Produktionsland: USA 1945
Regie: Fritz Lang
Darsteller: Edward G. Robinson, Joan Bennett, Dan Duryea, Margaret Lindsay, Rosalind Ivan, Jess Barker
Aus Gründen, die mir wohl selbst unerfindlich bleiben werden, habe ich mir nun sämtliche Filme angesehen, die Fritz Lang von den späten 30ern bis in die späten 50er hinein in Hollywood gedreht hat. SECRET BEYOND THE DOOR, dem ich kürzlich die eine oder andere flüchtige Zeile gewidmet habe, ist von den insgesamt zweiundzwanzig Werken wohl das mit Abstand forumsrelevanteste, allerdings kann man auch in manch anderer von Langs US-Produktionen Spuren entdecken, von denen es nicht schwerfällt, ihnen bis zu den Meisterleistungen des aus seiner Verehrung für den deutschen Emigranten nie einen Hehl machenden Dario Argento zu folgen.
BEYOND A REASONABLE DOUBT beispielweise, sein 1956 erschienener letzter Hollywood-Film, teilt eine grundlegende storystrukturelle Gemeinsamkeit mit Argentos TENEBRAE von 1982. Die Handlung von BEYOND A REASONABLE DOUBT, womöglich Langs strengstem Werk überhaupt, in dem seine Figuren kaum noch wie eigenständige Charaktere wirken, sondern eher wie gesichts- und emotionslose Schachfiguren, mit denen eine Identifikation nahezu unmöglich ist, klingt auf dem Papier genauso konfus und unglaubwürdig wie sie dann tatsächlich umgesetzt worden ist: der Journalist und Schriftsteller Tom Garrett ist entschiedener Gegner des Todesstrafe und möchte sie allein deshalb abgeschafft sehen, da, seiner Meinung nach, die reale Gefahr besteht, dass immer mal wieder zu Unrecht Verurteilte auf dem elektrischen Stuhl platznehmen müssen, unschuldige Opfer, deren Strafe, sobald ihre Unschuld ans Licht gekommen ist, freilich nicht mehr rückgängig gemacht werden kann. Um seine These zu untermauern, ersinnt Garrett einen völlig verrückten Plan. Gemeinsam mit seinem zukünftigen Schwiegervater setzt er alles daran, den Behörden als mutmaßlicher Mörder einer Nachtclubtänzerin ins Visier zu geraten, die man kürzlich ohne Hinweis auf einen möglichen Täter oder ein mögliches Motiv aufgefunden hat. Gegenstände mit seinen Fingerabdrücken werden von Garrett und seinem Komplizen im Umfeld der Ermordeten verstreut, er nimmt Kontakt zu ihren Kolleginnen auf, verzettelt sich, als die Polizei auf ihn aufmerksam wird, ganz bewusst in Widersprüche, das alles mit dem Ziel, seine Täuschungsmanöver erst dann der Öffentlichkeit zu offenbaren, wenn er von einem Gericht zum Tode verurteilt worden ist. Ohne zu viel verraten zu wollen, ist der eigentliche Kniff von BEYOND A REASONABLE DOUBT, der vielleicht dann doch dort etwas mehr Sinn stiftet, wo sich mir über fast die komplette Laufzeit kein Sinn in den Handlungen der Personen erschlossen hat, dass Garrett tatsächlich der Mörder besagter Nachtclubtänzerin ist und den Verdacht letztlich nur deshalb auf sich lenkt, um ihn dadurch später noch entschiedener von sich weisen zu können. Als jedoch seine Verlobte dahinterkommt, liefert sie ihn, wenn auch unter Tränen, erneut der Polizei aus und Garrett spürt die Todesstrafe doch noch am eigenen Leib, und ein Film, der in seinem Auftakt wie einer auftrat, der sich kritisch mit der Todesstrafe auseinandersetzen möchte, wandelt sich endgültig zu einem affirmativen Befürworter, wenn Garrett schließlich unreflektiert seiner vermeintlich gerechten Strafe zugeführt wird. BEYOND A REASONABLE DOUBT besitzt eine mehr oder minder interessante Grundidee, deren Umsetzung hat mich jedoch wenig überzeugt, viel zu kühl, viel zu steril ist mir die Atmosphäre, von der der Film erfüllt ist. Die Schlusspointe indes lässt sich wie eine frühe Skizze zu der lesen, in die Argentos TENEBRAE knapp fünfund-zwanzig Jahre später münden wird. Peter Neal, der nach Rom gereiste Schriftsteller, der sich mit einer Mordserie konfrontiert sieht, die offensichtlich von seinen eigenen Büchern inspiriert ist, entpuppt sich, ähnlich wie Tom Garrett, im überaus blutrünstigen Finale des Spät-Giallos als Killer, nachdem er den gesamten Film über als Identifikationsfigur fungiert hat.
