Decamerone - Abenteuer der Wollust - Sergio Citti (1973)
Verfasst: Di 29. Mär 2016, 15:13
Originaltitel: Storie scellerate
Produktionsland: Italien 1973
Regie: Sergio Citti
Darsteller: Franco Citti, Ninetto Davoli, Elisabetta Genovese, Nicoletta Machiavelli
Anfang der 70er Jahre feiert Pier Paolo Pasolini seine größten Erfolge an der Kinokasse. Schuld sind drei Filme, zusammengefasst als sogenannte trilogia della vita - IL DECAMERONE (1971) nach Boccaccio, I RACCONTI DI CANTERBURY (1972) nach Geoffrey Chaucer und schließlich IL FIORE DELLE MILLE DI UNA NOTTE (1974) nach den orientalischen Märchen aus Tausendeiner Nacht -, die nicht nur eint, dass Pasolini in jedem von ihnen ein erotisches Werk des abend- wie morgenländischen Mittelalters auf die Leinwand bringt, sondern auch, dass sie mit Kopulationsszenen und Geschlechtsteilgroßaufnahmen so wenig geizen, dass jeder dieser Filme sich den Vorwurf der Pornographie gefallen lassen und sich in Folge dessen mit den italienischen Kunstzensoren herumschlagen musste. Das Publikum indes stürmte regelrecht in die Lichtspielhäuser, und in gewisser Weise war es wohl auch das, was Pasolini mit seiner bewusst schmucklos gehaltenen, in ihrer Erzählweise beinahe schon banalen, technisch gesehen oftmals holprigen, durchschnittlichen Trilogie bezweckte, schwebte ihm doch nichts weniger vor als einer von modernen Entwicklungen wie Globalisierung und Industrialisierung mehr und mehr marginalisierten Volkskultur, in der Sex und Gelächter allgegenwärtige Motoren des bäuerlichen Lebens sind, ein letztes Denkmal zu setzen bevor sie vollends verschwunden ist. Stark grenzen sich die drei genannten Filme deshalb auch von den herkömmlichen Sexfilmchen ihrer Zeit ab. Bei Pasolini haben Lachen und Ficken in ihrer Alltäglichkeit stets etwas Befreiendes. Beides wird weder überhöht noch skandalisiert oder ausgebeutet. Wenn in Pasolinis Lebenstrilogie erigierte Penisse ins Bild geraten, dann irgendwie beiläufig, fast wie zufällig, und selbst wenn das Schicksal es mit den von Laiendarstellern verkörperten Allerweltmenschen einmal nicht gut meint, so grinsen sie der Kamera doch stets aus zahnlosen Mündern entgegen. Dass Pasolini sich später dann doch von IL DECAMERONE, I RACCONTI DI CANTERBURY und IL FIORE DELLE MILLE DI UNA NOTTE distanziert hat, mag indes ebenfalls mit ihrem Erfolg zu tun zu haben. Allein im Jahr 1972 entstehen bereits weit über dreißig zumeist schnell heruntergekurbelte Softpornos der eher zotigen Art, die sich ein Scheibchen vom Kuchen abzuschneiden versuchen, indem sie sich strukturell und in der Titelwahl so eng wie möglich an Pasolinis Vorbilder anlehnen. DECAMERONE NO 2 – LE ALTRE NOVELLE DI BOCCACCIO (Mino Guerrini, 1972), DECAMERONE NO 3 – LA PIÙ BELLE DONNE DEL BOCCACCIO (Italo Alfaro, 1972), DECAMERONE NO 4 – LE BELLE NOVELLE DI BOCCACCIO (Paolo Bianchini, 1972), BOCCACCIO (Bruno Corbucci, 1972) IL DECAMERONE PROIBITO (Carlo Infascelli, 1972) wären nur einmal fünf beispielhafte Werke, die ohne das DECAMERONE von 1971 gar nicht denkbar sind, und die zugleich, verständlicherweise, kläglich darin scheitern, die durchaus revolutionäre Agenda des bekennenden Marxisten Pasolini in dessen Sinne fortzuschreiben.
Immerhin einen Film gibt es aber, der zumindest teilweise unter Pasolinis Ägide entstanden ist, und der vermutlich als Weiterführung des mit der trilogia della vita begonnenen Wegs, das triviale Kino mittels zwar schmutziger, verlauster, aber nichtsdestotrotz unschuldiger, reiner Körper zu einer neuen Volkskunst zu machen, begriffen werden muss. STORIE SECELLERATE entsteht zwischen I RACCONTI DI CANTERBURY und IL FIORE DELLE MILLE DI UNA NOTTA, und von der ersten Sekunde erinnert alles an die beiden vorherigen Filme der Lebenstrilogie. Der Vorspann schaut nicht nur exakt so aus wie bei Pasolinis Chaucer- und Boccaccio-Verfilmungen, es werden auch altbekannte Namen in ihm aufgeführt: Alberto Grimaldi produziert, den Schnitt besorgt Nino Baragli, für die Kamera ist Tonino Delli Colli verantwortlich. Obwohl aber Pasolini als Drehbuchautor aufgeführt wird, ist es aber Sergio Citti, der Regie führt, sein langjähriger Assistent, Drehbuchautor und Freund, mit dem er schon vor seiner Kinokarriere für Romane wie RAGAZZI DI VITA zusammengearbeitet hat, zu denen Citti authentische Dialoge im römischen Vorstadtslang beisteuerte. Sein Bruder, Franco, einer der beliebtesten Schauspieler Pasolinis seitdem er die Hauptrolle in dessen Debut ACCATTONE (1960) übernommen hat, eröffnet dann auch gemeinsam mit Ninetto Davoli den Film, beides Gesichter, die schon seit Jahren eng und nahezu ausschließlich mit dem Oeuvre Pasolinis verknüpft sind.
