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Neonstadt - Büld/Graf/Schmid/Weilemann/von Lützelburg (1982)

Verfasst: Di 12. Jan 2016, 16:52
von buxtebrawler
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Originaltitel: Neonstadt

Herstellungsland: Deutschland / 1982

Regie: Wolfgang Büld, Dominik Graf, Hans Schmid, Gisela Weilemann, Helmer von Lützelburg

Darsteller: Charles Brauer, April De Luca, Christiane Felscherinow, Wolfgang Fink, Barbara Freier, Axel Kuner, Michaela May, Axel Milberg, Axel Schmalschläger, Stefan Wood, Billie Zöckler u. A.

Quelle: www.ofdb.de

Re: Neonstadt - Büld/Graf/Schmid/Weilemann/von Lützelburg (1982)

Verfasst: Di 12. Jan 2016, 16:54
von buxtebrawler
„Was ich haben will, das krieg‘ ich nicht!“

„Neonstadt“ – das ist nicht nur eine treffende Bezeichnung für beleuchtete Innenstädte der 1980er Jahre, es ist auch der Titel eines obskuren Episodenfilms aus deutschen Landen aus dem Jahre 1982, an dem gleich fünf Regisseure – damaligen Absolventen der HFF München – beteiligt waren.

Nach einem Intro mit Musik der Band „Fehlfarben“, die mitgesungen wird, und Bildern von Medien-, Alkohol-, Drogen- und Nahrungskonsum findet man sich in der ersten Episode wieder: „Verliebt, verlobt, BRD-igt“ von Gisela Weilemann, die Ende der 1970er drei Kurzfilme drehte und nach ihrer Beteiligung an „Neonstadt“ ihre Regiekarriere allem Anschein nach beendete. Eine Kneipenszene leitet über zu einem in der Küche bumsenden Punk-Pärchen. Der männliche Part, offenbar ein Bayer, sucht daraufhin eine recht nervige andere Dame mit Piepsstimme auf. Diese schleppt sich einen anderen Punk mit Streifenklamotten in ihre komische Püppchenbude ab, welcher wiederum mit einer anderen die Kneipe aufsucht. Diese legt eine Solo-Darbietung auf der Tanzfläche hin, eine Art aufreizenden Erotiktanz, und zieht wieder mit ihm, und zwar in ein Hotel, weil sie einen Freund habe. Dort liegt der bayrische Punk vom Anfang und wird rausgeschmissen, woraufhin er seine Freundin abholt. Die Pointe dieser lahmen Episode ohne jegliche Punk-Power habe ich nicht verstanden – sofern es über den „Jede(r) mit jedem in einer Schleife“-Gag hinausgehend überhaupt eine gibt.

Eine Zwischensequenz, die denselben „Fehlfarben“-Song abspielt, mündet in der Episode „Star“ Helmer von Lützelburgs („Im Himmel ist die Hölle los“). Büroangestellte Damen schauen sich Mikrofilme an, eine von ihnen geht schließlich nach Hause. Lützelburg zeigt ihren wenig aufregenden Alltag, bis ein Paketbote ihr neue Klamotten vorbeibringt. Mit diesen stolziert sie divenhaft durch die abendliche, von Leuchtreklamen illuminierte Stadt zu seinem schönen Soul-Song und sucht eine Schlagerspelunke auf. Dort trifft sie auf den Paketboten, der sie an ihrer Halskette erkannt hat – doch als sich dieser zu ihr gesellen will, verlässt sie fluchtartig das Lokal. Sie gerät in Panik, doch er „rettet“ sie, sie schmiegt sich an ihn. Aha.

Das nun folgende Interludio zeigt eine Sado-Maso-Szene, woraufhin Dominik Graf („Tatort“, „Polizeiruf 110“) mit seiner Krimi-Episode „Running Blue“ eine seiner ersten Regiearbeiten abliefert. Der Waffenschmuggler Christ (so heißt der Mann oder nennt sich zumindest so) trifft sich mit seiner Kontaktperson im Freien, raucht einen Joint im Bett und bietet der Putzfrau am nächsten Morgen Geld für Sex, woraufhin sie einwilligt. Mit mutmaßlich entleertem Hodensack trifft er sich erneut mit seiner Kontaktperson und enttarnt diesen als Bullen. Als er ihn mit einer Waffe bedroht, wird er von anderen Polizisten erschossen. Eine vorhersehbare, um etwas Dreck bemühte Krimi-Episode, die lediglich als Graf-Frühwerk Interesse weckt.

