Fährmann Maria - Frank Wisbar (1936)
Verfasst: Do 14. Apr 2016, 23:03
Originaltitel: Fährmann Maria
Produktionsland: Deutschland 1936
Regie: Frank Wisbar
Darsteller: Sybille Schmitz, Aribert Mog, Peter Voss, Karl Platen, Carl de Vogt
Nachdem ich kürzlich Veit Harlans Kitsch und Sentimentalität bis weit über die Grenzen der Genialität hinausführendes Melodram OPFERGANG von 1944 für mich (wieder-)entdeckt hatte, bin ich, einmal dazu angestachelt, auf die Suche gegangen nach noch mehr vergessenen Juwelen, die im Dritten Reich entstanden sind und die man dem Kino Hitler-Deutschlands gemeinhin niemals zutrauen würde. Harmlose Lustspiele und Operetten mit leichtbekömmlichen Schlagern und einfältigen Liebesverstrickungen oder polternde Kriegs- und Propagandawerke mit Marschmusik und schnarrenden Stimmen, das sind, meiner Erfahrung nach, üblicherweise die beiden Eckpfeiler, zwischen denen die Spielfilme Deutschlands aus den Jahren 1933 bis 1945 eingeordnet werden – für ersteres könnte man die zahllosen erfolgreichen Zarah-Leander-Dramen anführen, in denen die gebürtige Schwedin die reichsdeutschen Kinokassen wie kaum ein zweiter Star klingeln ließ, darunter beispielweise Douglas Sirks bzw., wie er sich damals noch nannte, Detlef Siercks auf Teneriffa gedrehter LA HABANERA von 1937 oder DIE GROSSE LIEBE, entstanden unter der Regie von Rolf Hansen im Jahre 1942, einem der populärsten Werke der NS-Zeit überhaupt und ein Musterbeispiel darin wie man Unterhaltung und Kriegspropaganda perfekt unter einen Hut bringen kann, wenn man das denn unbedingt möchte – für letzteres würde ich vor allem die ebenfalls zahllosen Haudrauf-Filme Karl Ritters anführen, die zwar Goebbels stets zu primitiv gewesen sind, dennoch aber scheinbar Anklang genug fanden, dass sie von Lobliedern auf die Hitlerjugend wie HITLERJUNGE QUEX (1933) bis hin zu kriegerischen Streifen wie POUR LE MÉRITE (1938) oder STUKAS (1941) reichen, die man aufgrund ihrer groben, rasanten Machart durchaus mit internationalen Actionkloppern der 80er vergleichen könnte, wenn man sich damit nicht des Vorwurfs der NS-Verharmlosung aussetzen würde. Dass in solch einer Atmosphäre ein verträumtes Blümchen wie Frank Wisbars FÄHRMANN MARIA (1936) gedeiht, grenzt schon an ein Wunder. Natürlich, der Propagandaminister war scheinbar nicht ansatzweise so berauscht wie ich von diesem märchenhaften Meisterwerk – er notiert in sein Tagebuch, Wisbars Film sei ein Experiment, aber kein gutes -, und irgendwie ist das auch verständlich, wenn man bedenkt, dass Wisbar zum einen nicht mal als NS-Mitläufer bezeichnet werden kann – stattdessen emigrierte er kurz nach FÄHRMANN MARIA ins Ausland, fand sich in Hollywood wieder, wo er allerdings nie Anschluss an die wirklich großen Studios knüpfen konnte und sich daher vor allem mit B-Movies über Wasser hielt -, und zum andern mit vorliegendem Film so etwas gedreht hat wie das nun wirklich allerletzte Aufbäumen des deutschen Stummfilmexpressionismus, d.h. ein Werk, das schon Mitte der 30er anachronistisch gewirkt haben muss, eine entrückte Legende, die inhaltlich und stilistisch weit zurückschauen kann auf eine deutsche Volkskultur noch jenseits der Romantik hin zu mündlich tradierten Geschichten, die sich unsere Ururururahnen möglicherweise am Lagerfeuer erzählt haben.
Ein kleines Dorf irgendwo im deutschen Sprachraum. Beschaulicht lebt man sein Leben – der stets betrunkene, lustige Geiger, der Schankhausbesitzer, der sich gerne aus dem Fenster lehnt und die Vorbeigehenden beobachtet oder anspricht, der greise Fährmann, der dafür zuständig ist, seine Fahrgäste sicher von einem Ufer zum andern quer über das Moor zu geleiten. Eines Abends erscheint diesem ein älterer Mann, der von ihm die Überfahrt fordert. Der Fährmann tut wie ihm geheißen, und stirbt auf einen Wink des personifizierten Todes hin. Daraufhin häuft sich das Gemurmel, da draußen, am Landesteg, würde es umgehen, sei es nicht geheuer. Die Folge ist, dass niemand aus dem Dorf die vakante Stelle besetzen möchte, aus Angst, es selbst mit dem Tod zu tun zu bekommen. Doch dann taucht ein junges Mädchen, Maria, im Dorf auf. Dem Schankwirt vertraut sie an: sie hat keine Papiere, keine Heimat, weiß nicht, wohin mit sich. Es dauert nicht lange und sie erhält die Erlaubnis, zur Fährfrau zu werden. Von nun an wohnt sie draußen am Moor in einer kleinen, engen Hütte, und bringt tagaus, tagein Fremde und Dorfbewohner herüber und hinüber. Ein Fahrgast jedoch scheint in großen Problemen zu stecken: Verfolgt von einer Gruppe unheimlicher Reiter rettet er sich gerade noch in Marias Arme, die ihn zunächst in ihrer Hütte versteckt, um den Verwundeten dort in aller Ruhe pflegen zu können. Vor dem Dorf hält sie die Anwesenheit des Fremden geheim, dafür erwärmt sich ihr Herz mehr und mehr für ihn, und es bleibt nicht aus, dass die Beiden sich ineinander verlieben. Was Maria jedoch nicht ahnt, ist: der Fremde ist dem Tod im wahrsten Sinne des Wortes von der Schippe gesprungen, was der Sensemann freilich nicht gerne sieht, und deshalb fortwährend in der Gegend nach dem Entwischten Ausschau hält. Maria begreift, in was für einer Gefahr ihr Liebster steht, und sie versucht alles, den Tod auf eine falsche Fährte zu locken, ihn abzulenken, mit dem gerade stattfindenden Dorffest zum Beispiel, doch der ernste Gesell durchschaut all ihre Tricks und fordert weiterhin den Aufenthaltsort seines nächsten Opfers. Ist Marias Liebe stark genug, dass sie ihr Leben hingibt, um das ihres Liebsten zu bewahren…?