In Sergio Cittis erster Regiearbeit nennen sie sich Mammone und Bernardino und sind für die Rahmenhandlung des, natürlich, episodisch angelegten Werks zuständig. Zu Beginn stoßen sie in einer Burgruine aufeinander, wo beide ihren Darm entleeren und dabei, aus purer Lust am Fabulieren, anfangen, sich anzügliche Geschichten zu erzählen. Die erste Episode von insgesamt vieren beinhaltet zwei personell miteinander verbundene Geschichten, und stellt deshalb die mit Abstand längste dar: Irgendwo im italienische Hinterland wird der örtliche Dorfkaplan beim Putzen der Marienstatue im Gotteshaus von derselben erschlagen. Aus Rom beordert man einen neuen Landpfarrer in die Provinz, der ungleich frömmer als sein Vorgänger auftritt, in Wirklichkeit aber schon bei der allerersten Messe seine lüsternen Blicke auf dem Busen eines jungen, jedoch bereits verheirateten Mädchens ruhen lässt. Zur gleichen Zeit setzt die Frau eines vergleichsweise wohlhabenden Fürsten ihrem Mann so viele Hörner auf, dass eine Hand nicht ausreicht, sie zu zählen. Fünf, sechs Männer gleichzeitig, darunter auch der Gatte des Kleinods, das den Pfaffen verzaubert hat, schafft die untreue Dame in einer Nacht, während ihr Mann selig schlummert. Irgendwann beginnt der aber doch die Lunte zu riechen, und handelt mit einem anderen Geistlichen aus, gegen Bezahlung versteckt der Beichte seiner besseren Hälfte beiwohnen zu dürfen. Zu Füßen des Beichtvaters, dem die Schöne ihr Herz ausschüttet und mit keiner Sünde zurückhält, muss er mit anhören, wie oft und wie leidenschaftlich sie ihn bereits während ihrer Ehe nach Strich und Faden betrogen hat. Am Ende kulminieren die amourösen Verstrickungen unserer Helden in zwei äußerst unangenehm anzuschauenden Kastrati-onsszenen: Zum einen wird der neue Pfarrer vom Mann des Mädchens, das inzwischen seine Geliebte ist, in dessen Ehebett überrascht. Der wütende Gatte ersticht zuerst seine Braut und zwingt gemeinsam mit einem Freund dann den Priester dazu, sich selbst zu entmannen, was Citti in dann doch recht graphische Bilder verpackt: Schlaff liegt der Penis auf der Tischkante, der Geistliche fleht und jammert, die beiden Männer drohen und schäumen, und schließlich rinnt ihm helles Blut die Schenkel runter, und obwohl er zu Boden stürzt, bleibt sein bestes Stück reglos auf dem Tisch liegen. Fast noch heftiger geht es im Haus der beiden anderen Eheleute zu. Dort tickt der betrogenen Ehemann derart aus, dass er seine Frau zunächst im Keller einsperrt, sich dann an ein Fenster stellt, von dem aus sie ihn sehen kann, und sich vor ihren eigenen Augen das eigene Glied abschneidet, um es ihr brüllend ins Gesicht zu schleudern. Ich muss gestehen, bei diesen beiden sehr unerwarteten und sehr schmerzlichen Szenen musste ich doch ziemlich schlucken.
