Originaltitel: La Momia Azteca
Produktionsland: Mexiko 1957
Regie: Rafael Portillo
Darsteller: Ramón Gay, Rosa Arenas, Crox Alvarado, Luis Aceves Castaneda, Jorge Mondragón
Die Aztekenmumie, Folge 1:
Niedergeschlagen kehrt Almada in den Kreis seiner Liebsten zurück. Dieser besteht nicht nur aus seinem Töchterchen aus erster Ehe, Anita – die zugehörige Mutter scheint verstorben oder entlaufen zu sein -, sondern außerdem aus Dr. Sepúlveda, dem väterlichen Freund Almadas, und leiblichen Vater von Flor, mit der Almada in amouröser Beziehung verknüpft ist und die sich als Pflegemutter aufopfernd um Almadas Tochter kümmert. Ebenfalls erwähnenswert sind Pepe, der jüngere Bruder Almadas, ein draufgängerischer Strolch von zehn Jahren, sowie Pinacate, ein weiterer Wissenschaftler, der ständig in Almadas Haus herumhängt und sich schon früh im Film als ausgemachten Angsthasen erweist. Weniger Furcht zeigt Flor, die sofort bereit ist, sich auf Almadas Hypnoseexperimente einzulassen, um seinen in Fachkreisen stark beschädigten Ruf wiederherzustellen. Obwohl dieses Experiment, wie gesagt, keine ungefährliche Sache ist, ist Almada nach kurzem Zaudern trotzdem sofort bereit, alles für eine Hypnosesession vorzubereiten – und Flors Vater kennt genauso wenig irgendwelche Einwände dagegen, das Leben seiner Tochter von seinem zukünftigen Schwiegersohn aufs Spiel setzen zu lassen. Was indes keiner unserer Helden ahnt: ein Schatten bespitzelt das gesamte Experiment. Er gehört zu einer Figur, genannt El Murciélago, d.h. die Fledermaus, die seit geraumer Zeit mit ihren Machenschaften Mexiko City in Atem hält. Alles, was man weiß, ist, dass die Fledermaus Chef eines Verbrechersyndikats ist und zudem Kontakte in die akademischen Kreise des Landes unterhalten muss.
Ganz spitz und aufmerksam sind ihre Ohren im Verborgenen, während Flor unter Almadas Hypnose in ein früheres Leben eintaucht. In ihrer Imagination wird sie zu Xochitl, einer jungen Frau, die im aztekischen Sakralkönigtum zum Blutopfer für den Gott Tezkatlipoka auserkoren ist. Ihr Liebhaber, ein gewisser Popoca, versucht sie den Priesterhänden zu entreißen, wird dafür aber selbst ergriffen und die beiden Liebenden zu schwerer Strafe verurteilt. Im Falle Xochitls sieht diese vor, sie mit einem Dolch zu ersteche und auf ihrem Leichnam zwei Kultobjekte zu drapieren, ein Brustharnisch und ein Amulett, beide übersät von Hieroglyphen, die zusammengenommen einen Text ergeben, der jeden des Entzifferns Kundigen auf das Geheimversteck des sagenumwobenen Aztekenschatzes verweist. Weshalb man nun aber diese beiden Dinge ausgerechnet dem Leichnam einer Abtrünnigen anheftet, bleibt ebenso schleierhaft wie das, was nun eigentlich genau mit Popoca geschieht. Offenbar flößt man ihm, während eine Aztekendame einen für die Ohren eines Publikums um 1958 sicherlich außerordentlich schrägen Gesang anstimmt, irgendeine Flüssigkeit ein, die seine Verwesung unterbinden soll. Anschließend mauert man den scheinbar Paralysierten in der Grabkammer gemeinsam mit Xochitls Leiche ein. Über diese, und vor allem Brustharnisch und Amulett, soll er, verdammt zu ewiger Ruhelosigkeit, wachen, und jeden unbefugten Eindringling in die Flucht schlagen.
Nachdem Flor zurück unter den Wachen weilt, schlägt Almada befriedigt in die Hände: nun müsse man nur noch heimlich in die große Pyramide der ehemaligen Aztekenhauptstadt Tenochtitlan einsteigen und den geheimen Gang ausfindig machen, in dem Xochi und Popoca beigesetzt worden sind. Finden sie die Toten, und natürlich Brustharnisch und Amulett, dort, wo Flor sie während ihres kurzen Ausflugs in die Vergangenheit gesehen hat, ist das der unumstößliche Beweis für die Richtigkeit seiner Theorie, und dafür, dass Flors Seele tatsächlich vor Jahrhunderten im Körper Xochitls heimisch gewesen ist. Wie verfluchte Tote es jedoch an sich haben, lassen sie sich nicht gerne in ihrer Ruhe stören, und schon bald sehen sich unsere Helden nicht nur den Fledermausschergen, die es vorwiegend auf den Aztekenschatz abgesehen haben, sondern ebenso der zu neuem Leben erwachten Mumie Popocas gegenüber…
LA MOMIA AZTECA ist ein klassischer mexikanischer Horrorfilm, der das Kind in mir zu Jubelschreien anstachelt. Die Welt, in die uns dieses Kleinod von Film entführt, ist eine archaische, archetypische, die ihre Gesetzmäßigkeiten der Phantasie, nicht der Logik verdankt. In dieser Welt ertönt stets unheilschwangere Musik, wenn der Schatten des Fledermaus genannten Superbösewichts hinter einem Fenster erscheint. In dieser Welt stellt es kein nennenswertes Problem dar, in eine eigentlich abgeriegelte Aztekenpyramide einzudringen, die nur mittels eines niedrigen Bauzauns gegen unbefugtes Betreten geschützt scheint. In dieser Welt werden sämtliche angeblich zur Nachtzeit spielenden Szenen im hellen Tageslicht gedreht, und das nicht mal zu kaschieren versucht. In dieser Welt geschehen die meisten Dinge nicht, weil irgendein höherer Sinn hinter ihnen steckt, sondern einfach, weil sie eben geschehen sollen, um die Handlung voranzutreiben.
