Originaltitel: Sumpah Orang Minyak
Produktionsland: Malaysia 1956
Regie: P. Ramlee
Darsteller: P. Ramlee, Sri Dewi
Da in Malaysia, Singapur und Sumatra Straßen und Museen nach ihm benannt sind, kann man wohl davon ausgehen, dass es der malaysische Schauspieler, Regisseur, Musiker P. Ramlee (1929-1973) auf weitreichende Weise geschafft hat, sich in das Bewusstseins der Nation einzubrennen, innerhalb derer er jahrzehntelang die Unterhaltungsindustrie bereicherte. SUMPAH ORANG MINYAK von 1956, produziert von Run Run Shaw, der sich später noch einen internationalen Namen mit in Hongkong hergestellten Kung-Fu-Filmen machen sollte, entstand auf dem Zenit von Ramlees beispiellosen Erfolgen. Es ist ein Film für die großen Massen, ein Unterhaltungsprodukt, vornehmlich auf die Bedürfnisse seines Publikums zugeschnitten, realisiert mit einem vergleichsweise hohen Budget und in Studiokulissen, die sich durchaus mit einer Hollywood-Produktion mittlerer Größe messen lassen kann – und dennoch für jemanden wie mich, der noch nie zuvor einen malaysischen Horrorfilm gesehen hat, ein Kuriosum sondergleichen, das mich oftmals mit dem Gefühl zurückgelassen hat, etwas nicht zu verstehen und trotzdem genau zu wissen, was gemeint ist.
Obwohl Horrorfilm als alleinige Genre-Klassifikation für dieses traumhaft-merkwürdige Filmchen vielleicht nicht ganz richtig ist. In gewisser Weise ist SUMPAH ORANG MINYAK nämlich in drei etwa gleichgroße Akte eingeteilt, von denen man im Prinzip jeden einzelnen einem anderen Genre zuordnen müsste. Interessanterweise vollzieht sich parallel dazu eine stetige Verwandlung unseres Helden, eines gewissen Si Bongkok, verkörpert von Regisseur P. Ramlee höchstpersönlich. Im ersten Akt, den ich einmal generell als klassisches Drama bezeichnen würde, tritt Si Bongkok als absolute Außenseiterfigur auf. Nicht nur, dass er scheinbar obdachlos durch die Wälder Malaysias zieht, und sich von Weggeworfenem oder Almosen ernährt, sein Ausgestoßen-Sein hat seinen Grund in einer körperlichen Ursache, an der Si Bongkok völlig unschuldig ist: sein Gesicht, vor allem die untere Partie, ist ziemlich entstellt, außerdem hat er einen Buckel und lahme Beinen, die ihn sich nur humpelnd fortbewegen lassen. Zu Beginn von SUMPAH ORANG MINYAK wird Si Bongkok von den Halbstarken des Dorfes verfolgt, in dem er eigentlich Zuflucht hat suchen wollen. Gehetzt wie ein Tier erreicht er die etwas abseits liegende Hütte eines verarmten Tuchhändlers, der es in seiner Herzensgüte nicht über sich bringt, den Flüchtigen von seiner Schwelle zu weisen und ihn bei sich aufnimmt. Schnell indes stellt der Tuchhändler fest, dass in Si Bongkok ein außerordentliches Zeichentalent steckt. Er lässt sich von ihm seine Tücher mit ausgefeilten, wunderhübschen Mustern verzieren und hat damit einen derartigen Erfolg auf dem Wochenmarkt, dass ihm die jungen Mädchen seine Ware förmlich aus den Händen reißen. Am Status Si Bongkoks innerhalb der Dorfgemeinschaft ändert das allerdings nichts. Dass die jungen Mädchen ihm gegen die jungen Buben beistehen, die ihn aufgrund seines Äußeren immer wieder attackieren und demütigen, stürzt ihn nur in noch heftigere Verzweiflung: unglücklich verliebt in eine der Grazien hadert er mit seinem Schicksal und fleht den Himmel um Hilfe an, ihn doch endlich von seinem qualvollen Erdendasein zu erlösen. Bis hierhin erweckt SUMPAH ORANG MINYAK auf mich den Eindruck einer durchaus realistisch in Szene gesetzten Outsider-Tragödie, ein bisschen vielleicht an Motive aus Victor Hugos NOTRE-DAME DE PARIS erinnernd. Seine Sets sind zwar offensichtlich in Studios beheimatet, inklusive gemalter Hintergründe und Kunstbäumchen, zwischendurch darf, wie es im malaysischen Kino scheinbar üblich ist, getanzt und gesungen werden, die schauspielerischen Leistungen haben allesamt einen leichten Touch Theatralik – trotzdem habe ich vor allem aus der Nebenhandlung um den Tuchhändler, der an den Erfordernissen der modernen Marktwirtschaft beinahe zugrunde geht, den einen oder anderen halblauten sozialkritischen Unterton heraushören können.