Inzwischen haben Bernardino und Mammone unter solchen lustigen Erzählungen ihr Geschäft verrichtet und sind einem dritten Gast des offenbar generell als öffentliche Toilette genutzten Gemäuers begegnet. Aus rein wirtschaftlichen Gründen und ohne das geringste Mitleid beschließen unsere beiden Helden, den Alten, der leichtsinnig von seiner prallen Börse schwatzt, um diese und sein Leben zu erleichtern. Die Leiche lassen sie am Wegrand liegen, und wahrscheinlich ist sie der Grund dafür, dass sie kurz danach von der lokalen Polizei eingefangen und ins Gefängnis gesetzt werden. Das Todesurteil ist so schnell gefasst wie verlesen: Schon am nächsten Tag sollen sie für den feigen Meuchelmord am Galgen baumeln. Diese Nachricht hält Mammone und Bernardino jedoch nicht davon ab, sich weiter Sexgeschichten zu erzählen, im Gegenteil, sie spornt sie, scheint es, vielmehr erst richtig dazu an. Die zweite, und möglicherweise beste, Episode von STORIE SCELLERATE hat den Charme einer rustikalen, nach Ziegenkot und Bauernschweiß duftenden Pastorale, an deren Idyll nichts Verklärung und alles ungeschöntes Leben ist. Eine Gruppe Ziegenhirten noch weiter im Hinterland hat zwar Frau und Kind in ihren ärmlichen Hütten, trotzdem schwören sie darauf, dass ihre Tiere die weitaus besseren Liebhaberinnen sind. Ein Hirte, der von solchen sodomitischen Praktiken nichts wissen will, wird zum Gespött der andern, die nicht sich selbst, sondern ihn als Abweichler von der Norm verlachen. Immerhin versteht es der Ziegenkostverächter, die sexuellen Präferenzen seiner Kollegen zu seinem eigenen Vorteil zu nutzen. Während einer der Hirten in der glutheißen Sonne mit seiner liebsten Meckerziege schäkert, wird seine Ehefrau, die gerade am Fluss Wäsche wäscht, von demjenigen regelrecht überfallen, der eine Menschenfrau jedem Tier vorzieht – dabei ist die Art und Weise wie er sie überrumpelt, von hinten nimmt und dann liegenlässt dann aber doch ziemlich animalisch. Dass die offenbar von ihrem ziegenverehrenden Gatten vernachlässigte Frau von der halben Vergewaltigung gar nicht so unangenehm berührt ist, zeigt das Verhältnis, das sich in der Folge zwischen den beiden entspinnt. Immer öfter treffen sich die beiden an der gleichen Stelle und kopulieren, während der Mann nichtsahnend die Ziegen hütet. Doch freilich geht das nicht lange gut, und als unser Held eines Tages seine Liebste in einem Feld aufspürt, entpuppt die sich als sein Hirtenkollege, der die Kleidung seiner Frau übergezogen hat, um den Nebenbuhler zu foppen. Ausgelassen lachen beide Männer daraufhin erstmal, eine Szene später hängt der Betrüger jedoch trotzdem kopfüber an einem Baum, und wo sein Geschlechtsteil war, ist jetzt bloß noch ein blutiges Loch. Die Hoden nämlich serviert der gehörnte Hirte seiner untreuen Frau zum Abendessen – und während die glaubt, sie hat einen besonderen Leckerbissen vom Ziegenbock im Mund, lacht ihr Gatte mit dem Wissen in sich hinein, dass sie in Wirklichkeit die Eier ihres Liebhabers verzehrt.
Die dritte Episode handelt von ähnlich grausamen Dingen: Ein Priester und ein Jüngling verschwören sich miteinander zu dem Deal, dass letzterer ersterem junge Mädchen zuführt, die dieser begehrt. Selbst während der Heiligen Messe, vor dem Altar und unter den Augen der ein Ave Maria nach dem andern murmelnden Menge verhandeln sie darüber, welche Schritte am besten seien, um ihren Plan zum Erfolg zu bringen. Fürstlich speist der junge Mann, der freilich in sexuellen Dingen ebenfalls kein Unschuldslamm ist und gerne auch mal Mütter dafür bezahlt, dass sie ihm ihre Töchter für eine gewisse Zeit überlassen, im Haus des lasterhaften Priesters, der sich indes ganz besonders in eine junge, verheiratete Dame der Nachbarschaft verguckt hat. Unser Held verspricht ihm, sie ihm abends vorbeizubringen, heimlich und verschleiert natürlich, damit niemand Wind davon bekommt. Daraufhin bereitet der Geistliche eine Tafel mit erlesenen Köstlichkeiten vor. Tatsächlich steht nach Einbruch der Nacht eine verschleierte Gestalt vorm Pfarrhaus, die sogleich ins Schlafgemach geführt wird. Dort aber erlebt der Priester eine böse Überraschung: es ist sein junger Freund selbst, dessen mit einem Dolch bewaffneter Arm plötzlich unter dem schwarzen Stoff hervorschnellt und ihn niedersticht. Nachdem der Jüngling sich, was sein eigentliches Ziel gewesen ist, die Taschen voll mit dem Privatschatz des Pfarrers vollgestopft hat, lässt er sich noch die Leckerbissen im Nebenzimmer schmecken. Als der Priester sich auf allen Vieren zu ihm schleppt, macht ihm der Jüngling endgültig den Garaus. Dass Bernardino seinem Freund diese Geschichte erzählt, hat einen besonderen Grund: Der Jüngling, den man kurz nach seiner Tat schon geschnappt und als Priestermörder unters Fallbeil gelegt hat, war der erste Tote, den er jemals in seinem Leben zu Gesicht bekam, als kleiner Junge, unter den Schaulustigen, die der Hinrichtung beiwohnten.
Die eigene Hinrichtung wartet inzwischen auch auf unsere beiden Sympathieträger. Über den Innenhof des Gefängnisses hinweg schreit Mammone eine letzte Geschichte zu Bernardino herüber, während beide fürs Sterben vorbereitet, rasiert und eingekleidet werden. Unterbrochen wird die recht simple Erzählung – sie handelt von einem bankrottgegangenen Kaufmann, der seiner Frau eröffnet, er wolle sich, um wenigstens ihr eine kleine Rente zu sichern, das Leben zu nehmen, worauf die ihm stattdessen vorschlägt, für ihn anschaffen zu gehen, um die Familienfinanzen aufzubessern, in Wirklichkeit aber lediglich ihre sexuellen Lüste ausleben möchte, und ihren zweiten Liebhaber genauso hinterhergeht wie ihren ersten, worauf ihr Mann und ihr Freier sie mit einem Jüngling in flagranti erwischen, und diesen mit Messerstichen kurz und schmerzlos zu Tode bringen - ständig von den letzten Lebensminuten der verurteilten Mörder, die wir von ihren Zellen durch die Gefängnisgänge bis hin zum Schafott begleiten, wo nicht kurz vor dem Abspann noch ein Schicksal, das es gut mit ihnen meint, eingreift, und sie vorm Galgen rettet, sondern sich die Schlinge tatsächlich um ihre Hälse zuzieht. Die letzte Szene des Films zeigt dann ihre baumelnden Leichen, schelmisch lächelnd noch im Tode, den sie sowieso die ganze Zeit abgetan haben wie etwas, das einen nicht mehr tangieren sollte als ein Schnupfen.
