Originaltitel: Morgenrot
Produktionsland: Deutschland 1933
Regie: Gustav Ucicky
Darsteller: Rudolf Forster, Adele Sandrock, Fritz Genschow, Camilla Spira, Else Knott
Ihr wolltet schon immer wissen wie Wolfgang Petersens DAS BOOT aussehen würde, wäre der Film knapp fünfzig Jahre früher gedreht worden? Nun, bitte schön...
Die Dreharbeiten zu MORGENROT finden im Herbst 1932 statt, seine Premiere feiert der Film am 31.Januar des Folgejahrs in Essen, nur einen Tag nachdem Adolf Hitler von Reichspräsident Paul von Hindenburg zum neuen Reichskanzler ernannt worden ist und einen Tag bevor der Reichstag in Flammen aufgehen wird. Am 2.Februar läuft er noch einmal, im Berliner UFA-Palast, vor illustren politischen Gästen: nicht nur Adolf Hitler selbst ist anwesend, sondern auch einige der wichtigsten Köpfe der NSDAP. Dass dieser Film der seit 1927 unter der Ägide des dem Nationalsozialismus zugeneigten Alfred Hugenbergs stehenden UFA als so etwas wie eine kinematographische Loyalitätserklärung den neuen Machthabern gegenüber verstanden werden muss, dürfte nach diesen einleitenden Sätzen ebenso klar sein wie, dass in dem Kriegsdrama ein ganz anderer Wind weht als in dezidiert pazifistisch auftretenden Werken mit ähnlicher Thematik wie beispielweise Lewis Milestones ALL QUIET ON THE WESTERN FRONT (1930) oder, um in Deutschland zu bleiben, George Wilhelm Pabsts WESTFRONT 1918 (1930).
Zwei Namen sind eng mit der Entstehungsgeschichte und dem Erfolg von MORGENROT verknüpft, zum einen der des Drehbuchautors, Gerhard Menzel, zum andern, logischerweise, der des Regisseurs, Gustav Ucicky. Menzels Karriere begann überraschend mit der Verleihung des Kleist-Preises 1927 für sein Bühnenstück TOBOGGAN, das einzig aus dem Monolog eines Soldaten im Ersten Weltkrieg besteht und seinerzeit als durchaus kriegsfeindlich rezipiert worden ist. MORGENROT ist, nach weiteren Dramen und Romanen, sein erstes Spielfilmdrehbuch. Gustav Ucicky, laut eigener Aussage ein unehelicher Sohn des Malers Gustav Klimt, stand schon Ende der 1910er Jahre als Kameramann im Dienste des Kinos und etablierte sich ab 1926 als Regisseur – unter anderem für das Melodram CAFÉ ELEKTRIC (1927), das Willi Forst und Marlene Dietrich in ihren ersten Hauptrollen zusammenbrachte, dem Prater-Spektakel DIE PRATERMIZZI (1927) oder dem Aufklärungsfilm VERERBTE TRIEBE – DER KAMPF UMS NEUE GESCHLECHT. Beide, Menzel wie Ucicky, werden während des Nationalsozialismus, der eine schreibend, der andere filmend, bis zu dessen Ende in der Gunst des Regimes stehen und mit höchster Produktivität ein linientreues Werk nach dem andern vorlegen.