In seinem ersten Akt überwiegt in SUMPAH ORANG MINYAK Gesellschaftskritik, von Horror ist keine Spur zu sehen - weswegen der Einbruch einer magischen Welt im zweiten Akt umso überraschender kommt. Si Bongkoks Flehen wird nämlich erhöht, und zwar von einer Gestalt, die im europäischen Kulturraum wohl so etwas darstellen würde wie eine Art Feenkönig. Dessen bildschönes Töchterchen entführt Si Bongkok mittels eines Zauberschiffes, das in Wirklichkeit ein eindimensionales Pappgebilde zu sein scheint, in das wundersame Königreich ihres Vaters. Dort nimmt der Film sich viel Zeit, das Zeremoniell, dem Si Bongkok sich nun unterwirft, um von seinen äußeren Makeln befreit zu werden, mit sakral-entrückten, jedoch auch putzig-verspielten Bildern zu illustrieren. Während sich also Si Bongkok zum stetig grinsenden Charmeur wandelt, der das Herz des Feentöchterchens im Sturm erobert, kippt SUMPAH ORANG MINYAK jäh vom Sozialdrama in einen reinrassigen Märchenfilm der verträumteren Sorte. Wirklich süß fand ich hierbei, neben den schlichten, phantasievollen Kulissen, den engelsgleichen Chören und der an sich schon überaus zuckrigen Atmosphäre, die diesen Akt durchzieht, P. Ramlees Verwendung von Spezialeffekten. So, als ob das Kino noch immer seine Kinderschuhe trage, mit einer Unschuld, die einen Bogen bis zurück zu Méliés schlägt, nutzt Ramlee die primitivsten Mittel, um seinen Zuschauer ein Wunder nach dem anderen vorzusetzen. Ein einfacher Schnitt genügt, Si Bongkoks entstelltes Gesicht in eins zu verwandeln, das jedes Frauenknie erweicht, ein weißer Blütenregen wird direkt vor der Kameralinse ins Bild gestreut, später kann man sogar überdeutlich die Stricke sehen, die den Pappmaché-Kahn, in dem Si Bongkok und das Feenmädchen umherreisen, von der Stelle bewegen. In all seiner Naivität und Unbedarftheit gelingt es Ramlee in diesen Szenen eine Stimmung zu kreieren, die mich fast ähnlich gefangen nimmt wie die, die Jean Cocteau in seiner Adaption von LA BELLE ET LA BÊTE im wahrsten Sinne des Wortes hervorzaubert. Kino und Magie gehen Hand in Hand und hätte der Film damit geendet, dass Si Bongkok und das Feenweibchen für alle Ewigkeit im Glück schlummern, hätte mich SUMPAH ORANG MINYAK in der beseelten Verfassung eines Kleinkinds entlassen, das die Pfotenstapfen der Katze im Neuschnee auf der Dachschräge für die Fußtritte des Christkinds hält.