Für jemanden, der mit den Filmen aus Pasolinis Lebenstrilogie vertraut ist, dürfte allein schon bei meiner groben Inhaltsangabe zu STORIE SCELLERATE klargeworden sein, wo der Hauptunterschied zwischen Citti und den Werken seines Mentors liegt: Einmal abgesehen von der wirklich schaurigen Homosexuellenverbrennung und dem einen oder anderen Raubmord in I RACCONTI DI CANTERBURY ist Pasolinis Dreigestirn mittelalterlicher Lebensbejahung weitgehend frei von Szenen der Gewalt und der Grausamkeit. Wenn beispielweise in IL DECAMERONE Frauen ihre Männer sexuell hintergehen, wenn Töchter heimlich ihre Liebhaber auf dem Balkon empfangen und morgens dann von den Eltern ertappt werden, wenn Nonnen ihren Treueeid gegenüber Gott brechen und sich einen Jüngling als Sexspielzeug ins Kloster holen, dann muss keine der Figuren mit schlimmen Konsequenzen rechnen, vielmehr löst sich der Konflikt, falls er denn überhaupt stattfindet, in einem fröhlichen Gelächter auf, aus dem niemand benachteiligt hervorgeht. Anders sieht die Sache bei Citti aus: Dieser erhebt solche Akte wie (Selbst-)Kastration, Meuchelmord, Kannibalismus schon beinahe zum bestimmenden Thema seines Filmes. Keine der vier Episoden von STORIE SCELLERATE kommt aus ohne mindestens einen Tabubruch. Am häufigsten sind es männliche Geschlechtsorgane, die daran glauben müssen, dass es Mittel und Wege gibt, sie von ihrem Rumpf zu trennen, ansonsten werden Frauen wie Männer gerne im Affekt erdolcht oder Priester hinterlistig in tödliche Fallen gelockt. Besonders komisch ist das alles nicht, weshalb denn auch das omnipräsente Lachen mir, anders als bei Pasolini, oftmals mehr wie das von Teufeln vorkam als das von unbedarften, mit Brauchtum und Natur verwachsenen Menschen, in die ich meine Sehnsüchte hineinprojizieren kann. Bezeichnend für diese Ak-zentverschiebung ist allein schon die Rahmenhandlung. In Pasolinis früheren beiden Filmen ist es stets er selbst in persona, der die einzelnen Episoden zusammenhält. Als Giotto in IL DECAMERONE und als Chaucer in I RACCONTI DI CANTERBURY verkörpert Pasolini Künstlerfiguren in Schaffensprozessen, die, parallel zur Entwicklung der Handlung, entweder mit dem Malen eines Freskos oder der Niederschrift eben jener Geschichten beschäftigt sind, aus denen sich dann auch der Film zusammensetzt. Pasolini, in doppelter Hinsicht Produzent, einmal als Regisseur des vorliegenden Films und dann noch als Künstlerfigur in diesem Film, stülpt seinen Adaptionen von Boccaccio und Chaucer eine mehr oder minder große Meta-Ebene über, die wirkt, als wolle er sein Publikum in gewisser Weise von der in ihnen portraitierten utopischen, idealisierten Welt distanzieren. Von Distanz kann bei Citti keine Spur sein, wenn er seinen Bruder Sergio und Ninetto Davoli zwar in einer Rahmenhandlung ansiedelt, diese aber durch keinerlei Markierung außerhalb der Erzählwelt der Einzelepisoden steht. (Auffällig ist in dem Zusammenhang übrigens, dass auch vom Mittelalter keine Spur mehr in STORIE SCELLERATE zu entdecken ist. Obwohl explizit zu keinem Zeitpunkt genannt wird, in was für einer Epoche wir uns da eigentlich befinden, würde ich anhand der Kostüme und Dekors eher auf das achtzehnte als auf ein früheres Jahrhundert schließen.)
Abgesehen davon allerdings kann man Sergio Citti alles attestierten, nur keine Eigenständigkeit. Dass Pasolini am Skript mitgewirkt hat und zudem sein halbes Team zur Verfügung stellte, dürfte jedoch auch keine besondere Hilfe dabei gewesen sein, Citti eigene ästhetische und formale Lösungen finden zu lassen, und erklärt vielleicht am logischsten, weshalb STORIE SCELLERATE aussieht und sich anfühlt wie eine Ansammlung von Outtakes, die es nicht in IL DECAMERONE und I RACCONTI DI CANTERBURY geschafft haben. Es mag sein, dass Citti mehr auf den Punkt hin erzählt, d.h. dass er eher an Pointen interessiert ist, an Kulminationspunkten, auf die die einzelnen Geschichte hinauslaufen, während bei Pasolini sich alles eher im Fluss befindet, ineinander übergeht, keinen richtigen Anfang, kein richtiges Ende hat, und es mag auch sein, dass Cittis Stil sich von der schmucklosen Schlichtheit seines Meisters dadurch unterscheidet, dass alles ein bisschen konventioneller ausgefallen ist, die Bildkompositionen, die Montage, der Einsatz von Musik, und auch eine gewisse Derbheit kann ich STORIE SCELLERATE nicht absprechen, wenn zum Beispiel von zwei kotenden Männern direkt zu einer Aufnahme des Petersdoms geschnitten wird, oder wenn, wie erwähnt, in fast schon sadistischer Schaulust insgesamt drei Männerpenisse ihr Fett wegbekommen. Davon einmal abgesehen, fällt es mir indes schwer, mir vorzustellen, dass Citti nicht als dreister Kopist Pasolinis verschrien gewesen wäre, wenn er nicht von diesem quasi die Erlaubnis erhalten hätte, seine Werke so gut wie möglich nachzuahmen.
