Desire of the Innocent Blood - Sami Haavisto (2002)

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Salvatore Baccaro
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Desire of the Innocent Blood - Sami Haavisto (2002)

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Originaltitel: Desire of the Innocent Blood

Produktionsland: Finnland 2002

Regie: Sam Haavisto

Darsteller: Ana Ciaran, Mika Vattulainen, Kirsi Vahomäki


Nach dem 2002 von Chad und Max Smith gedrehten Haunted-House-Horror HANNAH HOUSE – („They came for the prairie life… They got the afterlife!”) –, dessen unique selling point es ist, sich ästhetisch an Stummfilme der 20er Jahre anzulehnen, - (vor allem Victor Sjöströms wundervoller THE WIND aus dem Jahre 1928 bietet sich als Referenz an, nur eben ins Schauerromantische, wenn nicht gar hemmungslos Surreale gewendet) –, ist die finnische Direct-to-Video-Produktion DESIRE OF THE INNOCENT BLOOD nun schon die zweite innerhalb kurzer Zeit von mir gesichtete zeitgenössische Verbeugung vor jener Epoche des Kinos, in der die Bilder zwar bereits laufen, aber noch nicht sprechen konnten. Das Debut des mir zuvor gänzlich unbekannten Sami Haavisto wurde nicht nur im selben Jahr wie HANNAH HOUSE veröffentlicht, auch sonst ähneln sich beide Filme darin, dass ihnen nur ein äußerst schmales Budget zur Verfügung gestanden haben dürfte, (bei DESIRE OF THE INNOCENT BLOOD scheint der Geldbeutel noch enger geschnallt gewesen sein als bei HANNAH HOUSE), und dass sie sich weniger über eine ausgeklügelte Story definieren, sondern durch ihre eigenwillige Mise en Scene. Nicht zuletzt rekapituliert auch der finnische Film altbekannte Motive und Topoi der Schauerliteratur, sodass seine reine Geschichte nicht mal zur Hochzeit der Gothic Novel um 1800 herum irgendwelche Originalitätspreise hätte gewinnen können. Natürlich wird auch DESIRE OF THE INNOCENT BLOOD niemanden dahingehend hinters Licht führen können, dass es sich tatsächlich um eine vergessene Produktion aus den Goldenen 20ern handelt: Etliche Zooms, überhaupt der Umstand, dass der komplette Film per Videokamera gedreht worden ist, weisen den Streifen unzweifelhaft als neueren Datum aus, auch wenn sich die Figuren ausnahmslos mittels Texttafeln verständigen und der triste Schwarzweiß-Look an vergilbtes, mottenzerfressenes Analogmaterial erinnert…

Der reine Drehbuchinhalt passt auf eine Briefmarke: Der wohlhabende Arthur gabelt eine junge Frau namens Elise in der örtlichen Hafenschenke auf, wo sie sich als Tänzerin und Prostituierte verdingt. Auf Wolke Sieben schwebend verspricht Arthur ihr das Blaue vom Himmel, namentlich: eine finanziell abgesicherte Zukunft an seiner Seite, wenn sie nur die Hand annimmt, die er ihr zwecks Eheschließung hinhält. Arthur und Elise sind verknallt wie Teenager und tanzen freudestrahlend über Blumenwiesen. Bald aber ziehen sich düstere Wolken über dem frischen Glück zusammen: In der isolierten Villa Arthurs beginnt Elise Langeweile zu plagen und statt seinen Pflichten als Ehemann nachzukommen und sie sexuell zu befriedigen, vergräbt sich ihr Gatte Tag für Tag in seinen Büchern. Elise reißt die Hutschnur: Nachdem sie Arthur aufs Übelste verhöhnt hat, lässt sie ihn allein in seiner Bibliothek sitzen und nimmt ihr früheres Leben wieder auf. Doch ihre alten Freundinnen und Freier in der Hafenspelunke wollen nichts mehr von ihr wissen. Nur eine Fremde namens Eleanor schenkt Elise Aufmerksamkeit – und zwar nicht nur auf platonischer Ebene. Beim Beischlaf jedoch entpuppt sich Eleanor als Vampirin – und Elise hat die längste Zeit eine intakte Kehle gehabt. Arthur ist am Boden zerstört: Gerüchte gehen um, seine davongelaufene Ehefrau sei Opfer einer Blutsaugerin geworden. Sein Kummer hält ihn indes nicht davon ab, sich schnell in das nächste Eheabenteuer zu stürzen –, während Elise wiederum im Grab keine Ruhe findet und zur sanguinen Wiedergängerin mutiert...