THE WOMAN IN THE WINDOW von 1944 hat, wie viele Filme Argentos, ein Gemälde als Dreh- und Angelpunkt der Handlung. Die titelgebende, in einem Fenster befindliche Frau ist nämlich ein solches, das der College-Professor Wanley eines Tages im Schaufenster einer Galerie entdeckt. Auf ihm zu sehen ist Joan Bennett, von Argento später in SUPSIRIA besetzt, beziehungsweise Alice Reed, eine mit einem Fuß im Gangstermilieu stehende junge Frau, die, wie es Zufall oder Drehbuch wollen, exakt in dem Moment an der Galerie vorbeikommt, als Wanley einmal mehr vor dem Schaufenster erstarrt ist und verträumt-verliebte Blicke mit der Leinwand austauscht. Die Begegnung der Beiden artet indes, wie es sich für einen Fritz-Lang-film-noir gehört, in Mord und Totschlag aus: Alice nimmt Wanley mit sich nach Hause, man flirtet und trinkt, plötzlich aber steht ihr eigentlicher Liebhaber, ein Stier in Menschengestalt, im Türrahmen und stürzt sich, vor Eifersucht blind, auf seinen Konkurrenten, um ihn zu erdrosseln. Nach einem Handgefecht ist Alices Lover von Wanley in Notwehr mit einer Schere erstochen und ratlos steht man um die Leiche herum. Als Alice aus dem Flehen und Schluchzen nicht herauskommt, knickt Wanley schließlich ein und verspricht ihr, nicht die Polizei zu verständigen, sondern den Toten verschwinden zu lassen. Was folgt, ist eine minutiöse, mir persönlich allerdings etwas zu betuchte und behäbige Schilderung der Vorkehrungen, die Wanley trifft, um seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen, und der vielen Fehlentscheidungen, die der Professor begeht, und mit denen er sich, trotz aller Umsicht, immer weiter in die Misere hineinmanövriert, derer er sich eigentlich hatte entziehen wollen. Das Gemälde spielt für den restlichen Film dann zwar nicht mal mehr eine untergeordnete Rolle, sondern schlicht gar keine mehr, letztendlich kann man in ihm aber den ursprünglichen Funken sehen, der zur folgenden Geschichte von Gewalt und Vertuschung geführt hat. Wie bei Argento ist die Kunst vielleicht nicht per se tödlich, besitzt aber das Potential, zu jedem Zeitpunkt und in alltäglichsten Situationen etwas Tödliches zu entfalten, entweder indem sie selbst, wie in TENEBRAE, zum Mordwerkzeug wird oder aber indem sie, wie in L’UCCELLO DALLE PLUME DI CRISTALLO, den Tod als etwas noch Ungeborenes in ihrem Uterus mit sich herumträgt.