Insofern ist STORIE SCELLERATE ein Schwert mit zwei Schneiden. Zum einen kann man ihn als nette Ergänzung zur „normalen“ Trilogie des Lebens betrachten, nur eben etwas zotiger, etwas blutrünstiger, etwas unbequemer, und, gerade in den Szenen, in denen Sergio Citti und Ninetto Davoli ihre altvertrauten Rollenschemata erfüllen, gut und gerne zu mindestens einem Viertel für ein Werk Pasolinis selbst halten. Zum andern ist es natürlich eine verschenkte Chance, dass Citti aus dem Stoff nichts Originelleres gemacht hat als das, was man von ihm nach der langjährigen Zusammenarbeit mit Pasolini hat erwarten können. Mir persönlich jedenfalls hat STORIE SCELLERATE unterhaltsame, manchmal überraschend scheußliche, insgesamt recht kurzweilige eineinhalb Stunden beschert und besser als so mancher völlig dem Klamauk und der Zote ergebener DECAMERONE-Nachzügler aus derselben Zeit ist er allemal. Für Fans von Kastrationsszenen auf jeden Fall ein absolutes Muss…
Immerhin einen Film gibt es aber, der zumindest teilweise unter Pasolinis Ägide entstanden ist, und der vermutlich als Weiterführung des mit der trilogia della vita begonnenen Wegs, das triviale Kino mittels zwar schmutziger, verlauster, aber nichtsdestotrotz unschuldiger, reiner Körper zu einer neuen Volkskunst zu machen, begriffen werden muss. STORIE SECELLERATE entsteht zwischen I RACCONTI DI CANTERBURY und IL FIORE DELLE MILLE DI UNA NOTTA, und von der ersten Sekunde erinnert alles an die beiden vorherigen Filme der Lebenstrilogie. Der Vorspann schaut nicht nur exakt so aus wie bei Pasolinis Chaucer- und Boccaccio-Verfilmungen, es werden auch altbekannte Namen in ihm aufgeführt: Alberto Grimaldi produziert, den Schnitt besorgt Nino Baragli, für die Kamera ist Tonino Delli Colli verantwortlich. Obwohl aber Pasolini als Drehbuchautor aufgeführt wird, ist es aber Sergio Citti, der Regie führt, sein langjähriger Assistent, Drehbuchautor und Freund, mit dem er schon vor seiner Kinokarriere für Romane wie RAGAZZI DI VITA zusammengearbeitet hat, zu denen Citti authentische Dialoge im römischen Vorstadtslang beisteuerte. Sein Bruder, Franco, einer der beliebtesten Schauspieler Pasolinis seitdem er die Hauptrolle in dessen Debut ACCATTONE (1960) übernommen hat, eröffnet dann auch gemeinsam mit Ninetto Davoli den Film, beides Gesichter, die schon seit Jahren eng und nahezu ausschließlich mit dem Oeuvre Pasolinis verknüpft sind.
