Das Schloss im Schatten - Fritz Lang (1955)

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Salvatore Baccaro
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Das Schloss im Schatten - Fritz Lang (1955)

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Originaltitel: Moonfleet

Produktionsland: USA 1955

Regie: Fritz Lang

Darsteller: Stewart Granger, John Whiteley, George Sanders, Joan Greenwood, Viveca Lindfors
Aus Gründen, die mir wohl selbst unerfindlich bleiben werden, habe ich mir nun sämtliche Filme angesehen, die Fritz Lang von den späten 30ern bis in die späten 50er hinein in Hollywood gedreht hat. MOONFLEET ist von den insgesamt zweiundzwanzig Werken wohl mit Abstand dasjenige, das, zumindest auf den ersten Blick, am weitesten aus dem Rahmen fällt, den man normalerweise mit dem Namen des deutschen Emigranten verbindet.

Da MOONFLEET ein Film ist, dessen Stilistik und Ästhetik ich weitaus interessanter finde als sein reiner Plot, belasse ich es dabei, letzteren mit ein paar kargen Sätzen zu umreißen: Im England des achtzehnten Jahrhunderts reist John Mohune, ein junger, vorpubertärer Bursche, nach dem Tod seiner Mutter in die Küstenregion von Dorset, um dort einen früheren Liebhaber der Verblichenen zu finden, dessen Namen sie ihm auf dem Sterbebett als denjenigen des Ersatzvaters genannt hat, der sich um ihn sorgen wird, wenn sie nicht mehr am Leben sein sollte. Besagter Ex-Lover heißt Jeremy Fox und entpuppt sich als zunächst durchaus undurchsichtiger Charakter, der zum einen mit der vor allem weiblichen High Society des Städtchens Moonfleet in bestem Einvernehmen steht, andererseits aber, wie John alsbald zufällig herausfindet, knietief in den illegalen Geschäften einer Schmuggler- und Piratenbande, deren Oberhaupt er zu sein scheint. Als er von John erfährt, dass der wiederum von seiner Mutter die Information erhalten hat, irgendwo in Moonfleet sei ein berühmt-berüchtigter Diamant von unschätzbarem Wert versteckt, dessen rechtmäßiger Erbe der Junge sei, beschließen die Beiden einvernehmlich, seiner habhaft zu werden…

Aus mehreren Gründen sticht MOONFLEET aus dem Oeuvre Langs im Allgemeinen und seinen US-Filmen im Speziellen hervor. Schon meine skizzenhafte Inhaltsangabe macht deutlich, dass es sich bei dem Film um einen Ausflug in ein Genrehandelt, nämlich das des sogenannten Kostümfilms, das nun nicht zu denen gehört, denen Lang zeitlebens das meiste Engagement geschenkt hat. Aber nicht bloß inhaltlich liegen Welten zwischen den zahllosen film noirs, die der Regisseur in den 30ern, 40ern und 50ern sozusagen fließbandartig produziert hat, vor allem sichert MOONFLEET sich seine Sonderstellung durch das bunte Technicolor-Gewand, in dem er steckt. Zeitlich umlagert von in edelstem Schwarzweiß gefilmten, teilweise ordentlich grimmigen und trostlosen Thrillern und Kriminalfilmen wie beispielweise THE BIG HEAT (1953), HUMAN DESIRE (1954) oder BEYOND A REASONABLE DOUBT (1956), blinkt MOONFLEET im Farbenreigen einer Bonbonverpackung wie um eine überdeutlich sichtbare Grenzen zu ziehen zwischen den düsteren Milieu- und Subjektstudien, in denen Lang das Treiben von Gangstern, Polizisten und Schuldlosen mehr beschreibt als erzählt, und einem von Anfang bis Ende unrealistischen, verspielt-narrativen Abenteuer, das zumindest auf mich so wirkt, als sei es primär für Zuschauer gedacht, die Geschlecht und Alter mit Hauptprotagonist John Mohune teilen.