Nach Christs Abgang ertönt zum wiederholten Male „Paul ist tot“ der „Fehlfarben“, diesmal mit Pornoausschnitten unterlegt. Zu Beginn von „Panter Neuss“ zeigt Regisseur Hans Schmid, der darüber hinaus lediglich einen Kurzfilm aus den ‘70ern und den ‘87er Fernsehfilm „Ein Stück vom Glück“ auf dem Kerbholz hat, Schwarzweiß-Fotos zu Flüstergesang. In Farbe sitzt dann ein junger Mann auf einem Balkon und kann nicht schlafen. Seine Mutter rät ihm, weniger zu onanieren, schimpft mit ihm und schmeißt ihn schließlich raus, nachdem er sie beklaut hat. Er hat einen Job bei der Post und nimmt an diesem Tag zu viel Geld ein, was er ordnungsgemäß meldet. Er trägt permanent einen albernen silbernen Armreifen und beschließt, dass eine Baseballjacke prima dazu passen würde. Diese stiehlt er kurzerhand und muss sich eine Verfolgungsjagd zu Fuß durch die Stadt mit dem Eigentümer liefern. In der Optikerfiliale, in der er Unterschlupf sucht, ist die Verkäuferin nicht nur sehr nett und hilfsbereit, sondern auch sofort geil auf ihn. Daraufhin betritt er eine Bank, quatscht mit einem schnöseligen Bekannten über Frauen, verhält sich soziopathisch, singt und will mit der Brillenverkäuferin los – Ende. Was einem dieses Filmchen sagen will, weiß wohl nur Schmid allein.

Das folgende Zwischendrintro mit dem altbekannten Song zu irgendwelchen Bildern ist die letzte Hürde vor Wolfgang Bülds „Disco Satanika“, der Episode des neben Graf einzigen Filmemachers dieses Reigens, der es dank seines Gespürs für Sub- und Popkultur u.a. mit (Dokumentar-)filmen wie „Punk in London“, „Brennende Langeweile“, „Women in Rock“ und „Der Formel-Eins-Film“ zu etwas gebracht hat. So fällt auch dieser Horror-Thriller-Kurzfilm positiv aus der Reihe: In einer Disco läuft „Tanz den Mussolini“ der „Deutsch Amerikanischen Freundschaft“, während sich zwei Mädels über Jungs unterhalten. Ein Typ scheitert am Türsteher und wird unsanft vertrieben, gerät dabei unter einen Bus und erleidet so einen bösen Unfall. Schnitt, Krankenhaus: Seit drei Monaten verhält er sich vollkommen apathisch. Doch als er einer exotischen Arzthelferin in den tiefen Ausschnitt stiert, regt sich etwas in ihm und er ermordet sie vollkommen überraschend nach Vorbild eines US-Slashers. In den folgenden Disco-Szenen arbeitet Büld mit dem Split-Screen-Verfahren und peppt seinen Beitrag damit auch optisch weiter auf. Der Killer streift sich die Krankenschwesterkluft über und sprintet aus dem Hospital in Richtung Disco. Dort ist ein Pärchen in einem Auto am Rummachen, Büld fängt die entblößte Oberweite der Protagonistin ein. Der Mörder zieht sich derweil eine John-Travolta-Gummimaske über, beobachtet das lüsterne Treiben und schleicht sich in den Kofferraum. Ein befreundetes Pärchen will’s ebenfalls im Kfz miteinander treiben und wird dort vom Busopfer gemeuchelt. Unser maskierter Freund schlüpft in die peinliche Glitzer-Popper-Montur des nun toten Stechers, betritt die Disse mit seiner Maske und tanzt mit dem Mädchen, das zuerst das Auto besudelte. Sie entscheidet sich, spontan mit ihm fremdzugehen, doch vor der Tür nimmt er seine Travolta-Maske ab…