Bezeichnend hierfür ist allein schon der Auftakt, vor dem ich mich ziemlich tief verneige. Zu Impressionen der tatsächlich heute noch als Touristenattraktion bzw. Ausgrabungsstätte existenten ehemaligen Hauptstadt des Aztekenreichs, Tenochtitlan, erklärt eine Stimme aus dem Off, der folgende Film fuße auf rein wissenschaftlichen Grundlagen. Ein gewisser Dr. Hughes und ein gewisser Dr. Tony seien Bürgen für die Authentizität der von ihnen ausgeführten, jedoch nicht näher erläuterten Experimente, an deren Wahrhaftigkeit nicht der geringste Zweifel bestünde. Außerdem seien mehrere noch lebende Zeugen verfügbar, darunter ein echter Anwalt!, die bestätigen können, dass sich das, was sich vielleicht unglaublich anhört, wirklich zugetragen hat. Erst im letzten Satz heißt es dann plötzlich, in LA MOMIA AZTECA, der Filmadaption des ungenannt bleibenden Experiments, würden sich die nachprüfbaren Fakten mit frei erfundenen Fiktionen mischen. Wie um das sofort unter Beweis zu stellen, wirkt gleich die nächste Szene wie aus einem actionreichen Stummfilm-Serial stibitzt. Polizisten und Gangster liefern sich einen Schusswechsel, dazwischen hüpft unsere Fledermaus umher, und eine Zeitungsschlagzeile verkündet im gleichen Atemzug von dem ebenfalls nicht näher erläuterten Unheil, das besagte Fledermaus nunmehr in Mexiko anrichte. Was genau die Fledermaus nun beabsichtigt – anfangs scheint sie einem Ganovensyndikat von immerhin ganzen zwei Mitgliedern vorzustehen, ähnlich wie der Große Vampir in Feuillades LES VAMPIRES oder Dr. Mabuse bei Fritz Lang -, später ist sie vor allem darum bestrebt, die metallenen Schatzkarten in ihren Besitz bringen, die gemeinsam mit Xochitls Leichnam beerdigt worden sind. Nennenswerte Gefahr jedenfalls strömt nicht von der Fledermaus und ihren beiden Schlapphuthandlanger Tierno und Criada nicht aus, stattdessen hätte man diesen gesamten Verbrechertumplot problemlos aus dem Film streichen können, derart isoliert steht er in ihm herum und scheint nur dazu da, die Laufzeit mit Mühe auf knapp achtzig Minuten zu strecken.
Schon gefährlicher, wenn auch erst nach einer vollen Stunde in Erscheinung tretend, ist da die titelgebende Aztekenmumie, die sich im Übrigen genauso verhält wie ihre in unseren Hemisphären bekannteren ägyptischen Brüder. Popoca erkennt in Flor die Reinkarnation Xochitls und entführt sie, um sie mit dem gleichen Dolch und in der gleichen Pose zu opfern wie es die längst zu Staub zerfallenen Priester einst mit ihrem frühen Selbst getan haben. Dabei erfüllt die Mumie jedes Klischee, das man von einer Mumie erwartet: sie bewegt sich schlurfend fort und hat das Stadium der Fäule längst hinter sich, ist knöchern und staubig. Der Film zeigt dabei keine gesteigerte Anstrengung, ihr etwas mehr Tempo und Profil zu verpassen. Rein technisch und ästhetisch steht LA MOMIA AZTECA noch weitgehend in der Tradition des Stummfilms. Er wirkt unbeholfen, unbehauen, ruppig, spröde: man meint förmlich die Nahtstellen zwischen den einzelnen Szenen zu sehen. Die Kamerapositionen sind limitiert, seine Farbe ist ein körniges Schwarzweiß, seine Charaktere besitzen keine Psychologie: über weite Strecken spricht LA MOMIA AZTECA über seine Bilder zu uns, selbst ohne eine Tonspur wäre es möglich, den wichtigsten Plotpunkten problemlos zu folgen. Seine unreflektierte Naivität setzt dem Film den letzten Zacken in seine Krone, die für mich in etwa so hell schimmert wie die der besten bzw. schlechtesten Santo-Abenteuer (es ist wohl kein Zufall, dass sich der knapp zehn Jahre später entstanden SANTO EN EL TESORO DE DRÁCULA eines ähnlichen Grundplots mit Zeitreisen und Hypnose und Reinkarnationsproblematiken bedient und daher stellenweise fast schon wie ein Remake von LA MOMIA AZTECA wirkt, nur eben mit Sex und Vampiren und Wrestlern statt mit biederen Wissenschaftlern, keuschen Küsschen und aztekischen Bandagen – sogar diese billige Drehscheibe, die Flor anstieren muss, um von ihr in Trance versetzt zu werden, kehrt in SANTO EN EL TESORO DE DRÁCULA in etwas modifizierter, wenn auch nicht weniger lächerlicherer Form wieder.)