Aber bislang ist die titelgebende Figur, der sogenannte Orang Minyak, eine Geistergestalt aus dem an Geistergestalten unheimlich reichen mythologischen Fundus Malaysias, noch gar nicht aufgetaucht. Die behält P. Ramlee sich für den dritten Akt vor, in dem, eine weitere verblüffende Wendung, mit der ich nicht rechnete, sich der Film zum ernsthaften, blutgierigen Horrorthriller mausert. Zuvor hat Si Bongkok sein Feenliebchen zurücklassen müaawb – ihr weiser Vater erklärt, dass Geistwesen niemals die Welt der Erdenbewohner betreten dürfen -, ihr aber versprochen, sie für immer in seinem Herz zu behalten, nur um dann, zurück in dem ihm feindlich gesinnten Dorf, erneut in Liebe zur Tochter des Gemeindevorstehers zu entbrennen. Nachdem er von seinem Ziehvater, dem Tuchhändler, erfahren hat, dass er, statt drei Tagen, wie er annahm, drei Jahre spurlos verschwunden gewesen sein soll, beschließt er, unerkannt wegen seiner wiederhergestellten äußeren Schönheit, das alljährlich stattfindende Kunstfestival des Dorfes für die Rache zu nutzen, die ihn treibt. Besagtes Kunstfestival besteht aus Darbietungen der Jungen und Schönen, Tanz und Gesang vor allem, bei denen der Film gerne verweilt, während der Gemeindevorsteher, scheinbar Häuptling, Bürgermeister und Schamane in einem, erschwingliche Reden hält, denen seine Untertanen in frenetischem Beifall beipflichten. Die Stimmung wird ihnen indes vergällt, als Si Bongkok die Bühne betritt, sich als der ausgibt, der er ist, und seine ehemaligen Rivalen derart provoziert, dass das Fest in einem Kampf zwischen ihm und seinem Erzfeind gipfelt, der mittlerweile übrigens mit dem Mädchen liiert ist, auf das es Si Bongkok eigentlich abgesehen hatte. Am Ende sind alle tot – oder zumindest zwei von dreien, nämlich Mädchen und Rivale, während Si Bongkok in den Dschungel entflieht. Dort erwartet ihn schon der Feenkönig, der ihn an das Versprechen erinnert, das er geleistet hat, um vom Buckligen zum anbetungswürdigen Jüngling werden zu dürfen: niemals einem Menschen das Leben zu rauben. Zur Strafe wird er in ein Gespenst verwandelt, der Feenkönig lässt nicht mit sich reden und Si Bongkok erwartungsmäßig völlig fertig im Dickicht zurück.
Was sich da durchs Gestrüpp naht, das ist keine malaysische Waldziege, kein weiteres Feenmädchen, sondern Satan höchstselbst, der auf Malaysia offenbar gar nicht so sehr anders aussieht als hierzulande: er hat Hörner, einen Geißbart und einen Sack voller Angebote, die man kaum abschlagen kann, vor allem niemand in einer Situation wie Si Bongkok, der sofort zustimmt, in den gefürchteten Orang Minyak verwandelt zu werden, wenn er vom Teufel dafür zugebilligt bekommt, seine Rache unbehindert ausleben zu dürfen. Dieser Orang Minyak, was man am ehesten mit Öl-Mann übersetzen könnte, ist eine weitere genuin malaysische Mythenfigur, ein schwarzer Teufel, dessen Haut überaus glitschig und schmierig, eben wie Öl ist, sodass er lautlos bäuchlings durchs Unterholz kriechen oder, sollten Häscher ihn zu schnappen versuchen, ihnen wie ein allzu feuchter Fisch entschlüpfen kann. Ansonsten ist der Orang Minyak, zumindest in P. Ramlees Film-Version, hauptsächlich am Vergewaltigen von Frauen interessiert. Einundzwanzig in drei Wochen soll er schaffen, so lautet der Deal des Satans, dafür wird er mit den Schwarzen Künsten ausgestattet, die ihm helfen sollen, das verhasste Dorf dem Erdboden gleichzumachen. Sprachlos verfolge ich wie Ramlee alles Liebliche, Märchenhafte konsequent im Schlussakt aus seinem Film streicht und Si Bongkok auf eine Vernichtungstour schickt, die grimmiger kaum sein könnte. Aus dem Dunkel heraus werden hilflose Frauen besprungen, geschändet und leblos liegengelassen. Man formiert sich zu Lynchmobs, folgt dem Orang Minyak in den Dschungel, wird von ihm getäuscht, in die Irre geführt. Selbst den alten Gemeindevorsteher rafft die Aufregung dahin: er stirbt an Herzversagen und überlasst den Thron seinem Sohn, doch wird der es schaffen, der unkontrolliert wüteten Bestie Einhalt zu gebieten?
