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Zan- e khoon-asham - Mostafa Oskooyi (1967)

Verfasst: Mo 15. Feb 2016, 20:44
von Salvatore Baccaro
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Originaltitel: Zan-e khoon-asham

Produktionsland: Iran 1967

Regie: Mostafa Oskooyi

Darsteller: Mostafa Oskooyi, Mahindokht, Mehdi Fat'hi, Homayoondokht, Valiyollah Shirandami
Vor knapp fünfzehn Jahren, als ich damit anfing, mich, gerade erst an das althergebrachte gewöhnt, für das eher abseitige Kino zu interessieren, konnte mich im Prinzip kein äußeres Hindernis, einmal abgesehen von fehlender Verfügbarkeit, davon abhalten, mir seltene, geheimnisumwitterte Filme anzuschauen, die Freunde von mir aus dubiosen Internetquellen gesaugt hatten, obwohl es im Internet selbst zu diesem Zeitpunkt kaum Informationen über sie zu finden gab. Ich erinnere mich an eine DVD-R von Thierry Zénos VASE DE NOCES, die offensichtlich auf Grundlage einer völlig verrauschten VHS entstanden sein muss. Ich merkte erst etwa in Filmmitte, dass Ton und Bild asynchron zueinander standen. Nachdem der namenlose Bauer sein geliebtes Schwein von hinten genommen hatte, dauerte das irgendwie desinteressierte Grunzen auf der Tonspur noch an, obwohl der Geschlechtsakt längst vorbei war. Auch erinnere ich mich an eine Kopie von Alberto Cavallones BLUE MOVIE mit etwas besserer Bildqualität, dafür komplett ohne Untertitel. Auf die paar italienischen Wortfetzen zurückgeworfen, die ich mit einiger Mühe noch verstehen konnte, und vor allem die mich schlicht erschütternden Bilder, musste ich mir die Handlung des Films selbst zusammenreimen. Wie sich Jahre später herausstellte, als ich endlich eine Fassung von BLUE MOVIE mit englischen Untertiteln sehen konnte, lag ich mit meiner phantasievollen Deutung gar nicht mal allzu weit entfernt von der tatsächlichen Geschichte. Dann gab es natürlich noch einige Werke Andy Warhols, KISS zum Beispiel und Teile von EMPIRE, die jemand in einem Kino direkt von der Leinwand abgefilmt hatte. Dementsprechend war dann natürlich auch die Bildqualität. Mit etwas Glück konnte man noch die Lippen der Küssenden erahnen und die Stelle, wo die Außenränder des Empire State Buildings endeten und der Nachthimmel anfing.

In solchen Momenten fühlte ich mich wie ein Entdeckungsreisender, wie ein Fuß, der zum ersten Mal auf einen fremden Kontinent gesetzt wird. Ich zählte mich zu einer Handvoll von Menschen, die überhaupt jemals von diesem oder jenem Film gehört hatten, und dann noch einmal zu einer noch viel erleseneren Zahl, die es auf sich nahm, sich diese Filme in Fassungen zu Gemüte zu führen, bei denen die meisten von Blockbustern und HD-Optik Verwöhnten schreiend Reißaus genommen hätten. Es war wie ein Privileg, natürlich, und ich spielte es manchmal aus, wenn ich Freunden mit leuchtenden Augen von meinen neusten Schätzen erzählte, und war dann oft enttäuscht, wenn sie nur die Stirn runzelten, mit den Schultern zuckten oder schon mit der Hälfte des Ohrs in einer anderen Konversation steckten, noch bevor ich zu Ende geschwärmt hatte. Ebenfalls als Enttäuschung, fast wie ein Schlag ins Gesicht, empfand ich es, als ich Jahre später zum Beispiel über eine astreine Fassung von VASE DE NOCES auf youtube stolperte. Ich glaube, das Video war nicht einmal altersbeschränkt, konnte also von jedem ganz offen, ganz unkompliziert, ganz synchron und ganz ohne Bildstreifen bewundert werden. Es war, als sei ich betrogen worden, ein bisschen. Während ich schlief, hatten sich neue Siedler auf meinem Kontinent niedergelassen, und je mehr Augen die exotischen Tieren und Pflanzen sahen, je mehr Verstände sie kategorisierten, je mehr Münder sie aßen desto weniger Wert schienen sie auf einmal für mich zu besitzen. Letztlich überwog aber das Gefühl, es ihnen zu gönnen. Ich packte meine Ausrüstung zusammen, wünschte ihnen alles Gute und hatte einen Grund, noch weiter ins Landesinnere vorzudringen. Sobald mehr als fünf Leute sich mehr als fünf Meinungen über dieses oder jenes Mineral, diesen oder jenen Luchs, diese oder jene pfeilgiftgrüne Frucht gebildet hatten, konnte man dort, wo mein Zelt gestanden hatte, bloß noch eine Fläche mit niedergedrücktem Gras, ein paar Zigarettenstummeln und Löchern für die Heringe anstarren.