Ein erster Film, auf den FÄHRMANN MARIA sich wohl ganz bewusst bezieht, ist, wie man der Inhaltsangabe mit ihrem zentralen Konflikt zwischen dem ihren Geliebten einfordernden Tod und einer jungen Frau, die mit dem bleichen Gevatter um das Leben ihres Mannes zu feilschen beginnt, vielleicht schon entnehmen kann, recht eindeutig Fritz Langs Stummfilmklassiker DER MÜDE TOD von 1921. In diesem „Volkslied in sechs Versen“ ist die Ausgangssituation eine ähnliche wie die, die sich bei FÄHRMANN MARIA im letzten Drittel der etwa fünfundsiebzigminütigen Handlung mehr und mehr zuspitzt: Ein geheimnisvoller Fremder unterbricht jäh das Eheglück eines verliebten Pärchens, nimmt den Ehemann mit sich und eröffnet der Frau, dass er der Tod höchstpersönlich sei, der ihrem Liebsten das Lebenslicht ausblasen müsse. Unsere Heldin fleht und bettelt, und schließlich, nach drei vertanen Chancen – sprich: drei Episoden, in der die Frau in vergangenen Epochen und unterschiedlichen Rollen das Lebenslicht ihres Mannes vor dem Atem des Todes zu schützen versucht -, bleibt ihr nur der Ausweg, auf den perfiden Deal des Todes einzugehen, ihm selbst ein anderes Menschenleben als Ersatz zuzuführen. Als sie aber die Möglichkeit hat, einen unschuldigen Säugling in einem brennenden Haus den Feuertod sterben zu lassen, opfert sie sich selbst, und die Liebenden werden im Jenseits vereint. Offenkundig hat Wisbar, der auch am Drehbuch mitarbeitete, in FÄHRMANN MARIA mehr als ein Motiv des Lang-Klassikers verarbeitet. Gerade die Darstellung des Todes als kühlen, wortkargen, älteren Herrn, der allerdings mit sich verhandeln lässt, und die Opferbereitschaft der Heldin, die alles dafür tun würde, um ihren Liebsten nicht sterben sehen zu müssen, scheinen fast direkt aus dem Lang’schen Vorbild entnommen. Jedoch enden, meiner Meinung nach, die Kongruenzen zwischen FÄHRMANN MARIA und DER MÜDE TOD bei solchen Oberflächendingen auch schon bald wieder, und ästhetisch und formal scheint mir Wisbars Werk einem ganz anderen Film wesentlich näher zu sein.
Der Film, den ich meine, ist jüngeren Datums als Langs MÜDER TOD, gedreht zwar 1930, veröffentlicht allerdings erst 1932, und hört auf einen Titel, der mich antönt wie der mitternächtliche Ruf des Totenvogels: VAMPYR. Dieser Horrorfilm – eines der Meisterwerke seines Genres und, meine ich, einer der drei besten Vampirfilme, die jemals auf die Leinwand gebracht worden sind – unter der Regie des Dänen Carl Theodor Dreyer entstanden, und finanziert von dem jüdischen Bankier und Cineasten Nicolas de Gunzburg, der dann auch die Hauptrolle des okkulten Sherlock-Holmes-Verschnitt Allan Gray übernahm, wurde seinerzeit zwar kaum beachtet und floppte sowohl an den Kinokassen als auch in den Filmkritikkolumnen phänomenal, ich kann mir indes kaum vorstellen, dass er Frank Wisbar, als der die Weichen für seinen FÄHRMANN MARIA stellte, unbekannt gewesen sein soll – und das liegt nicht nur daran, dass die weibliche Hauptrolle in beiden Filmen von Sybille Schmitz bekleidet wird. Inhaltlich mögen beide Filme Welten trennen – VAMPYR ist ein kaum irgendeiner klassischen Erzähltradition verpflichteter Bilderreigen, der nebenbei zwar illustriert wie der Experte fürs Übernatürliche, Allan Gray, eine ganze Familie bzw. ein ganzes Dorf von einer grässlichen blutsaugenden Großmutter und ihren schattenhaften Helfershelfern erlöst, primär aber darauf aus, eine surreale, hypnotische, schaurige Szene an die nächste zu heften -, visuell schwimmen sie indes für mein Befinden auf exakt der gleichen Wellenlänge: Wie VAMPYR geht es FÄHRMANN MARIA weniger darum, eine psychologisch glaubwürdige Handlung mit psychologisch glaubwürdigen Figuren vorzustellen, die linear und nachvollziehbar von einem Anfangs- zu einem Endpunkt verläuft, stattdessen steht im Vordergrund Wisbars Bestreben, mit Hilfe von Grundbausteinen des experimentellen Kinos wie einer unkonventionellen Montage, einigen malerischen, ungewöhnlichen Bildkompositionen, und einem märchenhaften Grundton, der von Beginn an deutlich macht, dass er gar nicht der einer realistischen Darstellung der Welt sein möchte, eine völlig irreale Atmosphäre zu erzeugen – und das schafft er, wie Dreyer ein paar Jahre zuvor, einfach vorzüglich.
