Rabies - Aharon Keshales / Navot Papushado (2010)
Verfasst: Sa 23. Jan 2016, 13:09
Originaltitel: Kalevet
Regie: Aharon Keshales / Navot Papushado
Produktionsland: Israel 2010
Darsteller: Ania Bukstein, Yael Grobglas, Henry David, Ran Danker, Lior Ashkenazi, Ofer Shechter
First ever Israel horror feature, sagt die imdb über KALEVET, und wer bin ich mit meinen äußerst rudimentären Kenntnissen der israelischen Filmgeschichte, dass ich dagegen Einwände erheben würde? International ist KALEVET, bei dem Aharon Keshales und Navot Papushado gemeinschaftlich für Regie, Drehbuch und Montage verantwortlich zeichneten, besser bekannt unter dem Titel RABIES – A BIG SLASHER MASSACRE. Auch erinnert die Ausgangssituation des Werks verdächtig an ganze Generationen US-amerikanischer Tennie-Slasher: eine Gruppe junger Menschen beiderlei Geschlechts, die einander nicht viel mehr zu sagen haben als die üblichen (sexuellen) Witzeleien, verirren sich bei einer Fahrt zu einem Tennismatch irgendwo in den recht lichterfüllten Wäldern Israels. Als ihnen ein weiterer Jüngling vor den Kühler läuft, und eher unzusammenhängend davon erzählt, dass seine Schwester ganz in der Nähe in eine Falle geraten sei, aus der sie allein nicht mehr herauskönne, und die wohl irgendein Verrückter extra zu diesem Zweck, nämlich das Fangen von einsamen Wanderern, aufgestellt hat, nehmen die Dinge ihren, könnte man meinen, voraussehbaren Lauf. Der männliche Teil unserer Gruppe bricht in den Forst auf, um das Mädchen zu retten, der weibliche bleibt beim Fahrzeug zurück, um auf die bereits alarmierte Polizei zu warten. Schon bald hallt der Wald wider von grellen Schreien, Blutfontänen schießen gegen Baumstämme, und Menschen sterben unter unnennbaren Martern. Also alles wie gehabt?
Tatsächlich ist KALEVET von seinem ganzen Ansatz her völlig anders geraten als man es sich bei meiner obigen Inhaltsangabe vorstellen mag. Statt dass Keshales und Papushado einfach das US-amerikanische Konzept für den von ihm sicher noch nicht allzu sehr gesättigten israelischen Markt adaptieren würden, setzen sie völlig eigene Schwerpunkte, von denen ich die wichtigsten kurz herausgreifen möchte. Obwohl KALEVET zunächst voll zu sein scheint von den altbekannten Stereotypen wie dem ein bisschen unbedarften Blondinchen, einem chauvinistischen Cop, einem dynamischen, drahtigen Helden, der Frauenherzen im Sturm erobert, einer toughen Powerfrau mit feministischer Agenda, schaffen Keshales und Papushado es, dem Zuschauer diese auf den ersten Blick reichlich eindimensionalen, schablonenhaften Charakteren mit zunehmenden Laufzeiten immer näher zu bringen. Vor allem hat das damit zu tun, dass jede der Figuren eine kleine Hintergrundgeschichte zugeschrieben bekommt, ein bestimmtes Problem, mit dem sie zu kämpfen hat, ein Konflikt, in dem sie steckt: so versucht der schwachbrüstigere der beiden Polizisten, verzweifelt seine Frau zu erreichen, um sie von ihrem Entschluss abzubringen, sich von ihm zu trennen, sein Partner wiederum leidet unter dem desolaten Verhältnis zu seinem Vater, das Bruder-Schwester-Gespann befindet sich auf der Flucht vor einer Familie, die ihre inzestuöse Liebe nicht toleriert, zwischen den beiden Männern unserer Teenie-Truppe gibt es unausgesprochene Eifersüchteleien und Neidereien. Das alles sind, einmal von der Inszestgeschichte abgesehen, keine welterschütternden Tragödien, doch gerade darin liegt gerade ihr Erfolgsgeheimnis. Irgendeine der Situationen, unter denen die Figuren in KALEVET leiden, hat wohl jeder von uns irgendwann einmal durchlebt, was es umso leichter macht, uns in irgendeine der Figuren hinein zu fühlen.
