Fabiola - Alessandro Blasetti (1949)

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Salvatore Baccaro
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Fabiola - Alessandro Blasetti (1949)

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Originaltitel: Fabiola

Produktionsland: Italien/Frankreich 1949

Regie: Alessandro Blasetti

Cast: Michèle Morgan, Henri Vidal, Michel Simon, Louis Salou, Elisa Cegani, Massimo Girotti, Gino Cervi, Sergio Tofano, Rina Morelli, Paolo Stoppa


Zweimal hat im italienischen Kino der antike Monumentalfilm so richtig geboomt. Zunächst in den 1910er und 1920er Jahren, als nicht nur Giovanni Pastrones CABIRIA (1914) der Kinematographie des Stiefellands einen Welterfolg beschert, sondern sich Regisseure wie Mario Caserini, Enrico Guazzoni oder Arturo Ambrosio historisch mehr oder minder verbürgten Gestalten und Ereignissen wie der Liebesbeziehung zwischen Marc Anton und Cleopatra, dem Untergang Pompejis oder dem Sklavenaufstand unter Spartacus widmen, und damit nicht geizen mit wogenden Tuniken, schwerterrasselnden Prätorianern und Spezialeffekten, die gleich ganze blühende Städte lahmlegen. Einen vergleichbaren Siegeszug sollte der Sandalenfilm nach Verblassen des international leuchtenden Sterns der italienischen Filmindustrie im Laufe der 20er erst wieder ab den späten 50ern erleben, als Pietro Franchisi den US-Bodybuilder Steve Reeve in den Ring schickt, auf dass er die FATICHE DI ERCOLE meistern darf. Im Fahrwasser dieses Films schießen auf einmal die Muskelmänner wie Weizen aus dem Boden: Ob nun Hercules, ob Ursus, ob Maciste, (der freilich schon in den 20ern eine eigene Serie bestreiten durfte) – kaum ein (fiktives) Königreich, das nicht von üblen Despoten befreit, kaum ein Gummimonstrum das nicht per Handkantenschlag niedergerungen, kaum eine geographische Region oder Epoche, die nicht bereist werden muss, um dem ewigen Guten zum ewigen Sieg zu verhelfen. Zwischen den ungleich pulpigeren Peplums der späten 50ern, frühen 60ern und den filmtechnisch und filmsprachlich innovativen, wenn auch inhaltlich meist reichlich starren, wenn nicht gar staubtrockenen Epen der 1910er und 1920er lässt sich tatsächlich bloß eine Handvoll Filme ausgraben, die man dem Peplum-Genre zuordnen kann: Mario Camerinis ULISSE aus dem Jahre 1954 gehört sicherlich dazu, und ebenso Riccardo Fredas SPARTACO zwei Jahre zuvor. Unter Mussolini konnte man sich noch an Carmine Gallones SCIPIO, L’AFRICANO (1936) ergötzen, einem Werk, das an den Kinokassen dermaßen Schiffbruch erlitt, dass das faschistische Italien darauf verzichtet, sich noch einmal an derartigen Monumentalstoffen die Finger zu verbrennen. Tja, und dann gibt es da noch FABIOLA, eine italienisch-französische Ko-Produktion aus dem Jahre 1948, basierend auf einem bereits 1854 erschienen Roman eines anglikanischen Erzbischofs, der sich, ganz ähnlich wie Sienkiewicz’s QUO VADIS?, um die Bedrohungen und Qualen rankt, die Christen im Rom des frühen 4. Jahrhunderts ausgesetzt gewesen sind. In den Hauptrollen ist der Film ausschließlich mit Franzosen besetzt: Die Titelrolle verkörpert Michèle Morgan; ihr männliches Gegenstück darf Henri Vidal spielen; und prominent ist (zumindest in der ersten Hälfte) Michel Simon vertreten, der alles daran setzt, dem übrigen Cast die Schau zu stehlen. Auf dem Riegestuhl wiederum sitzt der (zu Unrecht) nahezu vergessene Alessandro Blasetti, der zwischen den späten 20ern und späten 60ern Filme ganz unterschiedlicher Genres, Weltanschauungen, Poetologien zu verantworten hat, und den ich mittlerweile für einen der interessantesten italienischen Regisseure gerade dieser Zeitspanne halte. Da FABIOLA ein Monumentalfilm sein will, pendelt sich seine Laufzeit bei knapp drei Stunden ein, und erzählt seine (zugegebenermaßen diese exorbitante Länge zu keinem Zeitpunkt rechtfertigende) Handlung mit wahrhaft epischem Atem:

Rom im Jahre 312 nach Christi Geburt: Den jungen Gallier Rhual hat es in die Hauptstadt verschlagen, wo er sich, wie viele seiner Alters- und Stammesgenossen, eine erfolgreichere und aufregendere Lebenslaufbahn verspricht als in der Provinz jenseits des Rheins. Bald schon erhält unser Held, der sich zunächst als Hafenhilfsarbeiter verdingt, aufgrund seiner athletischen Statur das Angebot, in der Villa des Fabius Severus bei Gladiatoren-Schaukämpfen teilzunehmen, die der Senator zur Belustigung seiner High-Society-Gäste abhalten lässt. Am ersten Abend gleich macht Rhual die Bekanntschaft mit Severus‘ Tochter Fabiola, die ihm allerdings ihre wahre Identität nicht auf die Nase bindet, und mit ihm quasi inkognito einige romantische Stunden an der mondscheinbeleuchteten Küste verbringt, wo sich die beiden natürlich Hals über Kopf ineinander verlieben. Überschattet wird das junge Glück, als Fabiolas Vater, der in letzter Zeit arg mit Idealen der verbotenen und verfolgten Christenheit liebäugelt und ernsthaft plant, all seinen Sklaven die Freiheit zu schenken, von politischen Feinden heimtückisch ermordet wird. Da die Attentäter mehrere Indizien gestreut haben, die die Christen als wahre Mörder ausweisen sollen, gerät bald Rhual in Verdacht, denn dieser ist nicht nur einer der Letzten gewesen, die Severus lebend gesehen haben, sondern es handelt sich bei ihm außerdem, wie sich nun herausstellt, um einen treuen Anhänger Christi. Auch wenn Fabiola zunächst an der Unschuld ihres Herzblatts zweifelt, ist sie doch bald überzeugt, dass Rhual und seine christlichen Freunde Opfer eines Komplotts geworden sind, deren Drahtzieher man in der römischen Oberschicht suchen muss. Je tiefer sie ihre Nachforschungen in den ränkereichen Morast der Hauptstadt führen desto weiter öffnet sich ihre Seele für die Glaubenssätze der Christen, die parallel dazu von einer wüsten Welle der Verfolgung erfasst werden. Die Arenen füllen sich alsbald mit Blut, ein Legionär namens Sebastian stirbt als Märtyrer im Pfeilhagel, Rhual soll als Gladiator sein Leben zur Belustigung der Massen verteidigen, und Fabiola hält es mehr und mehr für die einzige Lösung, dass sie gemeinsam mit ihrem Liebsten in den Tod geht, indem sie sich selbst als Christin outet…