Letzte Woche geriet ich schließlich in eine Gegend, die so wirkte, als seien dort vor mir derart wenige Menschen gewesen, dass sich ihre Spuren bereits weitgehend verloren hatten. Sie materialisierte sich in einem Film, den ich ebenfalls wieder aus mehr als dubiosen Quellen zugespielt bekommen hatte, und zwar in einer Verfassung derart unterirdisch, dass ich mehr als zehn Minuten zögerte, ob ich ihn mir unter diesen Umständen wirklich antun sollte. Dieses Werk, ZAN-E KHOON-ASHAM, Produktionsjahr 1967, soll, heißt es zumindest in dem bisschen Kehricht, den man im weltweiten Netz an Informationen über ihn zusammenkehren kann, der erste genuin iranische Vampirfilm überhaupt sein. Dass es überhaupt jemals einen Vampirfilm aus dem Iran gegeben haben soll, selbst unter verhältnismäßig westlich gestrickter Schah-Regentschaft, elektrisierte mich schlussendlich doch genug, dass ich mir vornahm, großzügig über die Tatsache hinwegzusehen, dass es sich bei meiner Kopie offensichtlich um die Kopie einer Kopie einer Kopie handelte, deren Ausgangsmaterial wiederum eine desolate VHS auf Basis einer ramponierten Filmrolle gewesen sein dürfte. Was man sich mit vollem Herzen vornimmt, gelingt oft besser als man befürchtet. Eine Reise in Emotionen meiner Vergangenheit stand mir bevor, erneut wurde ich zu Füßen, die unsicher unbekanntes Terrain abtasten, und zu Zelten, die sich ehrfürchtig und stolz auf Schollen breitmachen, von denen es nicht schwerfällt zu glauben, sie seien von niemandem vorher mit seinem Gewicht belastet worden.

Einen schmucken Playboy namens Jahangir verschlägt es in die persische Provinz, wo er seinen alten Freund Bahram und dessen ihm bislang unbekannte Familie besucht. Sofort zeigt er sich außerordentlich betört von Golnar, der Schwester seines ehemaligen Schulkameraden, und da ihm das Schicksal nicht nur ein attraktives Äußeres mit auf den Weg gegeben hat, sondern auch das Laster, jedes ihm zugeworfene Frauenherz sofort fangen zu müssen, verführt er das Mädchen skrupellos. Obwohl Golnar ihm bereitwillig ihre Unschuld geopfert hat, hält Jahangir nach vollendetem Akt nichts mehr in der ländlichen Idylle. Er folgt dem Ruf der Großstadt und lässt Golnar, deren erste und einzige Liebe er ist, sowohl mit nunmehr gebrochenem Herzen als auch einem Kind unter demselben tränenreich bei ihrer Familie zurück. Sein Versprechen, bald zurückzukommen, wird ebenso wenig gehalten wie das, ihr treu zu bleiben. Bereits kurz nach seiner Abreise verguckt er sich in Teheran in Parvin, die wiederum zwar einen Ehemann hat, mit dem aber schon lange kein Bett mehr teilt. Schon wieder hat Jahangir leichtes Spiel mit einer ihn anschmachtenden Frau. Doch die Sühne lässt freilich nicht lange auf sich warten: Sein Freund aus der Provinz steht eines Tages mit erschütternden Neuigkeiten vor ihm. Alles deute, erklärt Bahram, daraufhin, dass Golnar aus Liebeskummer verstorben sei und nun als ruhe- und ruchloser Geist umhergehe, um sich an ihm, Jahangir, für ihren verfrühten Tod und seine Treulosigkeit zu rächen. Obwohl unser Held derlei Märchen zunächst noch verlacht, hat er bald eine nächtliche Begegnung mit der Verschollenen, die ihm, den Mund voll bleckender Fangzähne, ankündigt, jeder Frau, mit der er von nun an etwas haben sollte, den Hals umzudrehen…

