Al-Beit Al-Malhoun - Ahmad El Khatib (1987)

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Salvatore Baccaro
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Al-Beit Al-Malhoun - Ahmad El Khatib (1987)

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Originaltitel: Al-Beit Al-Malhoun

Produktionsland: Ägypten 1987

Regie: Ahmad El Khatib

Darsteller: Kamal Al-Shennawi, Mariem Fakhr El Dine, Magda El-Khatib, Saleh Iskandarani, Hamdy Morsi
Eine weitere dieser kuriosen Kontingenzen innerhalb der Filmgeschichte: im Jahre 1987 wurden in Ägypten unabhängig voneinander zwei Filme produziert, deren Hauptinspirationsquelle in beiden Fällen offenkundig US-amerikanische Spukgeschichten wie POLTERGEIST oder AMITYVILLE HORROR gewesen sind. Einem davon habe ich vor mehreren Wochen bereits einige recht begeisterte Zeilen gewidmet. Es handelt sich um den zweiten Spielfilm des Mohammed Shebl mit dem Titel AL-TA’WEEZA, der zwar nicht an den zwischen Genie und Wahnsinn schwankenden kreativen Orgasmus seiner ROCKY-HORROR-PICTURE-SHOW-Adaption ANYAB von 1981 heranreichen kann, dennoch aber die eine oder andere Idee bereithält, bei der zumindest ich mir nur vor Verwunderung die Schläfe kratzen konnte – ich möchte nur an die Teufelsziege erinnern, die aus ihren Augen Laserblitze schießt. AL-BEIT AL-MALHOUN schlägt im Vergleich wesentlich zurückhaltendere Töne an. Der offenbar einzige Spielfilm von Regisseur Ahmad El Khatib dürfte keine Probleme haben, in jedem beliebigen Vorabendprogramm irgendwo auf der Welt als Gast aufgenommen zu werden. Superseriöse Spukhaus-Unterhaltung für die ganze Familie, könnte man sagen.

Das Thema Familie steht sowieso im Mittelpunkt von AL-BEIT AL-MALHOUN. Mediha, ihres Zeichens zweifache Mutter, treusorgende Ehe- und Hausfrau, beginnt eines Tages von ominösen Phänomenen in ihrem Wohnhaus heimgesucht zu werden. Da flackert das elektrische Licht, da öffnen sich Fenster ohne ersichtlichen Grund, da flüstert jemand oder etwas ihren Namen und ein kleines Mädchen, das offenbar nur Mediha selbst sehen kann, läuft auf dem Grundstück umher. Ihr Gatte Sherif tut das Ganze anfangs noch als blühende Frauenphantasie ab, doch als Medihas Zustand sich immer mehr in eine gefährliche Überreizung steigert, muss er begreifen, dass es nicht immer hilft, den Macho heraushängen zu lassen und konsultiert einen gewissen Doktor Sabah. Bei dem handelt es sich nun nicht um einen Okkultismus-Experten, sondern einen handelsüblichen Psychiater, der Mediha mit Fragen zu ihrem Privatleben und ihrer Vergangenheit löchert, und Sherif enthüllt, dass er selbst schon viel weiter im Bilde darüber zu sein meint, was Mediha bedrückt: ihr Vater soll ihre Mutter vor ihren Augen ermordet haben, woran sich Mediha jedoch nicht mehr bewusst erinnere, ihr Unterbewusstsein indes schon, weshalb es sie mit Schreckgespenstvisionen martere. Doch es dauert nicht lange und Sherif kann sich persönlich von der Anwesenheit einer unsichtbaren Macht überzeugen, die ihm den Haussegen in Schieflage rückt…

Obwohl die Inhaltsangabe möglicherweise etwas Anderes vermuten lässt: AL-BEIT AL-MALHOUN liegt vorrangig nicht daran, ein markerschütternder Horrorfilm zu sein, stattdessen richtet der Film seinen Fokus mit voller Schärfe auf die Beziehungsprobleme der Eheleute Sherif und Mediha. Zwar erschüttert zwischendurch immer mal wieder ein unheimliches Beben, Flüstern oder Gegenständerücken die ansonsten recht biedere Handlung, stets kommen mir diese Einsprengsel allerdings wie Mittel zu einem Zweck vor, der nicht unbedingt darin besteht, dem Zuschauer Angst einzujagen. AL-BEIT AL-MALHOUN ist ein lichterfüllter Film, äußerst konservativ in Szene gesetzt, mit der Ästhetik einer schlichten, ambitionslosen TV-Produktion, und weit über eine Stunde lang ohne eine Emotion, ohne eine Dialogzeile, ohne eine Kameraperspektive, die Freunde wortreicher Melodramen großartig aus der Fassung bringen könnte. Mediha schüttet ihr Herz aus, Mediha nagt an ihrem Kummer, Mediha graust’s, Sherif umsorgt sie, Sherif macht ihr Vorwürfe, Sherif gelobt ihr Treue, und selbst die Ankunft eines Mediums namens Madame Yvonne lockert die dem Film immanente Steifheit nur für den kurzen Moment, in dem sie das vermeintliche Spukhaus gleich mit einem ganzen Gefolge aus Kamera- und Tonleuten inspiziert.

