zu zwei völlig unabhängigen Filmen zusammenschneiden lässt. Mindestens dreimal ist das zumindest innerhalb seines Oeuvres der Fall gewesen – da ich seine frühen Italo-Western bislang nur stichpunktartig kenne, kann ich leider (noch?) nicht sagen, ob er diese ökonomische und künstlerische Anforderungen gleichermaßen befriedigende Technik auch da schon benutzt hat – die drei Male, die ich jedenfalls meine, sind, chronologisch rückwärts, seine beiden Frauengefängnisfilme DETENUTE VIOLENTE und PERVERSE OLTRE LE SBARRE, dann die beiden Werke, die wohl vorrangig dafür verantwortlich sind, dass seinen Namen heutzutage noch Menschen im Munde führen, wenn auch, wie die Titel LAGER SSADIS KASTRAT KOMMANDATUR und SS LAGER 5: L’INFERNO DELLE DONNE belegen, zum größten Teil Menschen, die ihre Moral längst betrunken am Spieltisch verjubelt haben, und schließlich die türkisch-italienisch koproduzierte Schauermär LA MANO CHE NUTRE LA MORTE und vorliegendes Werk, LE AMANTI DEL MOSTRO, beide, wie die zuvor genannten Geschwisterchen, in exakt den gleichen Kulissen, mit exakt dem gleichen Cast und exakt dem gleichen Willen, nichts zu erzeugen, was auch nur entfernt nach einem „normalen“ Film aussehen würde, back-to-back heruntergekurbelt.
Interessant finde ich, neben der Hochfreude, die LE AMANTI DEL MOSTRO mir auf einer reinen Unterhaltungsebene bereitet hat, dass Garrone, ob nun bewusst oder unbewusst – ich tippe da eher auf letzteres -, diese, ich nenne es mal, filmische Dualität diesmal sogar in den Film selbst eingeschrieben hat. Filmische Dualität, damit meine ich folgendes: SS LAGER 5 und LAGER SSADIS KASTRAT KOMMANDATUR, um mal die prominentesten der drei Beispiele zu nennen, sind, für sich genommen, zwei autonome Filme, von denen jeder, eine eigene - hust - „Geschichte“ erzählt, jeder über einen eigenen Anfang, ein eigenes Ende verfügt, und jeder, um auf purer Storyebene "verstanden" zu werden, nicht der eine, wie zum Beispiel bei einem eng an seinen Vorgänger gebundenem Sequel, den jeweils anderen braucht. Trotzdem, und darüber muss Garrone sich auch gar nicht im Klaren gewesen sein, kommentieren die Filme sich schon allein deshalb gegenseitig, nehmen Bezug aufeinander, stiften Sinnzusammenhänge untereinander, da sie, was bei den vielen Szenen und Schauspielern und stilistischen Eigenheiten, die sie teilen, außerdem gar nicht zu übersehen ist, sozusagen aus dem gleichen Wurf stammen. Es ist wie mit Zwillingen. Die Außenwelt hört nicht auf, Vergleiche zu ziehen, selbst wenn die Betroffenen in solchen Kategorien natürlicherweise gar nicht denken. Ähnelt man nicht nur optisch einander, sondern hat man zudem den gleichen Vater, die gleiche Mutter, bleibt das einfach nicht aus. Genauso kann man Garrone als den geistigen Vater von SS LAGER 5 und LAGER SSADIS KASTRAT KOMMANDATUR betrachten, und seine Zöglinge als unflätige Bastarde, die nicht mal etwas über sich zu wissen brauchen, um es dem, der sie sich beide ansieht, regelrecht aufzudrängen, sie als irgendwie zusammengehörig zu betrachten. LE AMANTI DEL MOSTRO zerfällt nun aber schon innerhalb seiner selbst in zwei Teile. Er braucht LA MANO CHE NUTRE LA MORTE gar nicht, um bereits diese merkwürdige Zwitterhaftigkeit aufzuweisen, die entsteht, wenn zwei, oder noch mehr, Kunstwerke unmittelbar aus dem gleichen Samen sprießen. Er ist zwei Filme in einem. Wie das funktioniert, versteckt Garrone wiederum gar nicht vor unseren Augen. Es ist offensichtlich, dass der Film in Etappen gedreht worden sein muss, zu unterschiedlichen Zeiten, in unterschiedlichen Settings, mit unterschiedlichen Darstellern, und dass das Gesamtmaterial am Ende derart zusammengeführt worden ist, dass das Ergebnis nicht ansatzweise den Eindruck von Homogenität erweckt. Garrones Ingredienzien, darunter ein fiebriger Klaus Kinski, der in vielen Szenen gedoubelt wird – vielleicht, weil er einmal mehr wütend vom Set floh oder sich überhaupt nur für ein, zwei Drehtage zur Verfügung stellte -, eine typische Westernstadt wie sie noch wenige Jahre zuvor im Dutzend billiger als Schauplatz für im Dutzend billigere Italowestern verwendet wurde, ein herrschaftliches Schloss etc., werden nie dazu benutzt, Illusionen entstehen zu lassen: siehe meine Screenshots, die hoffentlich unterstreichen, mit welchen disparaten Elementen hier gearbeitet wird.
