Antonio Bido - Early Films (1970-1972)

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Salvatore Baccaro
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Antonio Bido - Early Films (1970-1972)

Beitrag von Salvatore Baccaro »

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Originaltitel: DIMENSIONI / ALIENO DA / DA RIPRENDERE / MOTO PERPETUO

Produktionsland: Italien 1970 / 1971 / 1972

Regie: Antonio Bido


Antonio Bido verbindet man gemeinhin mit den beiden Gialli, die ihm in den Jahren 1977-1978 den Eingang ins kommerzielle Kino beschert haben: IL GATTO DAGLI OCCHI DI GIADA und SOLAMENTE NERO sind, meiner Meinung nach, zwei der gelungensten Argento-Pastichen, die jemals gedreht wurden und gehören für mich wegen ihrer elegisch-eleganten Erzählweise, ihrer betörenden Bildern, ihrer spannenden Geschichten tatsächlich ins obere Drittel der 70er-Giallo-Liga. Der 1949 geborene Bido hat aber nicht nur nach diesen beiden Genre-Filmen noch eine weitere Handvoll Regiearbeiten vorgelegt – am bekanntesten hiervon ist wahrscheinlich der 1991er Actionfilm BLUE TORNADO –, sondern sich bereits als Literaturstudent mit einer Super8-Kamera bewaffnet, um seiner kinematographischen Leidenschaft zu frönen. Herausgekommen sind hierbei zwei Langstreifen: DIMENSIONI, den Bido in den Jahren zwischen 1968 bis 1970 dreht, sowie ALIENO DA, das Folgewerk aus 1971. Nein, mit Bidos Gialli haben diese Filme nichts zu tun – und, was das betrifft, auch mit narrativem Kino nichts.

DIMENSIONI ist ein Experimentalfilm par excellence, ein Produkt seiner Zeit, etwas, das in dieser Form möglicherweise nur Ende der 60er, Anfang der 70er entstehen konnte, mit allen Vor- und Nachteilen. DIMENSIONI erinnert an frühe Filme von Romano Scavolini, manchmal an Alberto Grifi oder an die sperrigen Werke der Pariser Zanzibar-Gruppe. Kohärenz sucht man vergebens: Zusammengeschweißt ist DIMENSIONI aus etlichen eigenständigen Vignetten, die nicht demonstrativer mit dem Rücken zum Publikumsgeschmack stehen könnten. Am Anfang sitzt Bido in der Badewanne und deklamiert theatralische Sätze; ein Mann steht vor einer weißen Wand und liest aus einem Buch vor, was das Wesen eines vorbildlichen Kommunisten ausmachen würde; in Großaufnahme tickt ein Metronom vor sich hin und aus dem Off wird die alttestamentarische Abstammungsliste Jesu Christi paraphrasiert; Christus selbst erscheint auf Erden und endet in der örtlichen Psychiatrie; ein weiterer Mann steht vor einer weiteren weißen Wand und muss sich eine Art katholisches Verhör gefallen lassen: Was ist die Hölle? Was ist die Dreifaltigkeit?, wozu fromme Choräle ertönen; chaotische Dokumentarbilder von Protesten und Demonstrationen; Klaviermusik und der sonst durchgehend schwarzweiße Film ergeht sich in lyrischen Farbaufnahmen von Landschaften, Stadtarchitektur, einem Frauenkörper; Orgelsounds und die Kamera zuckt über bunten Leinwänden hin und her, dass die Gemälde zu abstrakten Schlieren werden; ein weiterer Herr klärt uns darüber auf, wann Kunst politisch ist und ob es eine politische Kunst geben kann, die nicht zugleich progressiv ist; ein Vampir verfolgt eine Frau in einer Kiesgrube, inklusive POV-Shots und dramatische Orchestermusik; ein Mann freut sich darüber, dass ein Krieg kurz vor dem Ausbruch steht: Endlich fangen wir wieder an, uns gegenseitig abzuschlachten!; zwischendurch sind auch willkürlich wirkende verwackelte Bilder einer Großstadt zu sehen – und zum Schluss mündet DIMENSIONI in einer Schwarzblende und wir hören jemanden sich minutenlang die Seele aus dem Leib schreien.

