Juju Stories - Abba Makama, C.J. ,Fiery' Obasi, Michael Omonua (2021)

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Salvatore Baccaro
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Juju Stories - Abba Makama, C.J. ,Fiery' Obasi, Michael Omonua (2021)

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Originaltitel: Juju Stories

Produktionsland: Nigeria 2021

Regie: Abba Makama, C.J. ,Fiery' Obasi, Michael Omonua

Cast: Belinda Agedah Yanga, Paul Utomi, Elvis Poko, Don Ekwuazi, Nengi Adoki, Bukola Oladipupo


"A three-part anthology film exploring juju (magical) stories rooted in Nigerian folklore and urban legend, written and directed by the Nigerian new wave cinema collective known as Surreal16", heißt es über diese unabhängig produzierte nigerianische Folk-Horror-Anthologie auf der zugehörigen IMDB-Seite - und derjenige wäre ein Schelm, der nicht glauben würde, dass euer Salvatore auf eine solche Synopsis nicht anspringen würde wie die Mückenfledermaus auf nächtlich umherschwirrende Insekten, die sein hungriges Maul mit einer Straßenlaterne verwechseln...

JUJU STORIES setzt sich, was nach dem einleitenden Sätzen wenig verwundern dürfte, aus drei eigenständigen Episoden von jeweils 20 und 30 Minuten Länge zusammen. Gemein haben sie, dass sich die jeweiligen Filmemacher in ihnen an spezifischen Mythen, Traditionen, Gruselgeschichten ihres Heimatlandes abarbeiten, diese in die Moderne transferieren oder aber ihnen mit unverhohlener dekonstruvistischer Ironie begegnen. Im Einzelnen handelt es sich um folgende Segmente:

1) In LOVE PORTION von Michal Omonua greift eine junge Frau, die in ihrer Freizeit exzessiv Murakami-Romane liest und davon träumt, ihren Job in einer Werbeagentur an den Nagel hängen zu können, um selbst erfolgreiche Schriftstellerin zu werden, zu einem Liebeszauber, um den Mann ihrer Träume von seiner Verlobte zu entzweien und ihr sein zunächst nur in platonischer Absicht für sie pochendes Herz zu öffnen. Hierfür folgt sie dem Rat einer Arbeitskollegin, die, im Gegensatz zu unserer säkular und progressiv lebenden Heldin, noch tief in den magischen Praktiken Nigerias verwurzelt schient: Aus ihrem eigenen Menstruationsblut und dem Wasser, mit dem Leichen abgewaschen werden, braut sie einen Cocktail zusammen, den sie ihrem Augenstern sodann bei einem freundschaftlichen Stelldichein heimlich in die Kaffeekanne jubelt. Anfangs funktioniert das zauberische Cheating vortrefflich: Zunehmend wird ihr Angebeteter von Tag- und Nachtträumen heimgesucht, in denen ihm das Bild unserer Heldin vor Augen schwebt; im Schlaf murmelt er mantraartig ihren Namen, dass die neben ihm liegende Verlobte mißtrauisch die Ohren spitzt; schließlich kommt er nicht mehr umhin, vor dieser und seinem Umfeld zu bekennen, dass er eine Andere liebt. Unsere Heldin zieht also bei ihrem Herzensblatt ein, und anfangs verleben die beiden eine recht glücklichen Zeit, nur dann erkennt unser Pärchen, dass sie trotz aller übernatürlichen Hilfe eigentlich überhaupt nicht kompatibel miteinander sind, weder im Alltag noch sexuell oder darin, was ihre Vorstellung von einer erfüllten Freizeit betrifft, denn während sie mit ihm am liebsten über Literatur diskutieren würde, zieht es ihn magnetisch zur Spielekonsole. LOVE PORTION ist die mit Abstand zugänglichste Episode und erzählt mit viel Selbstironie und augenzwinkerndem Kitsch davon, dass manchmal nicht mal ein Liebeszauber ausreicht, um zwei ungleiche Menschen jenseits einer flüchtigen Verliebtheit aneinander zu binden.