Eine weitere Überraschung ist, was Keshales und Papushado mit diesem Ensemble divergierendster Charaktere nun anstellen. Alle, die KAVELET noch sehen wollen, sei hiermit abraten, weiterzulesen, denn nun komme ich zum Kern des Ganzen, der eben nicht daraus besteht, eine Figur nach der andern von einem gesichts- und namenlosen Schlächter auf möglichst blutige und innovative Weise vom Leben in den Tod befördern zu lassen. Zwar existiert dieser Schlächter, doch beschränkt sich seine Rolle auf die einer bloßen Nebenfigur. Er hat Fallen aufgestellt, tritt manchmal als Verfolger im Hintergrund in Erscheinung, ansonsten verstehen es seine Opfer perfekt, sich von ganz alleine in einem Sog der Gewalt zu verfangen, der dazu führt, dass sie niemanden Externes brauchen, um sich gegenseitig das Leben schwer und den Tod leicht zu machen. KALEVET erscheint wie eine Sammlung von Missverständnissen, Verwechslungen und natürlich vor allem Momenten, in denen unsere Helden, erst einmal mit der Gewalt konfrontiert, sämtliche Triebregulierungsmaßnahmen ihrer gesellschaftlichen Erziehung von sich streifen, und zu Bestien werden, die, von vielleicht niederen, aber höchst aktiven Instinkten geleitet, dem inneren Wolf komplett freien Lauf lassen. So werden Freunde zu Feinden, anfangs noch verschüchterte Mädchen zu rational taktierenden Killern, und Helfer in der Not, für Mordbuben gehalten, zu armen Opfern der Entwicklungen. Dass diese Entwicklungen nicht linear, sondern bruchstückhaft, zerstückelt in einzelne, manchmal zueinander parallel verlaufende Episoden erzählt werden, ist für mich der wohl größte Pluspunkt von KALEVET. Ständig schalten Keshales und Papushado zwischen den synchronen Ereignissen hin und her. Meist endet das jeweilige Fragment gerade dort, wo die Schaulust des Zuschauers am besten befriedigt geworden wäre. In einer Szene ist einer der Jungs in eine Bärenfalle getappt. Man will sie auseinanderstemmen, er hat ein paar Sekundenbruchteile, um aus ihr heraus zu hüpfen. Exakt in dem Moment, als dies geschieht, wechselt KALEVET den Schauplatz und reißt uns aus dem Spektakel, so, als wolle der Film, indem er gerade nicht zeigt, auf was wir warten, uns und unseren Sehgewohnheiten einen Spiegel vorhalten.
Das mit dem Spiegel ist überhaupt eine gute Metapher. So wie sich die Schicksale der Figuren in gewisser Weise permanent ineinander spiegeln, so spiegelt KALEVET möglicherweise auch eine gewisse moralische Grundhaltung wider, die in Israel noch stärkeres Gewicht hat als beispielweise in den Vereinigten Staaten. Was nämlich auffällt, ist nicht nur, wie sehr der Film Anteil nimmt an den Menschen, die sinnlos und qualvoll in ihm zugrunde gehen, jedes dieser Schicksale kann, wenn man möchte, auch gelesen werden als eine Parabel mit einer subtilen Moral am Ende, die den Zuschauer zum Nachdenken über sein eigenes Leben veranlassen soll, über Fehler, die er gemacht hat, über Dinge, die er besser sofort ins Reine bringt, bevor er morgen aus irgendeinem Grund seinen Kopf verliert. Beileibe will ich KALEVET nicht überinterpretieren, doch kommt es mir vor, als stecke in diesem recht unterhaltsamen, ziemlich originellen, und zuweilen außerordentlich spannendem Thriller gar nicht allzu versteckt eine zutiefst ethisch-religiöse Botschaft, für die all das äußere Slasher-Brimborium nichts weiter ist als Mittel zum Zweck. Wenn der oben bereits erwähnte Polizist, der seine Liebste zurückgewinnen möchte, sich, tödlich verletzt, noch bis zu seinem Haus schleppt, durchs Fenster eindringt, nur um sie noch einmal anrufen und ihr sterbend auf den Anrufbeantworter sprechen zu können, wie sehr er sie liebe, dann ist das eine Szene, von der man sich mit dem Vorwurf der Gefühlsduselei mit Schrecken abwendet oder aber ehrlich von ihr ergriffen wird – und ich tendiere zu Letzterem.
Tatsächlich ist KALEVET von seinem ganzen Ansatz her völlig anders geraten als man es sich bei meiner obigen Inhaltsangabe vorstellen mag. Statt dass Keshales und Papushado einfach das US-amerikanische Konzept für den von ihm sicher noch nicht allzu sehr gesättigten israelischen Markt adaptieren würden, setzen sie völlig eigene Schwerpunkte, von denen ich die wichtigsten kurz herausgreifen möchte. Obwohl KALEVET zunächst voll zu sein scheint von den altbekannten Stereotypen wie dem ein bisschen unbedarften Blondinchen, einem chauvinistischen Cop, einem dynamischen, drahtigen Helden, der Frauenherzen im Sturm erobert, einer toughen Powerfrau mit feministischer Agenda, schaffen Keshales und Papushado es, dem Zuschauer diese auf den ersten Blick reichlich eindimensionalen, schablonenhaften Charakteren mit zunehmenden Laufzeiten immer näher zu bringen. Vor allem hat das damit zu tun, dass jede der Figuren eine kleine Hintergrundgeschichte zugeschrieben bekommt, ein bestimmtes Problem, mit dem sie zu kämpfen hat, ein Konflikt, in dem sie steckt: so versucht der schwachbrüstigere der beiden Polizisten, verzweifelt seine Frau zu erreichen, um sie von ihrem Entschluss abzubringen, sich von ihm zu trennen, sein Partner wiederum leidet unter dem desolaten Verhältnis zu seinem Vater, das Bruder-Schwester-Gespann befindet sich auf der Flucht vor einer Familie, die ihre inzestuöse Liebe nicht toleriert, zwischen den beiden Männern unserer Teenie-Truppe gibt es unausgesprochene Eifersüchteleien und Neidereien. Das alles sind, einmal von der Inszestgeschichte abgesehen, keine welterschütternden Tragödien, doch gerade darin liegt gerade ihr Erfolgsgeheimnis. Irgendeine der Situationen, unter denen die Figuren in KALEVET leiden, hat wohl jeder von uns irgendwann einmal durchlebt, was es umso leichter macht, uns in irgendeine der Figuren hinein zu fühlen.