DIMENSIONI liefert genau das, was man sich von einem Experimentalfilm aus dem Jahre 1970 erwarten darf: Das einstündige Spektakel ist anstrengend, kräfteverzehrend, bewusst enervierend, quillt regelrecht über vor Ideen, Referenzen, Zitaten, weigert sich aber partout, sein Material in irgendeine auch nur ansatzweise konsumierbare Form zu pressen, zelebriert seinen Anti-Establishment-Gestus bis zum Exzess, und verschnürt seine gesellschaftskritische Agenda größtenteils in einer Verpackung, die wohl selbst in den frühen 70ern jenseits von linksintellektuellen Kinoclubs niemand freiwillig geöffnet haben dürfte. Ich persönlich fand das Treiben dann doch etwas zu kontingent und gerade die Seitenhiebe gegen die katholische Amtskirche dann doch etwas zu plakativ, um mich wirklich daran ergötzen zu können, manche Szene aber wiederum – wie gerade die poetischen Landschafts- und Nebelbilder oder die durchaus charmante Vampiriflm-Genre-Dekonstruktion gegen Ende – schmeichelten mir genug, dass ich die Sichtung dieses jugendlich-ungestümen Streifens nicht bereue. Wie sagt man so schön: Ein Liebhaberprodukt.

Im direkten Vergleich zu DIMENSIONI erweist sich der zweite Film, den Antonio Bido mit Unterstützung des Filmclubs Fedic in Padua realisiert, als wesentlich kohärenter – was natürlich allein schon deshalb nicht viel heißt, da Bidos Debüt einem wild zusammengeworfenen Potpourri gleicht. Die erste Szene im 1971 veröffentlichten ALIENO DA dürfte erneut dazu dienen, neunundneunzig von hundert potenziellen Betrachtern des fünfundvierzigminütigen Filmexperiments fortzuscheuchen: Ein Mann, der den 1838 in jungen Jahren verstorbenen Dichter Giacomo Leopardi verkörpert, sowie ein zweiter Herr, der sich uns nicht namentlich vorstellt, durch seine Kleidung aber eindeutig als Repräsentant des zeitgenössischen Italiens markiert wird, konfrontieren Bidos Kamera auf einem lebhaften Marktplatz, wo sie in steifer Pose seltsame Sätze deklamieren: Anfangs scheint es, als ob der Vertreter der Moderne die Rezitationen des falschen Leopardis ins Gegenteil verkehren würde, aber mit der Zeit kommt mir der sich wohlgemerkt über mehrere Minuten hinziehende Schlagabtausch eher wie ein Topf voll Nonsens vor. Da meine Konzentration nachlässt, wende ich mich dem eigentlich Interessanten der Szene zu, den Reaktionen der Passanten nämlich, die belustigt oder mehrheitlich gnadenlos irritiert dem eigenartigen Spektakel zuschauen – vor allem dann, wenn Leopardi und sein Sidekick sich einander zudrehen und beginnen, sich abwechselnd Ohrfeigen zu verpassen; dann fällt man sich freundschaftlich in die Arme; dann geht man nach einer letzten Backfeige mit roboterhaften Bewegungen auseinander. Vielleicht wollte Bido mit dieser abgefilmten Performance das traditionelle Italien und das gegenwärtige Italien einander gegenüberstellen beziehungsweise in Dialog treten lassen?

