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Nachtschatten - Niklaus Schilling (1972)

Verfasst: Mo 9. Mär 2015, 21:46
von Prisma

NACHTSCHATTEN

● NACHTSCHATTEN (D|1972)
mit Elke Hart, John van Dreelen, Max Krügel, Ella Timmermann
eine Visual Filmproduktion | im Freunde d. Dtsch. Kinemathek Verleih
ein Film von Niklaus Schilling


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»Was ist mit dem Moor? Sag es mir!«
Der Hamburger Musikverleger Jan Eckmann (John van Dreelen) interessiert sich für ein zum Verkauf stehendes Haus in der Lüneburger Heide, wo er die Bekanntschaft mit der überaus mysteriös wirkenden Besitzerin Elena Berg (Elke Hart) macht. Bei den ergebnislosen Verhandlungen über das Objekt ist es Mitternacht geworden und Jan nimmt das Angebot an, bei der in schwarz gekleideten Frau zu übernachten. Im Traum sieht er Elena in bizarren Sequenzen an seinem eigenen Grab stehen. Die Faszination um Elena wurde durch diese eigenartigen nächtlichen Vorkommnisse nur noch mehr verstärkt, bis sich beide schließlich etwas näher kommen. Elena wird von allen Dorfbewohnern gemieden, wenn nicht sogar gefürchtet, da es heißt, dass sie ihren eigenen Ehemann vor geraumer Zeit umgebracht haben soll, der seitdem im Moor verschwunden ist. Es dauert sehr lange, doch dann entschließt sich der Musikverleger doch dazu, die geheimnisvolle Elena zur Rede zu stellen...

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Niklaus Schillings "Nachtschatten" feierte 1972 bei den Internationalen Filmfestspielen in Berlin seine Premiere, doch vermutlich ist mit feiern bei diesem Beitrag etwas zu viel gesagt. Doch zunächst zur gängigen Klassifizierung. Dieser Film des Schweizer Regisseurs wird hauptsächlich dem Grusel- oder Horrorgenre hinzu gerechnet und gerade für deutsche Verhältnisse sollte immer löblich erwähnt werden, wenn derartige Projekte eine Umsetzung fanden. Schilling ist bekannt für seine für seine Affinität im Bereich des Experimentierens und auch hier werden einige sehr anschauliche Kostproben geboten, die jedoch leider nur einen Bruchteil der Spielzeit in Anspruch nehmen. Im Endeffekt weckt dieser Beitrag viele falsche Erwartungen, die in Verbindung mit einem seelenruhigen, oder schleppenden, dem eigenen Empfinden nach sogar äußerst langweiligen Verlauf keinen bedeutsamen Gesamteindruck zurücklassen werden. Der Versuch, hauptsächlich die Bilder ohne sinnvolle, beziehungsweise nur durch Insider-Verstärker sprechen zu lassen, erweist sich als schwerwiegender Fehler und überhaupt werden alle atmosphärisch gelungenen Komponenten von den vielen eklatanten Schwächen dieses Beitrages nahezu restlos überlagert.

Auch nach mehrmaligem Anschauen erschließen sich Intention, Ursache und Wirkung nur zähflüssig und das nicht weil die geschilderten Inhalte dieser Geschichte zu kompliziert, gar zu verschachtelt wären. Nein, es gibt eine ganz einfache Erklärung, die mit der überaus deutlichen Sprache dieser Produktion zusammenhängt. Es erschließen sich so gut wie keine Berührungspunkte im handwerklichen Bereich, auch der Plot bleibt nur potentiell interessant weil das mystische, oder bedrohliche Element keine intensive Abhandlung erfahren hat und sich nur in vagen Andeutungen verliert, aber vor allem bekommt man bei "Nachtschatten" im schauspielerischen Bereich eine eiskalte Dusche serviert. Die miserablen Darbietungen provozieren eine seltene Art von Fassungslosigkeit, auch die hölzernen Dialoge, die sich penetrant in konturlose Andeutungen und Belanglosigkeiten hüllen, sind nach kurzer Spieldauer simplerweise nur noch unverträglich.