Wäre da nicht Grafs Episode, könnte man „Neonstadt“ attestieren, dass sich zumindest alle Beiträge grob um zwischenmenschliche Beziehungen drehen. Allen gemein ist aber wohl, dass sie die (emotionale) Einsamkeit verschiedenster Großstadtmenschen zum Inhalt haben, die anscheinend nicht in der Lage sind, ihr Glück in klassischen monogamen Partnerschaften zu finden. Wolfgang Bülds „Disco Satanika“ ragt jedoch als einziger aus dem ach so experimentellen, mehrdeutigen Brei heraus, indem er einen astreinen Slasher nach US-Vorbild in das Sujet einbringt und gleichzeitig die unsägliche Disco-Unkultur kräftig auf die Schippe nimmt. Einen blutigen Splatter-Beitrag sollte man hier nicht erwarten, seine Wirkung entfaltet der flott inszenierte Kurzfilm auch ohne Gekröse o.ä. Die immer leicht monotone Musik der „Fehlfarben“ zwischen Punk und NDW – zu „Paul ist tot“ gesellt sich später noch „Ein Jahr (Es geht voran)“ – passt prima zum Gezeigten, wenngleich vier von fünf Episoden nichtssagend bis verklausuliert sind, bisweilen aber angenehmes Zeitkolorit aus deutschen Landen transportieren. Unter die unbekannten, von erfrischend bis hölzern agierenden Laiendarsteller gesellten sich übrigens Charles Brauer, Michaela May, Axel Milberg und Billie Zöckler.

Re: Neonstadt - Büld/Graf/Schmid/Weilemann/von Lützelburg (1982)

Verfasst: So 7. Mär 2021, 07:50
von Maulwurf
Das Gegenstück zu DECODER, den ich ebenfalls diese Woche sah – Anbiedernd, aufgesetzt, und mit hohem Fremdschämfaktor versehen. Die Münchner Schicki-Micki-Szene läuft als Wave, Billie Zöckler sucht einen Traumprinzen und macht das Aschenputtel, und selbst die krude Agentenstory von Dominik Graf ist voller Fragezeichen: Was hat ein verhinderter Waffendeal mit einem Titel wie NEONSTADT zu tun? Einzig die Episode von Wolfgang Büld, DISCO SATANICA, hat eine interessante Geschichte und bietet etwas Unterhaltung. Aber insgesamt ist eine hübsche Episode zu wenig, wenn die anderen vier einfach nur zum entsetzen Fortschauen animieren ...

Re: Neonstadt - Büld/Graf/Schmid/Weilemann/von Lützelburg (1982)

Verfasst: Sa 26. Mär 2022, 06:08
von Maulwurf
 
Neonstadt
Deutschland 1982
Regie: Wolfgang Büld & Dominik Graf & Hans Schmid & Gisela Weilemann & Helmer von Lützelburg
Charles Brauer, April De Luca, Christiane Felscherinow, Wolfgang Fink, Barbara Freier, Axel Kuner, Michaela May, Axel Milberg, Axel Schmalschläger, Stefan Wood, Billie Zöckler


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Fünf Episoden rund um das Leben in der Großstadt.

Verliebt verlobt verheiratet BRDigt – Gisela Weilemann
Auf der Suche nach Zigaretten kommt ein jungscher Typ in eine Kneipe, wo er bei einem Stromausfall mit der Bedienung vögelt. Seine Freundin, die im Hotelzimmer auf ihn wartet, verlässt ihn bei seiner Rückkehr und bezahlt ohne sein Wissen das Zimmer. Die Freundin gabelt einen anderen Typen auf, aber zwischen den beiden läuft nichts. Dieser andere Typ geht dann in eine Disco, wo er eine notgeile Betrunkene findet, die mit ihm ins Bett will. Der Portier im Hotel gibt den beiden dann den Schlüssel für genau das Zimmer, wo der Typ vom Anfang noch schläft.

Star – Helmer von Lützelburg
Billie Zöckler ist eine graue Maus, die bei der Telefonauskunft arbeitet, und sich in ihrer Freizeit einen Prinzen erträumt. Mit Hilfe eines Schönheitssets wird sie zur, etwas altjüngferlich aussehenden, Prinzessin der Nacht und besucht einen Ball der einsamen Herzen. Wo ihr eigener Postbote auf sie aufmerksam wird. Doch sie macht das Aschenputtel und flüchtet.