Festhalten kann man nach dieser ausführlicheren Inhaltsangabe, dass SUMPAH ORANG MINYAK, wie sein Held, insgesamt dreimal eine grundlegende Metamorphose durchläuft. Zu Beginn herrschen, wie gesagt, realistische Züge vor, die Si Bongkok eindeutig in einen bestimmten gesellschaftlichen, sozialen Kontext einbetten, um an diesem unterschwellige Kritik zu üben. Mit dem Auftauchen der Wesen, die ich freimütig Feen nenne, scheint SUMPAH ORANG MINYAK plötzlich zu einem ganz anderen Film zu werden, der, meine ich, durchaus selbstständig für sich stehen könnte - zumindest die lang und ausführlich gezeigten magischen Zeremonien, Tänze und kultischen Handlungen, bevor der Anschluss an die Ausgangsgeschichte dadurch wieder gefunden wird, dass Si Bongkok in die ihm vertraute Welt zurückkehrt, nur eben nun in Gestalt eines Herzensbrechers. Nach der Katastrophe, in die das Kunstfest des Dorfes hinausläuft, ist es erneut das Auftreten einer überirdischen Realität, die den Film in eine komplett andere Richtung schubst. Kaum hat der Teufel sein schreckliches Haupt aus dem Blättermeer erhoben, wird SUMPAH ORANG MINYAK zum zweiten Mal zu einem neuen Film, was vor allem dadurch auffällt, da sämtliche Hauptfiguren, die bisher in ihm agiert haben, entweder verstorben sind oder, wie Si Bongkok, in Kreaturen verzaubert, unter deren Maskerade man sie kaum noch zu erkennen vermag. Damit enden die Stimmungsunterschiede jedoch nicht. Relativ problemlos kann man diese rein narrativen Metamorphosen am transzendentalen Überbau des Films nachvollziehen. Sein erster Akt zeigt die ungeschminkte Realität wie sie ist, sein zweiter Akt taucht tief ein in die Mythenwelt Malaysia, der dritte Akt wird nun aber von relativ deutlichen islamischen Obertönen regiert. Um gegen den Orang Minyak zu kämpfen, stärken die jungen Männer des Dorfes sich mit eindeutig islamischen Gebeten. Als der Gemeindevorsteher auf seinem Sterbebett liegt, bittet er zwei islamische Geistliche zu sich. In einer Szene meine ich sogar einen gerahmten arabischen Schriftzug an einer Zimmerwand entdeckt zu haben. Verwunderlich ist nicht so sehr, dass Ramlee den Islam in seinem Film zu Wort kommen lässt – immerhin wurde der Islam 1957, als ein Jahr nach SUMPAH ORANG MINYAK Malaysia zumindest in Teilen seine Unabhängigkeit von Großbritannien erlangte, wie selbstverständlich zur Staatsreligion erklärt -, sondern eher wie klar die Linie verläuft, die von einem realistischen Setting über ganze Blumenkörbe malaysischer Mythenpoesie hin zu einem kämpferischen, sich den Islam auf die Fahne schreibenden Finale führt.