Nach diesem äußerst hermetischen Beginn entwickelt ALIENO DA aber fast schon Ansätze einer nachvollziehbaren Handlung: In der Ruine eines halbabgerissenen Wohnhauses treffen wir eine Frau und einen Mann, die in wechselnden starren Posen auf einem Bett herumsitzen. Erwähnt werden muss an dieser Stelle der Soundtrack, bei dem Bido alles in den Ring wirft, was in der Modernen Klassik Rang und Namen hat, weshalb seine Zusammenstellung aus Schönberg, Stockhausen, Webern, Varese, Parmegiani beinahe schon wie eine elaborierte Playlist für Freunde sperriger, verkopfter Orchesterklänge wirkt. Im Verbund mit den endzeitlichen Bildern, die ALIENO DA im weiteren Verlauf dadurch evoziert, dass seine minimalistischen Schwarzweißaufnahmen vorzugsweise in Häuserruinen, Kiesgruben, kargen Landschaften siedeln, entfaltet sich eine Atmosphäre, die dem Film genauso dabei hilft, mir wesentlich zugänglicher und behaglicher zu erscheinen als DIMENSIONI, wie die Tatsache, dass er uns eine Identifikationsfigur anbietet, an deren Fersen geheftet wir von einer fremdartigen Episode in die nächste schlittern: Der bärtige Mann nämlich verlässt das Bett und geistert fortan wortlos und ohne sichtbare Gefühlsregungen durch ein Panorama, das, wie ich einmal vermute, einen Querschnitt der zeitgenössischen italienischen Gesellschaft darstellen soll: In der erwähnten Kiesgrube überhäufen Männer unseren Protagonisten mit politischen Kampfparolen, erklären ihm, weshalb der Kommunismus die humanste und rationalste Ideologie von allen sei, sezieren vor ihm die Unterschiede zwischen Marxismus und Liberalismus, - nur um ihn am Ende in einen Sarg einzusperren; in einem Atelier ist ein Künstler ganz begeistert von seinem neusten abstrakten Gemälde, wird durch das stoische Schweigen unseres Helden jedoch schließlich derart aus der Fassung gebracht, dass er die Leinwand vor dessen Augen zerstört; in einer pointiert surrealen Szene beobachtet der namenlose Wanderer, (bei dem es sich vielleicht um eine Wiederkunft Christi handelt?; immerhin hatten wir einen ähnlichen Einfall ja schon in DIMENSIONI, wo der Gottessohn nach seiner Rückkehr auf Erden in die Nervenheilanstalt gesteckt wird), wie ein Mann in einem Feld voller Glasflaschen diese eine nach der andern mit einem Hammer zertrümmert, (ein Bild wie von Magritte, ernsthaft!); zwischendurch leisten sich auch eine junge Frau in einem schlichten Gewand und eine zweite, splitterfasernackt vor ihr stehende zweite junge Frau ein Blickgefecht, bevor unsere mutmaßliche Jesus-Figur zum Schluss doch ihr Schweigegelübde bricht, in existenzialistische Monologe verfällt, mit einer Pistole an der eigenen Schläfe herumfuchtelt, schließlich eine ausgedehnte Anklage in Richtung Himmel sendet („Mein Gott, wieso hast Du mich verlassen!?“), und in der letzten Einstellung ins Niemandsland davonschreitet.

Nein, auch wenn ALIENO DA von einer apokalyptischen Atmosphäre lebt, die schon ein Stückchen entfernt ist vom juvenilen Irrsinn DIMENSIONIs, ist natürlich auch dieses Werk weder etwas, das sich irgendwer als Unterhaltungskost anschauen wollen dürfte, noch etwas, bei dem unterhalb der verbissenen Verweigerungshaltung genügend Ansätze aufscheinen würden, die es mir lohnend erscheinen lassen, da noch tiefer in die Exegese einzutauchen. Bestimmt hat Regisseur, Drehbuchautor, Editor Bido sich viel bei diesem Projekt gedacht, nur erreicht mich davon wenig, - was an kulturellen Barrieren, an zeitlichen Abständen, an meinem fehlenden Intellekt liegen kann, oder aber daran, dass beispielweise in der Szene, wenn die Revoluzzer auf die Jesus-Figur einreden, deren Deklamationen nur verfremdet wiedergegeben werden, sodass man kaum etwas von dem versteht, was ihre Stimmbänder verlässt. Für italienisches Gegenkultur-Kino der späten 60er, frühen 70er empfehle ich dann doch eher Namen wie Tinto Brass, Romano Scavolini oder Pierfrancesco Barginelli.

