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Originaltitel: Mordkommission Berlin 1
Herstellungsland: Deutschland / 2015
Regie: Marvin Kren
Darsteller: Friedrich Mücke, Tobias Moretti, Antje Traue, Emilia Schüle, Frederick Lau, Oliver Masucci, Dirk Nocker, Hans-Uwe Bauer, Trystan Pütter, Pit Bukowski, Emilio De Marchi und Jörn Hentschel.
Story: Zu einer Party ist der Kommissar eingeladen, aber er fühlt sich nicht wohl. Ihm reicht ein Blick, und er weiß, was im Varieté Irrgarten gespielt wird. Der Bürgermeister „möchte sich ein wenig die Nase pudern“, raunt der Clubbesitzer Viktor Parkov (Oliver Masucci) im Hintergrund einem Adlaten zu, während Kommissar Paul Lang (Friedrich Mücke) die illustre Gesellschaft taxiert, die sich auch noch ein paar weiteren Vergnügungen hingibt. Mittendrin sein Freund, Staatsanwalt Barnekow, der lieber ein Auge zudrückt, als Berlins organisierte Kriminalität aufzumischen. Die „Krokodile“, hinter denen Lang her ist, hielten sich doch an gewisse Regeln und damit lasse sich leben, meint Barnekow. Am nächsten Morgen liegt er tot und zerpflückt in einem Becken. „Der Staatsanwalt, der die ,Krokodile‘ verknackt, landet bei den Krokodilen“, schnauzt Lang seinen Assistenten Conrad Ruppert (Frederick Lau) an, der meint, es könnte doch auch ein Unfall sein. Will heißen: Das ist kein Unfall und kein Zufall, sondern eine Kampfansage - an die Polizei, an die „Mordkommission Berlin 1“ und selbstverständlich auch an ihn persönlich.
Vorab möchte ich mich schon einmal für diesen Artikel entschuldigen. Da ich wieder den deutschen Förderfilm, die Öffentlich-Rechtlichen (aka die Intransparenten-Illegalen) sowie natürlich die Filmförderung in unserem Land als Solches angreife. Solange sich aber nichts ändert, kann ich nicht anders.
Da auch Wunder heutzutage immer seltener werden, sollte man sie nicht leichtfertig stillschweigend übergehen. Erst recht nicht, wenn sich diese (überraschender Weise) im deutschen Film zeigen. In den 80er Jahren war Sat1 schon einmal der Kanal meines Herzens. Damals punktete der noch jugendliche Sender mit so kuscheligen Abenteuerstreifen wie WEISSE FRACHT FÜR HONG KONG, 5 VOR 12 IN CARACAS oder ICH DIE NONNE UND DIE SCHWEINEHUNDE. Wie kann man sich bzw. konnte man sich als junger Film-Interessierter Mensch solchen wegweisenden Werken entziehen? Fast unbemerkt von den ahnungslosen Kritikern und verprellten TV- Zuschauern, schickte diese mittlerweile ein wenig in die Jahre gekommene Rundfunkanstalt, nun eine von allen Regeln und altbekannter deutscher Langeweile befreite Eigenproduktion in den Ring. Welche seit einer gefühlten Ewigkeit das Kunststück vollführt, einer seriösen Gangster- Ästhetik in einem deutschen Thriller ein glaubhaftes (ein atmosphärisches) Gesicht zu verleihen: Mordkommission Berlin 1.