Alles in allem ist SUMPAH ORANG MINYAK eine wahrhaftige Entdeckung für mich. Wann bekommt man schon einmal Sozialdrama, Märchen und Horrorfilm in einem derart possierlichen Paket verschnürt? Mal ganz abgesehen davon, dass Ramlee es, wie gesagt, problemlos schafft, mit seinem Film ein Jungfernhäutchen zusammenzuflicken, das dem kommerziellen Kino Ende der 50er doch eigentlich schon längst hätte gerissen sein müssen. SUMPAH ORANG MINYAK ist Mythos, Gewalt, Poesie, Magie, das verschmitzte Lächeln einer Dorfschönheit, die Sorgen und Nöte eines väterlichen Tuchhändlers, die unerfüllte Liebe, das Gackern des Teufels, das Feensäuseln im Urwald. Ich werde eine Straße nach diesem Film benennen müssen.
Obwohl Horrorfilm als alleinige Genre-Klassifikation für dieses traumhaft-merkwürdige Filmchen vielleicht nicht ganz richtig ist. In gewisser Weise ist SUMPAH ORANG MINYAK nämlich in drei etwa gleichgroße Akte eingeteilt, von denen man im Prinzip jeden einzelnen einem anderen Genre zuordnen müsste. Interessanterweise vollzieht sich parallel dazu eine stetige Verwandlung unseres Helden, eines gewissen Si Bongkok, verkörpert von Regisseur P. Ramlee höchstpersönlich. Im ersten Akt, den ich einmal generell als klassisches Drama bezeichnen würde, tritt Si Bongkok als absolute Außenseiterfigur auf. Nicht nur, dass er scheinbar obdachlos durch die Wälder Malaysias zieht, und sich von Weggeworfenem oder Almosen ernährt, sein Ausgestoßen-Sein hat seinen Grund in einer körperlichen Ursache, an der Si Bongkok völlig unschuldig ist: sein Gesicht, vor allem die untere Partie, ist ziemlich entstellt, außerdem hat er einen Buckel und lahme Beinen, die ihn sich nur humpelnd fortbewegen lassen. Zu Beginn von SUMPAH ORANG MINYAK wird Si Bongkok von den Halbstarken des Dorfes verfolgt, in dem er eigentlich Zuflucht hat suchen wollen. Gehetzt wie ein Tier erreicht er die etwas abseits liegende Hütte eines verarmten Tuchhändlers, der es in seiner Herzensgüte nicht über sich bringt, den Flüchtigen von seiner Schwelle zu weisen und ihn bei sich aufnimmt. Schnell indes stellt der Tuchhändler fest, dass in Si Bongkok ein außerordentliches Zeichentalent steckt. Er lässt sich von ihm seine Tücher mit ausgefeilten, wunderhübschen Mustern verzieren und hat damit einen derartigen Erfolg auf dem Wochenmarkt, dass ihm die jungen Mädchen seine Ware förmlich aus den Händen reißen. Am Status Si Bongkoks innerhalb der Dorfgemeinschaft ändert das allerdings nichts. Dass die jungen Mädchen ihm gegen die jungen Buben beistehen, die ihn aufgrund seines Äußeren immer wieder attackieren und demütigen, stürzt ihn nur in noch heftigere Verzweiflung: unglücklich verliebt in eine der Grazien hadert er mit seinem Schicksal und fleht den Himmel um Hilfe an, ihn doch endlich von seinem qualvollen Erdendasein zu erlösen. Bis hierhin erweckt SUMPAH ORANG MINYAK auf mich den Eindruck einer durchaus realistisch in Szene gesetzten Outsider-Tragödie, ein bisschen vielleicht an Motive aus Victor Hugos NOTRE-DAME DE PARIS erinnernd. Seine Sets sind zwar offensichtlich in Studios beheimatet, inklusive gemalter Hintergründe und Kunstbäumchen, zwischendurch darf, wie es im malaysischen Kino scheinbar üblich ist, getanzt und gesungen werden, die schauspielerischen Leistungen haben allesamt einen leichten Touch Theatralik – trotzdem habe ich vor allem aus der Nebenhandlung um den Tuchhändler, der an den Erfordernissen der modernen Marktwirtschaft beinahe zugrunde geht, den einen oder anderen halblauten sozialkritischen Unterton heraushören können.
