Originaltitel: Secret Beyond The Door
Produktionsland: USA 1947
Regie: Fritz Lang
Darsteller: Joan Bennett, Michael Redgrave, Anne Revere, Barbara O'Neil, Natalie Schafer
Wir erinnern uns: nach der sogenannten Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 gerät Lang sofort mit den neuen Machthabern in Konflikt. Obwohl frühere Werke wie beispielweise sein durchaus mit völkisch-nationalen Bedürfnissen deckungsgleiches Epos DIE NIBELUNGEN (1924) nun nichts sind, was dem nationalsozialistischen Kunstideal per se widersprechen würde, wird über seinen letzten Film, DAS TESTAMENT DES DR. MABUSE (1933), sogleich ein Verbot verhängt. Wie Lang in späteren Interviews immer wieder gerne erzählt, soll er trotz grundlegender Differenzen von Goebbels höchstpersönlich die Leitung der deutschen Filmindustrie auf einem Silbertablett serviert bekommen – und sie aus Überzeugung heraus verschmäht haben. Eine Nacht-und-Nebel-Flucht aus Deutschland und einen einzelnen Film in Frankreich, LILIOM von 1934, später finden wir Lang in Hollywood wieder, wo er nach seinem US-Debut FURY (1936) mehr als zwei Jahrzehnte lang sein tägliches Brot verdienen wird. Ich kann versichern: es ist interessant, sich die Hollywood-Filme Langs in chronologische Reihenfolge zu Gemüte zu führen. Sicherlich wäre es vereinfacht zu sagen, man könne anhand der Werke, die Lang innerhalb des amerikanischen Studiosystems realisiert hat, einen sukzessiven Qualitätsverfall ablesen, d.h. sozusagen die These bestätigt finden, dass der einstmalige Avantgardist, der mit Stummfilmen wie METROPOLIS (1927) oder M (1931) seiner Zeit mehr oder minder weit voraus gewesen ist, im Hollywood-Sumpf irgendwann nur noch beliebige Massenware verfertigt hat. Sicherlich, Langs US-Oeuvre ist ein stets Auf und Ab. Zwischen zwei guten bis sehr guten Filmen wie dem bereits erwähnten FURY und Langs wohl bester US-amerikanischer Produktion HANGMEN ALSO DIE (1942) findet sich ein dann doch ziemlich reaktionärer, rassistischer und revisionistischer Edelwestern wie THE RETURN OF FRANK JAMES (1940). Nichtsdestotrotz ist der Eindruck, zumindest für meine Person, nicht von der Hand zu weisen, dass Langs beste Filme der 50er sich nicht mit seinen besten Filmen der 40er messen können, und dass seine schlechtesten der 30er noch um Welten besser sind als seine schlechtesten der 50er. SECRET BEYOND THE DOOR, veröffentlicht 1947, gehört für mich, wie man schon erahnen kann, in eine Schaffensphase, in der der Regisseur seinen Zenit bereits überschritten hatte.