Meinen Hauptkritikpunkt an FABIOLA habe ich ja bereits angedeutet: Den Film auf die epische Länge von hundertsiebzig Minuten auszudehnen, das tut ihm zumindest aus meiner gegenwärtigen Sicht alles andere als gut. Gerade die ersten eineinhalb Stunden fühlen sich wie eine extrem gedehnte Exposition an, in der zwar Michel Simon als Senator Severus einen Monolog nach dem andern halten darf, die jedoch inhaltlich weitgehend auf der Stelle tritt, und, einmal abgesehen von der exquisiten Schwarzweißphotographie, keine nennenswerten Schauwerte aufweist, die mich über endlose Debatten über die Pros und Contras von Sklavenbefreiungen oder schmachtende Stelldicheins zwischen Rhual und Fabiola am Meeresstrand hinwegtrösten würden. Auch später ist die Dramaturgie des Films niemals sonderlich knackig oder gar flott: Szenen werden häufig einen Tick zu lange ausgespielt; Blasetti sind seine Figuren und deren psychologischen Triebfedern deutlich wichtiger als das Setzen auf spektakuläre Kämpfe und überraschende Wendungen, wie man sie zu Hauf aus den Peplums zehn bis fünfzehn Jahre später kennt; FABIOLA entspricht durchaus dem, was man unter „Qualitätskino“ versteht, wobei der Film derart dicht bei seiner (geschwätzigen) Fabel ist, dass nicht mal etwaige pompöse (Studio-)bauten uns von dieser ablenken könnten. Nur einmal verliert FABIOLA die Contenance, - dann aber auf eine Weise, die mich sprachlos in meinem Heimkinosessel zusammensinken ließ: Wenn der Film daran schreitet, die Massaker an den Christen zu bebildern, dann nimmt er dort, genauso wie die römischen Machthaber, keine Gefangenen. Ohne mich zu weit aus dem Fenster lehnen zu wollen: Für etwa fünf Minuten wird FABIOLA zum 40er-Äquivalent einer Splatter-und-Gore-Orgie: Da werden Christinnen lebendig den Flammen überantwortet; da hetzen heißhungrige Löwen unbewaffnete Männer, um sie zu zerfleischen; da stürzen Tote und Verwundete, denen die Gliedmaßen fehlen, als blutige Bündel vor die Kameralinse. Spontan fiele mir tatsächlich kein einziger Film vor FABIOLA ein, der derart in Bildern von Folter und Gemetzel schwelgen würde, und ich kann es mir nicht anders erklären, als dass dieses Werk, wie so viele andere Arbeiten Blasettis, weitgehend in Vergessenheit geraten ist, dass es nicht auf einschlägigen Listen auftaucht, die den Ursprüngen und Einflüssen des laut gängiger Filmgeschichtsschreibung erst 1963 mit BLOOD FEAST Fahrt aufnehmenden Splatterkinos nachzuspüren versuchen.

Auf der Oberfläche agiert FABIOLA freilich aber als christliche Propaganda, deren Bildsprache sich an sattsam bekannten Kitschmotiven orientiert: Wenn Fabiola im Gefängnis das Christentum annimmt, indem sie dreimal das Kreuzeszeichen vor ihrer bebenden Brust vollführt, fällt ein engelshaftes Licht von oben herab auf ihren bebenden Körper; und wenn am Ende alles verloren scheint, dann reitet als deus ex machina die Armee des Gegenkaisers Konstantins des Großen heran, um das Morden zu beenden und das Christentum zur Staatsreligion zu erklären. Reizvoll finde ich es jedoch, den Film vor seinem historischen Hintergrund zu betrachten, denn: Könnte es nicht sein, dass die malträtierten Christen eine bloße Metapher sind? Einen Hinweis gibt eine Texttafel zu Beginn, in der der Film ausdrücklich allen gewidmet wird, die Verfolgung und Leid haben erdulden müssen. Wer denkt da nicht sogleich an die ganze Palette an Opfern, die der nur vier Jahre zurückliegende Weltkrieg forderte? Soll mit den Christen, die sich heimlich in Katakomben treffen, um ihre Gottesdienste zu feiern, möglicherweise auf italienische Kommunisten und Partisanen angespielt werden, die sich zu Zeiten des Faschismus ähnlich gezwungen sahen, sich in den Untergrund zu verabschieden? Auffallend tut FABIOLA nämlich etwas, was spätere Peplums konsequent aussparen: Von einer Revolution reden, die einen Umsturz der Verhältnisse nach sich zieht. Hercules, Maciste, Ursus – das sind letztlich allesamt Handlanger der Monarchie, dazu berufen, diese in ihren Grundfesten zu restaurieren, wenn eine Revolte an ihnen zu kratzen beginnt. Allerdings ist die Revolution, die uns FABIOLA in seinem Finale präsentiert, dann auch eher ein Tausch der Herrschenden statt eine wirkliche Graswurzelbehandlung: Konstantins Truppen fegen den Konkurrent Maxentius zwar im Sturmwind vom Thron, danach aber setzt Konstantin sich selbst die Kaiserkrone auf. Dementsprechend wird auch in FABIOLA vornehmlich von Revolution gesprochen, statt dass diese wirklich ausagiert werden würde - und möglicherweie ist das auch das vielleicht nur eine Metapher, mit der im Gewand einer frommen Kalendergeschichte auf den gegenwärtigen Zustand Italiens nach Kriegsende angespielt werden sollte?
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