Skytten - Annette K. Olesen (2013)

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Maulwurf
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Skytten - Annette K. Olesen (2013)

Beitrag von Maulwurf »

 
Skytten
Skytten
Dänemark 2013
Regie: Annette K. Olesen
Carsten Bjørnlund, Kim Bodnia, Marina Bouras, Kenneth Carmohn, Marie-Louise Coninck, Ole Dupont, Ida Dwinger,
Trine Dyrholm, Camilla Gottlieb, Kristian Halken, Peder Holm Johansen, Adam Holm, Nikolaj Lie Kaas


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OFDB

Dänemark. Bei der letzten Wahl hat die jetzige Regierung gewonnen, weil sie eine grüne Energiewende versprochen hat, und weil sie zugesichert hatte, niemals das Eis in Grönland anzutasten. Jetzt, sieben Monate nach der Wahl, macht die Regierung das, was Regierungen halt meistens so machen: Rolle rückwärts, und zusammen mit den Amerikanern sollen die Ölvorkommen unter dem nordöstlichen Grönland ausgebeutet werden. Es handelt sich ja eh nur um vernachlässigbare Mengen, so heißt es von amtlicher Seite. Die Journalistin Mia Moesgaard, die wohl anscheinend für solche Themen die Top-Frau ist, will eigentlich wegen der Adoption eines Waisenkindes gerade nach Indien fliegen, erklärt sich aber bereit, ihren Flug um ein paar Tage zu verschieben, um dieser Sache investigativ auf den Grund zu gehen. Was bedeutet, dass sie sich in einer Fernsehsendung von einem Energieexperten mühelos in die Enge treiben lässt, und dafür allenthalben Lob kassiert.
Aber gut. Rasmus Jensen lässt sich nicht so einfach in die Enge treiben wie die Topjournalistin. Rasmus Jensen wertet schon seit Jahren Zahlen über das Ölvorkommen am Nordpol aus, und er hat statt „vernachlässigbarer Mengen“ eine Zahl im Angebot: 90 Millionen Kubikmeter Öl – Das dreifache der Nordseereserve Dänemarks. Rasmus Jensen hat aber noch mehr. Nämlich einen extremen Hass auf Politiker, die heute das Paradies versprechen und morgen nur ihr eigenes Konto damit gemeint haben. Und Rasmus Jensen hat noch etwas: Ein Hochpräzisionsgewehr, die beste auf dem Markt erhältliche Munition, und einen extrem ruhigen Zeigefinger.

Also geht Rasmus los und schießt auf das Auto eines der Verantwortlichen, eines sogenannten Umweltexperten. Anschließend nimmt er Kontakt auf zu Mia Moesgaard, die zwar wie elektrisiert scheint, dass ein potentieller Terrorist mit ihr telefoniert, aber der Sache trotzdem nur sehr zögerlich nachgeht. Als Rasmus auf den Hund eines der Männer derjenigen Energiefirma, die an dem Deal beteiligt ist, schießt, wird die Sache mit dem „Terroristen“ in der Presse offiziell, und Mia bekommt zwar näheren Kontakt zu und Unterlagen von Rasmus, aber ihre Zeitung bleibt trotzdem sehr zögerlich. Als Rasmus in seiner Hilflosigkeit und Verzweiflung erkennt, dass mit vorsichtigem und friedlichem Aktionismus kein Blumentopf gewonnen werden kann, geht er aufs Ganze: Er schießt auf einen Verantwortlichen der Energiefirma, und Mia, die eigentlich gerade ihr Adoptivkind abholen will, wird am Flughafen festgenommen, weil sie Kontakt zu Rasmus hatte, und damit als potentielle Unterstützerin läuft.