So sehr ich geflasht bin von den primitiven Mitteln, aus denen LA MOMIA AZTECA ein Maximum an Unterhaltungseffekt hervorzuholen weiß, so dringlich muss ich auf den dann doch eher bedenklichen Subtext hinweisen, der vorliegenden Film zu einem ausgesprochen politischen macht. Was Ägypten für den Europäern, das ist das Aztekenreich für den Mexikaner: ein heidnischer Ort, an dem solche Dinge wie Zauberkünste und Flüche schmerzlich erfahrbare Realitäten sind. Dennoch besteht ein grundlegender Unterschied darin, dass die Azteken von der spanischen Nachfolgebevölkerung ihres einstigen Königreichs quasi assimiliert worden sind – sofern man sie nicht mit Schwert und Kreuz komplett ausgerottet hat -, während die Europäer in Ägypten niemals einen solch zerstörerischen Fuß haben fassen können. Eine einzige Figur in LA MOMIA AZTECA gibt es, die einen dezidiert aztekischen Ursprung zugewiesen bekommt, und die keine stumme Mumie ist. Es handelt sich um José, den Hausdiener Almadars. Als der zufällig davon Wind kriegt, dass man plant, in die Pyramide von Tenochtitlan einzubrechen, warnt er seinen Herrn und Meister nachdrücklich davor. Er stamme von den Azteken ab, sagt er, und er wisse, dass man deren Tote besser ruhen lasse, vor allem, wenn sie mit einem Fluch versehen worden sind. Almada tut das freilich als abergläubisches Geschwätz ab – nur muss nicht erst am Ende die Rechnung für seine Ignoranz zahlen, sondern José, der bei einem Gerangel mit der Mumie sein Leben aushaucht. Die Mumie schließlich wird auf die denkbar einfachteste Weise in die Knie gezwungen. Alles, was nötig ist, um den Spuk der Vergangenheit in seine Schranken zu verweisen, ist ein christliches Kreuz, das man dem Untier in die verweste Fratze streckt. Dramatisch stirbt Flors Vater, Dr. Sepúlverda, unter einem Geröllhaufen der zusammenstürzenden Pyramide, und hält sein Kreuz der Kamera demonstrativ für eine Großaufnahme hin. LA MOMIA AZTECA ist natürlich ein zu unreflektierter Film, als dass ihm zu irgendeinem Zeitpunkt klar werden würde, dass das, was er da als Mumienmumpitz imaginiert, schlussendlich nichts viel anderes ist als das eigene schlechte Gewissen den mit Waffengewalt zerschlagenen indianischen Hochkultur gegenüber. Leider geizt er zudem nicht mit Unwissen, was besagte Hochkultur der Azteken betrifft. Während die Azteken ihre Toten völlig normal in der Erde bestattet haben und mittels einer auf Piktogrammen basierenden Schrift kommunizierten, sind es die Maya gewesen, die ein Schriftsystem aus Hieroglyphen entwickelten, und die Inka, die ihre Toten Mumifikationen unterzogen, wobei sie diese jedoch nicht, wie man das aus Ägypten kennt, in Sarkophagen unterbrachten, sondern sie, zusammengerollt wie Ungeborene, d.h. mit den Knien nahe am Gesicht, in Grabnischen bzw. Grabspalten.
Dennoch schließe ich leicht meinen Frieden mit diesem Film, der trotz aller kritikwürdiger, nahezu rassistischer, auf jeden Fall christlich-propagandistischer Fanfarenstöße zwischen den Zeilen, genau die Magie versprüht, die ich in vielen mexikanischen Genrefilmen dieser Zeit gar nicht groß suchen muss, da sie mir regelrecht ins Gesicht springt. Die Angsthasenallüren Pinacates, die vollkommen unschuldige Liebesgeschichte zwischen Flor und Almada, die alberne Drehscheibe, die Flor nur intensiv anzustarren braucht und schon fliegt ihr Geist in die Vergangenheit, die Fledermaus, die überall und nirgends ist und die rein gar nichts zur Haupthandlung beiträgt, die stockfinstere Pyramide, in der die Atmosphäre dicker ist als eine Betonwand: das alles und viel mehr adelt LA MOMIA AZTECA als einen jener Filme, die noch den härtesten Rationalisten zurück in eine Vorpubertät führen, in der das Abenteuer weit über Sinn und Verstand steht und bunteste Ideen auf sie hinabschleudert.