Stadt ohne Mitleid - Gottfried Reinhardt (1961)

Moderator: jogiwan

Antworten
Benutzeravatar
Prisma
Beiträge: 500
Registriert: So 23. Mär 2014, 22:02

Stadt ohne Mitleid - Gottfried Reinhardt (1961)

Beitrag von Prisma »


Kirk Douglas   in

STADT OHNE MITLEID

● TOWN WITHOUT PITY / STADT OHNE MITLEID (US|CH|1961)
mit Barbara Rütting, Christine Kaufmann, Hans Nielsen, Karin Hardt, Ingrid van Bergen, Robert Blake,
Frank Sutton, Richard Jaeckel, Alan Gifford, Gerhart Lippert, Rose Renée Roth und E.G. Marshall
eine Gemeinschaftsproduktion der Mirisch Corporation | Osweg | im Gloria Filmverleih
ein Film von Gottfried Reinhardt


Bild
»Was heißt das, negotiate?«
Karin Steinhof (Christine Kaufmann) wird von vier betrunkenen US-Soldaten vergewaltigt und wegen dieser Tat droht den vier Männern nun die Todesstrafe, die von der Staatsanwaltschaft auch klar gefordert wird. Die deutsche Kleinstadt, in der sich das Verbrechen ereignete, ist empört und fordert Genugtuung. Steve Garrett (Kirk Douglas) ist mit der schwierigen Verteidigung beauftragt und strebt einen Kompromiss an. Falls die Anklage auf die Todesstrafe verzichten sollte, bekennen sich die vier Männer schuldig. Außerdem würden dem Opfer somit peinliche Fragen im Zeugenstand und dem öffentlichen Kreuzverhör erspart bleiben. Doch die Strategie der Verteidigung scheitert am Widerstand von Karins Vater (Hans Nielsen) und der Sensationsgier der Öffentlichkeit. Der Prozess nimmt seinen Lauf und provoziert eine Hexenjagd, bei der die Katastrophe vorprogrammiert erscheint...

Bild

Gottfried Reinhardts Spielfilm "Stadt ohne Mitleid" kann zu den ganz großen Beiträgen im Bereich des Justiz-Dramas gezählt werden und schildert eine bedrückende Geschichte mit all ihren perfiden Gesichtern überaus eindringlich und nachhaltig. Die Geschichte erteilt dem Effekt weitgehend eine deutliche Absage und mithilfe von sehr bewegenden Bildern und gestochen scharfen Psychogrammen entsteht ein Verlauf, in den sich die Ohnmacht der Opfer quasi auf den Zuschauer übertragen wird. Hierbei entsteht jedoch keine Schwarz-Weiß-Malerei, die eine Seite der Medaille nicht ausreichend beleuchten will, oder falschen Patriotismus, Optimismus oder unangebrachte Sentimentalitäten kolportieren will, die Abhandlung geschieht überaus kritisch und hinterlässt einen nahezu fassungslosen Beigeschmack. Trotz aller Sterilität und einer gewissen Starre von vielen Beteiligten, kommt es zu eindeutigen Berührungspunkten, so dass man es nicht anders sagen kann, dass der Film immer ungemütlicher, bewegender und abverlangend wird.

Bild

Die Geschichte wird mit Unbekümmertheit eröffnet und innerhalb weniger Minuten werden mehrere Existenzen zerstört. Dabei kann man die Strategie von Regie und Drehbuch schon als genial bezeichnen, denn der Zuschauer wird ebenfalls in den Zeugenstand gezwungen. Einerseits kann man die Ungerechtigkeit, die das Opfer erdulden muss, kaum ertragen, doch andererseits entsteht die berechtigte Hoffnung, dass die vier jungen Soldaten trotz der schrecklichen Tat nicht zum Tode verurteilt werden. Diese Schachmatt-Situation lässt ein taubes Gefühl entstehen, da es gewiss ist, dass Unschuldige und Unbeteiligte auf der Strecke bleiben müssen. Die Kleinstadt wird durch diesen zwar bedauerlichen, aber anscheinend willkommenen Vorfall zum Hexenkessel und man sieht das komplette Repertoire innerhalb des Kleinbürgertums, der Doppelmoral und der Sensationslust. Die Handlung wird von Anfang bis Ende durch Barbara Rütting als Erzählerin begleitet und auch der Song 'Town Without Pity' von Gene Pitney begleitet den sich immer mehr zuspitzenden Verlauf wie ein langsam verhallendes Echo, selbst wenn der Film bereits zu Ende ist.

Bild

Christine Kaufmann erhielt für ihre präzise und bewegende Leistung des Missbrauchsopfers Karin Steinhof den Golden Globe Award als Beste Nachwuchsdarstellerin. Ihre Fähigkeit, Emotionen glaubhaft darzustellen und zu transportieren erweist sich hier als Fundament dieser Geschichte. Mit ihr braucht man jedoch nicht auf einen reibungslosen Verlauf zu hoffen, denn es lauern überall erschreckende Komplikationen. Im späteren Verlauf entsteht sogar der Eindruck, dass sie die Angeklagte sei, die sie es mit ihren körperlichen Reizen nur darauf angelegt habe, die Männer zu verführen. Auch die Stadt mutiert zum kollektiven Verfolger und stempelt das junge Mädchen schnell als Hure und Lügnerin ab. Kirk Douglas leistet hier als Verteidiger ganze Arbeit und er brilliert insbesondere beim Kreuzverhör. Zwar sieht man Garrett an, dass ihn diese Aufgabe sehr mitnimmt, aber er sieht sich den vier jungen Männern verpflichtet, da er sie vor dem Galgen bewahren möchte. Synchronisiert wurde Douglas übrigens von Heinz Drache, dessen Stimme genügend Vehemenz, Unempfindlichkeit und Arroganz zur Verfügung stellt. Barbara Rütting als Journalistin und Erzählerin erweist sich als Sprachrohr des Zuschauers und sie liefert genau wie Hans Nielsen als Karins Vater, dessen Enttäuschung und geplatzte Illusionen wie ein Brett vorm Kopf werden, einen Präzisionsauftritt.

Bild

Überhaupt ist der Film bis in die kleinsten Rollen überragend besetzt, Ingrid van Bergen, Karin Hardt oder E.G. Marshall tragen beispielsweise zur hohen Glaubwürdigkeit bei. Die Kleinstadt, die unerbittlich eine mutwillige Hexenjagd veranstaltet, könnte also dem Empfinden nach überall sein. So wird der Prozess der Austragungsort für private Belange, und Karin wird schwer von Zeugen der Anklage belastet, wie von einem Spanner, der sie gerne vom Fenster aus beobachtete und sich animiert fühlte, vor Gericht allerdings von einem ordinären Flittchen spricht, einer alten Klatschtante, die ihre Augen und Ohren offenbar überall hat, einer eifersüchtigen jungen Frau, die eine Retourkutsche ausspielt und von der Mutter ihres eigenen Freundes, die der Ansicht ist, dass Karin nicht der richtige Umgang für ihren Sohn sei. Gottfried Reinhardts Inszenierung ist in gewisser Weise schonungslos, da sie sich nicht an Kompromissen orientiert und resolut eine Katastrophe ansteuert. Der Appell an das Gerechtigkeitsempfinden des Zuschauers wird immer wieder mir harten Schocks erschüttert und insgesamt zerrt dieser ernstzunehmende Beitrag gehörig an den Nerven. Überragend!
Antworten