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Elke Haltaufderheide spielte hier unter ihrem Künstlernamen Elke Hart und zunächst bleibt einmal festzustellen, dass ihre Erscheinung der Geschichte sehr zuträglich ist. Die blonde Verführung in Trauerkleidern wirkt beinahe wie eine schwarze Witwe, spätestens wenn sie ihr Ensemble gegen Sommerkleider ausgetauscht hat, sie hüllt sich mit Vorliebe in einen mysteriösen Schimmer und spricht in Orakeln, die den Zuschauer dazu auffordern sollen, sie noch unergründlicher zu finden. Leider ist der Darstellungsstil wie erwähnt hölzern, unflexibel und daher nicht interessant genug, eine nachhaltig in Erinnerung bleibende Aura zu konzipieren. Was anfangs anziehend und verlockend wirkte, wird im weiteren Verlauf zurückweisend und bedrohlich, wenngleich dies alles nur mit viel Fantasie herauszufiltern ist. Einen besonders schwerwiegenden Fall einer Fehlbesetzung stellt der Niederländer John van Dreelen dar, denn sein unmotiviertes Schauspiel wirkt hier nahezu laienhaft. Das Verhältnis zwischen Elena und Jan entwickelt bei der merkwürdigen Entstehungsgeschichte leider keine bei der Stange haltende Brisanz, aber vor allem keine nachhaltige Spannung.

Alles bleibt wie ein Phantom. Interessant wird es, wenn es zum Einsatz von Edvard Griegs Musik kommt und die dazu geformten Bilder zu greifen beginnen. Licht und Schatten, Umrisse, Silhouetten und die trügerisch einladende Landschaft lassen die gewünschte mystische Komponente aufkommen, sorgen daher für Aufmerksamkeit. Doch plötzlich wird jede atmosphärisch beeindruckende Szene wieder, beispielsweise durch unerträglich flache Dialoge, in denen das Stilmittel des aneinander Vorbeiredens zum Tragen kommt, zunichte gemacht. Der Film transportiert von Anfang bis Ende den Eindruck eines klassischen Kammerspiels, bei dem lediglich zwei Personen die Initiative ergreifen werden, natürlich auch sollen. Schillings subtile Botschaften wirken bei intensiver Betrachtung recht ambitioniert, und auch die stets wünschenswerte Übertragung von Zuschauergewalt sollte hier löblich erwähnt werden. Doch was soll im Endeffekt geschehen, wenn Botschaft, Metaphorik, Sinnhaftigkeit und die zugegebenermaßen intelligente Abhandlung des Stoffes im Würgegriff der absolut unbändigen Langeweile untergehen? "Nachtschatten" kann letztlich trotz aller Kritik als mutiger Beitrag bezeichnet werden, der mit einer Ruhe irritiert, die zum Himmel schreit.
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Re: Nachtschatten - Niklaus Schilling (1972)

Verfasst: Mo 9. Mär 2015, 22:59
von Adalmar
Ich will mich jetzt nicht aus einem anderen Forum Wort für Wort wiederholen. Es ist ja schon toll, dass immerhin mal jemand so viel zu dem Film schreibt. Ich finde ihn absolut einzigartig und hoffe inständig, dass da noch mal eine richtig gute DVD kommt, wenngleich ich da nicht allzu optimistisch bin. Meiner Ansicht nach wurde hier die norddeutsche Landschaft einzigartig unheimlich-schön eingefangen. Ich kann mir schon vorstellen, dass das sparsame Schauspiel und die spröden Dialoge nicht jedermanns Sache sind, aber für mein Empfinden muss das genau so sein. Langeweile kam bei mir jedenfalls nie auf. Ich kann den Film echt nur jedem empfehlen, wenn er mal wieder im Fernsehen laufen sollte.