Running Blue – Dominik Graf
Zwei Männer treffen sich in einem Park. Es geht wahrscheinlich um einen Waffendeal. Doch der eine der beiden argwöhnt, dass sein Geschäftspartner von der Polizei ist.

Panter Neus – Hans Schmid
Panter Noice lebt bei seiner Mutter, die ihn aber gerade hochkant rauswirft. Er zieht durch die Stadt, die Frauen fliegen völlig auf ihn, und er macht eigentlich gar nichts. Flirtet hier ein wenig, klaut dort eine Jacke, unterhält sich mit einem Kumpel, hält einem Banker ein Messer an den Hals und das war‘s.

Disco Satanica – Wolfgang Büld
Die junge Tina vom Land geht in der Großstadtdisco völlig auf. Tanzen, knutschen, vögeln – Sie hat ihr Ding gefunden. Ihr Bauernfreund Hans will sie aus der Disco herausholen, kommt aber bei der Auseinandersetzung mit dem Türsteher unter einen LKW. Nach 3 Monaten ist er katatonisch und schwerst verletzt, erst der üppige Ausschnitt der Krankenschwester und laute Musik aus einem Radio erwecken ihn wieder zum Leben. Mit einer John Travolta-Maske über seinem zerstören Gesicht geht er wieder in die Disco – Sein Ziel heißt Rache!

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Schon seltsam, wie es manchmal so läuft. In der vergangenen Woche habe ich fünf Filme gesehen, von denen drei unter den Begriff Etikettenschwindel fallen. THE HOOLIGAN CLUB ist ein starkes Drama, das aber mit Hooligans genauso viel zu tun hat wie zum Beispiel mit Cowboys. In DES ROCKERS TOLLE HUNDE treten Rocker ziemlich genau drei Minuten auf, und die dafür verantwortlichen Marketingsäcke sollten vielleicht mal ein paar Kilometer hinter den Maschinen der nicht existenten Biker hergezogen werden. Und dann ist da noch NEONSTADT.

Neonstadt, das klingt nach Plastik Neon und Beton. Leben im Herzen der toten Städte. Zurück zur U-Bahn, zurück zum Beton. Beim Elektrizitätswerk da traf ich sie wieder. Wir leben im Computerstaat. Einsame junge Menschen auf der Suche nach Liebe, Musik und einem Bier. Oder zweien.
Und was ist NEONSTADT tatsächlich? Nun, wenn ich positiv sein soll geht es um Leben in der Großstadt in seinen verschiedenen Facetten. Allein lebende Menschen (STAR), Schicki-Mickis beim Schwofen (DISCO SATANICA), modernes Großstadtleben im Jahre X nach Oskar Kolle (VERLIEBT …), modern-verwirrte Jugendliche auf Sinnsuche (PANTER NEUS), coole Agentenspielchen im Halbschatten der großen Stadt (RUNNING BLUE). Das Problem dabei: Mit dem, was das Wort Neonstadt assoziiert, hat das genauso viel zu tun wie zum Beispiel Hooligans mit Cowboys – Nämlich rein gar nichts.

Stattdessen ärgert der Zuschauer sich über eine Zusammenstellung seltsamer Kurzfilmchen, die ohne ernsthaften Zusammenhang hintereinander geklatscht werden, und mit dem alten Punk-Klassiker Paul ist tot der Fehlfarben zusammengehalten werden. Allein die Profanisierung dieses Liedes, die Negation dessen, was dieses Lied eigentlich aussagen möchte, schmerzt schon sehr. Die eigentliche Aussage des Songs, Ich will nicht was ich seh‘, ich will was ich erträume wird ausgeblendet, stattdessen sehen wir Menschen beim Essen Trinken Poppen die nicht das bekommen was sie eigentlich haben wollen, und sich dann beim Singen der Zeilen Was ich haben will das krieg ich nicht, und was ich kriegen kann das gefällt mir nicht filmen lassen. Ein Stück Kuchen, sexuelle Befriedigung, Befreiung vom Abwasch. Das ist ungefähr so, wie wenn ich John Lennons Imagine damit bebildere, dass sich jemand ein Stück Kuchen vorstellt, oder ein buntes Auto. Ist es wahr, dass Eckhart Schmidt NEONSTADT produziert hat? Eigentlich hätte der es doch besser wissen sollen …