Natürlich muss man sich zunächst mal all das Schreckliche und Düstere wegdenken, das VAMPYR für mich zu einem der Filme macht, die mir nach all der Zeit immer noch den Schlaf rauben können, dann aber scheint es mir nicht zu weit hergeholt, FÄHRMANN MARIA als eine Art VAMPYR, nur eben in lieb und nett, zu definieren. Naiv, unbeholfen ist der Schnitt zuweilen, die Gestalten des Films sind alles, bloß keine ausgefeilten Figuren, viel Zeit wenden beide Filme auf, um ihre Charaktere bei scheinbar alltäglichen Verrichtungen zu zeigen – wie liebevoll Wisbar Maria bei ihren täglichen Ausfahrten schildert korrespondiert mit den vielen Aufnahmen Dreyers, der Allan Gray einfach nur beim Umherlaufen und Beobachten unheimlicher Vorgänge folgt -, und, nicht zuletzt: beide Werke, VAMPYR wie FÄHRMANN MARIA, stehen bis zu den Knien tief in der Tradition des Stummfilms, sind aber zugleich virtuos und innovativ darin, den neuentdeckten Filmton für ihre Zwecke zu nutzen, ohne sich von ihm behindern zu lassen. Gerade VAMPYR ist ein Musterbeispiel dafür, wie ein wagemutiger Regisseur Anfang der 30er nicht vor dem Tonfilmkino einknickt und von nun an unter ihren Dialogen ersaufende steife Plaudertaschen dreht, die wirken, als gehörten sie eher auf die Bühne als auf eine Leinwand. Der Ton wird in VAMPYR kongenial einsetzt, um die sowieso schon vorhandene Schauerstimmung des Films zu verstärken. Hunde bellen, wo keine sind, die Stimmen der Darsteller stoßen einzelne Worte aus, die in keiner offenkundigen Beziehung zur Handlung zu stehen scheinen, mal hallen sie, mal flüstern sie, mal scheinen sie aus dem Off zu kommen. Ähnliches bietet Wisbar in FÄHRMANN MARIA: Obwohl er wesentlich mehr Dialoge hat als Dreyers VAMPYR ist sein Film nichtsdestotrotz einer, der seine vergleichsweise immer noch wenigen gesprochenen Worte als Mittel einsetzt, um eine vorhandene Grundstimmung noch zu intensivieren. Bestes Beispiel ist wohl die ergreifendste Szene des gesamten Films, die nämlich, in der Maria von ihrem Liebsten erfährt, dass ihm nicht irgendwelche Häscher aus Fleisch und Blut, sondern welche, die beim Tod im Dienst stehen, auf den Fersen sind. Im Fieberwahn und zu einer fernen, skizzenhaften Militärmusik brüllt er auf seinem Krankenlager in einem halben Singsang und einem halben Wahngeschrei, zudem in Versen und zu einem Marschrhythmus, sein Schicksal heraus, während Maria, und ich, stumm und mit Gän-sehaut daneben sitzen und nur starren können.
Anders als Dreyers VAMPYR ist FÄHRMANN MARIA aber kein Film, der in abgehobenen Avantgarde-Kreisen besser aufgehoben wäre als vor einem ganz normalen ländlichen Publikum aus der Mitte des Volkes. Im Grunde streut Wisbar in seinen Film nämlich all das, was auch ein typisches Lustspiel der 30er auszeichnet: Eine leicht fassbare, triviale Liebesgeschichte, viel Tanz und Gesang, vor allem dargeboten vom sogenannten Geiger, der immer mal wieder ein Ständchen zum Besten gibt, eine Dorfidylle scheinbar ohne großartig dunkle Flecken wie aus einem Märchenbuch – die dadurch, dass das Dorf offenkundig eine Studiokulisse ist, noch putziger und puppenhäuslicher wirkt. Die Frage ist, was Wisbar aus diesen Versatzstücken macht, und die Antwort muss lauten: er komponiert sie so, dass das Ergebnis sich, denke ich, sowohl in einem Kino der deutschen Provinz hat sehen lassen können als auch vor einem ausgewählten Intellektuellenpublikum. Ob nun beabsichtigt oder nicht: FÄHRMANN MARIA ist auf Augenhöhe mit beiden Zuschauergruppen, d.h. er ist ein Bündel Volkskultur, geeignet für den Gebildeten wie den Ungebildeten. In sich vereint der Film den vermeintlich einfältigen Ton des Märchens ebenso wie kühne formale und technische Experimente. Dass er dabei anbetungswürdig ausschaut – das Moor, das beständig ganze Sippen von Nebelschwaden zu gebären scheint, die Reiter aus dem Jenseits wie sie unserem Helden hinterherstellen und dann am andern Ufer anhalten, um ihm und seiner Flucht hinterher zu blicken, eine Würfelpartie zwischen dem Tod und einem Bauern, der ein Auge auf Maria geworfen hat, und den Fremden für seinen Nebenbuhler hält, und die mich nicht wenig an ein ähnliches Spielduell zwischen Tod und Mensch in Ingmar Bergmans DET SJUNDE INSEGLET (1957) erinnert hat -, hilft FÄHRMANN MARIA nur dabei, sich über engstirnige Grenzen hinwegzusetzen und zu einem lyrischen, in jedem Sinne traumhaften letzten Film einer kinematographischen Phantastik zu werden, die schon im Dritten Reich nicht mehr besonders gefragt ist und im Nachkriegsdeutschland ebenfalls nicht mehr sonderlich wiederbelebt werden wird.