LE AMANTI DEL MOSTRO, das sind zwei Filme in einem, nämlich folgende:
1. In dem in einem Italo-Western-Setting spielenden Kriminalfilm LE AMANTI DEL MOSTRO erschüttert eine Reihe grausamer Morde an jungen Frauen eine typische Kleinstadt irgendwo im Wilden Westen. Bald ist ein Schuldiger gefunden, ein Fremder, der in den Wäldern außerhalb der Siedlung in unmittelbarer Nähe zu einem der Mordschauplätze aufgegriffen wurde. Damit ist das Grauen jedoch noch nicht gebannt. Das Schlachten geht weiter, man muss den Verdächtigten wieder freilassen, und stößt kurz darauf auf einen Obdachlosen, der die Stadt des Nachts nach Lebensmitteln und sonstigen Wertsachen durchstöbert hat. Da seine Kleidung von oben bis unten besudelt mit Blut ist, verhängt man das Todesurteil über ihn: er soll am Galgen sterben. Doch ist dieser Gefangene nun wirklich der Gesuchte?
2. In dem Gothic-Horrorfilm LE AMANTI DEL MOSTRO reist der Arzt Dr. Alex Nijinski mit seiner frischvermählten, wesentlich jüngeren Gattin Anijeska irgendwann Ende des neunzehnten Jahrhunderts zu einem entlegenen Landsitz in den Wäldern Russland. Zu einer Zeit, als kleine, schwarze Pudel noch Sasha heißen, man jeden Abend als Nachtschmaus ein Großbankett aufgetischt bekommt, Frauen grundsätzlich von ihren Ehemännern in gefangenschaftsähnlicher Isolation gehalten werden, darf natürlich auch das obligatorische Mad-Scientist-Labor im Schlosskeller nicht fehlen, wo Nijinski alsbald auf bereits von einem früheren Bewohner begonnene Experimente stößt, die darum rankten, die guten und bösen Teile innerhalb einer Person voneinander zu scheiden. Nijinski greift zur Selbstprobe, flößt sich einen höllischen Trank ein und hat von nun an immer länger werdende Aussetzer, in denen er zum geilen, schwitzenden, die irrsten Blicke um sich werfenden Triebtäter wird, der zur Stillung von Sex- und Blutlust in den Wäldern um das Schloss herum Liebespärchen und Bauernfamilien attackiert. Anijeska, die sich inzwischen in einen in der Nähe residierenden Arzt verguckt hat, zieht diesen zu Rate, um hinter das schreckliche Geheimnis ihres Gemahls zu gelangen.