MORGENROT ist, auf seine Weise, ein prophetischer Film. Obwohl noch innerhalb der Weimarer Republik gedreht, weist er schon voraus auf das Kino des Dritten Reiches. Seine Handlung ist minimalistisch und effektiv: Irgendwann im Ersten Weltkrieg ist der beliebte, tüchtige, siegreiche Kapitän Liers mit dem Kommando eines deutschen U-Bootes betraut, dessen Ziel es ist, so viele britische Schiffe wie möglich zu versenken. In Meerskirchen spielen sich vergnügliche und herzzerreißende Abschiedsszenen Schulter an Schulter ab. Grete herzt ihren Gustl, und verspricht ihm, wenn er zurück sei, würde sie mit ihm weiter eifrig am Kindermachen arbeiten. Oberleutnant Fredericks flirtet mit der Bürgermeisterstochter Helga, obwohl die nur Augen für den mindestens drei Jahrzehnte älteren Liers hat. Der wiederum muss sich mit seiner alten Mutter auseinandersetzen: die ist nämlich gar nicht davon begeistert, dass er nicht endlich seinen Abschied von der See nimmt, immerhin hat die bzw. der Feind ihr bereits zwei Söhne geraubt. Doch alles Jammern nutzt nichts und jeder Kuss endet mal und bald sitzen die tapferen Jungens unter der Meeresoberfläche und suchen nach Zielen für ihre Torpedos. In Meerskirchen indes sitzen die Frauen jeden Abend, wenn die Zeitungsmeldungen in die Stadt flattern, auf heißen Kohlen: wie gut haben sich ihre Männer, Brüder, Söhne geschlagen?, wann werden sie zurück bei ihnen sein?, leben sie überhaupt noch? Zunächst braucht sich niemand Sorgen zu machen, denn für unsere U-Boot-Besatzung verläuft das Schiffe-Versenken ausgesprochen erfolgreich. Dann aber schafft es ein englischer Zerstörer das U-Boot derart zu rammen, dass es auf den Grund des Ozeans sinkt. Überlebt haben den Angriff insgesamt zehn Männer, jedoch sind lediglich acht Tauchretter vorhanden. Resignation, Panik und Heldenmut machen sich unter den Soldaten breit…
MORGENROT zerfällt, meiner Meinung nach, in zwei recht unterschiedliche, sich aber ergänzende und einander bedingende Schauplätze – auf der einen Seite die reine Männerdomäne U-Boot, auf der andern Seite die Stadtszenen, die in Meerskirchen spielen sollen, und wo vor allem Frauen im Mittelpunkt des Geschehens stehen. Nur zu Beginn und zum Schluss sind beide Welten vereint, und liegen sich im wahrsten Sinne des Wortes in den Armen. Klar ist: in einem U-Boot auf Kriegspfad herrscht ein ganz bestimmter Ton, eine ganz bestimmte Atmosphäre, und, aus Sicht des Drehbuchautoren Menzel, ein ganz bestimmtes Mannesbild. Auf ihrem Erfolgskurs werden die Marinesoldaten dabei von Ucicky schon beinahe wie Maschinen dargestellt. Kurz und knapp sind die Befehle, die sie erteilen oder die sie empfangen, dazu sind sie, wie Rädchen im Getriebe, eingebunden in überlebensnotwendige und todbringende Handlungen, eingekeilt zwischen Fernrohren, Hebeln, Schaltern, Steuerrädern, und konditioniert auf immer wiederkehrende, monotone Handgriffe, Sätze, mechanische Verrichtungen. Das Innere des U-Bootes mit seinem vielen Metall und seinem technischen Inventar unterstreicht als quasi-futuristische Kulisse eines vollkommen unnatürlichen Sektors nur den fast schon dokumentarischen, naturalistischen Charakter, den Ucicky mit diesen Aufnahmen erzielt. Als sei MORGENROT ein Wochenschaubericht über das Herz eines U-Boots, wirkt der Film über weite Strecken, und dass seine Soldatenfiguren mehr Stereotype als psychologisch fassbare Gestalten sind, vereitelt das kaum. So wie Ucicky nahezu über die komplette Laufzeit auf nervige, manipulierende Musik verzichtet, genauso hält er mich zu den Männern auf Distanz, die sich an Bord des U-Boots befinden. Selbst eine Figur wie Liers, für die Sympathien geweckt werden sollen, kommt nicht