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The Telltale Heart - Charles Klein (1928)

Verfasst: Do 4. Dez 2014, 22:49
von Salvatore Baccaro
Originaltitel: The Telltale Heart

Produktionsland: USA 1928

Regie: Charles Klein

Darsteller: Otto Matieson, William Herford, Hans Fuerberg, Charles Davas

Poe im (frühen) Kino, Folge 4:

Im Jahre 1928 wurden nicht nur sowohl in den USA vom Regie-Duo Melville und Webber als auch in Frankreich unter der Schirmherrschaft von Jean Epstein zwei voneinander völlig unabhängige Verfilmungen der Kurzgeschichte THE FALL OF THE HOUSE OF USHER von Edgar Allan Poe realisiert, nein, ebenfalls im gleichen Jahr entstand in den Vereinigten Staaten außerdem eine Kurzfilmadaption von THE TELL-TALE HEART, einer weiteren short story des Dichters, deren Erstveröffentlichung in das Jahr 1843 fällt.

THE TELL-TALE HEART wiederum ist ein Text, der weitgehend in ziemlicher Opposition zu THE FALL OF THE HOUSE OF USHER steht. Während letzterer sich durchaus traditioneller Topoi und Mechanismen der sogenannten gothic novel bedient – beispielweise hat Arno Schmidt in den 60ern überzeugend nachgewiesen, dass Poes Geschichte in ihren Grundzügen offenbar das Remake eines Schauerstücks namens DAS RAUBSCHLOSS des heutzutage nahezu vollkommen in Vergessenheit geratenen Trivialschriftstellers H. Clauren von 1812 darstellt -, sie indes psychologisch verfeinert und in eine überaus artifizielle Sprache verpackt, handelt es sich bei THE TELL-TALE HEART um ein Werk, das trotz oder gerade wegen seiner Kürze für mich nahezu die gesamte moderne Horrorliteratur antizipiert. Erneut hat Poe einen seiner berüchtigten Ich-Erzähler zum Protagonisten gewählt, dessen Worte mit Vorsicht zu genießen sind, da sie aus einer verzerrten Realitätswahrnehmung heraus geschrieben werden. Die Augen eines blinden Mannes, scheinbar seines Mitbewohners, lassen unseren namenlosen Helden nicht mehr los, verfolgen ihn als eine jener überreizten Sinneswahrnehmungen, unter denen die Protagonisten von Poes bekanntesten und wirkungsvollsten Erzählungen permanent leiden und von denen sie zu den schlimmsten Handlungen veranlasst werden. Der Ich-Erzähler in THE TELL-TALE HEART bildet darin keine Ausnahme: um endlich den ihm im wahrsten Sinne des Wortes den Verstand raubenden Blicken des Alten zu entkommen, stiehlt er sich eines Nachts in seine Schlafkammer, mit dem Vorsatz, ihn zu töten. Da er jedoch im Schlaf seine Lider geschlossen hält, zaudert der Erzähler eine Woche lang in seinem Entschluss. Dann endlich, als der Alte ihn einmal bemerkt und erschrocken die Augen öffnet, ist es jedoch nicht sein Blick, sondern sein vor Panik in den Ohren des Erzählers betäubend laut schlagendes Herz, das ihm den letzten Stoß versetzt, der noch fehlt, ihn unter seinem Bettzeug zu ersticken. Zerstückelt findet die Leiche des Alten ihren Bestimmungsort unter den Wohnzimmerbodendielen – wo sie wenn nicht für immer, so doch für eine lange Zeit hätte verbleiben können, würden nicht am nächsten Tag zwei Polizisten vor der Tür des Erzählers stehen, die, alarmiert durch Hinweise der Nachbarn, die meinen, in der Nacht einen Todesschrei gehört zu haben, routinemäßig vorbeigekommen sind, um nach dem Rechten zu sehen…