ZAN-E KHOON-ASHAM beginnt wie ein Werbefilm des iranischen Tourismusministeriums. Sein Dreh- und Angelpunkt: die Stadt Nischapur im nordöstlichen Teil des Landes, einstmaliges Zentrum der persischen Teppich- und Keramikkunst, im Hochmittelalter eine der bevölkerungsreichsten Metropolen weltweit und Besitzerin einer der größten Bibliotheken weltweit, und außerdem berühmt für zwei Dichtergrabmäler, das von Omar Chajjam und das von Fariduddin Attar. Einen wikipedia-Eintrag zu wälzen erspart einem die Sichtung von ZAN-E KHOON-ASHAM, da uns der Film, genau wie seinen Hauptdarsteller Jahangir, zunächst zu einer mehrminütigen Sightseeing-Tour quer durch die Stadt mitnimmt, inklusive solcher wissenswerter Fakten wie der derzeitigen Einwohnerzahl Nischapurs, einem knappen Abriss der bewegten Stadtgeschichte und einer kurzen Einführung in seine Verortung innerhalb der Landesgeographie. Während Jahangir zu flotter Musik von einem Taxi durch die Gegend kutschiert wird, übernimmt Bahram die Rolle des Führers und ergeht sich in einem Superlativ nach dem andern, um Nischapur anzupreisen, als ginge es dem Film eigentlich darum, sein Publikum zum Überrennen der dortigen Hotels zu bringen. Zugleich fällt natürlich auf, dass kritische Töne jedweder Art gänzlich ausgespart werden. Wie in einem Bericht der guten alten Wochenschau soll man vor Bewunderung auf die Knie gehen, wenn die oben genannten Mausoleen als Musterbeispiele vorzüglicher persischer Architektur vorgeführt werden und Jahangir und Bahram sich gegenseitig mit Lobhudeleien zu übertrumpfen versuchen. Selbst als man endlich die Familie Bahrams erreicht hat, ruht das Rad der Selbstbeweihräucherung nicht. Natürlich entstammt Bahram einem Hause, das wie gesegnet ist von den mannigfaltigen Zuwendungen der iranischen Politik. Bahrams Brüder studieren oder arbeiten im Ausland, einer befindet sich sogar in Deutschland und lässt sich zum Agrarwissenschaftler ausbilden. Dass in Großaufnahme ein Photo des Schahs geküsst wird, hätte den Grundtenor von ZAN-E KHOON-ASHAM nicht wesentlich mehr ins Idealistische verzerren können.

Danach jedoch wird es erstmal ruhiger um mehr oder minder plakative Staatspropaganda und ZAN-E KHOON-ASHAM verlegt sich auf das leicht sentimentale Illustrieren des iranischen Landlebens, mit vielen Fruchtbäumen, traditionellen Festen und Bräuchen und freilich ausgiebigem Folklore-Tanz und –Gesang. Eine Hochzeit, der Jahangir beiwohnt, hat dann auch schon beinahe dokumentarischen Charakter, und stellt, sämtliche Tänze und sangestechnischen Segenswünsche eingerechnet, mit einer Länge von knapp zehn Minuten schon fast so etwas wie ein retardierendes Moment in der doch recht geradlinigen Handlung dar. Die wurde zuvor aber immerhin schon ein bisschen mit Gänsehaut gespickt, als Jahangir und Bahram am Lagerfeuer über örtliche Vampirlegenden diskutieren. Irritierend ist hierbei nur, dass man ausgerechnet LE COMTE DE MONTE-CHRISTO als Referenzwerk für gängige Blutsaugergeschichten anführt. Sollte Hauptdarsteller, Produzent und Drehbuchautor Mostafa Oskooyi – der mit der Filmwelt vor und nach ZAN-E KHOON-ASHAM scheinbar nie etwas zu tun gehabt hat – den Mantel-und-Degen-Bestseller Alexandra Dumas‘ am Ende gar mit Bram Stokers DRACULA verwechselt haben? Vorwerfen kann man ihm indes nicht, in seinem, wie gesagt, doch eher kohärenten, nachvollziehbaren Film die eine oder andere, zumindest für meine westlichen Augen, avantgardistisch anmutende Szene versteckt zu haben. Wenn weitere Tänzerinnen, aus Vogelperspektive gefilmt, ihre Körper sich in Formation regelrechter Ornamente bewegen lassen und dazu aus dem Off eine ernste Stimme Gedichte eben des Omar Chajjams vorliest, dessen Ruhestätte wir kurz vorher besucht haben, dann bin ich mir nicht ganz sicher, ob das nun eine Allegorie, eine Traumsequenz, beides oder nichts von alledem sein soll.