Interessanterweise haben mich die beiden Kurzfilme, die als „Extras“ auf der mir vorliegenden DVD enthalten sind, weitaus mehr begeistert als die Hauptfilme: Der neunminütige DA RIPRENDERE von 1972 zeigt in einer statischen Einstellung zunächst, wie zwei Frauen einen Spiegel aufstellen, der uns permanent die frontal aufs Glas gerichtete Kamera sehen lässt, dann, wie sich Bido mit einem Plakat vor dem Brustkorb, auf dem „Registra“ steht, vor die Linse schiebt. Im weiteren Verlauf wird die ältere der beiden Frauen Bido als Regieassistentin zur Hand gehen, während die jüngere den Launen und kruden Einfällen, wenn nicht sogar sexuellen Übergriffen des cholerisch agierenden, stellenweise regelrecht derangiert wirkenden Regisseurs ausgeliefert ist: Bido lässt sie schminken, zoomt an ihr Gesicht heran, (unterlegt von Werbe-Jingles); dann färbt er ihr Gesicht mit roter Farbe, zwingt sie, ihren Oberkörper zu entblößen, betatscht ihre Brüste. Am Ende wird DA RIPRENDERE sogar noch zum veritablen Snuff-Film, wenn der Regisseur jedwede Hemmungen verliert und die Frau vor laufender Kamera erdrosselt, um der Kamera abschließend seine rot verschmierten Handflächen zu präsentieren. Das klingt nun wahrlich härter als es inszeniert ist, setzt Bido doch mehr auf groteske Komik, die er vor allem durch Einsatz eines slapstickhaften Zeitraffers und die wechselnde Musikuntermalung erreicht – (als die Frau erdrosselt wird, bleibt die Schallplatte mit dem Popsong, der gerade dudelt, hängen, und wiederholt die immergleiche Sekunde bis die Dame endlich mausetot ist) –, gibt aber doch eine recht hübsche, weil wenig prätentiöse Kritik am etablierten Filmbetrieb irgendwo zwischen Werbung, Glamour, Sex und Gewalt ab, zumal Bido so wirkt, als ob ihm sein Over-Acting vor der eigenen Kamera unbändige Freude bereiten würde.

Noch großartiger fand ich jedoch MOTPO PERPETUO, ebenfalls von 1972, eine Hommage Bidos an Paganini. Während der vier Minuten Laufzeit hören wir ein Stück des Teufelsgeigers, bei dem das Streichinstrument mit einer Rasanz gespielt wurde, dass die Funken sprühen – und die Montage des Films gleicht sich diesem diabolischen Rhythmus an, wenn Bido mit einer wahren Maschinengewehr-Montage Aufnahmen einer nackten Tänzerin, der rotierenden Vinyl-Platte, Portraits Paganinis zusammenschneidet, dass ich gar nicht wissen möchte, wie viele Stunde allein der Finalschnitt des Films gekostet haben mag. Dabei ist MOTO PERPETUO ein Genuss für alle Sinne, ein wahrer Höllentrip, der den Eindruck erweckt, die Kamera würde völlig ohne Bodenhaftung über die Schallplattenrillen, die wogenden Brüste, die Geigensaiten zupfenden Frauenhände hinwegwirbeln, dass bald jedes gegenständliche Bild bis zur Abstraktion verschwimmt – was den Film wiederum durchaus an Werke der klassischen Kino-Avantgarde angliedert, (namentlich Dadaisten wie Hans Richter kommen mir in den Sinn, oder auch frühe Musikvideos beispielweise von Germaine Dulac, jedoch natürlich ins Ekstatisch-Exzessive gewendet.)
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