In seinem ersten Akt überwiegt in SUMPAH ORANG MINYAK Gesellschaftskritik, von Horror ist keine Spur zu sehen - weswegen der Einbruch einer magischen Welt im zweiten Akt umso überraschender kommt. Si Bongkoks Flehen wird nämlich erhöht, und zwar von einer Gestalt, die im europäischen Kulturraum wohl so etwas darstellen würde wie eine Art Feenkönig. Dessen bildschönes Töchterchen entführt Si Bongkok mittels eines Zauberschiffes, das in Wirklichkeit ein eindimensionales Pappgebilde zu sein scheint, in das wundersame Königreich ihres Vaters. Dort nimmt der Film sich viel Zeit, das Zeremoniell, dem Si Bongkok sich nun unterwirft, um von seinen äußeren Makeln befreit zu werden, mit sakral-entrückten, jedoch auch putzig-verspielten Bildern zu illustrieren. Während sich also Si Bongkok zum stetig grinsenden Charmeur wandelt, der das Herz des Feentöchterchens im Sturm erobert, kippt SUMPAH ORANG MINYAK jäh vom Sozialdrama in einen reinrassigen Märchenfilm der verträumteren Sorte. Wirklich süß fand ich hierbei, neben den schlichten, phantasievollen Kulissen, den engelsgleichen Chören und der an sich schon überaus zuckrigen Atmosphäre, die diesen Akt durchzieht, P. Ramlees Verwendung von Spezialeffekten. So, als ob das Kino noch immer seine Kinderschuhe trage, mit einer Unschuld, die einen Bogen bis zurück zu Méliés schlägt, nutzt Ramlee die primitivsten Mittel, um seinen Zuschauer ein Wunder nach dem anderen vorzusetzen. Ein einfacher Schnitt genügt, Si Bongkoks entstelltes Gesicht in eins zu verwandeln, das jedes Frauenknie erweicht, ein weißer Blütenregen wird direkt vor der Kameralinse ins Bild gestreut, später kann man sogar überdeutlich die Stricke sehen, die den Pappmaché-Kahn, in dem Si Bongkok und das Feenmädchen umherreisen, von der Stelle bewegen. In all seiner Naivität und Unbedarftheit gelingt es Ramlee in diesen Szenen eine Stimmung zu kreieren, die mich fast ähnlich gefangen nimmt wie die, die Jean Cocteau in seiner Adaption von LA BELLE ET LA BÊTE im wahrsten Sinne des Wortes hervorzaubert. Kino und Magie gehen Hand in Hand und hätte der Film damit geendet, dass Si Bongkok und das Feenweibchen für alle Ewigkeit im Glück schlummern, hätte mich SUMPAH ORANG MINYAK in der beseelten Verfassung eines Kleinkinds entlassen, das die Pfotenstapfen der Katze im Neuschnee auf der Dachschräge für die Fußtritte des Christkinds hält.