Muss ich gesondert erwähnen, dass jedwede Fetzen bösartiger NS-Ideologie in FÄHRMANN MARIA höchstens dann gefunden werden können, wenn man sie mutwillig von außen hineinlegt? Ich gebe zu: gerade das Finale, nachdem Maria es – was für eine unglaubliche Idee! – geschafft hat, den Tod ins Moor zu locken und dort versinken zu lassen, sodass sie mit ihrem Liebsten zum andern Ufer übersetzen kann, wo dessen Heimat auf sie, die Heimatlose, wartet, um sie in die Arme zu schließen, lässt sich doch ziemlich leicht im Hinblick auf eine Ideologie von Blut und Boden deuten. Während dieses helle, lichte Ende, das in starkem Kontrast steht zu den düsteren Bildern, mit denen zuvor die Lüneburger Heide zur gespenstischen Landschaft stilisiert wurde, erneut überdeutlich angelehnt ist sowohl an Langs MÜDEN TOD als auch an Dreyers VAMPYR – wobei der Unterschied darin besteht, dass unsere Helden in FÄHRMANN MARIA ihre neue/alte Heimat im Diesseits erreichen, wohingegen Lang und Dreyer ihre finalen Überfahrten mehr oder minder eindeutig als metaphysische Reisen markieren -, steht doch außer Frage, dass Wisbars Film viel zu unkonkret bleibt, als dass dem Heimatbegriff ein Gesicht verliehen werden würde, das deckungsgleich ist mit irgendwelchen reell existierenden Orten, Regionen, Staaten – und dass ein Wort wie Heimat mehrmals positiv konnotiert in einem Film fällt, der sich hauptsächlich aus Elementen einer Volkskultur speist, empfinde ich weder als verwunderlich noch als anstößig.
Dass FÄHRMANN MARIA seinem Regisseur tatsächlich sehr am Herzen gelegen haben dürfte, darauf deutet ein Kuriosum hin, das ich zum Abschluss noch kurz am Rande erwähnen möchte: Wie gesagt fand Wisbar in Hollywood zwar eine neue Heimat, musste aber viele Jahren warten bis er ab Mitte der 40er wieder Filme für die große Leinwand drehen konnte, und selbst dann waren es vorrangig zweit- oder drittklassige B-Movies, die ihm, nehme ich an, primär dazu dienten, seine Miete zu bezahlen, bevor er Ende der 50er wieder in Fuß in Deutschland fassen konnte, und mit dem U-Boot-Kriegsfilm HAIE UND KLEINE FISCHE (1957) und dem Stalingrad-Kriegsfilm HUNDE, WOLLT IHR EWIG LEBEN? (1959) seine wohl heute noch bekanntesten Werke vorlegte. Unter den inzwischen nahezu völlig vergessenen kleinen US-Produktionen Wisbars sticht indes ein Film von 1946 hervor, den man zunächst für einen wenig bemerkenswerten, billigen Horrorthriller halten könnte: Dafür spricht sowohl der Titel STRANGLER OF THE SWAMP als auch die Geschichte, die von einem untoten Würger handelt, der, einst unschuldig von der Bevölkerung eines Dörfchens mitten im Moor hingerichtet, nun auf Rache sinnt, und einen männlichen Nachkommen seiner Henker nach dem andern auf recht kreative Weise, nämlich ohne sich die eigenen Hände schmutzig zu machen, mittels umherfliegender Galgenstricke vom Leben in den Tod befördert. STRANGLER OF THE SWAMP ist zwar kein, wie man mancherorts lesen kann, reines Remake von FÄHRMANN MARIA, trotzdem sind die Parallelen mehr als eindeutig. Nicht nur, dass Wisbar erneut seine atmosphärische Moor-Kulisse ausgräbt, auch entwickelt sich die Geschichte zunehmend in eine Richtung, die der seines Vorgängerfilms zuweilen haargenau gleicht: Nachdem nämlich der örtliche Fährmann Bekanntschaft mit dem Würgegriff des gespenstischen Wiedergängers gemacht hat, ist es ausgerechnet ein junges Mädchen namens Maria, das seinen freigewordenen Posten einnimmt, und sich in der Folge in eben den jungen Mann verliebt, der als Nächstes auf der Todesliste des titelgebenden Unholds steht. Was folgt, ist klar: Sie will sich für ihn opfern und die Macht ihrer Liebe lässt den Würger endlich seinen Frieden finden, und führt sie selbst in den Hafen der Ehe mit dem Burschen, den sie liebt. Dass das Ganze mehrere Güteklassen unter den im wahrsten Wortsinne romantischen Tönen von FÄHRMANN MARIA zurückbleibt, muss ich wohl nicht extra betonen. STRANGLER OF THE SWAMP ist eine nette Ergänzung und kein Ersatz: Sein Studiosetting mit den eifrig hechelnden Nebelmaschinen ist klar als solches zu erkennen, und steht in scharfem Kontrast zu den naturgewachsenen Landschaften des Originalfilms. Seine Maria-Darstellerin Rosemary La Planche, die direkt von irgendwelchen Schönheitsköniginnenwettbewerben wegengagiert worden ist, kann Sybille Schmitz nicht mal ein stilles Wasser reichen. Überhaupt leidet der Film unter dem allzu sehr auf die Schiene anspruchslosen Grusels ausscherenden Drehbuch, das nahezu alles, was mich am Originalskript so angesprochen hat über Bord wirft, um massenkompatibler und konsumierbarer zu sein. Einige starke Szenen, in denen Wisbar etwas durchschimmern lässt von seinem Talent für unheimliche Stimmungen, gibt es zwar noch immer - zu erwähnen sind die dann doch recht eindrucksvollen Moorüberfahrten -, alles in allem stellt STRANGLER OF THE SWAMP für mich jedoch vor allem ein hochinteressantes Zeitdokument dar, das zeigt wie der deutsche Stummfilmexpressionismus nach seiner Transferierung in das Studiosystem Hollywoods sukzessive von einer Kultur der Autokinounterhaltung absorbiert und damit trivialisiert worden ist.