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Es soll also, das lese ich in der Wikipedia, darum gehen, dass „das illusionslose Dasein der Jugend zu Beginn der 1980er Jahre“ dargestellt wird. Abgesehen davon, dass so ein Satz plakativ-nichtssagend ist und eher das Marketing berücksichtigt als inhaltliche Aspekte, abgesehen davon frage ich mich, welche Jugend im Film damit gemeint ist? Die gestylten Hupfdohlen in VERLIEBT… oder DISCO SATANICA? Die Agenten in RUNNING BLUE? Die ältere Frau in STAR? Einzig PANTER NEUS hätte das Zeug dazu eine Jugend im Auf- und Umbruch darstellen, aber die Mutlosigkeit Hans Schmids, die diesen Film komplett in den Sand setzt, ist schon bemerkenswert. Was noch so ein klein wenig beginnt wie das düstere Skinheaddrama MADE IN BRITAIN, mit einem nach Gewalt riechenden und schwer erklärbaren Youngster mit häuslichen Problemen, mündet schnell in einer dümmlich-durchgeknallten Farce um einen Deppen, dem die Frauen hinterherrennen (warum, kann ich in keinster Weise nachvollziehen), und der außer ein paar dämlichen Streichen nichts macht. Panter Neus hat keine Wut, keine Attitüde, keinen Charakter – Er hat einfach gar nichts. Und dafür gab es ein Filmband in Gold? Wow, warum nicht gleich einen verkackten Oscar …?

Ja, in den Jugendlichen in VERLIEBT… kann ich mich selbst rückblickend durchaus ein Stückchen wiederkennen. Das Treibenlassen, die Ziellosigkeit, das pragmatische Mal sehen … Gleichzeitig wird aber auch hier wieder dieses Mutlosigkeit sichtbar, welche die Regisseurin dazu brachte, sich auf die Darstellung eines mal mehr und mal weniger erfolgreichen Flirtens zu beschränken. Schauspielerisch mag es für Michaela May eine Wohltat gewesen sein, parallel zu den weichgespülten Fernsehrollen auch mal eine Femme Fatale spielen zu können, inhaltlich bringt das der Folge rein gar nichts. Als authentisch betrachte ich die kurze Romanze zwischen dem ersten Typen und der Bedienung – Ein schneller Fick im Hinterzimmer, und weiter. Sehr wohl in der Realität angesiedelt, aber bei allem anderen außenrum, den Typen, dem Ambiente, der schlechten Musik, wird die Dekadenz einer Promistadt wie München sichtbar, die mit der erdigen und schmutzigen Realität in den großen Städten der BRD rein gar nichts zu tun hatte. Der Brennpunkt der Jugend des Landes zu dieser Zeit lag in Berlin-Kreuzberg, im Hamburger Hafenviertel oder in der Kölner Altstadt. Aber bestimmt nicht in München, da kamen der Wahrnehmung nach eh nur die feinen Pinkel her. Was dann auch wieder irgendwo passt, wirkt der ganze Film NEONSTADT doch wie die Musik der zu dieser Zeit so erfolgreichen Band Münchner Freiheit: Weichgewaschen, schmusig, dümmlich …

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Einzig die letzte Folge hat zumindest Witz, wenn der einstige Punk-Dokumentarist Wolfgang Büld (BRENNENDE LANGEWEILE) eine launige Geschichte darum spinnt, dass ein fast Toter zurückkehrt, um blutige Rache zu nehmen an der Frau die ihn so schmählich verraten hat. Zwar ist auch hier das Ambiente eher das der Popper, unterlegt mit den damals gerade aktuellen Hits des deutschen Postpunks (was man den Tanzszenen auch ansieht: Wer beim Mussolini so desinteressiert mit dem Arsch gewackelt hat, der war sicher niemals in einer derjenigen Discos, in denen beim Mussolini die Tanzfläche gekocht hat …), aber hier kommt wenigstens ein wenig Authentizität auf, und die Geschichte ist wirklich drollig. Die Verbindung von etwas Sex (die Krankenschwester in Strapsen) und etwas Horror (die Enthüllung des Gesichts unter der Maske) ist typisch Wolfgang Büld, und macht Spaß anzuschauen. Mehr von einem der beiden (oder gar von beidem gleichzeitig) wäre aber für den Produzenten wahrscheinlich zuviel gewesen. Wobei, hat Eckhart Schmid nicht ein paar Jahre später ALPHA CITY gedreht? Und LOFT? 1982 war DER FAN ja auch nicht ganz arm an Sex und Horror – Warum hier so zurückhaltend??