Was sich zunächst ließt wie eine neue Ökonomie, wurde selbstverständlich durch den hierzulande von Generationen vererbten Publikumsargwohn gegenüber einheimischen Genreproduktionen sowie die dementsprechend nicht vorhandene Fankultur ausgebremst.Welche ein solches Filmereignis nun einmal zum Er- und Überleben braucht. Die Quote war also nichts besonderes und Sat 1 überlegt wie bisher weiter zu machen, mit Konventionellem, mit Komödien. Weil es der deutsche Zuschauer nicht anders kennt. Immer noch besser als dem Publikum, wie gewohnt, den deutschen Alltag vorzuhalten und ihm diesen obendrauf auch noch zu erklären (gleichzeitig). Das ist den Filminteressierten Menschen hierzulande ja schließlich bestens bekannt, damit ist er quasi aufgewachsen. Deutsche Filme erzählen nicht einfach nur Geschichten. Innerhalb eben dieser, wird dem Zuschauer auch Selbige erklärt. Er könnte ja etwas politisch missinterpretieren. Oh oh, der ideologische Supergau. Dies (die Beleidigung der Intelligenz der Zuschauer sowie der präventive Generalverdacht gegen eben jene) lässt sich ein Publikum in aller Regel natürlich nur widerwillig gefallen und schaut lieber keine deutschen Filme/Thriller. Das ist die kalte, unkreative, bürokratische Realität im Filmförderungsland des Jahres 2016, respektive die Realität deutscher Beamter, der Intransparenten-Illegalen.
Filmförderung ist nun mal da und diese muss ausgegeben werden. Interessiert nicht ob sich dafür ein Publikum findet oder ob es gar ein Publikum mit Bedürfnissen gibt. Die Cracks deutscher Filmhochschulen drehen weiter (die ihnen eingebläuten) pädagogisch höchst wertvollen Eisschrank-Leichen. Wie kann es ein Zuschauer mit einer solchen Geschichte auch besser wissen? Dass sich hier dann tatsächlich einmal etwas ändert ist ein Phänomen und der eigentliche Gegenstand dieser Rezension. Darum schreie ich es noch einmal hinaus in die Welt: Mordkommission Berlin 1 hat nur sehr wenig gemein mit den typischen seit Jahrzehnten hier praktizierten Fernsehkrimis. Was umgehend zu der Frage führt. Wie haben sie das gemacht Herr Kren? How did you do it?
Der Regisseur bricht mit all diesen "ungeschriebenen" germanischen Filmgesetzen. Das Drehbuch (wäre selbst in den USA in einem Punkt außergewöhnlich) von Benjamin Hessler und Arndt Stüwe, muss für den Sender schon eine enorme Herausforderung gewesen sein. Der Held ist in höchstem Maße Drogenabhängig (spritzt sich Morphium zwischen seine Zehen), trägt bei regnerischem Wetter eine dunkle Sonnenbrille, hält sich nicht an Absprachen, setzt Verdächtige massiv mit Schlägen und Drohungen unter Druck und lebt eigentlich das stilisierte einsame Leben eines verwundeten Wolfes. Dazu ist er relativ einsilbig und hinterlässt in jeder Situation einen blendenden Eindruck, um nicht zu sagen einen unerschütterlichen coolen. Hallo? Noch ganz dicht oder was?! Das lässt ja schon fast Schweigers/Alvarts Tatort wir einen..., ja, wie einen Tatort aussehen.
Der BLUTGLETSCHER- Regisseur holte sich für seinen Gangster-Thriller eine ganze Reihe wunderbarer Darsteller, vor deren Spiel man schon mal auf die Knie fallen darf (wenn man das denn unbedingt möchte). Allen voran der Stuttgarter Oliver Masucci, welcher sich gibt als käme er von einem anderen Planeten! Vom Planeten raffiniert und subtil. Selbst Tobias Morettis wohl bekanntes Overacting macht Kren zu einem hilfreichen Element, in einer sich stetig entwickelnden Dramaturgie (und man freut sich endlich einmal für Moretti). Hier passt wirklich alles: Antje Traue, der deutsche Hollywood-Star (kann man schon so kühn sein dies zu behaupten?), ist wie immer zurückgenommen und schön, tiefgründig und faszinierend. Friedrich Mücke, die Entdeckung, als unzugänglicher, eigensinniger Protagonist, der schließlich selber ins Fadenkreuz eines überholten Polizeiapparates gelangt (Mücke hätte das Zeug der neue Joachim Fuchsberger zu werden). Michael Hanfeld in der Frankfurter Allgemeine: "Schauspieler, die richtig in ihren Rollen stecken und richtige Charaktere spielen dürfen".