Re: Nachtschatten - Niklaus Schilling (1972)

Verfasst: Mo 9. Mär 2015, 23:52
von Prisma
Adalmar hat geschrieben:Es ist ja schon toll, dass immerhin mal jemand so viel zu dem Film schreibt.
Wobei dir ein alternativer Text sicherlich lieber gewesen wäre, stimmts? :lol:

Veröffentlichungen sind ja gerade momentan und generell nicht auszuschließen, aber ich denke mal, dass es "Nachtschatten" da tatsächlich schwer haben dürfte, obwohl er sicherlich sein Publikum finden würde. Ich kann es hier schon nachvollziehen, wenn man den Film, seinen Verlauf und vor allem die wirklich schönen Bilder der Landschaft sehr zu schätzen weiß. Bei mir ist jedoch jeder erneute Versuch, den Film positiver zu sehen, irgendwie gescheitert.

Gleichzeitig heißt das aber, dass ich mir ihn auch immer wieder angesehen habe, also so unerträglich finde ich das Ganze nicht, aber insgesamt leider langweilig. Ich habe ja zum Film ein paar sehr interessante Besprechungen, nein, eher gesagt Analysen gelesen und war überrascht, was sich im Endeffekt alles dort herausholen lässt, auch die zeitgenössiche Kritik ist sehr freundlich mit Schillings Beitrag umgegangen. Die zusätzlichen Blickwinkel waren sehr interessant.

Schade eigentlich, denn ich schätze ja solche alternativen Beitrage sonst sehr und erkenne deren Ambitionen und Mut gerne an. Hier tue ich das ja eigentlich auch, aber ich konnte einfach keinen wirklichen Zugang finden. Wo hast du den Film gesehen, Adalmar?

Re: Nachtschatten - Niklaus Schilling (1972)

Verfasst: Di 10. Mär 2015, 02:12
von Adalmar
Ich habe ihn vor langer Zeit mal auf einem dritten Programm entdeckt, damals noch auf VHS aufgenommen. Leider ist mir die Aufnahme im Lauf der Zeit abhanden gekommen.

Re: Nachtschatten - Niklaus Schilling (1972)

Verfasst: Mi 11. Mär 2015, 22:10
von Prisma
Ich habe den Film damals im WDR gesehen.
Diese Ausstrahlung dürfte aber bestimmt auch schon wieder an die 10 Jahre her sein.

Re: Nachtschatten - Niklaus Schilling (1972)

Verfasst: Fr 3. Apr 2020, 10:16
von Salvatore Baccaro
Huch!, was für ein gerade im Blick auf seine filmhistorischen Vernetzungen hochinteressanter Streifen, von dem ich diese Woche tatsächlich zum ersten Mal gehört habe!

Meiner Meinung nach ist der Kniefall vor Carl Theodor Dreyers VAMPYR (1932) unübersehbar, jedoch, (obwohl NACHTSCHATTEN dessen Eröffnungssequenz stellenweise beinahe gar 1:1 kopiert), weniger inhaltlich, sondern mehr bezogen auf diese elegische, melancholisch-mulmige Grundstimmung, (wenn auch VAMPYR bei der direkten Gegenüberstellung mit NACHTSCHATTEN wirkt wie ein actiongeladener Spannungsstreifen, denn wo sich bei Dreyer, trotz des langsamen Erzähltempos, die Ereignisse und Einfälle dann doch quasi im Minutentakt überstürzen, da erzählt Schilling im Grunde nichts, was nicht auf den Flügel einer Fledermaus passen würde, weshalb sein Film auch seltsam leer daherkommt: Als würde man auf eine fast völlig in Nebel verschlungene Landschaft starren, und irgendwann starrt die Caspar-David-Friedrich-Landschaft plötzlich zurück!);