über die Tugenden hinaus, die ich oben schon einmal kurz aufgezählt werden. Er ist ein Held wie aus dem Bilderbuch, sofort bereit, sich für seine Mannschaft zu opfern, als es um die Frage geht, wie man das Problem mit den fehlenden beiden Rettungsbooten lösen soll. In die gleiche Kerbe schlägt nicht nur Friedericks, der als Oberleutnant Liers sofort zustimmt und sich ebenfalls als Märtyrer anbietet, sondern schließlich die versammelte Mannschaft: man will gemeinsam sterben, mit dem Kapitän, und für das Vaterland. Auffällig ist höchstens ein Matrose, der mit einem übertriebenen osteuropäischen Akzent spricht, und eine rechte Lust am Töten zu haben scheint. Wie ein Zirkusäffchen springt er umher, füllt die Torpedos in die für sie gedachten Rohre, und geht seinen Kameraden mit blöden Sprüchen und viel Gekicher auf die Nerven. Inwieweit diese Figur nun schon dafür da ist, rassistische Klischees zu verkörpern, kann ich nicht mit Sicherheit sagen. Daneben hat aber nur eine weitere Männerfigur so etwas wie einen Bruch in der glatten Fassade: Matrose Petermann, ein Einzelgänger, der sich schon zuvor absichtlich ins Feuer der Feinde geworfen hat, da ihm sein glückloses, einsames Leben keinen Pfifferling wert ist. Zusammen mit Friedericks, der nicht darüber hinwegkommt, dass Helga nicht ihn, sondern Käpt’n Liers liebt, erschießt Petermann sich mit dem ergreifenden Argument, dass er nun, wo er sein Leben für die Kameraden opfert, für immer acht Freunde haben wird, mehr als jemals zuvor. Nichtsdestotrotz werden solche seelischen Schieflagen höchstens angerissen. Weder verfallen die dem Untergang geweihten Soldaten in richtige Aufregung – man sitzt stumpf und wortkarg herum und wartet auf den Tod – noch zeigen sie sonst irgendwelche nennenswerten Emotionen: bezeichnend hierfür ist die – im Übrigen vorzügliche und wohl beste – Szene des Films kurz nach dem Crash zwischen U-Boot und Zerstörer. Das Licht ist weitgehend ausgefallen, aufrecht steht bloß Friedericks, von Schatten nahezu verhüllt, und ruft die einzelnen Namen der Bordmitglieder in die Finsternis, worauf diese ihm, gespenstisch, wie aus dem Totenreich, nacheinander mit „Hier!“ antworten – oder eben stumm bleiben, sofern sie inzwischen verstorben sind. MORGENROT ist hervorragend darin, ein Bild von Soldaten nicht als eigenständige Individuen zu zeichnen, sondern als reine Repräsentationsflächen all der Ideale, die von ihnen eingefordert werden.
Anders schaut es hingegen in Meerskirchen aus, wo drollige Männergestalten verblieben sind, Bürgermeister und Journalisten, die allein von ihrer Optik schon ein bisschen anders aussehen als die Matrosen mit ihren kantigen Gesichtern, muskulösen Armen und ordentlichen Frisuren, vor allem aber Ehefrauen und Mädchen auf dem Weg zur Ehefrau. Ucicky und Menzel stellen in gewisser Weise zwei Frauentypen einander gegenüber. Da haben wir Liens‘ Mutter, die Majorin genannt, vom Stadtvolk wie eine Herzogin hofiert, und die vom vielen Kummer über den Verlust ihres Mannes und ihrer beiden Söhne so gramgebeugt ist, dass sie als ewige Witwe in Schwarz ein ziemlich freudloses Dasein fristet. Sie steht der Euphorie von Grete und Helga mehr als skeptisch gegenüber. Die nämlich glauben schlicht nicht daran, dass ihren Liebsten, Gustl und Liens, jemals etwas Schlimmes durch den Krieg widerfahren könnte. Sie werden schon heil zurückkommen, lautet die Devise und jede Nachricht, dass die U-Boot-Besatzung sich bester Gesundheit erfreut, wird mit tosendem Jubel begrüßt. Während die Majorin zur Mäßigung mahnt und daran, den drohenden Tod sich wie ein Damoklesschwert über den Häuptern der Geliebten vorzustellen, ist vor allem Grete dermaßen