Abb.1 & 2: Zwei der beeindruckendsten Bildkompositionen des Films: Christliche und afrikanische Kunst
Erzählt wird eine Geschichte, die jedem bekannt vorkommen dürfte, der von Hitchcocks REBECCA (1940) schon einmal munkeln gehört hat. Eine junge Frau, Cecilia, lernt in Mexiko den wohlhabenden Zeitungsverleger Mark Lamphere kennen, der sie mit seinem Charme derart umstrickt, dass sie in eine Art Blitzhochzeit einwilligt. Leider muss Mark aber kurz darauf aus beruflichen Gründen nach New York. Er bittet Cecilia, schon einmal ohne ihn zu seinem Familienanwesen in Neuengland zu reisen und dort als frischgebackene Hausherrin auf ihn zu warten. Irritiert stellt Cecilia, kaum in dem altmodischen Schlösschen angekommen, in dem hinter jedem Schrank ein Gespenst oder eine Geheimtür versteckt scheint, fest, dass Mark vor ihr bereits schon einmal verheiratet gewesen ist und einen fünfzehnjährigen Sohn aus erster Ehe hat. Noch mehr Geheimnisse, die Mark ihr bisher verschwiegen hat, setzen Cecilia innerhalb kürzester Zeit erheblich zu, vor allem das, das sich um den mysteriösen Tod seiner ersten Gattin rankt. Ein weiterer Störfaktor ist Miss Robey, die obligatorische Gänsehaut-Haushälterin, der Cecilia von Anfang an ein Dorn im Auge ist und die sie das überaus deutlich bei jeder sich bietenden Gelegenheit spüren lässt. Als Mark dann endlich bei ihr eintrifft, verpuppt sich der ehemalige Ritter in glänzender Rüstung ebenfalls zu einer reichlich undurchsichtigen Gestalt, die unter Neurosen und Phobien leidet und zudem einer Leidenschaft frönt, für die Cecilia kaum Verständnis aufbringen kann. Mark sammelt nämlich Zimmer, in denen Morde geschehen sind, bzw. er rekonstruiert solche Zimmer anhand dokumentarischer Materialien wie architektonischer Grundrisse oder Polizeiberichte in den weitläufigen Räumlichkeiten des Lamphere-Schlosses. Als Mark Cecilia in bester Blaubart-Manier verbietet, ein bestimmtes, immer verschlossenes Zimmer zu betreten, reizt das die verzweifelte Neugierde der unglücklichen Gattin erst recht…
Abb.3&4: Joan Bennett 1947&1977: vom verschüchterten Mäuschen zur Hexenschwester
Wie man liest, versammelt das Drehbuch zu SECRET BEYOND THE DOOR nicht nur die wichtigsten Ingredienzien, mit denen schon REBECCA knapp acht Jahre zuvor angefüllt gewesen ist, sondern teilt mit dem Hitchcock-Klassiker vor allem auch die Perspektive der unsicheren jungen Ehefrau, die nie ganz weiß, ob sie ihrem Angetrauten nun vertrauen darf oder ob er es am Ende darauf abgesehen hat, ihr ans Leben zu wollen. Der Zuschauer erlebt die Ereignisse des Films konsequent aus den Augen Cecilias, was noch dadurch verstärkt wird, dass deren Stimme den Film erklärend, kommentierend oder auch einfach nur ein paar Groschenromanphrasen dreschend aus dem Off begleitet. Das gibt es in REBECCA zwar auch schon, dort jedoch äußerst wohldosiert eingesetzt. In SECRET BEYOND THE DOOR schafft es Cecilia hingegen kaum einmal, eine Szene, die das Publikum auch ohne ihre verbale Unterstützung begriffen hätte, nicht noch einmal überflüssigerweise in ihre eigenen, recht gesteltzten und gespreizten Worte zu übersetzen. Damit enden die Gemeinsamkeiten zu Hitchcock freilich nicht. Neben REBBECA wird vor allem noch SPELLBOUND (1946) ein Fraß der Geier, hauptsächlich dessen psychoanalytischer Überbau. Während Hitchcock die Psychoanalyse indes durchaus ernstnimmt, sie klug und durchdacht in SPELLBOUND einbindet und dadurch, dass er Salvador Dalí für die ästhetische Ausgestaltung einer Traumszene verpflichtet, sogar noch den logischen Bogen zum Surrealismus schlägt, dürfte wohl selbst Freud seine eigenen Theorien im absurd-lächerlichen Finale von SECRET BEYOND THE DOOR schwerlich noch wiedererkannt haben, hätte er zu dem Zeitpunkt noch gelebt und Zeit fürs Kino gehabt.