Was bleibt nach all den Lobhudeleien noch übrig für ein Fazit? Erneut muss ich feststellen, wie sehr es sich lohnt, gerade an Stellen auf Schatzsuche zu gehen, auf die es noch nicht allzu viele Spatenstiche gehagelt hat, weil es von ihnen heißt, dass es dort sowieso nichts zu holen gibt. FÄHRMANN MARIA ist eine zauberhafte Mischung aus Heimatfilm, expressionistischem Grusel und Märchen für Erwachsene irgendwo zwischen den beiden Extremen avantgardistisch und bieder, und das perfekte Gegenprogramm zu BRD-Produktionen wie beispielweise GRÜN IST DIE HEIDE (1951), WENN ABENDS DIE HEIDE TRÄUMT (1952) oder WENN DIE HEIDE BLÜHT (1960). Wer wissen will, wie es wirklich zugeht in deutschen Heidelandschaften nach Mitternacht, der sollte sich diesen Film, dem eine anständige DVD-Veröffentlichung sowas von zusteht, nicht entgehen lassen.
Ein kleines Dorf irgendwo im deutschen Sprachraum. Beschaulicht lebt man sein Leben – der stets betrunkene, lustige Geiger, der Schankhausbesitzer, der sich gerne aus dem Fenster lehnt und die Vorbeigehenden beobachtet oder anspricht, der greise Fährmann, der dafür zuständig ist, seine Fahrgäste sicher von einem Ufer zum andern quer über das Moor zu geleiten. Eines Abends erscheint diesem ein älterer Mann, der von ihm die Überfahrt fordert. Der Fährmann tut wie ihm geheißen, und stirbt auf einen Wink des personifizierten Todes hin. Daraufhin häuft sich das Gemurmel, da draußen, am Landesteg, würde es umgehen, sei es nicht geheuer. Die Folge ist, dass niemand aus dem Dorf die vakante Stelle besetzen möchte, aus Angst, es selbst mit dem Tod zu tun zu bekommen. Doch dann taucht ein junges Mädchen, Maria, im Dorf auf. Dem Schankwirt vertraut sie an: sie hat keine Papiere, keine Heimat, weiß nicht, wohin mit sich. Es dauert nicht lange und sie erhält die Erlaubnis, zur Fährfrau zu werden. Von nun an wohnt sie draußen am Moor in einer kleinen, engen Hütte, und bringt tagaus, tagein Fremde und Dorfbewohner herüber und hinüber. Ein Fahrgast jedoch scheint in großen Problemen zu stecken: Verfolgt von einer Gruppe unheimlicher Reiter rettet er sich gerade noch in Marias Arme, die ihn zunächst in ihrer Hütte versteckt, um den Verwundeten dort in aller Ruhe pflegen zu können. Vor dem Dorf hält sie die Anwesenheit des Fremden geheim, dafür erwärmt sich ihr Herz mehr und mehr für ihn, und es bleibt nicht aus, dass die Beiden sich ineinander verlieben. Was Maria jedoch nicht ahnt, ist: der Fremde ist dem Tod im wahrsten Sinne des Wortes von der Schippe gesprungen, was der Sensemann freilich nicht gerne sieht, und deshalb fortwährend in der Gegend nach dem Entwischten Ausschau hält. Maria begreift, in was für einer Gefahr ihr Liebster steht, und sie versucht alles, den Tod auf eine falsche Fährte zu locken, ihn abzulenken, mit dem gerade stattfindenden Dorffest zum Beispiel, doch der ernste Gesell durchschaut all ihre Tricks und fordert weiterhin den Aufenthaltsort seines nächsten Opfers. Ist Marias Liebe stark genug, dass sie ihr Leben hingibt, um das ihres Liebsten zu bewahren…?