Es fällt nämlich auf, dass die für den Film Verantwortlichen offenbar zu keinem Zeitpunkt auch nur den Versuch wagen, ihrem Werk einen anderen als eskapistischen Anstrich zu verleihen. MOONFLEET, basierend auf einem 1898 erstmals publizierten Jugendroman gleichen Namens, ist einer dieser Filme, die sich mit dem unwirklich-klebrigen Geschmack von Rummelplatzsüßigkeiten konsumieren lassen. In der Welt, die Lang seinem Publikum hier eröffnet, sind Männer noch richtige Männer, wird einem knapp zwölfjährigen Buben selbst in brandgefährlichsten Situationen kein Haar gekrümmt, siegt die Gerechtigkeit, verbergen sich in Brunnenschächten kostbare Schätze und zerreißen Gewitter exakt dann das Firmament, wenn von einer Person bedeutungsschwangere Sätze ausgesprochen werden. Als sei das auf eine Zuschauerschaft diesseits der Sechzehn zugeschnittene Drehbuch noch nicht genug, verstärkt Lang die oben erwähnten Eindrücke zusätzlich dadurch, dass er MOONFLEET scheinbar ganz bewusst die Ausleuchtung eines klassischen Theaterstücks verpasst. Ständig rahmen das Bild links und rechts Schatten, die dazu führen, dass sich in seinem Mittelpunkt das Geschehen wie auf einer von Scheinwerfern fokussierten Bühne konzentriert. Ebenfalls für die Bühnenhaftigkeit des Films spricht, dass keine der Kulissen jemals großartige Anstrengungen unternimmt, dem Rezipienten nicht genau wie das zu erscheinen, was sie nun einmal ist: ein im Studio nachgebauter Piratenunterschlupf, ein im Studio nachgebautes Adelsschlösschen, ein im Studio nachgebauter Gruselfriedhof. Ästhetisch übertreibt der Film derart mit seiner Künstlichkeit, dass daraus, meine ich, schon wieder ein ganz eigener, nahezu traumähnlicher Reiz entsteht. Der Vergleich erscheint selbst mir zu weit hergeholt, da Argento in seiner Hochphase dann doch auf einem anderen Level operiert, aber viel trennt MOONFLEET möglicherweise substantiell gar nicht von Filmen wie SUSPIRIA oder INFERNO, wenn man bedenkt, dass diese, genauso wie er, ihre Größe gerade dadurch erreichen, dass sie die generelle illusionäre Qualität des Kinos soweit treiben bis sie sich quasi gegen sich selbst kehrt und zu einer neuen Form von Wahrheit transzendiert. Davon ist MOONFLEET indes noch ein ordentliches Stück entfernt. In keiner Szene hat der Film mich emotional ergriffen und mir mehr geboten als problemlos verdauliche, zuweilen vielleicht etwas schleppende Unterhaltung für einen kalten Winternachmittag.

Dennoch finde ich es in gewisser Weise faszinierend wie sehr Lang fähig ist, liebgewonnene Konzepte, sobald andere erforderlich sind, regelrecht spielerisch über Bord zu werfen und etwas Neues auszuprobieren. Obwohl man meinen könnte, er sei während seines Amerikaaufenthalts mit der Zeit festgefahren in einer Form von Kino, das auf der immer gleichen visuellen Grundlage steht, nämlich Mordgeschichten voller Schlagschatten, finden sich doch stets Ausbrüche aus diesem Korsett, sei es nun der propagandistische Kriegsstreifen AMERICAN GUERILLA IN THE PHILIPPINES (1950) oder die drei Western, die Lang zwischen den frühen 40ern und frühen 50ern gedreht hat, namentlich THE RETURN OF FRANK JAMES (1940), WESTERN UNION (1941) und RANCHO NOTORIOUS (1952). Sie alle eint zwar, dass es optisch nicht viel an ihnen zu meckern gibt, trotzdem ist ihre Optik eine, die sich nach den jeweiligen Genre-Anforderungen richtet und nicht unbedingt als autonome Form fernab des Inhalts steht. Obwohl es natürlich thematische und ästhetische Motive gibt, die sich komplett durch das Gesamtwerk Langs ziehen - ein Gesichtspunkt, bei dem es leicht möglich ist, MOONFLEET in eine Linie zu noch in der Weimarer Frühzeit entstandene Abenteuergeschichten wie DIE SPINNEN (1919) oder HARAKIRI (1919) zu setzen -, wird bei MOONFLEET überdeutlich, dass der Inhalt die Form bestimmt und nicht umgekehrt – und weil der Inhalt keiner ist, der mir viel sagen würde, was ich für mein eigenes Leben für wichtig erachte, ist seine Form für mich ebenfalls keine, für die ich ein Fest ausrichte. MOONFLEET, in den USA bei der Kritik und beim Publikum ein Flop, dann aber von der französischen Nouvelle Vague in euphorischsten Gesten umarmt, stellt für mich leider einen der schwächeren Filmen dar, die Lang in seinen sowieso recht schmalbrüstigen 1950ern inszeniert hat.
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