Abb.5&6: Ein Geheimnis, zwei Manifestationen: das Blaubart-Zimmer und die Blaue Iris
Wenn inhaltlich, wie Lang übrigens offen in Interviews zugibt, also dreist Hitchcock geplündert werden sollte, sieht der Film optisch nach wie vor aus wie einer von Lang. Dem Großmeister des Chiaroscuro kann Ende der 40er niemand mehr etwas vormachen. Schon Langs Filme der Stummfilmzeit leben von ihrem kontrastreichen Umgang mit Licht und Schatten, in Hollywood hat er diese Ästhetik beibehalten und sie den Genre-Regeln seiner zumeist dem film noir angehörenden Werken angeglichen. Noch ein für mich in Teilen kaum genießbarer Western wie THE RETURN OF FRANK JAMES sieht in vielen Szenen einfach superb aus, wenn Schlagschatten über Gesichter verlaufen oder Räume völlig überzogen in hart aufeinanderprallende helle und dunkle Bereiche aufgeteilt werden. SECRET BEYOND THE DOOR ist für jeden, der auf den Duster-Look des Schwarzen Hollywoods steht, mit Sicherheit eine Augenweide, bei mir, der ich zu dem Zeitpunkt schon eine ganze Reihe ähnlich ausgeleuchteter Filme gesehen hatte, stellten sich zum Zeitpunkt der Erstsichtung jedoch schon leichte Ermüdungserscheinungen ein. Lang hat seinen Stil gefunden, scheint es, und er hält eisern an ihm fest, und obwohl ich an sich gar nichts gegen diesen Stil habe oder dagegen, dass er ihn bis zum Äußersten ausreizt und wiederholt, kommt mir SECRET BEYOND THE DOOR rein ästhetisch dann doch schon ein bisschen steriler und langweiliger und nichtssagender vor als fast alles, was Lang zuvor gedreht hat. Zumal der banale Inhalt der dem expressionistischen Stummfilm huldigenden Visualisierung strikt entgegenzuwirken scheint. Die Gender-Diskussionen zwischen Cecilia und Mark beispielweise kann ich kaum ertragen, und schon gar nicht, mit wie viel Charme und Witz der Mann darin die Frau in ihre Schranken verweist, und wenn es besonders emotional werden soll, droht der Film ständig, von der Klippe zu stürzen, an deren Fuß der purste Kitsch wartet, und überhaupt, Michael Redgrave kaufe ich seine Rolle nicht mal für einen Goldtransport ab, und selbst Joan Bennett, die mich in MAN HUNT (1941), ebenfalls von Lang, als alles andere als auf den Mund gefallenes english girl ungemein begeistert hat, wirkt schrecklich blass und schrecklich künstlich.
Abb.7&8: Mut zur Strangulation. Michael Redgrave und ein Hexenwesen.
Was aber, mag man sich spätestens jetzt fragen, soll an diesem eher vernachlässigbaren Thriller, der möglicherweise, hieße sein Regisseur nicht Fritz Lang, schon längst dem Vergessen anheimgefallen wäre, denn für Freunde des italienischen Genrekinos von weiterführendem Interesse sein? Vielleicht hat der Name Joan Bennett schon das eine oder andere Ohr klingeln lassen. Dreißig Jahre nach SECRET BEYOND THE DOOR verschlägt es die nämlich erneut in ein unheimliches Haus, diesmal aber nicht als junge, unbedarfte Eindringende, sondern als Hüterin eines gespenstischen Geheimnisses. Dario Argento, der aus seiner Verehrung für Fritz Lang nie einen Hehl gemacht hat, besetzt die Amerikanerin nach langjähriger Leinwandabstinenz mit der Rolle Madame Blanks in seinem Meisterwerk SUSPIRIA, wo sie eine Ballettschule und einen Hexenzirkel leitet. Verblüffenderweise teilt SUSPIRIA mit SECRET BEYOND THE DOOR zusätzliche Übereinstimmungen, die weit über das bloße Schauspielensemble hinausreichen. In beiden Filmen ist die Ausgangssituation eine ähnliche: ein junges Mädchen kommt in ein Gebäude, das ihm vom ersten Moment an unheimlich ist, in dem es aber gezwungen ist, eine Weile zu bleiben, was das unbestimmte Unheimliche nicht mindert, sondern nur noch stärker heranwachen lässt. In beiden Filmen materialisiert sich dieses kaum fassbare Unheimliche in Form einer verbotenen Zone, in SECRET BEYOND THE DOOR das Blaubart-Gemach Marks, in SUSPIRIA die Geheimgänge, die sich hinter der Blauen Iris entlangschlängeln. Außerdem enden beide Filme auf eine ähnliche Weise: eine Feuersbrunst ist es, die beide Gebäude, das Lamphere-Anwesen und die Freiburger Tanzakademie, in rauchende Ruinen verwandelt. Es fällt mir leicht, mir vorzustellen wie der junge Dario in einem römischen Programmkino zufällig auf SECRET BEYOND THE DOOR stößt und dann von dem Film nicht mehr loskommt, ihn, weil er ihn so sehr gepackt hat, ständig mit sich herumträgt und sich, möglicherweise sogar unbewusst, in SUPSIRIA auf ihn bezieht, eben weil er so tief in sein Cineastenherz eingraviert worden ist.