Ein erster Film, auf den FÄHRMANN MARIA sich wohl ganz bewusst bezieht, ist, wie man der Inhaltsangabe mit ihrem zentralen Konflikt zwischen dem ihren Geliebten einfordernden Tod und einer jungen Frau, die mit dem bleichen Gevatter um das Leben ihres Mannes zu feilschen beginnt, vielleicht schon entnehmen kann, recht eindeutig Fritz Langs Stummfilmklassiker DER MÜDE TOD von 1921. In diesem „Volkslied in sechs Versen“ ist die Ausgangssituation eine ähnliche wie die, die sich bei FÄHRMANN MARIA im letzten Drittel der etwa fünfundsiebzigminütigen Handlung mehr und mehr zuspitzt: Ein geheimnisvoller Fremder unterbricht jäh das Eheglück eines verliebten Pärchens, nimmt den Ehemann mit sich und eröffnet der Frau, dass er der Tod höchstpersönlich sei, der ihrem Liebsten das Lebenslicht ausblasen müsse. Unsere Heldin fleht und bettelt, und schließlich, nach drei vertanen Chancen – sprich: drei Episoden, in der die Frau in vergangenen Epochen und unterschiedlichen Rollen das Lebenslicht ihres Mannes vor dem Atem des Todes zu schützen versucht -, bleibt ihr nur der Ausweg, auf den perfiden Deal des Todes einzugehen, ihm selbst ein anderes Menschenleben als Ersatz zuzuführen. Als sie aber die Möglichkeit hat, einen unschuldigen Säugling in einem brennenden Haus den Feuertod sterben zu lassen, opfert sie sich selbst, und die Liebenden werden im Jenseits vereint. Offenkundig hat Wisbar, der auch am Drehbuch mitarbeitete, in FÄHRMANN MARIA mehr als ein Motiv des Lang-Klassikers verarbeitet. Gerade die Darstellung des Todes als kühlen, wortkargen, älteren Herrn, der allerdings mit sich verhandeln lässt, und die Opferbereitschaft der Heldin, die alles dafür tun würde, um ihren Liebsten nicht sterben sehen zu müssen, scheinen fast direkt aus dem Lang’schen Vorbild entnommen. Jedoch enden, meiner Meinung nach, die Kongruenzen zwischen FÄHRMANN MARIA und DER MÜDE TOD bei solchen Oberflächendingen auch schon bald wieder, und ästhetisch und formal scheint mir Wisbars Werk einem ganz anderen Film wesentlich näher zu sein.
Der Film, den ich meine, ist jüngeren Datums als Langs MÜDER TOD, gedreht zwar 1930, veröffentlicht allerdings erst 1932, und hört auf einen Titel, der mich antönt wie der mitternächtliche Ruf des Totenvogels: VAMPYR. Dieser Horrorfilm – eines der Meisterwerke seines Genres und, meine ich, einer der drei besten Vampirfilme, die jemals auf die Leinwand gebracht worden sind – unter der Regie des Dänen Carl Theodor Dreyer entstanden, und finanziert von dem jüdischen Bankier und Cineasten Nicolas de Gunzburg, der dann auch die Hauptrolle des okkulten Sherlock-Holmes-Verschnitt Allan Gray übernahm, wurde seinerzeit zwar kaum beachtet und floppte sowohl an den Kinokassen als auch in den Filmkritikkolumnen phänomenal, ich kann mir indes kaum vorstellen, dass er Frank Wisbar, als der die Weichen für seinen FÄHRMANN MARIA stellte, unbekannt gewesen sein soll – und das liegt nicht nur daran, dass die weibliche Hauptrolle in beiden Filmen von Sybille Schmitz bekleidet wird. Inhaltlich mögen beide Filme Welten trennen – VAMPYR ist ein kaum irgendeiner klassischen Erzähltradition verpflichteter Bilderreigen, der nebenbei zwar illustriert wie der Experte fürs Übernatürliche, Allan Gray, eine ganze Familie bzw. ein ganzes Dorf von einer grässlichen blutsaugenden Großmutter und ihren schattenhaften Helfershelfern erlöst, primär aber darauf aus, eine surreale, hypnotische, schaurige Szene an die nächste zu heften -, visuell schwimmen sie indes für mein Befinden auf exakt der gleichen Wellenlänge: Wie VAMPYR geht es FÄHRMANN MARIA weniger darum, eine psychologisch glaubwürdige Handlung mit psychologisch glaubwürdigen Figuren vorzustellen, die linear und nachvollziehbar von einem Anfangs- zu einem Endpunkt verläuft, stattdessen steht im Vordergrund Wisbars Bestreben, mit Hilfe von Grundbausteinen des experimentellen Kinos wie einer unkonventionellen Montage, einigen malerischen, ungewöhnlichen Bildkompositionen, und einem märchenhaften Grundton, der von Beginn an deutlich macht, dass er gar nicht der einer realistischen Darstellung der Welt sein möchte, eine völlig irreale Atmosphäre zu erzeugen – und das schafft er, wie Dreyer ein paar Jahre zuvor, einfach vorzüglich.