In Sergio Cittis erster Regiearbeit nennen sie sich Mammone und Bernardino und sind für die Rahmenhandlung des, natürlich, episodisch angelegten Werks zuständig. Zu Beginn stoßen sie in einer Burgruine aufeinander, wo beide ihren Darm entleeren und dabei, aus purer Lust am Fabulieren, anfangen, sich anzügliche Geschichten zu erzählen. Die erste Episode von insgesamt vieren beinhaltet zwei personell miteinander verbundene Geschichten, und stellt deshalb die mit Abstand längste dar: Irgendwo im italienische Hinterland wird der örtliche Dorfkaplan beim Putzen der Marienstatue im Gotteshaus von derselben erschlagen. Aus Rom beordert man einen neuen Landpfarrer in die Provinz, der ungleich frömmer als sein Vorgänger auftritt, in Wirklichkeit aber schon bei der allerersten Messe seine lüsternen Blicke auf dem Busen eines jungen, jedoch bereits verheirateten Mädchens ruhen lässt. Zur gleichen Zeit setzt die Frau eines vergleichsweise wohlhabenden Fürsten ihrem Mann so viele Hörner auf, dass eine Hand nicht ausreicht, sie zu zählen. Fünf, sechs Männer gleichzeitig, darunter auch der Gatte des Kleinods, das den Pfaffen verzaubert hat, schafft die untreue Dame in einer Nacht, während ihr Mann selig schlummert. Irgendwann beginnt der aber doch die Lunte zu riechen, und handelt mit einem anderen Geistlichen aus, gegen Bezahlung versteckt der Beichte seiner besseren Hälfte beiwohnen zu dürfen. Zu Füßen des Beichtvaters, dem die Schöne ihr Herz ausschüttet und mit keiner Sünde zurückhält, muss er mit anhören, wie oft und wie leidenschaftlich sie ihn bereits während ihrer Ehe nach Strich und Faden betrogen hat. Am Ende kulminieren die amourösen Verstrickungen unserer Helden in zwei äußerst unangenehm anzuschauenden Kastrati-onsszenen: Zum einen wird der neue Pfarrer vom Mann des Mädchens, das inzwischen seine Geliebte ist, in dessen Ehebett überrascht. Der wütende Gatte ersticht zuerst seine Braut und zwingt gemeinsam mit einem Freund dann den Priester dazu, sich selbst zu entmannen, was Citti in dann doch recht graphische Bilder verpackt: Schlaff liegt der Penis auf der Tischkante, der Geistliche fleht und jammert, die beiden Männer drohen und schäumen, und schließlich rinnt ihm helles Blut die Schenkel runter, und obwohl er zu Boden stürzt, bleibt sein bestes Stück reglos auf dem Tisch liegen. Fast noch heftiger geht es im Haus der beiden anderen Eheleute zu. Dort tickt der betrogenen Ehemann derart aus, dass er seine Frau zunächst im Keller einsperrt, sich dann an ein Fenster stellt, von dem aus sie ihn sehen kann, und sich vor ihren eigenen Augen das eigene Glied abschneidet, um es ihr brüllend ins Gesicht zu schleudern. Ich muss gestehen, bei diesen beiden sehr unerwarteten und sehr schmerzlichen Szenen musste ich doch ziemlich schlucken.
Inzwischen haben Bernardino und Mammone unter solchen lustigen Erzählungen ihr Geschäft verrichtet und sind einem dritten Gast des offenbar generell als öffentliche Toilette genutzten Gemäuers begegnet. Aus rein wirtschaftlichen Gründen und ohne das geringste Mitleid beschließen unsere beiden Helden, den Alten, der leichtsinnig von seiner prallen Börse schwatzt, um diese und sein Leben zu erleichtern. Die Leiche lassen sie am Wegrand liegen, und wahrscheinlich ist sie der Grund dafür, dass sie kurz danach von der lokalen Polizei eingefangen und ins Gefängnis gesetzt werden. Das Todesurteil ist so schnell gefasst wie verlesen: Schon am nächsten Tag sollen sie für den feigen Meuchelmord am Galgen baumeln. Diese Nachricht hält Mammone und Bernardino jedoch nicht davon ab, sich weiter Sexgeschichten zu erzählen, im Gegenteil, sie spornt sie, scheint es, vielmehr erst richtig dazu an. Die zweite, und möglicherweise beste, Episode von STORIE SCELLERATE hat den Charme einer rustikalen, nach Ziegenkot und Bauernschweiß duftenden Pastorale, an deren Idyll nichts Verklärung und alles ungeschöntes Leben ist. Eine Gruppe Ziegenhirten noch weiter im Hinterland hat zwar Frau und Kind in ihren ärmlichen Hütten, trotzdem schwören sie darauf, dass ihre Tiere die weitaus besseren Liebhaberinnen sind. Ein Hirte, der von solchen sodomitischen Praktiken nichts wissen will, wird zum Gespött der andern, die nicht sich selbst, sondern ihn als Abweichler von der Norm verlachen. Immerhin versteht es der Ziegenkostverächter, die sexuellen Präferenzen seiner Kollegen zu seinem eigenen Vorteil zu nutzen. Während einer der Hirten in der glutheißen Sonne mit seiner liebsten Meckerziege schäkert, wird seine Ehefrau, die gerade am Fluss Wäsche wäscht, von demjenigen regelrecht überfallen, der eine Menschenfrau jedem Tier vorzieht – dabei ist die Art und Weise wie er sie überrumpelt, von hinten nimmt und dann liegenlässt dann aber doch ziemlich animalisch. Dass die offenbar von ihrem ziegenverehrenden Gatten vernachlässigte Frau von der halben Vergewaltigung gar nicht so unangenehm berührt ist, zeigt das Verhältnis, das sich in der Folge zwischen den beiden entspinnt. Immer öfter treffen sich die beiden an der gleichen Stelle und kopulieren, während der Mann nichtsahnend die Ziegen hütet. Doch freilich geht das nicht lange gut, und als unser Held eines Tages seine Liebste in einem Feld aufspürt, entpuppt die sich als sein Hirtenkollege, der die Kleidung seiner Frau übergezogen hat, um den Nebenbuhler zu foppen. Ausgelassen lachen beide Männer daraufhin erstmal, eine Szene später hängt der Betrüger jedoch trotzdem kopfüber an einem Baum, und wo sein Geschlechtsteil war, ist jetzt bloß noch ein blutiges Loch. Die Hoden nämlich serviert der gehörnte Hirte seiner untreuen Frau zum Abendessen – und während die glaubt, sie hat einen besonderen Leckerbissen vom Ziegenbock im Mund, lacht ihr Gatte mit dem Wissen in sich hinein, dass sie in Wirklichkeit die Eier ihres Liebhabers verzehrt.