In kühlen und nüchternen (und oftmals recht schönen) Bildern wird mit kühlen und nüchternen Schauspielern eine Geschichte erzählt, die eigentlich nur aus heißblütigen Emotionen besteht. Und wie man meiner Inhaltsangabe entnehmen kann, habe ich so meine Probleme damit, dass diese Heiß-Kalt-Zusammensetzung irgendwie nicht so recht funktioniert wie vorgesehen. Das erste Drittel, wenn wir die Lügen der Regierung kennenlernen, und die Enttäuschung des Nordpolliebhabers Rasmus spüren können, dieses erste Drittel baut tatsächlich viele Gefühle auf, lässt das Blut beim Zuschauer laut rauschen, und sorgt dafür, dass man dem Team Mia und Rasmus die Daumen drückt, dass es einfach alle bösen Buben superheldenmäßig tief unter den Nordpol schaufelt und die Welt wieder eine bessere sein wird.

Aber Mia entpuppt sich nach meinem Dafürhalten als sehr schlechte Journalistin. Im Fernsehduell mit dem Außenminister lässt sie sich die Worte im Mund umdrehen, ein Interview mit ebendiesem Minister, einem alten Freund ihrerseits, fängt sie so verkehrt an, dass er das Interview nach ein paar Minuten abbricht, und irgendwie wird überhaupt nicht klar, warum diese rückgratlose Frau die Top-Nummer-1-Reporterin in Dänemark sein soll. Sie steht vor einer gewaltigen Story, sie hat persönlichen Kontakt zu einem Mann der Geschäftsleute und Politiker mit der Waffe dazu zwingen will, ihre Geschäfte auf dem Rücken der Natur abzublasen, und was macht sie? Sie wirft ihn aus ihrer Küche, schaut entsetzt, und geht ins Bett. Das wäre einem Gerd Heidemann nicht passiert …
Auf der anderen Seite dann Kim Bodnia als Rasmus. Man spürt seine Wut, seine Verzweiflung, seinen Hass auf diejenigen Menschen, die diese wunderschöne Welt vorsätzlich zerstören wollen um Geld damit zu verdienen. Aber was macht ein Kim Bodnia aus solch einem Gefühlssturm? Genau, er steht da und stiert traurig oder wütend vor sich hin. Seine Reaktion, das Gewehr in die Hand zu nehmen und dafür zu sorgen, dass die Politiker sich vielleicht in die von ihm gedachte Richtung bewegen, mag für den ein mehr und für den anderen weniger nachvollziehbar sein, allein Bodnia spielt das was er eigentlich immer spielt: Ein Ausbund an Emotionslosigkeit und Traurigkeit. Das, was ein amerikanischer Schauspieler hier vielleicht an Overacting hineingelegt und damit vieles ruiniert hätte, das findet als Underacting statt (gibt es so etwas überhaupt?) – Und nimmt der Aktion Rasmus‘ die Spitze. Und nicht nur die Spitze, das ganze Vorgehen wirkt so irgendwie … unglaubwürdig.

Die Story ist gut, und sie wird, ich erwähnte es, in schicken Bildern und mit einem gewissen Spannungsbogen größtenteils ordentlich umgesetzt. Aber das Drehbuch schafft es leider überhaupt nicht, eine vernünftige Figurenzeichnung herzubekommen, die Schauspieler bleiben alleine mit Charakteren, denen sie sich offensichtlich nicht gewachsen fühlen, und spätestens an dieser Stelle versandet dann auch die Spannung. Die Akteure schaffen es einfach nicht, das grundlegende Interesse des Zuschauers in ihre Rollen zu überführen und eine Identifikationsmöglichkeit anzubieten. Trotz der grundlegenden Thrillerhandlung bleibt damit am Ende etwas übrig, was auch ein Fernsehkrimi hätte sein können, der am Freitag um 20:15 im Öffentlich-Rechtlichen läuft, und der um Himmel Willen bloß niemandem weh tun will. Schade um die gute Grundidee, und vielleicht findet sich ja mal ein Andreas Eschbach oder ein Sebastian Fitzek, der den Plot ummünzt in einen spannenden und an den richtigen Stellen schmerzhaften Roman. Zu wünschen wäre es der Idee …

5/10
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