Natürlich muss man sich zunächst mal all das Schreckliche und Düstere wegdenken, das VAMPYR für mich zu einem der Filme macht, die mir nach all der Zeit immer noch den Schlaf rauben können, dann aber scheint es mir nicht zu weit hergeholt, FÄHRMANN MARIA als eine Art VAMPYR, nur eben in lieb und nett, zu definieren. Naiv, unbeholfen ist der Schnitt zuweilen, die Gestalten des Films sind alles, bloß keine ausgefeilten Figuren, viel Zeit wenden beide Filme auf, um ihre Charaktere bei scheinbar alltäglichen Verrichtungen zu zeigen – wie liebevoll Wisbar Maria bei ihren täglichen Ausfahrten schildert korrespondiert mit den vielen Aufnahmen Dreyers, der Allan Gray einfach nur beim Umherlaufen und Beobachten unheimlicher Vorgänge folgt -, und, nicht zuletzt: beide Werke, VAMPYR wie FÄHRMANN MARIA, stehen bis zu den Knien tief in der Tradition des Stummfilms, sind aber zugleich virtuos und innovativ darin, den neuentdeckten Filmton für ihre Zwecke zu nutzen, ohne sich von ihm behindern zu lassen. Gerade VAMPYR ist ein Musterbeispiel dafür, wie ein wagemutiger Regisseur Anfang der 30er nicht vor dem Tonfilmkino einknickt und von nun an unter ihren Dialogen ersaufende steife Plaudertaschen dreht, die wirken, als gehörten sie eher auf die Bühne als auf eine Leinwand. Der Ton wird in VAMPYR kongenial einsetzt, um die sowieso schon vorhandene Schauerstimmung des Films zu verstärken. Hunde bellen, wo keine sind, die Stimmen der Darsteller stoßen einzelne Worte aus, die in keiner offenkundigen Beziehung zur Handlung zu stehen scheinen, mal hallen sie, mal flüstern sie, mal scheinen sie aus dem Off zu kommen. Ähnliches bietet Wisbar in FÄHRMANN MARIA: Obwohl er wesentlich mehr Dialoge hat als Dreyers VAMPYR ist sein Film nichtsdestotrotz einer, der seine vergleichsweise immer noch wenigen gesprochenen Worte als Mittel einsetzt, um eine vorhandene Grundstimmung noch zu intensivieren. Bestes Beispiel ist wohl die ergreifendste Szene des gesamten Films, die nämlich, in der Maria von ihrem Liebsten erfährt, dass ihm nicht irgendwelche Häscher aus Fleisch und Blut, sondern welche, die beim Tod im Dienst stehen, auf den Fersen sind. Im Fieberwahn und zu einer fernen, skizzenhaften Militärmusik brüllt er auf seinem Krankenlager in einem halben Singsang und einem halben Wahngeschrei, zudem in Versen und zu einem Marschrhythmus, sein Schicksal heraus, während Maria, und ich, stumm und mit Gän-sehaut daneben sitzen und nur starren können.
Anders als Dreyers VAMPYR ist FÄHRMANN MARIA aber kein Film, der in abgehobenen Avantgarde-Kreisen besser aufgehoben wäre als vor einem ganz normalen ländlichen Publikum aus der Mitte des Volkes. Im Grunde streut Wisbar in seinen Film nämlich all das, was auch ein typisches Lustspiel der 30er auszeichnet: Eine leicht fassbare, triviale Liebesgeschichte, viel Tanz und Gesang, vor allem dargeboten vom sogenannten Geiger, der immer mal wieder ein Ständchen zum Besten gibt, eine Dorfidylle scheinbar ohne großartig dunkle Flecken wie aus einem Märchenbuch – die dadurch, dass das Dorf offenkundig eine Studiokulisse ist, noch putziger und puppenhäuslicher wirkt. Die Frage ist, was Wisbar aus diesen Versatzstücken macht, und die Antwort muss lauten: er komponiert sie so, dass das Ergebnis sich, denke ich, sowohl in einem Kino der deutschen Provinz hat sehen lassen können als auch vor einem ausgewählten Intellektuellenpublikum. Ob nun beabsichtigt oder nicht: FÄHRMANN MARIA ist auf Augenhöhe mit beiden Zuschauergruppen, d.h. er ist ein Bündel Volkskultur, geeignet für den Gebildeten wie den Ungebildeten. In sich vereint der Film den vermeintlich einfältigen Ton des Märchens ebenso wie kühne formale und technische Experimente. Dass er dabei anbetungswürdig ausschaut – das Moor, das beständig ganze Sippen von Nebelschwaden zu gebären scheint, die Reiter aus dem Jenseits wie sie unserem Helden hinterherstellen und dann am andern Ufer anhalten, um ihm und seiner Flucht hinterher zu blicken, eine Würfelpartie zwischen dem Tod und einem Bauern, der ein Auge auf Maria geworfen hat, und den Fremden für seinen Nebenbuhler hält, und die mich nicht wenig an ein ähnliches Spielduell zwischen Tod und Mensch in Ingmar Bergmans DET SJUNDE INSEGLET (1957) erinnert hat -, hilft FÄHRMANN MARIA nur dabei, sich über engstirnige Grenzen hinwegzusetzen und zu einem lyrischen, in jedem Sinne traumhaften letzten Film einer kinematographischen Phantastik zu werden, die schon im Dritten Reich nicht mehr besonders gefragt ist und im Nachkriegsdeutschland ebenfalls nicht mehr sonderlich wiederbelebt werden wird.
Muss ich gesondert erwähnen, dass jedwede Fetzen bösartiger NS-Ideologie in FÄHRMANN MARIA höchstens dann gefunden werden können, wenn man sie mutwillig von außen hineinlegt? Ich gebe zu: gerade das Finale, nachdem Maria es – was für eine unglaubliche Idee! – geschafft hat, den Tod ins Moor zu locken und dort versinken zu lassen, sodass sie mit ihrem Liebsten zum andern Ufer übersetzen kann, wo dessen Heimat auf sie, die Heimatlose, wartet, um sie in die Arme zu schließen, lässt sich doch ziemlich leicht im Hinblick auf eine Ideologie von Blut und Boden deuten. Während dieses helle, lichte Ende, das in starkem Kontrast steht zu den düsteren Bildern, mit denen zuvor die Lüneburger Heide zur gespenstischen Landschaft stilisiert wurde, erneut überdeutlich angelehnt ist sowohl an Langs MÜDEN TOD als auch an Dreyers VAMPYR – wobei der Unterschied darin besteht, dass unsere Helden in FÄHRMANN MARIA ihre neue/alte Heimat im Diesseits erreichen, wohingegen Lang und Dreyer ihre finalen Überfahrten mehr oder minder eindeutig als metaphysische Reisen markieren -, steht doch außer Frage, dass Wisbars Film viel zu unkonkret bleibt, als dass dem Heimatbegriff ein Gesicht verliehen werden würde, das deckungsgleich ist mit irgendwelchen reell existierenden Orten, Regionen, Staaten – und dass ein Wort wie Heimat mehrmals positiv konnotiert in einem Film fällt, der sich hauptsächlich aus Elementen einer Volkskultur speist, empfinde ich weder als verwunderlich noch als anstößig.
