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Kenny - Claude Gagnon (1987)

Verfasst: Di 16. Sep 2014, 17:51
von buxtebrawler
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Originaltitel: Kenny

Herstellungsland: Japan / Kanada / USA (1987)

Regie: Claude Gagnon

Darsteller: Kenny Easterday, Caitlin Clarke, Liane Curtis, Zach Grenier, Jesse Easterday, Tom Reddy, Alain Saint-Alix, Daniel Lambert, Lamya Derval, Eduardo Rossoff, John Carpenter, Gerry Klug u. A.
Film über das Leben des schwerbehinderten Kenny Easterday, dem beide Beine fehlen. Der Film dokumentiert die Probleme des Jungen, aber auch wie er sein Leben meistert. Der Film basiert auf Tatsachen...
Trailer:

Re: Kenny - Claude Gagnon (1987)

Verfasst: Di 16. Sep 2014, 20:05
von buxtebrawler
„Woher wissen die besser als ich, was gut für mich ist?“

Im Jahre 1987 verfilmte Regisseur Claude Gagnon im japanisch-kanadisch-US-amerikanischer Koproduktion die Geschichte des 1973 mit dem Gendefekt Sakrokokzygeale Agenesie geboren Jungen Kenny Easterday, der sein Leben ohne Beine bewältigen muss. Es wurde Gagnons zweite Regiearbeit nach dem japanischen Liebesdrama „Keiko“. Die Hauptrolle spielt Kenny Easterday höchstpersönlich. Beim Film handelt es sich um ein halbdokumentarisches und -biographisches Drama, das sich vornehmlich auf einen begrenzten Zeitraum im Leben Kennys konzentriert.

Gagnons Film nimmt sich zunächst einmal Zeit für eine schöne Kamerafahrt über Pittsburgh und spielt dazu ein schönes, typisches Saxophonstück der 1980er. Weiteres herrliches Zeitkolorit findet sich im klobigen Walkman, im BMX-Rad, im bauchfreien Jungenshirt Kennys Bruders. An seiner neuen Schule soll Kenny eine Beinprothese tragen, wogegen er sich jedoch zu wehren versucht. Dadurch wird Kenny von vornherein als selbstbewusst mit seiner Behinderung umgehender Junge porträtiert, der erstaunlich gut mit den Umständen zurechtkommt und keine Veranlassung sieht, mittels Prothesen o.ä. um oberflächliche „Normalität“ zu buhlen, die ihn letztlich stärker behindert als seine eigentliche Behinderung. Auch seine Familie ist eine weitestgehend „normale“ proletarische, die sich gut mit der Situation arrangiert hat. Kenny gerät zwar des Öfteren in Streit mit seinem großen Bruder, doch auch das ist eben normal und gehört zum Heranwachsen dazu. Die Herausforderung, Kennys Leben darüber hinaus zu dokumentieren, löst das Drehbuch, indem es ein französisches Dokumentarfilm-Team zur Familie stoßen lässt, das über Kenny berichten möchte. So erfährt man aus den Interviews zunächst von Kennys Babyzeit, bevor augenzwinkernde, quasi selbstironische Kritik am Dokumentarfilm aufkommt, indem die Absurdität gestellter Familienaufnahmen gezeigt wird und Kennys Mutter sich über mangelnde Authentizität beschwert. Doch auch weiterhin sieht man viel durch die Kameralinse des Filmteams, so auch einen Besuch bei Kennys Arzt.

Kenny nimmt das alles mit Humor, betont, dass er sich nicht behindert fühlt und erstaunt mit beeindruckenden sportlichen Leistungen. Wenn er nach knapp 40 Minuten in einer Beinprothese gezeigt wird, wirkt das schon befremdlicher als sein normaler Anblick. Schließlich tendiert der Film aber verstärkt in Richtung eines Familiendramas, wenn durch den Wiedereinzug der älteren Schwester innerfamiliäre Konflikte wieder hochkochen und die Arbeitslosigkeit des Vaters thematisiert wird. Als Kennys Schwester schließlich entnervt wieder das Weite sucht, ist es Kenny mit seiner ansteckenden Lebensenergie, der ihren frustrierten Ex-Freund zum Football-Training animiert – und eines Tages mir nichts, dir nichts mit seinem Skateboard davontrampt, um seiner Schwester einen Überraschungsbesuch in ihrem neuen Domizil in einer anderen Stadt abzustatten. Dieser Besuch ist es letztlich, der einen tieferen Einblick in die dann eben doch nicht so einfache Familiengeschichte gewährt und mit sämtlichen Heile-Welt-trotz-Behinderungen-Vorstellungen bricht, wenn unangenehme psychologische Traumata an die Oberfläche sickern. Der daraus resultierende emotionale Ausbruch ist berührend und schließlich findet „Kenny“ doch noch sein Happy End, um seine positive Botschaft nicht zu negieren.

Als ich Ende der 1980er als junger „Bravo“-Leser im Rahmen der Filmankündigung von Kenny erfuhr, betrachtete ich faszinierend die Bilder des „Jungen ohne Unterleib“, Filmausschnitte im Kinderprogramm weckten zusätzliches Interesse. Meine Neu- oder gar Erstsichtung des Films (ich weiß es gar nicht mehr genau) bedeutete den Genuss eines wahrlich schönen und inspirierenden Films, der gänzlich kitschfrei anspruchsvolle Unterhaltung für die ganze Familie bietet, indem er ein leuchtendes Beispiel für den selbstbewussten Umgang mit einer körperlichen Behinderung zeigt und frei jeglichen moralischen Fingerzeigs um Verständnis wirbt. Die Leichtigkeit, mit der das geschieht, wäre allerdings sicher nicht mehr ohne Weiteres möglich gewesen, hätte man ein, zwei Jahre länger und damit bis zum pubertätsbedingten Erwachen von Kennys Sexualität gewartet, was sicherlich mit neuen Herausforderungen für Kenny einhergegangen wäre.

Die schauspielerischen Leistungen Kennys bewegen sich übrigens keinesfalls auf Amateurniveau und die der anderen Darsteller, u.a. der viel zu früh verstorbenen Caitlin Clarke („Crocodile Dundee“), Zach Greniers („Fight Club“) und Liane Curtis‘ („Critters II“), sind angenehm zurückhaltend und natürlich. Ein gelungener, sensibler Film, vor dessen kleinem Protagonisten man nur den Hut ziehen kann.

Re: Kenny - Claude Gagnon (1987)

Verfasst: Do 3. Jan 2019, 16:55
von buxtebrawler
Ist mutmaßlich am 06.12.2018 bei Schröder Media auf DVD erschienen:

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