2) YAM von Abba Makama wiederum gebierdet sich hermetisch, nahezu intelligebel, wirkt über weitere Strecken weniger wie ein narrativer Kurzfilm, sondern wie ein sperriges Experimentalwerk, wenn sich dort, wie die Grundprämisse lautet, Menschen, die Geld vom Straßenrand aufheben, in die Wurzeln der Yampflanze verwandeln. Zu Beginn liest hiervon ein gutbetuchtes Ehepaar in der Tageszeitung, - nur um sogleich diese, wie sie meinen, Auswüchse der ungebildeten Bevölkerung zu verlachen. Im Folgenden führt die Zufallsbegegnung zwischen einem Kleinganoven und einem Automechaniker, der im Dienste besagten versnobten reichen Ehepaars steht, zu einer Kette von Seltsamkeiten, von denen mir bei vielen nicht wirklich klargewesen ist, was diese nun mit dem Fortgang der Handlung zu tun haben sollen, und die ihren Abschluss darin findet, dass der eine den andern verspeist, nachdem dieser die Metamorphose zu besagter Wurzel durchlaufen hat, weil er dem Drang nicht widerstehen konnte, die Hand nach auf dem Asphalt herumwehenden Zaster auszustrecken: Derjenige, der den andern als Yamwurzel gekocht und während eines Beziehungsstreits mit der Freundin genüsslich verschlungen hat, verliert daraufhin den Verstand, bricht in einer der letzten Einstellungen in einen markerschütternden Schrei aus - und findet sich plötzlich als Pastiche auf Munchs berühmtes SCHREI-Gemälde im luxuriös eingerichteten Wohnzimmer des Pärchens vom Anfang wieder. YAM ist wild, anarchisch, schert sich wenig um narrative Konventionen, wechselt ohne ersichtlichen Grund die Erzählperspektiven, streut auch schon manchmal eine minutenlange dokumentarisch anmutende Szene ein, in der der erwähnte Kleinganove anscheinend trunken über einen Markt stolpert, Prostituierte anquatscht, irgendwelche Passanten beleidigt, und gibt mir mit seinen unverkennbaren Untertönen in Richtung einer Kritik an Klassenunterschieden - (das begütete, völlig von der sozialen Realität ihrer Mitmenschen entkoppelte Ehepaar vs. die mittellosen Typen, die nur deshalb zu Wurzeln werden, weil sie auf jeden an ihnen vorbeiflatternden Geldschein angewiesen sind) - möglicherweise auch deshalb so viele Rätsel auf, weil ich weder mit der offenbar zugrundliegenden Legende von der Yamwurzel vertraut bin, und auch keine Expertise aufzuweisen habe, etwaige kritische Details zu erkennen, die möglicherweise Gesellschaft, Kultur, Politik Nigerias betreffen.

3) SUFFER THE WITCH von Obasi wiederum ist im Grunde eine lesbische Liebesgeschichte, die ins Gewand eines Highschool-Dramas bzw. einer Teenie-Love-Crush-Komödie bzw. eines Verhexungs-Szenariums gekleidet wurde: Ein junges Mädchen kommt dahinter, dass ihre beste Freundin augenscheinlich in sie verliebt ist, - und da es sich bei ihr außerdem um eine Hexe handelt, merzt sie all die Männer aus, die unserer Heldin zu nahe kommen, oder ihr den Garaus machen wollen. Auch SUFFER THE WITCH freilich ist alles andere als konventionell erzählt, suhlt sich förmlich in Szenen, die gewisse Stilmittel aus einschlägigen Hollywood heillos und mit subversiver Absicht überdeterminieren, und verweigert eine eindeutig Moral, auf die die Liebeswirren unserer Heldin hinauslaufen würde, die sich fortwährend in einem ambivalenten Gefühlsgestrüpp gegenüber ihrer besten Freundin verstrickt befindet: Angst vor ihr, da sie als Hexe über übermenschliche Kräfte verfügt sowie Bewunderung ihr gegenüber, die gerne auch mal in unterschwellige sexuelle Hingezogenheit umschlägt. Was an SUFFER THE WITCH vor allem aber ins Auge sticht, ist seine thematische Verwandtschaft mit all den zahllosen Trash-Horror-Produktionen Nigerias, in denen die Existenz von Hexen als Realität anerkannt wird, und in denen deshalb verhexte Kinder, Frauen, Männer oft und gerne der Garaus gemacht wird, sobald man an ihnen Zeichen dämonischer Besessenheit bemerkt, - etwas, das leider nicht nur auf den Leinwänden bzw. Fernsehschirmen des westafrikanischen Staates stattfindet, sondern auch in der außerfilmischen Realität ein erhebliches Problem darstellt: Gerade in den ruralen Regionen ist die Furcht vor Hexerei für viele Menschen eine ernstzunehmende Gefahr, weshalb, oftmals befeuert von evangelikalen Predigern, die nicht selten auch besagte Horrorfilme (mit-)produzieren, vor allem unschuldig der Schwarzmagie verdächtigte Frauen und Kinder (insbesondere Albinos) Opfer kollektiv verübter Gewalttaten werden.

JUJU STORIES versteht sich demnach ganz offenkundig als Subversion des üblichen Nollywood-Kinos mit seinen klischeebeladenen Melodramen und erzchristlichen Horrormärchen: Die Themen mögen ähnliche sein, doch verfahren die drei Regisseure von JUJU STORIES mit ihnen auf ungewöhnliche Weise, - sei es nun, dass SUFFER THE WITCH explizit die Misogynie innerhalb des westafrikanischen Hexenglaubens aritikuliert, dass sich LOVE POTION im Grunde als eine Absage auf alle magische Schützenhilfe beim Erlangen des Lebenstraum entpuppt, oder dass YAM seine abgedrehte Story anscheinend vor allem nutzt, um etwas über den Status Quo der gegenwärtigen Gesellschaft Nigerias auszusagen. Ich fand diese eigenwillige Folk-Horror-Anthologie schwer unterhaltsam, manchmal komisch, manchmal stark irritierend, immer faszinierend.
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