Diese letzte Folge könnte den Zuschauer fast ein wenig versöhnen, aber der Schwachsinn vor allem der zweiten und dritten Folge ist dann einfach zu viel: Die märchenhafte Geschichte um Billie Zöckler ist nett, und könnte so auch in jedes Hollywood-Melodram passen, hat aber in einer Kompilation über jugendliches Befinden nichts, aber auch rein gar nichts verloren. Und die Agentenstory ist nicht nur vollkommen deplatziert, sondern auch noch voller kruder Details, die einfach nur ärgern und zum Fremdschämen einladen.

Fremdschämen, das ist das Wort. Schon bei der ersten Episode habe ich mich ein paar Mal über mein Handy hergemacht und mich um andere Dinge gekümmert. Es war mir schlicht und ergreifend unangenehm, das Treiben auf dem Bildschirm zu verfolgen. Unangenehm im Sinne von schlechten Darstellern mit mieser Sprechtechnik, die sich durch eine Handlung eiern die diesen Namen nicht verdient. Mir tut es leid um Christiane Felscherinow, die hier einen echten Glanzpunkt setzt, sowohl in Bezug auf die Authentizität als auch auf das schauspielerische Können, deren glänzende und wunderschöne Augen die Episode beschließen, und ich hätte es gerne gesehen wenn sie bei der Schauspielerei geblieben wäre. Diese Attribute treffen auch auf die Darstellerinnen der letzten Episode zu, die echt und in hohem Maße authentisch wirken. So waren die Disco-Tussis damals, aber, meine Wortwahl ist Absicht, eben die Disco-Tussis. In der Postpunk- und gerade vorsichtig beginnenden Wave-Szene war die Attitüde eine andere. Grundlegend anders. Wer sehen will, was damals anstatt in den Münchener Szene-Discos auf den Berliner Straßen los war, der soll sich Carl Schenkels KALT WIE EIS geben. Der zeigt die Zeit wie sie wirklich war, mit einem griffigen Action-Aufhänger versehen und rundum gelungen. Und um die Stimmung der Zeit zu erfassen empfehle ich entweder den avantgardistischen DECODER, dessen Grundhaltung den damaligen Zeitgeist perfekt traf. Oder den erstklassigen Dokumentarfilm B-MOVIE: LUST & SOUND IN WEST-BERLIN 1979-1989, der die Stimmung dieser Tage ungeschminkt wiedergibt. Na ja, wahrscheinlich nicht die Stimmung in München …

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NEONSTADT kann verstanden werden als anbiedernder und spießiger Versuch, aus einer Jugendbewegung, denn das war es 1981 sehr wohl noch, so viel Geld herauszuschlagen wie es geht. Das beginnt bei dem Werbespruch „Gewitter der Gefühle. Immer unter Strom. Der Rest ist uns egal.“, der ohne weiteres aus einer Schnulze einer drittklassigen NDW-Hitparaden-Combo stammen könnte, und endet beim peinlichen BRDdigt im Titel der ersten Episode. BRDigt – das klingt nach Unruhe, nach Aufbegehren gegen die Politik, nach Steinewerfen in 36, nach Soundtrack zum Untergang oder generell nach frecher Jugend-Gegen-Kultur. Aber als Titel einer Episode, in der es um eine Gelegenheit zum Sex geht und um nichts anderes, ist das, höflich ausgedrückt, Etikettenschwindel. Oder einfach nur Verarsche. Das, was 1978 dem Punk in England passiert ist, hat dann ab 1982 auch den Weg nach Deutschland gefunden: Die Kommerzialisierung einer geerdeten und bodenständigen Jugendkultur. Und auch, wenn NEONSTADT damals nicht wirklich erfolgreich in den Kinos lief, so bezeichne ich dieses Machwerk trotzdem allen Ernstes als einen der Grabsteine dieser Entwicklung.

3/10