Das alles sind aber, wie man sieht, motivische, inhaltliche Kongruenzen, nichts spezifisch Filmisches. In SCARLETT STREET von 1945, wie schon THE WOMAN IN THE WINDOW in den Hauptrollen vorzüglich besetzt mit Joan Bennett und Edward G. Robinson, findet sich allerdings eine Szene, bei der sich mir die Nackenhaare aufstellten, so sehr scheint sie in Rohform etwas darzustellen, das Argento bereits in seinem Debut-Film L’UCCELLO DALLE PLUME DI CRISTALLO in verfeinerterer Form vorgelegt hat. Es handelt sich um eine Szene relativ früh im Film, die absolut kontingente Begegnung zwischen einem Mann und einer Frau, die der den meisten Filmen Fritz Langs zugrundeliegenden fatalistischen Logik zufolge unweigerlich Lug, Trug und letztlich einen Doppelmord nach sich zieht. Robinson spielt den kleinen Bankangestellten Christopher Cross, der ein im Grunde völlig unerfülltes Leben an der Seite eines zänkischen Eheweibs führt. Seine einzige Leidenschaft, die es ihm erlaubt, ein bisschen aus dem tristen Alltag auszubrechen, ist die Malerei. Lange Stunden kann er vor Staffeleien zubringen, um sie mit halb-realistischen, halb-abstrakten Straßenszenen oder Blumenstillleben zu füllen. Mitten in seiner mid-life-crisis unternimmt Cross einen Nachtspaziergang durch strömenden Regen, als ihm an einer verlassenen Straßenecke ein Paar auffällt, das sich zu streiten scheint. Der männliche Part erteilt dem weiblichen Part ein paar Ohrfeigen, rüttelt ihn an den Schultern, erweckt den Eindruck zu Schlimmerem ansetzen zu wollen. Das alles nimmt der Kinobesucher aus der Perspektive Cross‘ wahr, d.h. durch einen Schleier aus Tropfen, aus einiger Entfernung und unterlegt mit dem Geräusch eines irgendwo ziemlich lautstark vorbeirasenden Güterzuges. Es verleiht der Szene etwas Irreales, Traumhaftes, dass sie sozusagen ohne Originalton ist – den Streit selbst, sprich: Lautäußerungen des Pärchens vernimmt der Zuschauer beispielweise kaum -, dass sich die Kamera in einiger Distanz zum Geschehen befindet – jede Geste bekommt dadurch etwas Uneindeutiges: man ist nicht sicher, ob das Paar wirklich streitet, wer von beiden, Frau oder Mann, der eigentliche Aggressor ist, ob das vermeintliche Handgemenge nicht vielleicht nur deshalb wie eines aussieht, weil sich Cross, und damit das Publikum, in einem ganz bestimmten verzerrenden Winkel auf die Situation blickt - und dass die spezifischen Witterungsverhältnisse wie Nachtfinsternis und Regenschau zusätzliche Irritationspunkte setzen.
Cross interpretiert die Szene jedenfalls auf die naheliegendste Weise. Er geht davon aus, dass da eine Frau in Bedrängnis ist, und sieht seine Aufgabe als Gentleman darin, ihr zu Hilfe zu eilen und ihren Angreifer in die Flucht zu schlagen. Unser Held läuft demnach auf das Pärchen zu und nutzt seinen Regenschirm als Waffe. Unbeholfen, jedoch präzise und zielsicher schlägt er mit diesem auf den Mann ein, der sogleich von seinem vermeintlichen Opfer ablässt und besinnungslos zusammenbricht. Gefilmt ist dieses Auseinandertreffen in simplen Schuss-Gegenschuss-Aufnahmen, stetig wechselnd zwischen Bildern, die das Paar zeigen und vor allem dessen männlichen Part, der den Arm zwar zum Schutz hebt, schließlich aber doch unter den überzeugenden Argumenten der Regenschirmhiebe kleinbeigeben muss, und einer Großaufnahme von Cross, der, scheint es, sich mehr vor dem Angreifer fürchtet als umgekehrt, was allein beweist, dass er sich nach den ersten Treffern ängstlich einen Arm vors Gesicht hält, als erwarte er, nun selbst einzustecken. Als er feststellt, dass sein Gegner sich nicht rührt, versichert er der jungen Frau, einen Polizisten zu holen, dem er ein paar Straßenzüge zuvor begegnet ist, und eilt davon. Zurückgekehrt fehlt von dem Niedergestreckten jede Spur, die Dame, die sich als Kitty vorstellt, behauptet, ihn nicht zu kennen, er habe sie aus dem Dunkel heraus zu begrapschen begonnen und sicherlich nichts Gutes im Schilde geführt, und der Abend endet damit, dass Cross und Kitty sich zu einem Drink in eine Bar zurückziehen, in der es nicht lange dauert bis der mit seinem Leben unzufriedene Bankkassierer sich Hals über Kopf in die geheimnisvolle Schöne verliebt. Wie sich im weiteren Verlauf des Films indes herausstellt: Kitty und