Godland - Hlynur Pálmason (2022)

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Salvatore Baccaro
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Godland - Hlynur Pálmason (2022)

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MV5BN2NlODFjY2EtMmZlOS00NGJlLTg5NGYtYTRjZWI3YzVlMTY5XkEyXkFqcGdeQXVyMTMwNjQxNDU1._V1_.jpg (1.5 MiB) 96 mal betrachtet

Originaltitel: Volaða land (Isländisch) / Vanskabte Land (Dänisch)

Produktionsland: Island / Dänemark / Schweden / Frankreich 2022

Regie: Hilynur Pálmason

Cast: Elliott Crosset Hove, Ingvar Eggert Sigurðsson, Vic Carmen Sonne, Ída Mekkín Hlynsdóttir, Jacob Lohmann, Hilmar Guðjónsson


Abt.: Braunschweiger Filmfest 2022 Revisited

Skandinavien im späten 19. Jahrhundert: Allzu begeistert ist der junge dänische Priester Lucas nicht, als ihm von höchster Stelle der Auftrag erteilt wird, sich gen Island aufzumachen, um in irgendeinem entlegenen, bislang gotteshauslosen Landstrich den Bau einer Kirche zu begleiten. Island ist für Lucas, so wie für den Rest Europas, eine gering besiedelte, weitgehend unzivilisierte, vermutlich über und über mit Heidenvolk übersäte Insel, auf die er freiwillig niemals einen Fuß gesetzt hätte. Gegen den Befehl des Bischofs indes gibt es keine Widerrede, und immerhin, denkt sich der Photographie-Enthusiast, werden ihm die Reise und der mehrmonatige Aufenthalt genügend Gelegenheit für exotische Bildmotive liefern. Allerdings gestaltet sich bereits der Weg zu seinem Bestimmungsort als strapaziöse Odyssee: Sicher, Lucas ist es möglich, beeindruckende Landschaften, die lokale Bevölkerung, Flora und Fauna zu knipsen, jedoch kommt der Gottesmann schon bald an seine physischen wie psychischen Grenzen: Kälte und Hunger setzen dem kleinen Treck genauso zu wie diverse Unfälle. Als schließlich gar noch der Übersetzer ertrinkt, der Lucas an die Seite gestellt worden ist, damit er sich überhaupt mit den ihn begleitenden isländischen Führern verständigen kann, fleht unser Priester seinen Gott am Grabe des Toten an, ihn doch bitte schnellstmöglich ins heimische Dänemark zurückzuversetzen. Stattdessen jedoch befällt Lucas ein schweres Fieber, das ihn beinahe das Leben kostet. Erwachend aus dem Delirium findet er sich in einem kleinen Dörfchen wieder, und zwar im Haus des Ortsvorstehers Carl: Er ist am Ziel seiner Reise angelangt und rappelt sich dank der fürsorglichen Pflege von Carls Töchtern Anna und Ida allmählich so weit auf, dass er bald den hölzernen Rohbau der im Entstehen begriffenen Kirche besichtigen kann, - sobald diese endlich bereit ist, von ihm eingeweiht zu werden, will er Island sofort den Rücken kehren. Bis dahin geht freilich noch einige Zeit ins Land, und Lucas, der seit seines Höllentrips durch die isländische Tundra vermehrt von Glaubenszweifeln heimgesucht wird, sieht sich schneller als ihm lieb ist in diverse innere und äußere Konflikte verstrickt: Nicht alle Dorfbewohner sind dem fremdländischen Priester freundlich gesinnt, und vor allem Ragnar, sein Führer seit Beginn der Reise, scheut sich bald nicht mehr, seine Abneigung gegenüber Dänen und Christen offensiv ausleben. Zugleich kommt es wohl zum ersten Mal in Lucas‘ Leben zu engerem Kontakt mit dem anderen Geschlecht: Mit der noch minderjährigen Ida freundet er sich an, für Anna wiederum keimen sündhafte Gefühle in ihm auf. Das Drama nimmt seinen Lauf, als eines Tages Lucas‘ Pferd spurlos verschwindet…

Ungewöhnliches und Vertrautes geben sich in GODLAND des 1984 geborenen isländischen Regisseurs, Drehbuchautors, Produzenten Hlynur Pálmason die Klinke in die Hand: Ungewöhnlich ist wohl zuallererst das Bildformat 4:3, das bei einem aktuellen Kinofilm nun doch sehr überrascht, zumal der begrenzte Kader an den Rändern leicht abgerundet wurde, was sicherlich das Filmbild ganz bewusst bereits rein formal den Glasplattenphotos angleichen soll, die Lucas während seiner Reise schießt; ebenso ungewöhnlich kann man es vielleicht finden, dass GODLAND mit seinen knapp 140 Minuten Laufzeit in zwei recht strikt voneinander getrennte Hälften zerfällt, nämlich einerseits eine, die sich semi-dokumentarisch dem beschwerlichen Weg widmet, den Lucas nehmen muss, um überhaupt vom dänischen Festland in die ruralsten Regionen der Nordmeerinsel zu gelangen, und andererseits eine, die ihn in Interaktion mit der Dorfgemeinschaft zeigt, wo der Jungpriester genauso rasch das Limit dessen erreicht, was er zu ertragen und zu stemmen vermag: Dass GODLAND randvoll ist mit religiösen Metaphern – die Reise als eine Art Martyrium, das Lucas eher von Gott wegführt statt ihn ihm in die Arme zu treiben; eine bedeutungsschwangere Szene zwischen Lucas und Anna in seiner grellrot erleuchteten improvisierten Dunkelkammer, für die sein Zelt herhalten muss, und bei der man sich mit subtiler Wuchtigkeit plötzlich mitten ins Fegefeuer versetzt fühlt; - und dass sich der Film einer im Arthouse-Sektor durchaus gängigen ästhetisch-technischen Inszenierungsstrategie verpflichtet – wenige Dialoge; lange statische Einstellungen; endlose Panoramen in ihrer Tristesse betörender Landschaften –, ist dann schon weniger überraschend, wenn auch Pálmasons Story sich in ihrem letzten Drittel dann doch ein paar Richtungswechsel erlaubt, mit denen ich nicht unbedingt gerechnet habe. Interessant ist nicht zuletzt die Prämisse, die dem Film als Texttafel vorangestellt wird: In der isländischen Wildnis seien einst mehrere Photographien gefunden worden, die augenscheinlich aus dem späten 19. oder frühen 20. Jahrhundert stammen müssen; irgendeinen Anhaltspunkt dafür, wer sie geschossen habe und wie sie in die Einöde gelangt seien, gebe es nicht; deshalb schicke sich nunmehr GODLAND an, die Provenienz dieser eigenartigen Bilder (fiktional) zu ergründen – ein Found-Footage-Rahmen à la BLAIR WITCH PROJECT, jedoch ohne Hexenterror und Schnodder, der aus verzweifelten Filmstudentinnennasen läuft, dafür mit entwaffnend poetischen Bildern, einem derart gemächlichen Erzählfluss, dass man sich hineinkuscheln kann wie in eine vorgewärmte Bettdecke, sowie einer existenzialistischen Grundstimmung, bei der es zwar, einmal mehr, nicht viel zu lachen gibt, die aber dafür gesorgt hat, dass ich dem Streifen, trotz mancher inhaltlicher Redundanz, mancher dann doch vorhandenen Länge, unterm Strich sehr gewogen bin.
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