Wenn ich es nicht besser wüsste – und im Grunde weiß ich es nicht besser -, müsste ich vermuten, dass Sergio Garrone mit LE AMANTI DEL MOSTRO sein ambitioniertestes, weil durchdachtestes Projekt umgesetzt hat. Alles in diesem Film ist einer Zweiteilung unterworfen, wie ein Raum voller Spiegel, in dem man nie weiß, ob das, was man sieht, nun ein Abbild oder die Wirklichkeit ist. Alles in diesem Film scheint mir eine Reflexion über die Frage nach dem Verhältnis zwischen Plagiat und Original, nach der Reproduzierbarkeit von Kunst in der modernen Gesellschaft zu sein. Garrone exerziert (oder exorziert) das durch bis hin zu seiner literarischen Vorlage – denn der Gothic-Horror-Plot ist freilich aus den Grundmotiven von Stevensons DR JEKYLL AND MR HYDE notdürftig zusammengekehrt -, bis hin zur Montage – in einer Szene des Western-Plots wird einer der unschuldig Verdächtigen von Soldaten und Hunden durch den Wald gehetzt, wobei Garrone diese Jagd aus Aufnahmen zusammensetzt, die aus unterschiedlichsten Perspektiven, an unterschiedlichsten Orten entstanden sein müssen, und nie, außerhalb des Schnitts, der sie nun mal aneinanderreiht, irgendwas miteinander zu tun zu haben scheinen, beispielweise die Großaufnahme eines bellenden Hundemauls, dann eine Reihe Soldaten, die nach links aus dem Bild durchs Unterholz hasten, dann eine Reihe anderer Soldaten, die in einem, wie es scheint, völlig anderen Teil des Walds nach rechts aus dem Bild eilen etc. -, bis hin zum Finale, oder besser: zu den beiden Finalen, denn jeder Film bekommt ein eigenes gespendet: im Gothic-Horror-Plot ermordet Kinski seine Liebste im Wahn und, das deutet Garrone indes nur an, vergeht sich danach an ihrem Leichnam, im Western-Krimi-Plot wird ein Vagabund für Vergehen aufgeknüpft, die er nicht begangen hat.
Bis dahin sind es einzig die Tötungsszenen gewesen, die die beiden Filme verbunden haben. Wenn in POV-Shots junge Menschen vom geifernden, schwitzenden, mit verkeilter Zunge stöhnenden Kinski auf graphischer Ebene ziemlich zahm ins Jenseits befördert werden, dann stellen diese plakativen Bilder im Wesentlichen das einzige Bindeglied dar, das die Westernstadt und das gotische Anwesen über alle Grenzen hinweg zu Teilen eines einzigen Universums macht. Garrone legt seine Karten offen: Gewalt und Sex, das ist das selbstzweckhafte Zentrum seines Films, seines Werks, das, um das alles kreist. Am Ende passiert dann aber das Erstaunliche: Dr. Nijinski tritt aus dem einen Film in den anderen. Nachdem er seine Frau ermordet und geschändet hat, eilt er plötzlich, scheinbar vom mordenden Monstrum wieder zum herzensguten Arzt mutiert, sprich: ebenfalls switchend zwischen zwei Bereichen, genau wie der Film selbst, durch den Wald, um, was er laut filminterner Logik gar nicht wissen kann, das unschuldige Menschenleben zu retten, das für seine Verbrechen den Strick zugeteilt bekommen hat. Er kommt zu spät. Der Vagabund baumelt schon, und alles, was ihm bleibt, ist, ein paar der herumstehenden Schaulustigen niederzustrecken, nur um dann selbst eine Kugel in den Rücken zu empfangen. Schaut man sich diese hektisch geschnittenen Szenen auch bloß mit halb geöffneten Lidern an, wird einem schnell klar: erneut ist es nicht Kinski, der hier wild vor die Kamera springt, sondern eins seiner Doubles, das, mit blonder Perücke angetan, konsequent von hinten gefilmt, im Dienste einer Illusion steht – oder eben nicht, dennn noch in der allerletzten Einstellung unterstreicht Garrone seine Täuschungsmanöver mit einem Rotstift so dick, dass man sich verwundert und entzaubert die Augen reibt. Wenn ich nun noch einmal darauf hinweise, dass es da ja noch LA MANO CHE NUTRE LA MORTE gibt, der diese immanenten Dichotomien dann sogar noch nach draußen verlagert und ein Geschwisterband entstehen lässt, wie es SS LAGER 5 und LAGER SSADIS KASTRAT KOMMANDATUR unterhalten, könnte einem der Kopf davon schwirren, wie viele film- oder medienwissenschaftliche Doktorarbeiten allein in diesen beiden Filmen vergraben liegen mögen.