ihr schlaksiger Bedränger sind nicht nur durchaus miteinander bekannt, sondern sogar liiert. Johnny, so sein Name, hat in ihrer Beziehung die Hosen an, während Kitty in gewisser Weise sexuell und emotional abhängig von ihm zu sein scheint, und deshalb nicht die geringsten Widerworte leistet, als er sie auf Cross ansetzt, den er aufgrund gewisser Verwechslungen und Fehlinterpretationen für einen bedeutenden Künstler hält, dessen Konto nur darauf wartet, von einem Vamp wie Kitty gemolken zu werden. Neben dem Umstand, dass die oben ausführlich beschriebene Szene letztlich sozusagen, zumindest in Teilen, ihr Gesicht wandelt – Kitty ist eben nicht einfach nur unschuldiges Opfer der Übergriffe Johnnys, stattdessen weitgehend aus freien Stücken involviert in dessen kleinkriminellen Machenschaften -, ist sie, wie gesagt, allein aus filmtechnischen bzw. filmästhetischen Gesichtspunkten so dicht bei Argento, dass ich noch immer erstaunt bin. Ich meine Szenen wie die, in der Sal Dalmas in L’UCCELLO DALLE PLUME DI CRISTALLO das rangelnde Pärchen innerhalb der Kunstgalerie, zwangsweise zwischen den Glasschiebescheiben der Eingangstür gefangen, betrachten muss, oder die in PROFONDO ROSSO, wenn Marcus allein auf diesem leeren, unheimlichen Platz die tödlich verwundete Wahrsagerin Helga Ulmann erblickt wie sie durch die Scheibe eines Fensters ihrer Wohnung bricht, d.h. Szenen, die Argento aus einer radikalen Subjektivität seiner jeweiligen Protagonisten filmt, sodass der Zuschauer nur das an Wahrnehmungen übermittelt bekommt, was die erreicht, aus deren Augen er Geschehen beiwohnt. Vor allem die Aufnahme von Joan Bennett und Dan Duryea, der den Jonny spielt, wie sie einander herumschubsen, Ohrfeigen empfangen oder verteilen, das alles in vergleichsweise großer Distanz zum Kameraobjektiv, umhüllt von Regenfäden und dem Getöse eines Zuges, ist eine, von der man guten Grundes annehmen kann, dass Argento sie bereits lange vor seinem Debut-Film gesehen und geschätzt hat.
Doch auch fern von sämtlichen Bezügen zum italienischen Genre-Kino, ist SCARLET STREET es, meiner Meinung nach, wert, entdeckt zu werden. Spontan würde ich den Film zu den vielleicht fünf besten zählen, die Fritz Lang während seines Amerika-Aufenthalts inszeniert hat. In seinem Kern unterscheidet er sich dabei nicht sonderlich von vergleichbaren Kriminalthrillern Langs aus den 40ern: die Ausleuchtung ist ein zugleich düsterer wie exzellenter, edler Schwarzweißrausch, seine Hauptdarsteller harmonieren prächtig miteinander, die Spannungsborgen folgt erfolgreich klassischen Vorgaben. Was SCARLET STREET dann aber doch eigen ist und was ihn möglicherweise aus Langs US-Oeuvre heraushebt, ist ein unterschwellig vorhandener ironisch-satirischer Humor, der sich vor allem in den Schilderungen der Lebensumstände von Christopher Cross niederschlägt, aber auch in ehrlich witzigen Spitzen, die den modernen Kunstbetrieb zur Zielscheibe haben. Die Liaison zwischen Cross und Kitty, bei der Johnny die Fäden in der Hand hält, um aus dem, wie er ihn nennt, verliebten Gockel so viel Kapitel zu schlagen wie möglich, läuft nämlich darauf hinaus, dass Kitty die von Cross zu seinem Zeitvertreib angefertigen Gemälde unter ihrem eigenen Namen für teures Geld an Galerien zu verkaufen beginnt. Einen Strauß von Verwicklungen und Missverständnissen später ist Kitty gefeierte Künstlerin, deren Werke im fünf- bis sechsstelligen Bereich gehandelt werden. Aber SCARLET STREET wäre kein Film von Fritz Lang, würde am Ende nicht ein schwarzes Loch stehen, in das noch jedes erheiterte Mundwinkelzucken hineinrutscht. Kitty schreit Cross ins Gesicht, dass sie ihn nicht liebe, dass sie ihn verachte, bei ihrem brennen alle Sicherungen durch, er ermordet erst sie, schiebt die Schuld sodann Johnny in die Schuhe, der quasi an seiner Stelle hingerichtet wird. Erleichterung verschafft Cross diese Tat nicht, eher im Gegenteil. In den letzten Minuten von SCARLET STREET irrt er, nach einem missglückten, wie ein expressionistisches Kammerspiel inszenierten Selbstmordversuch, verwirrt und verwahrlost durch Großstadtstraßen, nächtigt auf Parkbänken und hat beängstigende Visionen, in denen die von ihm Ermordeten ihm nachstellen. Ich empfehle SCARLET STREET wärmstens…