Die dritte Episode handelt von ähnlich grausamen Dingen: Ein Priester und ein Jüngling verschwören sich miteinander zu dem Deal, dass letzterer ersterem junge Mädchen zuführt, die dieser begehrt. Selbst während der Heiligen Messe, vor dem Altar und unter den Augen der ein Ave Maria nach dem andern murmelnden Menge verhandeln sie darüber, welche Schritte am besten seien, um ihren Plan zum Erfolg zu bringen. Fürstlich speist der junge Mann, der freilich in sexuellen Dingen ebenfalls kein Unschuldslamm ist und gerne auch mal Mütter dafür bezahlt, dass sie ihm ihre Töchter für eine gewisse Zeit überlassen, im Haus des lasterhaften Priesters, der sich indes ganz besonders in eine junge, verheiratete Dame der Nachbarschaft verguckt hat. Unser Held verspricht ihm, sie ihm abends vorbeizubringen, heimlich und verschleiert natürlich, damit niemand Wind davon bekommt. Daraufhin bereitet der Geistliche eine Tafel mit erlesenen Köstlichkeiten vor. Tatsächlich steht nach Einbruch der Nacht eine verschleierte Gestalt vorm Pfarrhaus, die sogleich ins Schlafgemach geführt wird. Dort aber erlebt der Priester eine böse Überraschung: es ist sein junger Freund selbst, dessen mit einem Dolch bewaffneter Arm plötzlich unter dem schwarzen Stoff hervorschnellt und ihn niedersticht. Nachdem der Jüngling sich, was sein eigentliches Ziel gewesen ist, die Taschen voll mit dem Privatschatz des Pfarrers vollgestopft hat, lässt er sich noch die Leckerbissen im Nebenzimmer schmecken. Als der Priester sich auf allen Vieren zu ihm schleppt, macht ihm der Jüngling endgültig den Garaus. Dass Bernardino seinem Freund diese Geschichte erzählt, hat einen besonderen Grund: Der Jüngling, den man kurz nach seiner Tat schon geschnappt und als Priestermörder unters Fallbeil gelegt hat, war der erste Tote, den er jemals in seinem Leben zu Gesicht bekam, als kleiner Junge, unter den Schaulustigen, die der Hinrichtung beiwohnten.
Die eigene Hinrichtung wartet inzwischen auch auf unsere beiden Sympathieträger. Über den Innenhof des Gefängnisses hinweg schreit Mammone eine letzte Geschichte zu Bernardino herüber, während beide fürs Sterben vorbereitet, rasiert und eingekleidet werden. Unterbrochen wird die recht simple Erzählung – sie handelt von einem bankrottgegangenen Kaufmann, der seiner Frau eröffnet, er wolle sich, um wenigstens ihr eine kleine Rente zu sichern, das Leben zu nehmen, worauf die ihm stattdessen vorschlägt, für ihn anschaffen zu gehen, um die Familienfinanzen aufzubessern, in Wirklichkeit aber lediglich ihre sexuellen Lüste ausleben möchte, und ihren zweiten Liebhaber genauso hinterhergeht wie ihren ersten, worauf ihr Mann und ihr Freier sie mit einem Jüngling in flagranti erwischen, und diesen mit Messerstichen kurz und schmerzlos zu Tode bringen - ständig von den letzten Lebensminuten der verurteilten Mörder, die wir von ihren Zellen durch die Gefängnisgänge bis hin zum Schafott begleiten, wo nicht kurz vor dem Abspann noch ein Schicksal, das es gut mit ihnen meint, eingreift, und sie vorm Galgen rettet, sondern sich die Schlinge tatsächlich um ihre Hälse zuzieht. Die letzte Szene des Films zeigt dann ihre baumelnden Leichen, schelmisch lächelnd noch im Tode, den sie sowieso die ganze Zeit abgetan haben wie etwas, das einen nicht mehr tangieren sollte als ein Schnupfen.