unbekümmert, dass man in ihrem Fall, aus heutiger Sicht, schon fast von Realitätsverlust sprechen könnte. Das turbulente Mädchen, Mutter eines Kindes, das man während des gesamten Films kein einziges Mal sieht, wird am Ende dann auch rechtbehalten: Gustl liegt ihr in den Armen, zumindest dieses Mal. Trotz des eher lockeren Tons, den MORGENROT in seinen Stadtszenen anschlägt, hat Ucicky bei dem in den UFA-Studios Babelsberg gebauten Hafenstädtchen nicht auf ein vorherrschendes klaustrophobisches Element verzichtet. Eng und duster wirkt Meerskirchen nicht nur dadurch, dass es beinahe ausschließlich bei Nacht gefilmt wird, auch die Häuser selbst schieben sich derart dicht aneinander, dass der Vergleich zur Enge und Gedrücktheit im Innern des U-Boots sich regelrecht anbietet. Gerade deshalb steht die irgendwie seltsame und merkwürdig verquaste Liebesgeschichte zwischen Liens, Helga und Fredericks reichlich deplatziert am äußersten Rand der Handlung und will nie so recht in sie hineinpassen. Helga liebt nun also Liens, während Fredericks glaubt, dass sie ihn liebe, doch im Einsatz erfährt er von Liens, dass der wisse, dass Helga sich ihn als Augenstern ausgeguckt hat. Am Schluss, dessen Pathos-Orgie in Ton und Bild alles Stille und Reduzierte der vorherigen achtzig Minuten mit einem Paukenschlag auslöscht, ist Fredericks dann tot, Liens bei Helga, sie knutschen, versprechen sich einander. Dass Liens, wie gesagt, gut und gerne Helgas Großvater hätte sein können, macht diese umständlich erzählte und für die reine Handlung reichlich unwichtige Extraportion Schmalz für mich nicht weniger befremdlich.
Was haben wir nun mit MORGENROT unterm Strich? Ich zähle einmal auf: viele in schmucklosem Schwarzweiß gedrehte oftmals komplett stille Kampfszenen zwischen Unterwasserboot und Überwasserschiffen, die das Geschehen nüchtern und ohne zu werten widergeben, sodass der Zuschauer genügend Möglichkeit hat, sich eigenständig kritisch oder affirmativ zu dem Treiben zu stellen. Dann: ebenso schmuckloses Schwarzweiß in Handlung und Figuren, mit klar verteilten Geschlechterrollen und, in den letzten Minuten, so, als wollten Menzel und Ucicky dann doch noch schnell die bis dahin eher neutrale Sicht des Films über Bord werfen, einer großen Ladung Pathos, bei der die Reichsfahne in Überblendung vor dem U-Boot wehen darf, und patriotische Seemannsgesänge erklingen. Ansonsten ist MORGENROT ein selbst nach heutigen Standards schwer unterhaltsamer Kriegsfilm, der zeigt, dass seine Verantwortlichen genau wissen, welche Hebel und Räder sie in Bewegung setzen müssen, um ihr Publikum einerseits ebenfalls zu bewegen und ihnen andererseits mehr oder minder subtil die Kernthese des Films unterzujubeln. Die lautet: Sterben für Deutschland ist nicht nur eine Pflicht, sondern eine wirklich schöne Sache. Genau dieses Thema ist es dann auch, das im Kino des Dritten Reichs immer wieder gerne vor allem auch vor historischer Kulisse aufgegriffen werden wird. Die Rede, die Liens seiner Mannschaft hält, und in der er Ritterlichkeit und Todesmut als wahre Tugenden eines deutschen Soldaten lobt, oder die zahlreich in den Film eingestreuten Liedchen mit Titeln wie DENN WIR FAHREN GEN ENGELAND, und natürlich die Schlusseinstellung, die einem nationalistischen Herz keinen Wunsch offenlassen dürfte, das alles sind Elemente, die gut und gerne auch in einem Reichsfilm der Folgejahre Verwendung hätten finden können – und das dann natürlich auch taten. Dennoch ist MORGENROT, wie gesagt, weitaus, wenn man so will, zurückhaltender in seiner Verklärung von Soldatentod und Kriegsdienst – was freilich ebenso natürlich ist, denn 1933 stehen wir immerhin erst noch am Anfang…