Interessanterweise verliert ZAN-E KHOON-ASHAM all seinen ländlichen Charme und seine storyfremden Tänzer- und Singereien, sobald die Handlung, gemeinsam mit Jahangir, nach Teheran gewechselt ist. Einen wirkungsmächtigeren Kontrast zu den volkstümlichen Kostümen, Obstbaumplantagen und urigen Instrumenten im Hinterland als die Wolkenkratzer, westlichen Gewandungen, Autohupkonzerte in der iranischen Hauptstadt kann man sich kaum vorstellen. Erst einmal dort scheint der Film sich zunächst zu einer klassischen Ehebruchgeschichte zu entwickeln, bevor dann endlich, nach etwas über sechzig Minuten, zum ersten Mal die Horrorelemente in den Vordergrund geschoben werden, wegen denen ich mir den Film ursprünglich eigentlich zur Brust genommen hatte. Es mag sein, dass jene Szenen, in denen die mit klassischen Dracula-Beißerchen ausgestattete Golnar ihrem vormaligen Liebsten die schlimmsten Strafen androht – darunter, dass sie Pavin etwas antun und es mittels dämonischer Kräfte so hindrehen wird, dass der Verdacht, an ihrem Dahinscheiden Schuld zu sein, letztlich auf ihn fallen wird - auf das damalige Publikum überaus atmosphärisch gewirkt haben, geschult am deutschen Stummfilmexpressionismus, mit ansprechenden Licht- und Schattenspielen. Leider habe ich in der mir vorliegenden Fassung allein schon Probleme damit zu erkennen, wo genau die Eckzahnspitzen unseres weiblichen Vampirs überhaupt genau innerhalb des Bildkaders liegen.

Dennoch spricht es wahrscheinlich für den Film, dass ich seine eineinhalb Stunden selbst mit halbzusammengekniffenen Lidern durchstanden habe. Trotz eines für mich alsbald voraussehbaren plot twist, der der ganzen Chose ihren übernatürlichen Anstrich kurz vor Schluss noch nimmt, empfand ich ZAN-E KHOON-ASHAM, gerade was seine, sagen wir, ersten vierzig Minuten betrifft, als ein ausgesprochen unterhaltsames Moralstück, das sich an, für einen iranischen Film der späten 60er, könnte ich mir denken, durchaus mit explosivem Potential versehene Themen wie vorehelichem Sex und Ehebruch heranwagt, um einen dann mit seinen kitschnassen Schlusseinstellungen am Ende doch wieder in Wohlklang und Liebsäuselei zu ertränken. Ansonsten ist gerade der recht abrupte Wechsel zwischen märchenhafter Pastorale und großstädtischer Paranoia, einmal ganz unabhängig vom unbestreitbaren Exoten-Bonus, den der Film allein aufgrund seines Produktionslandes und seiner Produktionszeit bei mir genießt, so reizvoll für mich, dass ich mir vorstellen kann, ZAN-E KHOON-ASHAM würde, wenn er, ähnlich vielleicht wie sein pakistanischer Bruder ZINDA LAASH, ebenfalls von 1967, einmal eine würdige Veröffentlichung hierzulande erfahren würde, dem einen oder andern Genrefreund durchaus ein ungläubiges Lächeln ins Gesicht zaubern können.

Zum Beweis, dass ich nicht übertreibe, was den dermaßen restaurationsbedürftigen Zustand dieses angenehmen kleinen Schauerstücks betrifft, anbei ein paar Screenshots der einzigen mir bekannten Fassung. (Für den, der alle Motive eindeutig zuordnen kann, sprich: der erkennt, was da zu sehen sein soll, bespreche ich exklusiv noch einen weiteren iranischen Horrorfilm... ;-) ).

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