Abb.9&10: Feuertänze ohne Zombies
Aber noch eine weitere Sache gibt es, die in SECRET BEYOND THE DOOR – und das ist das Erstaunlichste – direkt auf Argento Bezug nimmt, und zwar zu einem Zeitpunkt, als Dario gerade mal acht Jahre alt gewesen ist. Nein, ich meine nicht die Tatsache, dass wir mit Argento ebenfalls einen Regisseur vor uns haben, der seine Drehbücher ihrer visuellen Umsetzung unterstellt, oder den Umstand, dass die Handlung von SECRET BEYOND THE DOOR wie viele, die Argento später aushecken wird, strenggenommen wenig Sinn im menschlichen Sinne ergibt. Es hat mit Marks befremdlicher Leidenschaft zu tun, Mordzimmer zu rekonstruieren. Seine Theorie könnte man vielleicht so zusammenfassen: er glaubt, dass manche Räume allein aufgrund ihrer Architektur dazu prädestiniert sind, dass schlimme Dinge in ihnen passieren. Menschen wären somit, sobald ein Raum auf eine bestimmte, extreme Weise konstruiert ist, bloße Marionetten in ihm, Kräften ausgeliefert, die weit über unsere Vorstellungskraft hinausgehen, und die man höchstens dadurch fassen kann, dass man sich ihnen unter architektonischen Gesichtspunkten annähert. Obwohl Marks Theorie im Laufe des Films als Unsinn abgetan bzw. irgendwann einfach nicht mehr thematisiert wird, komme ich nicht umhin, in den kruden Gedankensprüngen von Cecilias Gatten so etwas wie die Blaupause für Argentos spätere Meisterwerke zu sehen. Sind denn in SUSPIRIA, in INFERNO, in PROFONDO ROSSO, um nur meine drei liebsten zu nennen, die Menschen den sie umgebenden Architekturen nicht tatsächlich völlig hilflos ausgeliefert, bloße Puppen in einem Spiel, dessen Akteure Bereichen entstammen, die für uns Normalsterbliche unzugänglich bleiben müssen? Sind die Ballettschule in SUSPIRIA, das New Yorker Wohnhaus in INFERNO, die leerstehende Villa in PROFONDO ROSSO nicht an sich schon stumme Ungeheuer, vor denen man sich bereits fürchtet ohne dass man weiß, was in ihnen an Grausigem geschehen ist? Leben SUSPIRIA, INFERNO und PROFONDO ROSSO nicht weit mehr von ihren Raumkonzepten, ihrer unbegreiflichen Architektur, ihren von blutigen Vergangenheiten durchtränkten Zimmern als von psychologisch ausgefeilten Helden, dramaturgisch raffiniert ausgearbeiteten Geschichten oder konventionellen Genremustern? Es fällt mir leicht, mir vorzustellen wie der junge Dario nach der Vorstellung von SECRET BEYOND THE DOOR in einem römischen Programmkino, möglicherweise sogar unbewusst, den Entschluss fasst, das, was Mark mit seiner Sammelleidenschaft nur theoretisch angerissen hat, in atemberaubende Taten umzusetzen – und das wiederum versöhnt mich mit einem Film wie dem vorliegenden, der besser wird je länger ich über ihn nachdenke.