Was einen aus einer betuchten Abendunterhaltung dann aber umso jäher herausreißt ist das Finale, das, da bin ich mir sicher, nicht mal die Drehbuchautoren haben kommen sehen können. Quasi von einer Minute zur anderen macht der Film eine Kehrtwende von mindestens dreihundertsechzig Grad und wird auf einmal zu einem reinrassigen Psychothriller. Doktor Sabah lässt die Maske fallen, erklärt Mediha aus dem Nichts heraus, dass er der wahre Mörder ihrer Mutter, zudem in sie verliebt sei und verfolgt sie an den Gestaden des Nildeltas mit dem irrsten Psychopaten-Lachen, das ich seit langem gehört habe. Der Showdown auf einer Zugbrücke spart schließlich tatsächlich nicht mit Schusswechseln und Blutspritzern – nur leider scheint man über diesem eruptiven Gewaltausbruch vollkommen vergessen zu haben, die Spukhausgeschichte irgendwie logisch aufzulösen. Falls mir nicht wichtige Informationen entgangen sein sollten, werden bis zur letzten Filmsekunde weder Medihas Visionen noch die von Sherif ebenfalls wahrgenommenen merkwürdigen Anwandlungen ihres Wohnhauses in irgendeiner Weise logisch erklärt. Dass Sherif den toll gewordenen Doktor niedergestreckt hat, scheint auszureichen, den Familienfrieden wieder herzustellen, und ob das nun mit irgendwelchen spezifischen kulturellen Eigenheiten zu tun haben mag, die ich als Bewohner der westlichen Welthemisphäre einfach nicht verstehen kann, wage ich zu bezweifeln.

Obwohl AL-BEIT AL-MALHOUN nun bei weitem nicht der vorzüglichste ägyptische Horrorfilm ist, den ich jemals gesehen habe – gerade im direkten Vergleich würde ich jedem, der einmal sehen will, was in Wohnhäusern Kairos so alles herumspukt, unbedingt Shebls AL-TA’WEEZA empfehlen, allein wegen Teufelsziegen, die Laserblitze schießen! -, hat er mich nicht schlecht unterhalten und vor allem absichtlich oder unabsichtlich drei Szenen geliefert, an die ich noch jetzt mit einem angenehmen Gefühl zurückdenke:

1. Zu Beginn steht Sherif den Vermutungen Medihas, in ihrem Haus könne sich etwas eingenistet haben, was dort eigentlich nichts zu suchen hat, gelinde gesagt, skeptisch gegenüber. Deutlich bringt er das in einer Szene zum Ausdruck, als die Eheleute kurz vor dem Zubettgehen sind. Mediha möchte ihm begreiflich machen, was sie ängstigt, doch Sherif blockt alle Beteuerungen mit der Begründung ab, müde zu sein und seine Ruhe haben zu wollen – und die findet er, indem er sich erst seinen Kopf mit einem blauen Handtuch umwickelt und dann unter seiner Bettdecke verschwindet. Ich habe keine Ahnung, ob es in Ägypten – möglicherweise wegen der Hitze oder Sandstürmen - üblich ist, sein schlafendes Gesicht in einem Tuch zu verstecken, mich hat dieser Moment jedenfalls ungemein irritiert und amüsiert.

2. Sherif hat Geburtstag, die Familie kommt zusammen und gibt ein Ständchen zum Besten. Man singt Happy Birthday in einem Englisch, das schiefer kaum sein könnte, sämtliche Stimmen kreuz und quer durcheinander, während im Hintergrund eine Aufnahme des gleichen Lieds läuft, wie um zu unterstreichen wie groß die Kluft zwischen der einen und der anderen Song-Interpretation doch ist. Ganz am Ende des Films hat übrigens Mediha Geburtstag und erneut wird gesungen, das gleiche Stück, nur nicht mehr auf Englisch, sondern in Arabisch. Ob sich dahinter irgendeine Aussage verbirgt – beispielweise dass man die Exporte des kolonialistischen Westens abschütteln müsse, um zu einer neuen, wahren Volkskultur zu gelangen -, kann ich weder bestätigen noch bestreiten.

3. Sherif und Doktor Sabah führen einen dieser Dialoge, von denen AL-BEIT AL-MALHOUN randvoll ist: man steht steif in einem Zimmer herum, die Kamera starrt steif die Sprechenden an, ausgetauscht werden nüchtern-formelle Informationen, die einzig dazu dienen, die etwas träge Handlung ein bisschen von der Stelle zu bewegen. Mediha wohnt dem Gespräch in einem Sessel bei, möchte den Doktor zur Tür bringen, was dann aber, da sie zu entkräftet sei, Sherif übernimmt. Beide Männer verlassen rechts das Bild, Mediha bleibt in ihrem Sessel zurück, und ihre Schauspielerin scheint der Meinung zu sein, die Aufnahme sei schon im Kasten, denn wenige Sekunden vor dem Schnitt, der die Szene beendet, beginnen ihre Augen umher zu huschen und landen, wenn nicht sogar direkt in der Kameralinse, so doch derart dicht neben ihr, dass es für mich aussieht, als würde sie mir genau ins Gesicht blicken. Für eine Millisekunde entlarvt der Film sich selbst, wird die Rollenfigur zu der Schauspielerin, die sie verkörpert, habe ich die Frage im Kopf, wie viele vor mir schon das Gefühlt gehabt haben, von diesem Blick regelrecht durchbohrt worden zu sein.
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