Für jemanden, der mit den Filmen aus Pasolinis Lebenstrilogie vertraut ist, dürfte allein schon bei meiner groben Inhaltsangabe zu STORIE SCELLERATE klargeworden sein, wo der Hauptunterschied zwischen Citti und den Werken seines Mentors liegt: Einmal abgesehen von der wirklich schaurigen Homosexuellenverbrennung und dem einen oder anderen Raubmord in I RACCONTI DI CANTERBURY ist Pasolinis Dreigestirn mittelalterlicher Lebensbejahung weitgehend frei von Szenen der Gewalt und der Grausamkeit. Wenn beispielweise in IL DECAMERONE Frauen ihre Männer sexuell hintergehen, wenn Töchter heimlich ihre Liebhaber auf dem Balkon empfangen und morgens dann von den Eltern ertappt werden, wenn Nonnen ihren Treueeid gegenüber Gott brechen und sich einen Jüngling als Sexspielzeug ins Kloster holen, dann muss keine der Figuren mit schlimmen Konsequenzen rechnen, vielmehr löst sich der Konflikt, falls er denn überhaupt stattfindet, in einem fröhlichen Gelächter auf, aus dem niemand benachteiligt hervorgeht. Anders sieht die Sache bei Citti aus: Dieser erhebt solche Akte wie (Selbst-)Kastration, Meuchelmord, Kannibalismus schon beinahe zum bestimmenden Thema seines Filmes. Keine der vier Episoden von STORIE SCELLERATE kommt aus ohne mindestens einen Tabubruch. Am häufigsten sind es männliche Geschlechtsorgane, die daran glauben müssen, dass es Mittel und Wege gibt, sie von ihrem Rumpf zu trennen, ansonsten werden Frauen wie Männer gerne im Affekt erdolcht oder Priester hinterlistig in tödliche Fallen gelockt. Besonders komisch ist das alles nicht, weshalb denn auch das omnipräsente Lachen mir, anders als bei Pasolini, oftmals mehr wie das von Teufeln vorkam als das von unbedarften, mit Brauchtum und Natur verwachsenen Menschen, in die ich meine Sehnsüchte hineinprojizieren kann. Bezeichnend für diese Ak-zentverschiebung ist allein schon die Rahmenhandlung. In Pasolinis früheren beiden Filmen ist es stets er selbst in persona, der die einzelnen Episoden zusammenhält. Als Giotto in IL DECAMERONE und als Chaucer in I RACCONTI DI CANTERBURY verkörpert Pasolini Künstlerfiguren in Schaffensprozessen, die, parallel zur Entwicklung der Handlung, entweder mit dem Malen eines Freskos oder der Niederschrift eben jener Geschichten beschäftigt sind, aus denen sich dann auch der Film zusammensetzt. Pasolini, in doppelter Hinsicht Produzent, einmal als Regisseur des vorliegenden Films und dann noch als Künstlerfigur in diesem Film, stülpt seinen Adaptionen von Boccaccio und Chaucer eine mehr oder minder große Meta-Ebene über, die wirkt, als wolle er sein Publikum in gewisser Weise von der in ihnen portraitierten utopischen, idealisierten Welt distanzieren. Von Distanz kann bei Citti keine Spur sein, wenn er seinen Bruder Sergio und Ninetto Davoli zwar in einer Rahmenhandlung ansiedelt, diese aber durch keinerlei Markierung außerhalb der Erzählwelt der Einzelepisoden steht. (Auffällig ist in dem Zusammenhang übrigens, dass auch vom Mittelalter keine Spur mehr in STORIE SCELLERATE zu entdecken ist. Obwohl explizit zu keinem Zeitpunkt genannt wird, in was für einer Epoche wir uns da eigentlich befinden, würde ich anhand der Kostüme und Dekors eher auf das achtzehnte als auf ein früheres Jahrhundert schließen.)
Abgesehen davon allerdings kann man Sergio Citti alles attestierten, nur keine Eigenständigkeit. Dass Pasolini am Skript mitgewirkt hat und zudem sein halbes Team zur Verfügung stellte, dürfte jedoch auch keine besondere Hilfe dabei gewesen sein, Citti eigene ästhetische und formale Lösungen finden zu lassen, und erklärt vielleicht am logischsten, weshalb STORIE SCELLERATE aussieht und sich anfühlt wie eine Ansammlung von Outtakes, die es nicht in IL DECAMERONE und I RACCONTI DI CANTERBURY geschafft haben. Es mag sein, dass Citti mehr auf den Punkt hin erzählt, d.h. dass er eher an Pointen interessiert ist, an Kulminationspunkten, auf die die einzelnen Geschichte hinauslaufen, während bei Pasolini sich alles eher im Fluss befindet, ineinander übergeht, keinen richtigen Anfang, kein richtiges Ende hat, und es mag auch sein, dass Cittis Stil sich von der schmucklosen Schlichtheit seines Meisters dadurch unterscheidet, dass alles ein bisschen konventioneller ausgefallen ist, die Bildkompositionen, die Montage, der Einsatz von Musik, und auch eine gewisse Derbheit kann ich STORIE SCELLERATE nicht absprechen, wenn zum Beispiel von zwei kotenden Männern direkt zu einer Aufnahme des Petersdoms geschnitten wird, oder wenn, wie erwähnt, in fast schon sadistischer Schaulust insgesamt drei Männerpenisse ihr Fett wegbekommen. Davon einmal abgesehen, fällt es mir indes schwer, mir vorzustellen, dass Citti nicht als dreister Kopist Pasolinis verschrien gewesen wäre, wenn er nicht von diesem quasi die Erlaubnis erhalten hätte, seine Werke so gut wie möglich nachzuahmen.
Insofern ist STORIE SCELLERATE ein Schwert mit zwei Schneiden. Zum einen kann man ihn als nette Ergänzung zur „normalen“ Trilogie des Lebens betrachten, nur eben etwas zotiger, etwas blutrünstiger, etwas unbequemer, und, gerade in den Szenen, in denen Sergio Citti und Ninetto Davoli ihre altvertrauten Rollenschemata erfüllen, gut und gerne zu mindestens einem Viertel für ein Werk Pasolinis selbst halten. Zum andern ist es natürlich eine verschenkte Chance, dass Citti aus dem Stoff nichts Originelleres gemacht hat als das, was man von ihm nach der langjährigen Zusammenarbeit mit Pasolini hat erwarten können. Mir persönlich jedenfalls hat STORIE SCELLERATE unterhaltsame, manchmal überraschend scheußliche, insgesamt recht kurzweilige eineinhalb Stunden beschert und besser als so mancher völlig dem Klamauk und der Zote ergebener DECAMERONE-Nachzügler aus derselben Zeit ist er allemal. Für Fans von Kastrationsszenen auf jeden Fall ein absolutes Muss…