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Al-kahirun - Frank Agrama (1966)

Verfasst: Di 23. Dez 2014, 17:04
von Salvatore Baccaro
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Originaltitel: al-Kahirun

Produktionsland: Libanon 1966

Regie: Frank Agrama

Darsteller: Samira Tewfik und viele weitere verdiente Schauspieler, deren Namen ich jedoch unmöglich aus dem Arabischen entziffern kann
al-Kafirun ist die hundertneunte Sure des Koran und mit gerade mal sechs Versen eine der kürzesten Suren überhaupt. In der Übersetzung des deutschen Islamwissenschaftlers Rudi Paret klingt ihr Inhalt wie folgt: „(1) Sag: Ihr Ungläubigen! (2) Ich verehre nicht, was ihr verehrt (w.Ich diene nicht dem, dem ihr dient; dem entsprechend in den folgenden Versen), (3) und ihr verehrt nicht, was ich verehre. (4) Und ich verehre nicht, was ihr (bisher immer) verehrt habt, (5) und ihr verehrt nicht, was ich verehre. (6) Ihr habt eure Religion, und ich die meine.“ AL-KAFIRUN oder AL-KAHIRUN, was im Arabischen die Bezeichnung für die Ungläubigen ist, d.h. für all jene, die sich nicht dem Islam zurechnen, lautet jedoch ebenfalls der Titel eines Films, der 1966 im zu dieser Zeit eigentlich außerordentlich liberalen, unorthodoxen und westlich orientierten Libanon entstand. In ihm bekommen die Ungläubigen, wie man sagt, ihr Fett weg – genauer gesagt: die Mongolenhorden, die im zwölften Jahrhundert weite Teile Asiens und des Morgenlandes unter ihre Gewalt brachten oder zu bringen versuchten. Ihnen gegenüber steht ein Stamm aufrechter Muslime, die den Barbaren aus dem Osten Widerstand leisten. Vor allem ein junger Recke ist es, der, um seine von den Mongolen verschleppte und zur Sklavin degradierte Liebste zurückzugewinnen, einen Schar Aufrechter um sich versammelt, um mit diesen gegen die Residenz des Khans zu Felde zu ziehen.

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Was sonst noch in AL-KAHIRUN passiert, kann sich selbst jemand denken, der in seinem Leben noch nie einen Film aus arabischen Kulturkreisen zu Gesicht bekommen hat. Es ist erstaunlich, wie sehr der Film letztlich, die eine oder andere kulturelle Besonderheit ausgeklammert, einem Muster folgt, das in den späten 60ern nahezu jedem Western oder Sandalenspektakel eingeschrieben gewesen ist. Ohne mehr als ein paar Worte und Satzfetzen Arabisch zu beherrschen, konnte ich den Ereignissen nicht nur problemlos folgen, sondern sie in manchem Fall beinahe schon prophetisch voraussehen. Die Liebesgeschichte, die Schlachtszenen, die Hinterhalte, die eingestreuten Komödien-Elemente, in denen Männer sich als Frauen verkleiden oder Kleinwüchsige slapstickhaft durch die Gegend purzeln, die mal erhebend-erhabenen, mal flott-spritzigen Tanz- und Gesangseinlagen, das alles folgt Rezepten, die entweder dem Kino ursprünglich eingeboren sind oder die die Verantwortlichen von AL-KAHIRUN bewusst oder unbewusst Filmen entnommen haben, die ihnen vom Westen her entgegenschwappten.

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Eine Frage, die mich noch lange nach dem Finale von AL-KAHIRUN beschäftigt hat, möchte ich etwas ausführlicher darstellen. Gerade zu Beginn des Films sind da mehrere Szenen, die problemlos aus einem beliebigen Western hätten stammen können. Sicherlich trägt dazu die karge, felsige Landschaft bei, die spärliche Vegetation, die Sandwüste, allesamt geographische Eigenheiten, an denen der Wilde Westen ebenso reich ist wie die Naturkulisse, in der AL-KAHIRUN gedreht worden ist. Zugleich setzt man diese Landschaften jedoch in einer Art und Weise in Szene, die nicht allein durch ein paar Schluchten und reitende Männer erklärt werden kann. Einmal beispielweise, als die muslimischen Krieger in die erste Schlacht gegen die Mongolen reiten, folgt ihnen die Kamera auf einer Anhöhe, fängt sie in einer Fahrtaufnahme von der Seite her ein, und hätte man, statt arabischer Kriegsgesänge, einen Country-Song in englischer Zunge dazu eingespielt, hätte das die Szene in ihrer primären Aussage nicht nur nicht weiter gestört, sondern ihr zudem keine wesentlich neue Bedeutung verliehen. An italienische Sandalenfilme erinnern währenddessen vor allem die Szenen, die später im Mongolenpalast oder in einer Höhle spielen, in der man unsere Helden zum Erleiden eines langsamen Hungertodes eingesperrt hat. Natürlich liegt das, wie zu Beginn, an der Ausstattung. Halbnackte, muskulöse, am besten noch geölte Männerkörper, dazu die Mongolenhelme mit ihren Teufelshörnern, orientalische Fresken, Sklaven an Ketten - wohl von ganz alleine rufen solche Motive in uns Signale wach, mit denen wir sie automatisch einem bestimmten Genre und, damit einhergehend, einer bestimmten Erwartungshaltung zuordnen. Was ich mich jedoch frage, ist: bedingen bestimmte Äußerlichkeiten wie eben eine spezifische Landschaft oder ein spezifisches Mongolenkostüm eine bestimmte filmische Herangehensweise, d.h. muss der Mensch aufgrund seiner natürlichen Veranlagung eine spezifische Landschaft oder einen Schauspieler in einer spezifischen Garderobe auf eine Weise im Bild festhalten, von der man sagen könnte, dass sie über die kulturellen Grenzen hinausgreift und somit etwas konstituiert, was jedem Menschen überall auf der Welt eigen ist? Haben die Verantwortlichen von AL-KAHIRUN Eisensteins ALEXANDER NEWSKIJ, den einen oder anderen US-Western, den einen oder anderen Maciste-Streifen gesehen und daraufhin beschlossen: das können wir auch und noch viel besser!? Oder sind die Szenen, die in mir reflexartig das Western- und das Muskelmann-Genre aufrufen, völlig ohne Vorbilder entstanden, sozusagen aus sich selbst heraus, eben weil der Mensch seiner Natur nach dazu tendiert, eine Gruppe von Reitern vor Felsenkulisse so zu filmen wie wir das als Bewohner der westlichen Hemisphäre nunmal vor allem vom Western gewohnt sind?

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Gerade ein relativ propagandistischer Film wie AL-KAHIRUN, in dem die Mongolen prinzipiell kinderfressende, frauenschändende Ungetüme sind, deren Ausrottung ganz im Sinne Gottes geschieht, und die Wüstennomaden herzensgute Krieger, die nur zur Waffe greifen, wenn sie sich verteidigen müssen, könnte, wenn man das alles zu Ende denkt, letztlich sogar als Sprungbrett dazu dienen, oberhalb von jeder Kultur, jeder Religion und jeder politischen Ideologie etwas zu finden, an dem wir alle irgendwie teilhaben. Die Versöhnung von John Ford, Sergej Eisenstein und Vittorio Cottafavi in der libanesischen Wüste sozusagen.