Kritikpunkte kann man natürlich viele an DESIRE OF THE INNOCENT BLOOD finden: Dass der oben skizzierte Plot vielleicht für einen Kurzfilm taugt, jedoch bei einem Werk mit Spielfilmlänge hoffnungslos aufgeblasen und künstlich in die Länge gezogen wirkt, (was sich beispielweise an einer ermüdenden Ehestreit-Szene zeigt, die minutenlang nur daraus besteht, dass Elise ihren Arthur mit Beleidigungen, Hohn und Spott überhäuft, während dieser als Häufchen Elend teilnahmslos danebensitzt); dass Haavisto zwar suggerieren möchte, sein Film spiele irgendwann im 19. Jahrhundert, was aber allein daran scheitert, dass die Darstellerin Elises mehrere unübersehbare Tattoos auf Armen und Schulterblättern trägt, und dass das Publikum der Hafenschenke eher wirkt wie das übliche Klientel eines Black-Metal-Festivals; dass der finale Plot Twist derart vorhersehbar und auch dramaturgisch ziemlich unbeholfen aufgezogen ist, dass ich stark anzweifle, irgendein Zuseher hätte genau diese „Überraschung“ nicht kommen sehen; dass die Zwischentitel optisch anmuten wie Versatzstücke aus einem billigen Gothic-Horror-Videospiel, und in ihrer lieblosen Aufmachung überhaupt nicht zum Stil des restlichen Films passen wollen; dass auch die Texte, die uns in diesen Zwischentiteln präsentiert werden, an gestelzter Sprache kaum zu überbieten sind und der Film überhaupt viel zu textlastig ausfällt: Haavisto hält es zum Beispiel für eine gute Idee, nahezu den kompletten Priestersermon während Elises Beerdigung in Textform darbieten zu müssen, wo sich all die christlichen Plattitüden, die der Kleriker äußert, doch jeder allein anhand der Bilder selbst zusammenreimen könnte.

Wohlgesonnen könnte man aber auch anerkennen, dass Haavisto sich redlich um eine eigene inszenatorische Handschrift bemüht und manche Szene wirkt, als ob er ganz bestimmten Stummfilmklassiker die Reverenz erweisen wollte: Wenn Elise und Arthur frisch verehelicht zu Beginn an der Küste sitzen, erinnert mich das an die wundervollen Aufnahmen Greta Schröders in Murnaus NOSFERATU, die ebenfalls am Meeresufer ihrem verreisten Geliebten hinterhertrauert; die elegisch ausgewalzte Beerdigungsszene wiederum weckt Assoziationen zur Beisetzung Madeleine Ushers in Jean Epsteins LA CHUTE DE LA MAISON USHER; und wenn man unbedingt möchte, kann man die (ebenfalls unnötig gedehnte) Szene in der Hafenkaschemme „Zur Toten Meerjungfrau“ als Kopfnicken in Richtung von Louis Dellucs FIEVRE verstehen – wobei aber freilich klar sein sollte, dass Haavisto den genannten Regisseuren in jedweder Disziplin haushoch unterlegen ist und ich niemals die Blasphemie begehen wollen würde, DESIRE OF THE INNOCENT BLOOD auf eine Stufe beispielweise mit NOSFERATU zu stellen; aber, wie gesagt, Haavistos Vorbilder sind, obwohl es sich um einen Amateur-Horrorfilm der frühen 2000er handelt, eher bei den großen Kino-Poeten der 20er Jahre zu suchen statt beim üblichen Wald-und-Wiesen-Splatter. Überhaupt nehmen Sex und Gewalt eine reichlich untergeordnete Rolle in DESIRE OF THE INNOCENT BLOOD ein: Den Gorehound zum Bellen bringen im Grunde nur zwei exzessivere Momente – zum einen der bluttriefende Sexualakt zwischen Eleonore und Elise, (der tatsächlich eher an einer erotischen Atmosphäre interessiert scheint als an plumpen Nuditäten), zum andern die finale Konfrontation zwischen Arthur und Elise, bei der dieser seiner Ehefrau mit Pflock und Axt die ewige Ruhe schenkt. Wer jedenfalls eine wilde Gewaltorgie voller zerbissener Brüste und ausgeweideter Körper erwartet, (wie es nicht zuletzt das an einen bluttriefenden Fetisch-Porno erinnernde Videocover des Films verspricht), dem wird bei DESIRE OF THE INNOCENT BLOOD wohl schon innerhalb der ersten Viertelstunde das Kinn auf den Brustkorb sinken. Lobend muss ich nicht zuletzt noch die zwar alles andere als professionell agierenden, aber sich immerhin auch nicht für den Knallchargen-Award bewerbenden Schauspiellaien sowie den größtenteils aus der Synthie-Konserve stammenden Score erwähnen, der zwar nun nichts darstellt, was ich mir freiwillig zu Mußestunden anhören würde, mich jedoch auch nicht nach nur wenigen Takten völlig entnervt zurückgelassen hat. Einige Sequenzen wie beispielweise der Prolog, bei dem wir die Auferstehung Eleonores miterleben dürfen, sind letztlich sogar durchaus interessant in Szene gesetzt und künden davon, dass Haavisto ein Gespür für ansprechende Bildkompositionen und Plansequenzen besitzt: Dass man, wie so oft im Amateur-Sektor, einfach stumpf die Kamera irgendwo aufgepflanzt hat, dieses Gefühl beschlich mich bei DESIRE OF THE INNOCENT BLOOD zu keinem Zeitpunkt.

Sami Haavisto hat bis 2016 noch vier weitere Amateur-Filme verantwortet, deren Titel auf eine gewisse monothematische Fixierung des Regisseurs schließen lassen: Ob allerdings BLACK BLOODED BRIDES OF SATAN oder CURSE OF THE WITCHES BLOOD das tatsächlich vorhandene Niveau von Haavistos Debut halten können, muss vom Verfasser dieser Zeilen erst noch eruiert werden…
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