auch die Bezüge zu dem (großartigen!) Heimat-Horrorfilm ROSEN BLÜHEN AUF DEM HEIDEGRAB von Hans H. König von 1952 sind ganz sicher kein Zufall, was vor allem die finale Rückblende, (die einerseits den gesamten Film wundervoll schaurig bündelt, andererseits in ihrer demystifizierenden Erklärpose für mich fast schon einen ärgerlichen Störfaktor innerhalb des Rätselreigens des restlichen Werks darstellt), deutlich macht, die ebenfalls von den Einstellungen her ganz deutlich an dem Vorbild aus den 50ern entlanglaviert, (wobei ich aber erneut einwerfen muss: Wo Königs HEIDEGRAB einen für seine Entstehungszeit ziemlich heftige und ziemlich ambivalente Aufarbeitung der Gräuel des Zweiten Weltkriegs im Heimatfilm-Korsett bietet, und dieses Genre damit ziemlich intelligent subversiv unterwandert, indem er ständig verzerrte Fratzen unter dem schönen Oberflächenschein entlarvt, und sich ästhetisch auf Orientierungspunkte im Stummfilmexpressionismus der 20er zurückführen lässt, da bleibt NACHTSCHATTEN erneut befremdlich unpolitisch, sehr auf sich bezogen, introviert bis zum Autismus: ein kleines Kind, das stundenlang stumpf die Nebelschwaden überm Moor anstarrt);

nicht zuletzt stimuliert Schilling natürlich Erinnerungen an einen der wenigen Phantastischen Filme des deutschsprachigen Kinos der 30er, namentlich FÄHRMANN MARIA von Frank Wisbar aus 1936, der selbst natürlich in erster Linie ein Derivat der Romantik-Rezeption im Stummfilm à la NOSFERATU und CALIGARI darstellt, und ebenso wie ROSEN BLÜHEN AUF DEM HEIDEGRAB und NACHTSCHATTEN der nordwestdeutschen Moorlandschaft ein kinematographisches Denkmal setzt, sowie, nicht zuletzt, die reichlich intensive und nicht unproblematische (Liebes-)Beziehung zwischen einem Mann und einer mysteriösen Frau behandelt, (und in seiner Schlussszene offen, womit der Kreis sich schließt, Dreyers VAMPYR zieht.) Doch während VAMPYR, ROSEN BLÜHEN AUF DEM HEIDEGRAB und FÄHRMANN MARIA mich vor allem auch wegen ihrer vielschichtigen semantischen Inhalte lange Zeit auf Trab gehalten haben, reduziert sich NACHTSCHATTEN reichlich rigoros allein auf seine konsequent durchgezogene, kompromisslose Inszenierungsstrategie, die nichts anzufangen weiß mit Schauwerten, mit Genre-Topoi, mit konventionellen Plot-Entwicklungen.

Was will der Film mir aber sagen? Will er mir überhaupt etwas sagen? Will das, was er mir sagen will, überhaupt bei mir ankommen? Schillings Film wirkt nackt, skelettartig, so, als ob da noch mindestens eine Lake Fett und Haut fehlen würde, um ihm etwas greifbare Substanz zu verleihen. In seinem entschlackten, irgendwie verkopften, irgendwie empathielosen Naturalismus lässt er mich dann doch viel eher an Herzogs kongenial gescheitertes NOSFERATU-Remake (1978) denken: Je länger ich mir den Kopf darüber zerbreche, weshalb NACHTSCHATTEN mich, trotz aller Faszination beim direkten Schauen und trotz allen Lobs für seine entschleunigte Atmosphäre, seine spröden Bilder, seine traumwandelnden Figuren, im Nachhinein doch nicht so richtig hat überzeugen können, komme ich zu dem Schluss: Dieser Film schaut genauso aus wie sich ein Laie abschreckende Vorbilder dessen vorstellt, wenn intellektuelle Autorenfilmer Horrorfilme drehen wollen...

Re: Nachtschatten - Niklaus Schilling (1972)

Verfasst: Sa 4. Apr 2020, 02:30
von Adalmar
Schauwerte hat der Film für mich definitiv, wenn man z. B. an das wunderschöne Fachwerkhaus und die Landschaft denkt, die so was wie einen dezenten Sog auf den Protagonisten ausübt, oder wie die geisterhafte Schönheit Elena unwirklich in Szene gesetzt wird. Was die Regie hier verweigert, sind oberflächliche Horrorutensilien wie Erschreck-Effekte oder unheimliche Musik, womit Horrorfilme sonst ja leider gerne zugekleistert werden, daher mag ich die Reduktion, die hier in dem Punkt betrieben wird. Als besonders intellektuell oder verkopft habe ich den Film eigentlich nirgends empfunden.