Eine weitere Überraschung ist, was Keshales und Papushado mit diesem Ensemble divergierendster Charaktere nun anstellen. Alle, die KAVELET noch sehen wollen, sei hiermit abraten, weiterzulesen, denn nun komme ich zum Kern des Ganzen, der eben nicht daraus besteht, eine Figur nach der andern von einem gesichts- und namenlosen Schlächter auf möglichst blutige und innovative Weise vom Leben in den Tod befördern zu lassen. Zwar existiert dieser Schlächter, doch beschränkt sich seine Rolle auf die einer bloßen Nebenfigur. Er hat Fallen aufgestellt, tritt manchmal als Verfolger im Hintergrund in Erscheinung, ansonsten verstehen es seine Opfer perfekt, sich von ganz alleine in einem Sog der Gewalt zu verfangen, der dazu führt, dass sie niemanden Externes brauchen, um sich gegenseitig das Leben schwer und den Tod leicht zu machen. KALEVET erscheint wie eine Sammlung von Missverständnissen, Verwechslungen und natürlich vor allem Momenten, in denen unsere Helden, erst einmal mit der Gewalt konfrontiert, sämtliche Triebregulierungsmaßnahmen ihrer gesellschaftlichen Erziehung von sich streifen, und zu Bestien werden, die, von vielleicht niederen, aber höchst aktiven Instinkten geleitet, dem inneren Wolf komplett freien Lauf lassen. So werden Freunde zu Feinden, anfangs noch verschüchterte Mädchen zu rational taktierenden Killern, und Helfer in der Not, für Mordbuben gehalten, zu armen Opfern der Entwicklungen. Dass diese Entwicklungen nicht linear, sondern bruchstückhaft, zerstückelt in einzelne, manchmal zueinander parallel verlaufende Episoden erzählt werden, ist für mich der wohl größte Pluspunkt von KALEVET. Ständig schalten Keshales und Papushado zwischen den synchronen Ereignissen hin und her. Meist endet das jeweilige Fragment gerade dort, wo die Schaulust des Zuschauers am besten befriedigt geworden wäre. In einer Szene ist einer der Jungs in eine Bärenfalle getappt. Man will sie auseinanderstemmen, er hat ein paar Sekundenbruchteile, um aus ihr heraus zu hüpfen. Exakt in dem Moment, als dies geschieht, wechselt KALEVET den Schauplatz und reißt uns aus dem Spektakel, so, als wolle der Film, indem er gerade nicht zeigt, auf was wir warten, uns und unseren Sehgewohnheiten einen Spiegel vorhalten.
Das mit dem Spiegel ist überhaupt eine gute Metapher. So wie sich die Schicksale der Figuren in gewisser Weise permanent ineinander spiegeln, so spiegelt KALEVET möglicherweise auch eine gewisse moralische Grundhaltung wider, die in Israel noch stärkeres Gewicht hat als beispielweise in den Vereinigten Staaten. Was nämlich auffällt, ist nicht nur, wie sehr der Film Anteil nimmt an den Menschen, die sinnlos und qualvoll in ihm zugrunde gehen, jedes dieser Schicksale kann, wenn man möchte, auch gelesen werden als eine Parabel mit einer subtilen Moral am Ende, die den Zuschauer zum Nachdenken über sein eigenes Leben veranlassen soll, über Fehler, die er gemacht hat, über Dinge, die er besser sofort ins Reine bringt, bevor er morgen aus irgendeinem Grund seinen Kopf verliert. Beileibe will ich KALEVET nicht überinterpretieren, doch kommt es mir vor, als stecke in diesem recht unterhaltsamen, ziemlich originellen, und zuweilen außerordentlich spannendem Thriller gar nicht allzu versteckt eine zutiefst ethisch-religiöse Botschaft, für die all das äußere Slasher-Brimborium nichts weiter ist als Mittel zum Zweck. Wenn der oben bereits erwähnte Polizist, der seine Liebste zurückgewinnen möchte, sich, tödlich verletzt, noch bis zu seinem Haus schleppt, durchs Fenster eindringt, nur um sie noch einmal anrufen und ihr sterbend auf den Anrufbeantworter sprechen zu können, wie sehr er sie liebe, dann ist das eine Szene, von der man sich mit dem Vorwurf der Gefühlsduselei mit Schrecken abwendet oder aber ehrlich von ihr ergriffen wird – und ich tendiere zu Letzterem.