Mordkommission Berlin 1 lebt durch seine besonderen Gesichter und durch die spannenden Geschichten die diese erzählen können. Und er lebt durch eine faszinierend mysteriös inszenierte Stätte: Berlin. Dieser Streifen macht daraus einen besonderen, einen magischen Ort. Berlin in den 20ern, so ausgelassen und vergnügunssüchtig wie einsam. Der 1. Weltkrieg hat seine Hinterlassenschaften in Form von düsteren Kartellen hinterlassen. Mafiaartige Verbindungen, die sich Ringvereine nennen. Mit der Polizei befindet man sich in einer Art Krieg. Die meisten Beamten und Staatsanwälte sind geschmiert, weshalb ein anhaltender aber fragiler Waffenstillstand herrscht. Die Ringvereine sind angsteinflößende und perfekt funktionierende Organisationen, die wie selbstverständlich mit schweren Waffen arbeiten. Und dies, vor allem mit der Selbstverständlichkeit Menschenleben zu nehmen. Noch so eine Neuerung die der Österreicher mitgebracht hat (bzw. zurück in das deutsche Kino holt). Das Selbstverständnis mit welcher Marvin Kren diesen Ort und deren Personen hier zelebriert hat ein sehr schönes, hohes Niveau. Ein Genre-Selbstverständnis wie man es aus dem "neueren" deutschen Genrefilm kaum kennt. Kren hat nicht nur ein besonders Verständnis für das Genrekino, er hat Ahnung und lebt dies sehr unterhaltsam aus.
Das Bewusstsein mit dem man an die Umsetzung von Mordkommission Berlin 1 heran gegangen ist funktioniert. Weil es sich nicht nur erkennbar entspannt und verspielt an den Gesetzmäßigkeiten des Genrekinos orientiert, sondern sich innerhalb dieser selbstbewusst bewegt. Und nur so und nicht anders kann Genrekino funktionieren. In dem man den "Regeln" des Genrekinos konsequent folgt, sie ernst nimmt. Nicht wie üblich diese verwässert, bricht oder nur teilweise berücksichtigt: Ein wenig Thriller, ein wenig Krimi, ein wenig "Realismus" (was nichts anderes als langweiliger trister deutscher Alltag bedeutet), viel politisch "korrekter" unverfänglicher Kontext, welcher als Grundregel durch alle Charaktere lugt (Filme Sergio Leones hätten/würden in Deutschland nie Fördermittel bekommen).
Kren scheint das Genrekino nicht einfach nur zu liegen, er beweist ein sicheres Talent für ein in unserem Land als ausgestorben geglaubtes Kino: Gangsterkino. Wieder ein Österreicher, wie Prochaska, Olsen, Hofbauer, Saller, Frank oder Reinl.
Ein Filmentwicklungsland wie Deutschland braucht Film-Entwicklungshilfe. Obschon ich Österreich in diesem Zusammenhang noch nicht als Ausland bezeichnen würde. Wenn man seinen eigenen Talenten nicht traut, sollte man so viel Mut haben über den Tellerrand zu schauen. Es gibt international viele arbeitsuchende Regisseure (in Frankreich, Hollywood, Asien), die sich mit Themen wie Action-Thriller-, Gangster- oder Polizeithriller bereits einen Namen gemacht haben. Vielleicht findet man dort den Erfolg, den das deutsche Genrekino so schmerzlich vermisst? Bei unseren Filmhochschulabsolventen wird man für den Job Kinofilm kaum fündig werden. Da müsste man wieder bei Null anfangen. Ihnen das Leben komplett neu erklären, wie bestäuben die Bienen die Blumen usw. Kren braucht nur ein Budget. Er macht alles richtig. Bitte liebe SAT1, macht noch einen Teil MkB1.
Michael Cholewa (Exklusiv für Deliria)