Aber bislang ist die titelgebende Figur, der sogenannte Orang Minyak, eine Geistergestalt aus dem an Geistergestalten unheimlich reichen mythologischen Fundus Malaysias, noch gar nicht aufgetaucht. Die behält P. Ramlee sich für den dritten Akt vor, in dem, eine weitere verblüffende Wendung, mit der ich nicht rechnete, sich der Film zum ernsthaften, blutgierigen Horrorthriller mausert. Zuvor hat Si Bongkok sein Feenliebchen zurücklassen müaawb – ihr weiser Vater erklärt, dass Geistwesen niemals die Welt der Erdenbewohner betreten dürfen -, ihr aber versprochen, sie für immer in seinem Herz zu behalten, nur um dann, zurück in dem ihm feindlich gesinnten Dorf, erneut in Liebe zur Tochter des Gemeindevorstehers zu entbrennen. Nachdem er von seinem Ziehvater, dem Tuchhändler, erfahren hat, dass er, statt drei Tagen, wie er annahm, drei Jahre spurlos verschwunden gewesen sein soll, beschließt er, unerkannt wegen seiner wiederhergestellten äußeren Schönheit, das alljährlich stattfindende Kunstfestival des Dorfes für die Rache zu nutzen, die ihn treibt. Besagtes Kunstfestival besteht aus Darbietungen der Jungen und Schönen, Tanz und Gesang vor allem, bei denen der Film gerne verweilt, während der Gemeindevorsteher, scheinbar Häuptling, Bürgermeister und Schamane in einem, erschwingliche Reden hält, denen seine Untertanen in frenetischem Beifall beipflichten. Die Stimmung wird ihnen indes vergällt, als Si Bongkok die Bühne betritt, sich als der ausgibt, der er ist, und seine ehemaligen Rivalen derart provoziert, dass das Fest in einem Kampf zwischen ihm und seinem Erzfeind gipfelt, der mittlerweile übrigens mit dem Mädchen liiert ist, auf das es Si Bongkok eigentlich abgesehen hatte. Am Ende sind alle tot – oder zumindest zwei von dreien, nämlich Mädchen und Rivale, während Si Bongkok in den Dschungel entflieht. Dort erwartet ihn schon der Feenkönig, der ihn an das Versprechen erinnert, das er geleistet hat, um vom Buckligen zum anbetungswürdigen Jüngling werden zu dürfen: niemals einem Menschen das Leben zu rauben. Zur Strafe wird er in ein Gespenst verwandelt, der Feenkönig lässt nicht mit sich reden und Si Bongkok erwartungsmäßig völlig fertig im Dickicht zurück.
Was sich da durchs Gestrüpp naht, das ist keine malaysische Waldziege, kein weiteres Feenmädchen, sondern Satan höchstselbst, der auf Malaysia offenbar gar nicht so sehr anders aussieht als hierzulande: er hat Hörner, einen Geißbart und einen Sack voller Angebote, die man kaum abschlagen kann, vor allem niemand in einer Situation wie Si Bongkok, der sofort zustimmt, in den gefürchteten Orang Minyak verwandelt zu werden, wenn er vom Teufel dafür zugebilligt bekommt, seine Rache unbehindert ausleben zu dürfen. Dieser Orang Minyak, was man am ehesten mit Öl-Mann übersetzen könnte, ist eine weitere genuin malaysische Mythenfigur, ein schwarzer Teufel, dessen Haut überaus glitschig und schmierig, eben wie Öl ist, sodass er lautlos bäuchlings durchs Unterholz kriechen oder, sollten Häscher ihn zu schnappen versuchen, ihnen wie ein allzu feuchter Fisch entschlüpfen kann. Ansonsten ist der Orang Minyak, zumindest in P. Ramlees Film-Version, hauptsächlich am Vergewaltigen von Frauen interessiert. Einundzwanzig in drei Wochen soll er schaffen, so lautet der Deal des Satans, dafür wird er mit den Schwarzen Künsten ausgestattet, die ihm helfen sollen, das verhasste Dorf dem Erdboden gleichzumachen. Sprachlos verfolge ich wie Ramlee alles Liebliche, Märchenhafte konsequent im Schlussakt aus seinem Film streicht und Si Bongkok auf eine Vernichtungstour schickt, die grimmiger kaum sein könnte. Aus dem Dunkel heraus werden hilflose Frauen besprungen, geschändet und leblos liegengelassen. Man formiert sich zu Lynchmobs, folgt dem Orang Minyak in den Dschungel, wird von ihm getäuscht, in die Irre geführt. Selbst den alten Gemeindevorsteher rafft die Aufregung dahin: er stirbt an Herzversagen und überlasst den Thron seinem Sohn, doch wird der es schaffen, der unkontrolliert wüteten Bestie Einhalt zu gebieten?