Minimalistisch wie der zugrundeliegende, wirklich außerordentlich knappe Text ist die Adaption durch den mir bislang völlig unbekannten Charles Klein ausgefallen. Vierundzwanzig Minuten benötigt sein Film, um, kein Jota von der Vorlage abweichend, exakt das zu bebildern, was Poe in Worten ausgedrückt hat. Das Figurenarsenal besteht aus nicht mehr als vier Köpfen: dem alten Mann, den beiden Polizeibeamten sowie dem namenlosen Anti-Helden. Um die Nähe zur Vorlage zu verdeutlichen, folgt zu Beginn des Films eine lange Textpassage, die ungekürzt die Anfangspassage der Kurzgeschichte wiedergibt. Klein und seinem Team scheint regelrechte Ehrfurcht davon abzuhalten, besonders massiv in die Erzählung einzugreifen und sie durch eigene Einfälle zu verfremden. Sie wollen mit THE TELLTALE HEART in gewisser Weise tatsächlich nicht wesentlich mehr als eine filmische Illustration der Kurzgeschichte liefern, allerdings eine, die für jemanden, der den adaptierten Text nicht kennt, nicht nur vollkommen verständlich bleibt, sondern zudem, mag man die paar Seiten partout nicht lesen, durchaus als vollwertiger Ersatz gelten kann.

Entsprechend marginal sind die Freiheiten, die man sich herausgenommen hat und die im Grunde einzig und allein im visuellen Bereich siedeln. Den namenlosen Erzähler beispielweise hat man optisch ausstaffiert wie ein Poe-Double, die beiden Polizeibeamte wiederum wirken in ihrem ganzen maschinenhaft-bürokratischen und stellenweise regelrecht absurden Auftreten und Gebaren, als seien sie geradewegs aus einem Text Franz Kafkas herausgefallen, derart synchron sind ihre steifen Bewegungen und derart witzig die parolenhaften Zwischentitel, die man ihnen in die von keiner Emotion durchzuckten Münder gelegt hat. Ansonsten ist THE TELLTALE HEART eine der werkgetreusten Poe-Verfilmungen, die ich kenne. Nichts wird hinzugefügt, nichts weggelassen – was bei einer schmalen Vorlage wie der hiesigen sowieso schwergewesen wäre -, man nutzt die filmischen Mittel vorwiegend, um bestimmte Stimmungen lediglich stärker hervorzuheben, wie zum Beispiel den Wahn des Erzählers, das blinde Altenauge würde ihn heimsuchen zu versuchen, indem man besagtes Auge in Großaufnahme kaleidoskopartig spiegelt und sich um sich selbst drehen lässt, oder aber den allgemein derangierten Geisteszustand des Erzählers, indem man seine Stube, offensichtlich am deutschen Stummfilmexpressionismus geschult, als windschiefe Kammer herrichtet, in der keine einzige gerade Linie verläuft, sondern sämtliche Möbel, Türen und Fensterrahmen kreuz und quer durcheinandertorkeln.

Müsste ich THE TELLTALE HEART zwischen THE FALL OF THE HOUSE OF USHER von Melville und Webber und Epsteins LA CHUTE DE LA MAISON USHER einordnen, würde ich ihn wohl etwa in deren Mitte stellen. Mit Epstein teilt Kleins Film, dass in ihm die Narration ständig präsent bleibt und so gut wie nie von einem überbordenden Stilwillen verschluckt wird, mit Melville/Webber, dass er dennoch durchdrungen ist von einer Ästhetik, die ihn für seine Zeit als eindeutig avantgardistisch ausweist. Er kann selbst von einem heutigen Publikum noch problemlos konsumiert werden und gleichzeitig wehrt er sich mit seinen irren Kulissen, seinem überzeichneten Schauspiel, seinen subtil-putzigen Ideen, von denen mir ein schwarzes Kätzchen, das zweimal von links nach rechts bzw. von rechts nach links durchs Bild tigert und dabei der süßeste Ersatz für eine Schwarzblende ist, den ich jemals gesehen habe, besonders gut gefallen hat, dagegen, ein bloßes banales Unterhaltungsstück zu sein. Alles in allem ist THE TELLTALE HEART ein Kurzfilm, der, meine ich, sicherlich die wenigsten so sehr mitreißen wird wie die beiden zeitgleich entstandenen Usher-Adaptionen, und nach dessen Sichtung sich Freunde frühen Horrorkinos sich trotzdem alles andere als um zwanzig Minuten ihrer Lebenszeit betrogen fühlen dürften.