Freeze Frame - John Simpson (2004)

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Freeze Frame - John Simpson (2004)

Beitrag von buxtebrawler »

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Originaltitel: Freeze Frame

Herstellungsland: Großbritannien / Irland (2004)

Regie: John Simpson

Darsteller: Lee Evans, Sean McGinley, Ian McNeice, Colin Salmon, Rachael Stirling, Rachel O'Riordan, Andrew Wilson, Andrea Grimason, Martin McSharry, Gabriella Henriette, Emily Anthony, Hawk Younkins u. A.
Vor 10 Jahren wurde Sean Veil (Lee Evans) beinahe Opfer eines Justizirrtums, infolge dessen er fast unschuldig wegen Mordes verurteilt worden wäre. Seitdem lebt er in ständiger Angst, das sich dieser für ihn traumatische Vorfall wiederholen könnte. Um dem vorzubeugen hat Sean vor 10 Jahren angefangen seinen gesamten Tagesablauf akribisch per Videokamera zu dokumentieren, er zeichnet 24 Stunden am Tag sich selbst auf und archiviert die mittlerweile über 90.000 Video-Bänder in einem feuersicheren, bunkerartigen Raum. Seine hochgradige Paranoia, sein Tick ständig alles um sich herum aufzuzeichnen und die Tatsache, dass die Öffentlichkeit ihn immer noch für den Schuldigen hält, hat ihn weitgehend von seiner Umwelt isoliert. Jetzt nach fast einem Jahrzehnt geschieht trotz all seiner Vorkehrungen dennoch das Undenkbare: Sean wird wieder als Mordverdächtiger verhaftet - und wie es scheint gibt es in seiner vermeintlich lückenlosen Selbstüberwachung eine Lücke ...
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Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Re: Freeze Frame - John Simpson (2004)

Beitrag von buxtebrawler »

„Brad Pitt war nicht verfügbar!“

Nach einem Kurzfilm in den 1990ern debütierte Regisseur John Simpson im Jahre 2004 mit dem in britisch-irischer Koproduktion entstandenen Thriller „Freeze Frame“, der sich der Thematik totaler Überwachung aus einer ungewöhnlichen Perspektive annimmt:

Sean Veil (Lee Evans, „Verrückt nach Mary“) wurde vor zehn Jahren beinahe wegen Mordes verurteilt, ein Verbrechen, das er stets abgestritten hat und gegenüber Menschen, die noch immer an seine Schuld glauben, weiterhin abstreitet. Aus Angst, dass ihm etwas Ähnliches noch einmal passieren könnte, hat er – um stets ein Alibi vorweisen zu können – begonnen, sein komplettes Leben mit dutzenden Videokameras festzuhalten und die abertausend Bänder in einem eigens abgesicherten Raum seines Industriegebiet-Kellerkomplexes zu archivieren – jeden Tag, jede Stunde, jede Sekunde. Damit niemand falsche Spuren legen kann, hat er sich in seiner Paranoia gar sämtliche Körperbehaarung entfernt und pflegt fast permanent Handschuhe zu tragen. Zwar lebt er dadurch weitestgehend isoliert von der Außenwelt, doch wähnt er sich in Sicherheit vor der nicht an seine Unschuld glaubenden Öffentlichkeit und den Bemühungen des mit seinen Büchern zum Fall reichgewordenen Kriminologen Saul Seger (Ian McNeice, „I’ll Be There“) und des totkranken Detectives Louis Emeric (Sean McGinley, „Shrooms – Im Rausch des Todes“), ihn doch noch des Mordes überführen zu können. Er lernt die Reporterin Katie Jasper (Rachael Stirling, „Dangerous Parking“), die Tochter der ermordeten Susan Jasper und Schwester der ebenfalls ermordeten Zwillinge, kennen, die für ihre eigene Recherche den Kontakt zu ihm sucht und angibt, ihm zu glauben. Doch kurz darauf taucht eine weitere Leiche auf, die der vor fünf Jahren ermordeten Mary Shaw – und Sean wird als Tatverdächtiger verhaftet. Als er seine Unschuld mithilfe der Videobänder beweisen will, fehlen ausgerechnet die des fraglichen Zeitraums…

Mit „Freeze Frame“ wird also die Perspektive eines Mannes gewählt, der sich freiwillig einer totalen Überwachung aussetzt, um diese gegen die Mächtigen, in diesem Falle Staat und Strafverfolgungsbehörden, einsetzen zu können. Viele Szenen werden aus Perspektive einer der zahlreichen privaten Kamera Seans gezeigt, was Simpsons Film eine Mischung aus Found-Footage- und modernistischem Cyber-Look verleiht, der von kalten Blautönen beherrscht wird. Der zuvor auf komische Rollen abonnierte Lee Evans fasziniert als aufbrausender, verzweifelter Paranoiker, der durch den Mordprozess vollkommen aus der Bahn geworfen wurde und sich sein eigenes Gefängnis geschaffen hat. Viele Monologe aus dem Off helfen, ihn zu charakterisieren und lange Zeit bleibt es spannend, ob es sich a) tatsächlich um einen Unschuldigen handelt, b) er die Tat(en) bei vollem Bewusstsein begangen hat und dies zu verschleiern versucht oder c) er der Täter ist, dies aber gar nicht weiß (aufgrund einer gespaltenen Persönlichkeit, Amnesie o.ä.). Letzteres hätte zumindest gut in den Thriller-Trend der Entstehungszeit gepasst.

Schwer unsympathisch wirkt jedenfalls der selbstgerechte Mr. Seger und der ständig hustende Detective ist auch nicht gerade die Ausgeburt an Menschenfreundlichkeit – ich vermute, dass nicht nur ich als Zuschauer dazu neigte, um Seans Unschuld zu hoffen, aber gleichzeitig zu fürchten, dass an den Vorwürfen doch etwas dran sein könnte. Doch anstatt seinen Ansatz der totalen Überwachung und Datensammelwut weiterzuverfolgen, die mit ihr einhergehenden Gefahren und Manipulationsmöglichkeiten aufzuzeigen, darzustellen, wie sie sich perfiderweise gegen ihren Erzeuger Sean richtet, werden diese Aspekte lediglich zur nebensächlichen Begleiterscheinung einer Handlung degradiert, die irgendwann konstruiert erscheint wie ein 9Live-Wörterrätsel. Die unterschiedlichen Charaktere verhalten sich immer weniger nachvollziehbar, was in zahlreichen erzwungen wirkenden Wendungen nach Art eines unwahrscheinlichen Kriminalfilms sowie einer unfassbar hirnrissigen und zudem extrem prüden Sexszene mündet. Spätestens im letzten Drittel versagt das Drehbuch total und macht „Freeze Frame“ trotz seiner zahlreiche Haken schlagenden Handlung zu einer zähen Angelegenheit, deren Ende man herbeisehnt.

Wie so viele ambitionierte Frühwerke der neueren Zeit verfügt auch „Freeze Frame“ über vielversprechende Ideen, darüber hinaus über intensives Schauspiel des Hauptdarstellers und in diesem Falle sogar eine ungewöhnliche, sehenswerte Optik, wirkt aber nicht zu Ende gedacht, unausgegoren und letztlich ärgerlich wie ein nichteingelöstes Versprechen. Wie Simpson seinen Film vom dystopisch anmutenden Neo-Noir-Thriller mit psychologischem Tiefgang zum Allerwelts-Privatfernsehen-Krimi entarten lässt, ist traurig und bezeichnend zugleich.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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