Festhalten kann man nach dieser ausführlicheren Inhaltsangabe, dass SUMPAH ORANG MINYAK, wie sein Held, insgesamt dreimal eine grundlegende Metamorphose durchläuft. Zu Beginn herrschen, wie gesagt, realistische Züge vor, die Si Bongkok eindeutig in einen bestimmten gesellschaftlichen, sozialen Kontext einbetten, um an diesem unterschwellige Kritik zu üben. Mit dem Auftauchen der Wesen, die ich freimütig Feen nenne, scheint SUMPAH ORANG MINYAK plötzlich zu einem ganz anderen Film zu werden, der, meine ich, durchaus selbstständig für sich stehen könnte - zumindest die lang und ausführlich gezeigten magischen Zeremonien, Tänze und kultischen Handlungen, bevor der Anschluss an die Ausgangsgeschichte dadurch wieder gefunden wird, dass Si Bongkok in die ihm vertraute Welt zurückkehrt, nur eben nun in Gestalt eines Herzensbrechers. Nach der Katastrophe, in die das Kunstfest des Dorfes hinausläuft, ist es erneut das Auftreten einer überirdischen Realität, die den Film in eine komplett andere Richtung schubst. Kaum hat der Teufel sein schreckliches Haupt aus dem Blättermeer erhoben, wird SUMPAH ORANG MINYAK zum zweiten Mal zu einem neuen Film, was vor allem dadurch auffällt, da sämtliche Hauptfiguren, die bisher in ihm agiert haben, entweder verstorben sind oder, wie Si Bongkok, in Kreaturen verzaubert, unter deren Maskerade man sie kaum noch zu erkennen vermag. Damit enden die Stimmungsunterschiede jedoch nicht. Relativ problemlos kann man diese rein narrativen Metamorphosen am transzendentalen Überbau des Films nachvollziehen. Sein erster Akt zeigt die ungeschminkte Realität wie sie ist, sein zweiter Akt taucht tief ein in die Mythenwelt Malaysia, der dritte Akt wird nun aber von relativ deutlichen islamischen Obertönen regiert. Um gegen den Orang Minyak zu kämpfen, stärken die jungen Männer des Dorfes sich mit eindeutig islamischen Gebeten. Als der Gemeindevorsteher auf seinem Sterbebett liegt, bittet er zwei islamische Geistliche zu sich. In einer Szene meine ich sogar einen gerahmten arabischen Schriftzug an einer Zimmerwand entdeckt zu haben. Verwunderlich ist nicht so sehr, dass Ramlee den Islam in seinem Film zu Wort kommen lässt – immerhin wurde der Islam 1957, als ein Jahr nach SUMPAH ORANG MINYAK Malaysia zumindest in Teilen seine Unabhängigkeit von Großbritannien erlangte, wie selbstverständlich zur Staatsreligion erklärt -, sondern eher wie klar die Linie verläuft, die von einem realistischen Setting über ganze Blumenkörbe malaysischer Mythenpoesie hin zu einem kämpferischen, sich den Islam auf die Fahne schreibenden Finale führt.
Alles in allem ist SUMPAH ORANG MINYAK eine wahrhaftige Entdeckung für mich. Wann bekommt man schon einmal Sozialdrama, Märchen und Horrorfilm in einem derart possierlichen Paket verschnürt? Mal ganz abgesehen davon, dass Ramlee es, wie gesagt, problemlos schafft, mit seinem Film ein Jungfernhäutchen zusammenzuflicken, das dem kommerziellen Kino Ende der 50er doch eigentlich schon längst hätte gerissen sein müssen. SUMPAH ORANG MINYAK ist Mythos, Gewalt, Poesie, Magie, das verschmitzte Lächeln einer Dorfschönheit, die Sorgen und Nöte eines väterlichen Tuchhändlers, die unerfüllte Liebe, das Gackern des Teufels, das Feensäuseln im Urwald. Ich werde eine Straße nach diesem Film benennen müssen.