Dass FÄHRMANN MARIA seinem Regisseur tatsächlich sehr am Herzen gelegen haben dürfte, darauf deutet ein Kuriosum hin, das ich zum Abschluss noch kurz am Rande erwähnen möchte: Wie gesagt fand Wisbar in Hollywood zwar eine neue Heimat, musste aber viele Jahren warten bis er ab Mitte der 40er wieder Filme für die große Leinwand drehen konnte, und selbst dann waren es vorrangig zweit- oder drittklassige B-Movies, die ihm, nehme ich an, primär dazu dienten, seine Miete zu bezahlen, bevor er Ende der 50er wieder in Fuß in Deutschland fassen konnte, und mit dem U-Boot-Kriegsfilm HAIE UND KLEINE FISCHE (1957) und dem Stalingrad-Kriegsfilm HUNDE, WOLLT IHR EWIG LEBEN? (1959) seine wohl heute noch bekanntesten Werke vorlegte. Unter den inzwischen nahezu völlig vergessenen kleinen US-Produktionen Wisbars sticht indes ein Film von 1946 hervor, den man zunächst für einen wenig bemerkenswerten, billigen Horrorthriller halten könnte: Dafür spricht sowohl der Titel STRANGLER OF THE SWAMP als auch die Geschichte, die von einem untoten Würger handelt, der, einst unschuldig von der Bevölkerung eines Dörfchens mitten im Moor hingerichtet, nun auf Rache sinnt, und einen männlichen Nachkommen seiner Henker nach dem andern auf recht kreative Weise, nämlich ohne sich die eigenen Hände schmutzig zu machen, mittels umherfliegender Galgenstricke vom Leben in den Tod befördert. STRANGLER OF THE SWAMP ist zwar kein, wie man mancherorts lesen kann, reines Remake von FÄHRMANN MARIA, trotzdem sind die Parallelen mehr als eindeutig. Nicht nur, dass Wisbar erneut seine atmosphärische Moor-Kulisse ausgräbt, auch entwickelt sich die Geschichte zunehmend in eine Richtung, die der seines Vorgängerfilms zuweilen haargenau gleicht: Nachdem nämlich der örtliche Fährmann Bekanntschaft mit dem Würgegriff des gespenstischen Wiedergängers gemacht hat, ist es ausgerechnet ein junges Mädchen namens Maria, das seinen freigewordenen Posten einnimmt, und sich in der Folge in eben den jungen Mann verliebt, der als Nächstes auf der Todesliste des titelgebenden Unholds steht. Was folgt, ist klar: Sie will sich für ihn opfern und die Macht ihrer Liebe lässt den Würger endlich seinen Frieden finden, und führt sie selbst in den Hafen der Ehe mit dem Burschen, den sie liebt. Dass das Ganze mehrere Güteklassen unter den im wahrsten Wortsinne romantischen Tönen von FÄHRMANN MARIA zurückbleibt, muss ich wohl nicht extra betonen. STRANGLER OF THE SWAMP ist eine nette Ergänzung und kein Ersatz: Sein Studiosetting mit den eifrig hechelnden Nebelmaschinen ist klar als solches zu erkennen, und steht in scharfem Kontrast zu den naturgewachsenen Landschaften des Originalfilms. Seine Maria-Darstellerin Rosemary La Planche, die direkt von irgendwelchen Schönheitsköniginnenwettbewerben wegengagiert worden ist, kann Sybille Schmitz nicht mal ein stilles Wasser reichen. Überhaupt leidet der Film unter dem allzu sehr auf die Schiene anspruchslosen Grusels ausscherenden Drehbuch, das nahezu alles, was mich am Originalskript so angesprochen hat über Bord wirft, um massenkompatibler und konsumierbarer zu sein. Einige starke Szenen, in denen Wisbar etwas durchschimmern lässt von seinem Talent für unheimliche Stimmungen, gibt es zwar noch immer - zu erwähnen sind die dann doch recht eindrucksvollen Moorüberfahrten -, alles in allem stellt STRANGLER OF THE SWAMP für mich jedoch vor allem ein hochinteressantes Zeitdokument dar, das zeigt wie der deutsche Stummfilmexpressionismus nach seiner Transferierung in das Studiosystem Hollywoods sukzessive von einer Kultur der Autokinounterhaltung absorbiert und damit trivialisiert worden ist.
Was bleibt nach all den Lobhudeleien noch übrig für ein Fazit? Erneut muss ich feststellen, wie sehr es sich lohnt, gerade an Stellen auf Schatzsuche zu gehen, auf die es noch nicht allzu viele Spatenstiche gehagelt hat, weil es von ihnen heißt, dass es dort sowieso nichts zu holen gibt. FÄHRMANN MARIA ist eine zauberhafte Mischung aus Heimatfilm, expressionistischem Grusel und Märchen für Erwachsene irgendwo zwischen den beiden Extremen avantgardistisch und bieder, und das perfekte Gegenprogramm zu BRD-Produktionen wie beispielweise GRÜN IST DIE HEIDE (1951), WENN ABENDS DIE HEIDE TRÄUMT (1952) oder WENN DIE HEIDE BLÜHT (1960). Wer wissen will, wie es wirklich zugeht in deutschen Heidelandschaften nach Mitternacht, der sollte sich diesen Film, dem eine anständige DVD-Veröffentlichung sowas von zusteht, nicht entgehen lassen.